Travel 16/5: Am blauen Nil

2013, Gonder/Äthiopien: Ich blickte von meinem schäbigen Hotelzimmer auf die Straße hinunter und sah, wie die Pferdekarren vorbeizogen und die Eseltreiber ihre schwer beladenen Tiere durch die Gassen trieben. Äthiopien war ein weitaus primitiveres staatliches Gebilde, als Uganda oder Tansania, zwei Länder, die ich zuvor besucht hatte (Travel 16/2-4). Längst waren die Wälder gerodet und nur selten sah man kleinere, von Bäumen bewachsene Gebiete, die als künstliche Oasen von NGOs mit Mitteln der Entwicklungshilfe aufgeforstet worden waren. Die herunter gekommenen Nationalparks, wo man von der Tierwelt nur noch einen jämmerlichen Restbestand vorfand, wollte kein Tourist mehr besuchen und die Gesellschaft war durchzogen von skurrilen Lebensvorstellungen, wie etwa die einiger muslimischer Gruppen, welche durch aggressive Fortpflanzung ihre religiösen Phantasien auszuleben suchten. In Folge des Raubbaus an der Natur und der Ausbeutung der Ressourcen, hatten Dürren und Hungerkatastrophen gewütet, gleichzeitig war die einfältige Subsistenzwirtschaft nicht ertragreich genug, das Land nachhaltig zu ernähren. All das hielt die Menschen nicht davon ab, sich weiterhin unkontrolliert zu vermehren. Mit einer durchschnittlichen Fertilität von mehr als fünf Kindern pro Frau, war die Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren seit den Hungersnöten noch einmal auf das Doppelte angewachsen und zählte inzwischen mehr als 90 Millionen Einwohner. In diesem Moment erschauderte ich bei dem Gedanken, dass sich eines Tages ein Treck von einer Milliarde Afrikanern auf den Weg nach Europa machen könnte.

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Äthiopien

Die ersten Berührungspunkte mit der einheimischen Bevölkerung hatte ich am Tag zuvor in der Innenstadt von Gonder gehabt und war nicht auf die herzlichen Leute gestoßen, wie ich sie in Uganda oder Tansania kennen gelernt hatte. Die Menschen unterschieden sich nicht nur vom Charakter von den südlichen Nachbarn, sondern auch von ihrem Aussehen und von ihrem Typ her. Anstelle der Freundlichkeit schlug mir Reserviertheit auf der Straße entgegen, zudem war ich permanent von Schleppern und Fliegenfängern umlagert und belästigt worden. Das Schlimmste hatte sich im Getümmel auf einem Markt zugetragen, als aus dem Nichts ein Mann auf mich zugekommen war und mir unter wilden Knurrgeräuschen absichtlich mit der Faust knapp am Kopf vorbeigeschlagen hatte. Nach dieser rassistischen Drohgebärde gegenüber meiner Person, war ich in mein verschmutztes Hotel zurückgekehrt, um meine Ruhe zu haben, denn überall war ich bedrängt und belästigt worden, wie ich es bisher nur aus Indien kannte. Dort allerdings konnte man die Schlepper noch mit einigen harschen Worten vertreiben, was ich mir hier nicht wirklich traute. Trotzdem, und obwohl ich mich nicht sehr sicher fühlte, war Äthiopien ein interessantes Land, das einen einzigartigen Charme versprühte. Ich kam mir manchmal vor wie in biblischen Zeiten, wenn ich bei den weitgehend von moderner Technik befreiten Arbeiten zuschaute, die die Menschen hier auf den Feldern und in den Werkstätten verrichteten.

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Am blauen Nil

Die Stadt Gonder lag in der nördlichen Provinz Amhara und war mit einem reichen kulturellen Erbe gesegnet, was auch der Grund gewesen ist, hierher zu kommen. Viele Bauwerke gehörten zu dem UNESCO Weltkulturerbe und zeugten von einer längst untergegangenen Zeit königlicher Dynastien. Unweit von der Stadt stiegen die bekannten Simion Mountains empor, die ich eines Tages noch zu besuchen plante. Ein ganzer Tross von Trägern, Eseln, Bergführern und Wachleuten war für die mehrtägige Wanderschaft durch das Gebirge erforderlich und ich hatte mehrere Personen kennen gelernt, die das Abenteuer in Angriff nahmen. Mir allerdings fehlte wieder einmal die Zeit, denn es war in den restlichen Tagen meiner Afrika Reise nur noch möglich, mir die Ausläufer des Blauen Nils rund um die Stadt Bahir Dar anzusehen. Die Weiterreise dorthin wollte ich unbedingt mit einem lokalen Bus vom zentralen Busbahnhof durchführen, war aber auf der Straße von einem Schlepper abgepasst worden, der mir allerlei Sachen anzudienen gedachte. Um ihn loszuwerden, hatte ich mich dummerweise dazu breitschlagen lassen, privaterseits die Fahrt bei ihm zu arrangieren. Am Abend desselben Tages wollte ich einen Rückzieher machen, denn mir war bei der Sache nicht sehr wohl zumute und als er einmal mehr mein Hotel umstreifte, beschloss ich, die Fahrt bei ihm zu stornieren. Zuerst kam es zu einem Wortgefecht und dann zu einem klärenden Gespräch, nach dem ich ihm endlich Glauben schenken konnte, dass er mich nicht hinters Licht führen wollte. Eigentlich hätte ich hier her gar nicht kommen müssen, wenn ich den Menschen gegenüber so negativ eingestellt war, dachte ich mir am kommenden Tag auf der Fahrt nach Bahir Dar, die freilich ohne irgendein Problem verlief.

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Die Mönche

Unweit von Gonder lag der soeben frisch gegründete Staat Südsudan, in dem Hilfsorganisationen und die Weltbank ein größeres Gebiet neu aufgeforstet hatten. Nun regnete es dort wieder und vielleicht hätte die Landschaft Äthiopiens ebenso grün wie die mitteleuropäische aussehen können, wäre noch etwas von dem Wald vorhanden gewesen. doch so glich die Flur auf der etwa 200 Kilometer langen Strecke zwischen Gonder und Bahir Dar einem Flickenteppich aus gelben und braunen Rauten, als wären es die brach liegenden winterlichen Felder, wie sie aus der Heimat wohlbekannt sind. Auf der Fahrt hatten wir eine lange Strecke am Lake Tana im Hochland von Abessinien zurückgelegt, einem See, der sich hier etwa fünfzig mal fünfzig Kilometer erstreckte und für seine Klosterinseln bekannt war, die auch ich besuchen wollte. Als der Minibus Bahir Dar erreichte und ich gerade aussteigen wollte, hatte sich schon eine Handvoll Schlepper um mich gebildet und meinen Koffer noch bevor ich aus dem Bus ausgestiegen war, in Beschlag genommen. Es war ein unverschämter Akt der Inbesitznahme meines Eigentums, welches ich gleich wieder an mich riss, um schnell aus dem Pulk zu verschwinden. Kaum ein paar Meter weiter wurde ich schon wieder von zwei Personen abgepasst, die mir weismachen wollten, mein angestrebtes Hotel wäre ausgebucht. Natürlich glaubte ich dieser Behauptung nicht, allerdings war ich auch für Alternativen aufgeschlossen und ließ mir eine Empfehlung geben. Dabei stellte sich heraus, dass einer der beiden der Sohn eines Hoteliers war und so unmöglich ein Schlepper sein konnte. Ich ging auf den Vorschlag ein und ließ mich und meinen Koffer zu der vorgeschlagenen Unterkunft bringen. Es war ein wirklich herunter gekommener Ort, der mir da angeboten wurde, doch von vielen Reisen noch schlimmeres gewohnt, nahm ich das Zimmer schließlich, da sich die Eigentümer als äußerst nette Personen herausstellten und mir auch die zentrale Lage gefiel.

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Unterwegs

Den ersten von den beiden geplanten Tagen in Bahir Dar nutzte ich, um auf dem See die christlichen Klöster zu besichtigen, die dort seit einigen hundert Jahren von Mönchen des Tanas zur Andacht genutzt wurden. Auch hier regierte inzwischen mehr das Geld, als die Geistlichkeit, so hatten die Mönche den Eintritt zu ihren Anlagen kurzerhand um 500 Prozent auf das Niveau eines einheimischen Wochenlohns angehoben, was die meisten Teilnehmer des Bootstrips dazu veranlasste, die Einrichtungen zu boykottieren und auch ich nahm nur eines der Klöster in Augenschein. Es handelte sich dabei um runde Pfahlbauten, deren Schätze im Inneren aus religiösen Malereien bestanden, die den bulgarischen Ikonen ähnelten, auch wenn sie nicht einen so pompösen Eindruck hinterließen. Auf der Rückfahrt kam uns ein Schwarm von Kanus entgegen, die ob der Last, welche mit ihnen transportiert wurde, den Anschein erweckten, gleich versinken zu wollen. Es war ein erstaunlicher Anblick, der mich dazu veranlasste, Fotografien aus jeder Perspektive zu schießen. Unterdessen hatte ein Franzose, der mit seinem riesigen Zoomobjektiv neben mir im Boot saß, wie schon den gesamten Trip über, nichts Besseres zu tun, als aus einem halben Meter Entfernung seine Freundin zu porträtieren.

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Das Essen

Am kommenden Tag ging es mit einer Touristengruppe zu den Tissisat Wasserfällen an den Blauen Nil hinunter, als es auf halber Strecke plötzlich einen Schlag ließ. Wir schauten verdutzt aus dem Bus hinaus und sahen, wie ein Bewohner des Dorfes, das wir gerade durchfuhren, mit der Hand gegen die hintere Seitenwand des Minibusses geschlagen und uns damit ein eindeutiges Zeichen seines Protestes gegen unsere Anwesenheit gegeben hatte. Der Fahrer fluchte laut, wollte aber nicht den Grund verraten, was hier vor sich ging. Ich blickte aus dem Bus hinaus und bemerkte die vielen jungen Männer, die am Straßenrand lagen und teilnahmslos in die Welt hinein schauten. Freilich, es war eine sinnendfreite Reproduktion, die hier von Statten ging, obwohl das Land schon voll von Leuten war, wurden es immer mehr. Der Vorfall mit dem Faustschlag war schnell vergessen, als wir bei den Wasserfällen angekommen waren und eine idyllische Landschaft bestaunen konnten, die einmal mehr an biblische Szenen erinnerte. In der Ferne zogen auf kleinen Pfaden wandernden Gruppen von Menschen mit vollbeladenen Eseln vorbei und man konnte  Viehhirten und Bauern bestaunen, die bei der Bestellung ihres Landes mit den primitivsten Mitteln arbeiteten. Natürlich gab es bei Wasserfällen auch jede Menge Bettler, die an meinem Hosenzipfeln hingen und mir das Leben arg beschwerten. Ohnehin war es mit der Idylle bald vorbei, als ein sudanesischer Tourist aus unserer Reisegruppe lauthals seinem Ärger Luft verschaffte. Er fühlte sich betrogen, weil die Überfahrt über den Fluss auf dem Rückweg nicht in dem Reisepreis inbegriffen war. Er schimpfte und fluchte und wurde  immer unangenehmer. Zurück in Bahir Dar war er dermaßen in Rage gekommen, dass er dem Busfahrer an die Gurgel wollte und er konnte nur mit Müh und Not von den übrigen Reisenden vor seinem Hotel aus dem Fahrzeug gedrängt werden. Als wir wieder los fuhren, verschwand er schließlich mit geballten Fäusten in einem der teuersten Unterkünfte der Stadt.

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Zurück in Addis

Am kommenden Tag stand die Überlandfahrt nach Addis Abeba an. Im Bus dachte ich noch einmal über den Ausflug zu den Wasserfällen nach. Der Ärger des Sudanesen hatte sich in einem wilden Streit mit dem Busfahrer ergossen und am Ende war es beinahe zu einer Schlägerei gekommen. Der kulturelle Unterschied war zu groß, als dass ich mir den Grund der Auseinandersetzung hätte erklären können, zumal der Ausflug sehr gut organisiert gewesen war. Mir wurde noch einmal deutlich bewusst, wie schwer man die Befindlichkeiten der Menschen als Europäer hier einschätzen konnte. Meine Strategie bei den Schleppern freundlich zu bleiben, so sehr ich auch von diesen bedrängt wurde, war wohl die einzig richtige. Ich hatte in dem Bus die hinterste Bank mit ihren fünf Sitzen für mich alleine eingenommen, als sich die äthiopische Landschaft öffnete und ein Open-Air Museum zu bestaunen war, das mich veranlasste, in den folgenden Stunden mehr als 800 Bilder aufzunehmen. Während die Landschaft an mir vorbeizog, glaubte ich eine Zeitreise durch eine längst vergangene Welt zu unternehmen. Noch immer waren mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, wo mit primitivsten Mitteln Subsistenzwirtschaft betrieben wurde. An jeder Kurve sprang ein Pulk von Kindern hervor, um uns zuzuwinken und ich fragte mich, ob in einigen Jahren noch genug für alle da wäre, konnte das Wachstum im Agrarsektor bereits jetzt schon nur mit Mühe mit der Bevölkerungsexplosion mithalten. Eines wurde mir in diesem Moment klar, ich als Europäer hatte keine Verantwortung für die ungezügelte Massenvermehrung, die in dieser Subsahara Region stattfand.

Es war ein Spießrutenlauf, den ich die letzten beiden Tage in der Hauptstadt Äthiopiens durchstehen musste. Das Gästehaus, in dem ich abgestiegen war, wurde von einem Reiseführer empfohlen, was den Schleppern und Fliegenfänger sehr wohl auch schon zu Ohren gekommen war.  In Gruppen warteten sie vor der Einrichtung, um jeden Gast, der dort herauskam zu bedrängen und zu belästigen. Ich hatte dabei das Unglück, dass einer dieser Kameraden es besonders auf mich abgesehen hatte und auch besondere Unfreundlichkeit oder gar Abweisung halfen wenig, er verfolgte mich auf Schritt und Tritt und ließ nicht von mir ab. Am zweiten Tag der Verfolgungsjagt lud ich ihn schließlich in einem Restaurant ein, mit mir zu essen, wo er mir seine gesamte Geschichte erzählte. Er war aus dem Süden des Landes nach Addis Abeba gekommen, um hier sein Glück zu versuchten, doch alle Anstrengungen Fuß zu fassen wollten nicht gelingen. Es war eigentlich ein netter Kerl, doch den Umständen entsprechend war er leider in einem Land geboren, indem er seinen Wünschen nicht nachkommen konnte. In diesem Moment fühlte ich mich recht hilflos, ihn mit einem kleinen Geldbetrag zu unterstützen, hätte an seiner Situation substanziell nichts verbessert. Es blieb nichts, als zu hoffen, dass auch in einem Land wie in Äthiopien sich im Zuge des weltweiten Fortschritts zukünftig etwas entwickeln würde, das den Menschen es hier ein besseres Leben ermöglicht.

Reiseberichte:

Travel Report 16/1: Ausversehen in Äthiopien
Travel Report 16/2: Verbrannt
Travel Report 16/3: Zwischen Meru und Kilimanjaro
Travel Report 16/4: Am Viktoriasee
Travel Report 16/5: Am Blauen Nil

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