Travel 16/5: Am blauen Nil

2013, Gonder/Äthiopien: Ich blickte von meinem schäbigen Hotelzimmer auf die Straße hinunter und sah, wie die Pferdekarren vorbeizogen und die Eseltreiber ihre schwer beladenen Tiere durch die Gassen trieben. Äthiopien war ein weitaus primitiveres staatliches Gebilde, als Uganda oder Tansania, zwei Länder, die ich zuvor besucht hatte (Travel 16/2-4). Längst waren die Wälder gerodet und nur selten sah man kleinere, von Bäumen bewachsene Gebiete, die als künstliche Oasen von NGOs mit Mitteln der Entwicklungshilfe aufgeforstet worden waren. Die herunter gekommenen Nationalparks, wo man von der Tierwelt nur noch einen jämmerlichen Restbestand vorfand, wollte kein Tourist mehr besuchen und die Gesellschaft war durchzogen von skurrilen Lebensvorstellungen, wie etwa die einiger muslimischer Gruppen, welche durch aggressive Fortpflanzung ihre religiösen Phantasien auszuleben suchten. In Folge des Raubbaus an der Natur und der Ausbeutung der Ressourcen, hatten Dürren und Hungerkatastrophen gewütet, gleichzeitig war die einfältige Subsistenzwirtschaft nicht ertragreich genug, das Land nachhaltig zu ernähren. All das hielt die Menschen nicht davon ab, sich weiterhin unkontrolliert zu vermehren. Mit einer durchschnittlichen Fertilität von mehr als fünf Kindern pro Frau, war die Bevölkerung in den letzten zwanzig Jahren seit den Hungersnöten noch einmal auf das Doppelte angewachsen und zählte inzwischen mehr als 90 Millionen Einwohner. In diesem Moment erschauderte ich bei dem Gedanken, dass sich eines Tages ein Treck von einer Milliarde Afrikanern auf den Weg nach Europa machen könnte.

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Äthiopien

Die ersten Berührungspunkte mit der einheimischen Bevölkerung hatte ich am Tag zuvor in der Innenstadt von Gonder gehabt und war nicht auf die herzlichen Leute gestoßen, wie ich sie in Uganda oder Tansania kennen gelernt hatte. Die Menschen unterschieden sich nicht nur vom Charakter von den südlichen Nachbarn, sondern auch von ihrem Aussehen und von ihrem Typ her. Anstelle der Freundlichkeit schlug mir Reserviertheit auf der Straße entgegen, zudem war ich permanent von Schleppern und Fliegenfängern umlagert und belästigt worden. Das Schlimmste hatte sich im Getümmel auf einem Markt zugetragen, als aus dem Nichts ein Mann auf mich zugekommen war und mir unter wilden Knurrgeräuschen absichtlich mit der Faust knapp am Kopf vorbeigeschlagen hatte. Nach dieser rassistischen Drohgebärde gegenüber meiner Person, war ich in mein verschmutztes Hotel zurückgekehrt, um meine Ruhe zu haben, denn überall war ich bedrängt und belästigt worden, wie ich es bisher nur aus Indien kannte. Dort allerdings konnte man die Schlepper noch mit einigen harschen Worten vertreiben, was ich mir hier nicht wirklich traute. Trotzdem, und obwohl ich mich nicht sehr sicher fühlte, war Äthiopien ein interessantes Land, das einen einzigartigen Charme versprühte. Ich kam mir manchmal vor wie in biblischen Zeiten, wenn ich bei den weitgehend von moderner Technik befreiten Arbeiten zuschaute, die die Menschen hier auf den Feldern und in den Werkstätten verrichteten.

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Am blauen Nil

Die Stadt Gonder lag in der nördlichen Provinz Amhara und war mit einem reichen kulturellen Erbe gesegnet, was auch der Grund gewesen ist, hierher zu kommen. Viele Bauwerke gehörten zu dem UNESCO Weltkulturerbe und zeugten von einer längst untergegangenen Zeit königlicher Dynastien. Unweit von der Stadt stiegen die bekannten Simion Mountains empor, die ich eines Tages noch zu besuchen plante. Ein ganzer Tross von Trägern, Eseln, Bergführern und Wachleuten war für die mehrtägige Wanderschaft durch das Gebirge erforderlich und ich hatte mehrere Personen kennen gelernt, die das Abenteuer in Angriff nahmen. Mir allerdings fehlte wieder einmal die Zeit, denn es war in den restlichen Tagen meiner Afrika Reise nur noch möglich, mir die Ausläufer des Blauen Nils rund um die Stadt Bahir Dar anzusehen. Die Weiterreise dorthin wollte ich unbedingt mit einem lokalen Bus vom zentralen Busbahnhof durchführen, war aber auf der Straße von einem Schlepper abgepasst worden, der mir allerlei Sachen anzudienen gedachte. Um ihn loszuwerden, hatte ich mich dummerweise dazu breitschlagen lassen, privaterseits die Fahrt bei ihm zu arrangieren. Am Abend desselben Tages wollte ich einen Rückzieher machen, denn mir war bei der Sache nicht sehr wohl zumute und als er einmal mehr mein Hotel umstreifte, beschloss ich, die Fahrt bei ihm zu stornieren. Zuerst kam es zu einem Wortgefecht und dann zu einem klärenden Gespräch, nach dem ich ihm endlich Glauben schenken konnte, dass er mich nicht hinters Licht führen wollte. Eigentlich hätte ich hier her gar nicht kommen müssen, wenn ich den Menschen gegenüber so negativ eingestellt war, dachte ich mir am kommenden Tag auf der Fahrt nach Bahir Dar, die freilich ohne irgendein Problem verlief.

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Die Mönche

Unweit von Gonder lag der soeben frisch gegründete Staat Südsudan, in dem Hilfsorganisationen und die Weltbank ein größeres Gebiet neu aufgeforstet hatten. Nun regnete es dort wieder und vielleicht hätte die Landschaft Äthiopiens ebenso grün wie die mitteleuropäische aussehen können, wäre noch etwas von dem Wald vorhanden gewesen. doch so glich die Flur auf der etwa 200 Kilometer langen Strecke zwischen Gonder und Bahir Dar einem Flickenteppich aus gelben und braunen Rauten, als wären es die brach liegenden winterlichen Felder, wie sie aus der Heimat wohlbekannt sind. Auf der Fahrt hatten wir eine lange Strecke am Lake Tana im Hochland von Abessinien zurückgelegt, einem See, der sich hier etwa fünfzig mal fünfzig Kilometer erstreckte und für seine Klosterinseln bekannt war, die auch ich besuchen wollte. Als der Minibus Bahir Dar erreichte und ich gerade aussteigen wollte, hatte sich schon eine Handvoll Schlepper um mich gebildet und meinen Koffer noch bevor ich aus dem Bus ausgestiegen war, in Beschlag genommen. Es war ein unverschämter Akt der Inbesitznahme meines Eigentums, welches ich gleich wieder an mich riss, um schnell aus dem Pulk zu verschwinden. Kaum ein paar Meter weiter wurde ich schon wieder von zwei Personen abgepasst, die mir weismachen wollten, mein angestrebtes Hotel wäre ausgebucht. Natürlich glaubte ich dieser Behauptung nicht, allerdings war ich auch für Alternativen aufgeschlossen und ließ mir eine Empfehlung geben. Dabei stellte sich heraus, dass einer der beiden der Sohn eines Hoteliers war und so unmöglich ein Schlepper sein konnte. Ich ging auf den Vorschlag ein und ließ mich und meinen Koffer zu der vorgeschlagenen Unterkunft bringen. Es war ein wirklich herunter gekommener Ort, der mir da angeboten wurde, doch von vielen Reisen noch schlimmeres gewohnt, nahm ich das Zimmer schließlich, da sich die Eigentümer als äußerst nette Personen herausstellten und mir auch die zentrale Lage gefiel.

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Unterwegs

Den ersten von den beiden geplanten Tagen in Bahir Dar nutzte ich, um auf dem See die christlichen Klöster zu besichtigen, die dort seit einigen hundert Jahren von Mönchen des Tanas zur Andacht genutzt wurden. Auch hier regierte inzwischen mehr das Geld, als die Geistlichkeit, so hatten die Mönche den Eintritt zu ihren Anlagen kurzerhand um 500 Prozent auf das Niveau eines einheimischen Wochenlohns angehoben, was die meisten Teilnehmer des Bootstrips dazu veranlasste, die Einrichtungen zu boykottieren und auch ich nahm nur eines der Klöster in Augenschein. Es handelte sich dabei um runde Pfahlbauten, deren Schätze im Inneren aus religiösen Malereien bestanden, die den bulgarischen Ikonen ähnelten, auch wenn sie nicht einen so pompösen Eindruck hinterließen. Auf der Rückfahrt kam uns ein Schwarm von Kanus entgegen, die ob der Last, welche mit ihnen transportiert wurde, den Anschein erweckten, gleich versinken zu wollen. Es war ein erstaunlicher Anblick, der mich dazu veranlasste, Fotografien aus jeder Perspektive zu schießen. Unterdessen hatte ein Franzose, der mit seinem riesigen Zoomobjektiv neben mir im Boot saß, wie schon den gesamten Trip über, nichts Besseres zu tun, als aus einem halben Meter Entfernung seine Freundin zu porträtieren.

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Das Essen

Am kommenden Tag ging es mit einer Touristengruppe zu den Tissisat Wasserfällen an den Blauen Nil hinunter, als es auf halber Strecke plötzlich einen Schlag ließ. Wir schauten verdutzt aus dem Bus hinaus und sahen, wie ein Bewohner des Dorfes, das wir gerade durchfuhren, mit der Hand gegen die hintere Seitenwand des Minibusses geschlagen und uns damit ein eindeutiges Zeichen seines Protestes gegen unsere Anwesenheit gegeben hatte. Der Fahrer fluchte laut, wollte aber nicht den Grund verraten, was hier vor sich ging. Ich blickte aus dem Bus hinaus und bemerkte die vielen jungen Männer, die am Straßenrand lagen und teilnahmslos in die Welt hinein schauten. Freilich, es war eine sinnendfreite Reproduktion, die hier von Statten ging, obwohl das Land schon voll von Leuten war, wurden es immer mehr. Der Vorfall mit dem Faustschlag war schnell vergessen, als wir bei den Wasserfällen angekommen waren und eine idyllische Landschaft bestaunen konnten, die einmal mehr an biblische Szenen erinnerte. In der Ferne zogen auf kleinen Pfaden wandernden Gruppen von Menschen mit vollbeladenen Eseln vorbei und man konnte  Viehhirten und Bauern bestaunen, die bei der Bestellung ihres Landes mit den primitivsten Mitteln arbeiteten. Natürlich gab es bei Wasserfällen auch jede Menge Bettler, die an meinem Hosenzipfeln hingen und mir das Leben arg beschwerten. Ohnehin war es mit der Idylle bald vorbei, als ein sudanesischer Tourist aus unserer Reisegruppe lauthals seinem Ärger Luft verschaffte. Er fühlte sich betrogen, weil die Überfahrt über den Fluss auf dem Rückweg nicht in dem Reisepreis inbegriffen war. Er schimpfte und fluchte und wurde  immer unangenehmer. Zurück in Bahir Dar war er dermaßen in Rage gekommen, dass er dem Busfahrer an die Gurgel wollte und er konnte nur mit Müh und Not von den übrigen Reisenden vor seinem Hotel aus dem Fahrzeug gedrängt werden. Als wir wieder los fuhren, verschwand er schließlich mit geballten Fäusten in einem der teuersten Unterkünfte der Stadt.

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Zurück in Addis

Am kommenden Tag stand die Überlandfahrt nach Addis Abeba an. Im Bus dachte ich noch einmal über den Ausflug zu den Wasserfällen nach. Der Ärger des Sudanesen hatte sich in einem wilden Streit mit dem Busfahrer ergossen und am Ende war es beinahe zu einer Schlägerei gekommen. Der kulturelle Unterschied war zu groß, als dass ich mir den Grund der Auseinandersetzung hätte erklären können, zumal der Ausflug sehr gut organisiert gewesen war. Mir wurde noch einmal deutlich bewusst, wie schwer man die Befindlichkeiten der Menschen als Europäer hier einschätzen konnte. Meine Strategie bei den Schleppern freundlich zu bleiben, so sehr ich auch von diesen bedrängt wurde, war wohl die einzig richtige. Ich hatte in dem Bus die hinterste Bank mit ihren fünf Sitzen für mich alleine eingenommen, als sich die äthiopische Landschaft öffnete und ein Open-Air Museum zu bestaunen war, das mich veranlasste, in den folgenden Stunden mehr als 800 Bilder aufzunehmen. Während die Landschaft an mir vorbeizog, glaubte ich eine Zeitreise durch eine längst vergangene Welt zu unternehmen. Noch immer waren mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, wo mit primitivsten Mitteln Subsistenzwirtschaft betrieben wurde. An jeder Kurve sprang ein Pulk von Kindern hervor, um uns zuzuwinken und ich fragte mich, ob in einigen Jahren noch genug für alle da wäre, konnte das Wachstum im Agrarsektor bereits jetzt schon nur mit Mühe mit der Bevölkerungsexplosion mithalten. Eines wurde mir in diesem Moment klar, ich als Europäer hatte keine Verantwortung für die ungezügelte Massenvermehrung, die in dieser Subsahara Region stattfand.

Es war ein Spießrutenlauf, den ich die letzten beiden Tage in der Hauptstadt Äthiopiens durchstehen musste. Das Gästehaus, in dem ich abgestiegen war, wurde von einem Reiseführer empfohlen, was den Schleppern und Fliegenfänger sehr wohl auch schon zu Ohren gekommen war.  In Gruppen warteten sie vor der Einrichtung, um jeden Gast, der dort herauskam zu bedrängen und zu belästigen. Ich hatte dabei das Unglück, dass einer dieser Kameraden es besonders auf mich abgesehen hatte und auch besondere Unfreundlichkeit oder gar Abweisung halfen wenig, er verfolgte mich auf Schritt und Tritt und ließ nicht von mir ab. Am zweiten Tag der Verfolgungsjagt lud ich ihn schließlich in einem Restaurant ein, mit mir zu essen, wo er mir seine gesamte Geschichte erzählte. Er war aus dem Süden des Landes nach Addis Abeba gekommen, um hier sein Glück zu versuchten, doch alle Anstrengungen Fuß zu fassen wollten nicht gelingen. Es war eigentlich ein netter Kerl, doch den Umständen entsprechend war er leider in einem Land geboren, indem er seinen Wünschen nicht nachkommen konnte. In diesem Moment fühlte ich mich recht hilflos, ihn mit einem kleinen Geldbetrag zu unterstützen, hätte an seiner Situation substanziell nichts verbessert. Es blieb nichts, als zu hoffen, dass auch in einem Land wie in Äthiopien sich im Zuge des weltweiten Fortschritts zukünftig etwas entwickeln würde, das den Menschen es hier ein besseres Leben ermöglicht.

Reiseberichte:

Travel Report 16/1: Ausversehen in Äthiopien
Travel Report 16/2: Verbrannt
Travel Report 16/3: Zwischen Meru und Kilimanjaro
Travel Report 16/4: Am Viktoriasee
Travel Report 16/5: Am Blauen Nil

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Travel Report 16/4: Am Viktoriasee

2012, Kenia/Uganda: Einige Tage nachdem die Safari in der Serengeti beendet war, fuhr der Bus zu meinem nächsten Ziel in das nordwestlich gelegene Uganda los. Als ich auf der Fahrt die eintönige Steppe vorbei ziehen sah, überlegte ich mir angesichts der Eindrücke aus dem afrikanischen Dorf, in dem ich mich zwei Tage aufgehalten hatte, wie hart man sich hier einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten musste. Julius war nicht nur Reiseführer gewesen, sondern hatte auch einen Laden mit Metallwaren in seinem Dorf betrieben und hielt sich einen halben Bauernhof (Travel Report 16/3). Sein Haus erweiterte er Zug um Zug, doch alles ging nur sehr zögerlich voran, denn er war nicht durchgehend gebucht, lebte von Mund zu Mund Propaganda und sein Safarijeep hatte mindestens 30.000 Dollar gekostet. Um sich noch ein weiteres Standbein aufzubauen, plante er zudem ein Hostel auf einem Stück Land, dass er gekauft hatte. Obwohl mir die Menschen in dem Dorf von Julius nicht besonders arm vorkamen, mussten sie sich mit sehr vielen Ideen und Improvisationskunst ihr tägliches Brot verdienen, was in mir eine gewisse Bewunderung weckte, bedenkt man das Gejammer daheim über unser angeblich ungerechtes Sozialsystem. Das Dorf hatte einen friedlichen Eindruck auf mich gemacht, doch als ich im Morgengrauen des Neujahrtages einige Meter auf die Felder hinauslaufen wollte, um den rosarot schimmernden Kilimandscharo zu fotografieren, bestand Julius darauf, dass ich von seinem Sohn bekleidet wurde. Es waren wirklich nur einige Meter, die ich mich von seinem Haus entfernen wollte, aber irgendetwas stimmte nicht, als er meinte, die Nachbarn könnten sich vor mir fürchten.

Es dauerte nicht lange und kaum waren zwei Stunden vergangen, hatte der Bus auch schon die kenianische Grenze erreicht und ich versuchte mir, die Gesichter der anderen Passagiere gut einzuprägen, um bei den Grenzformalitäten nicht den Anschluss zu verlieren. Trotzdem machte sich an der Grenze Nervosität breit, als ich bemerkte, dass ich als letzter den Grenzposten verließ und schon befürchten musste, nicht rechtzeitig vor Abfahrt wieder an Bord des Busses zu sein. Grenzübergänge waren immer eine strapazierende Angelegenheit und jede Grenze hatte ihre individuellen Eigenarten. In diesem Falle war es das unkoordinierte Gedränge vor den Grenzbeamten gewesen, an dem ich mich nicht hatte beteiligen wollen. Gegen Mitternacht fuhren wir in Nairobi ein, wo der Bus einen einstündigen Zwischenstopp einlegte. Zu meiner Verwunderung wurde ich des Platzes verwiesen, als ich mir eine Zigarette anzünden wollte. Angeblich war die gesamte Stadt, die zu den kriminellsten der Welt zählte, mit einem Rauchverbot belegt, so dass ich beim Rauchen meinen Kopf unter dem Abdeckblech des Motors am Heck des Busses verstecken musste. Als sich dieser wieder in Gang gesetzt hatte, war es bitter kalt geworden und ich saß mit meiner unzureichenden Ausrüstung, die aus drei übereinander angezogenen dünnen Wollpullovern bestand, in meinem Sitz und fror, während sich die afrikanischen Passagiere in dicken Daunenjacken eingehüllt hatten. Trotzdem schlief ich bald ein und ich hätte den Grenzübertritt nach Uganda verpasst, wäre nicht einer der Passagiere so aufmerksam gewesen, mich aufzuwecken.

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In Kampala

Zu Hause hatten mich mahnende Stimmen vor Uganda gewarnt, kannte man das Land ja nur aus dem Fernsehen, wo vor Jahren der Bürgerkrieg in seinen schlimmsten Bildern an die Wand gemalt worden war. Als ich in der Hauptstadt ankam, konnte ich mich überall frei bewegen und selbst in den abgelegenen Stadtteilen von Kampala gab es nichts, wovon man sich hätte fürchten müssten. Kriminalität war dem Anschein nach keine vorhanden, hingegen waren die Menschen sehr nett und freundlich und man konnte die Bilder aus den deutschen Medien kaum glauben, die aktuell von öffentlichen Verbrennungen homosexueller Personen in Uganda berichteten. Das Red Chili Hideaway sollte mein zukünftiger Maßstab für die Beurteilung von Unterkünften auf den gängigen Reiseportalen werden. Dieser große, ummauerte Komplex am Rande der Stadt, bot für jeden Reisenden das passende und verfügte neben einer Bar und einem Restaurant auch über einen kleinen Swimming Pool. Neben den üblichen Schlafsälen, die in einfacher und gehobener Ausführung vorhanden waren, standen auch Einzelzimmer, wie ich eines gebucht hatte, zur Verfügung und man konnte selbst kleine Hütten und ganze Häuser als Unterkunft anmieten. An diesem Ort machte ich abends an der Feuerstelle zum ersten Mal Begegnung mit den umgebauten Überlandtrucks, die auf fest gelegten Routen durch Afrika fuhren und die Passagiere bequem von Nationalpark zu Nationalpark und hin zu den Sehenswürdigkeiten brachten. Ich notierte mir die Internet Adresse ¨Absoluteafrica.com¨ auf einem der Trucks, die im Red Chili eine Pause einlegten und die bei einer zukünftigen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht geplanten Reise durch das südliche Afrika eine große Rolle spielen sollten (Travel 20).

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Uganda Cob

Der Wildbestand hatte sich vom Bürgerkrieg erholt und die Nationalparks in Uganda ihre frühere Attraktivität längst wieder erlangt. Es war ein abwechslungsreiches Land, in dem man nicht nur Safaris beiwohnen, sondern auch an Bergbesteigungen teilnehmen konnte, aber zu den Höhepunkten einer Reise hierher zählten die Gorilla-Trecks. Ich konnte mir zeitbeding das alles freilich nicht ansehen, hatte in dem Reisebüro des Red Chili Hideaways aber immerhin eine Tour zu den Murchington Falls gebucht. War ich durch die Serengeti, in der eine Safari wohl unvergleichlich ist, bereits etwas verwöhnt, so hatte die Safari in Uganda auch einiges geboten. Hier gab es mit dem Uganda Cob einen endemischen Springbock, vielmehr aber machte die reiche Fülle an bunten Vögeln, von denen es an die 1.000 verschiedenen Arten gab, die Safari so einzigartig. Es waren recht unerfahrene, junge Afrikaner, die uns in einem Minibus durch die Wildnis fuhren und es dabei für den Fotografen manchmal viel zu eilig hatten. Zunächst ließ ich den anderen Teilnehmern den Vortritt und beteiligte mich nur bedingt an der Fotoorgie. Erst als wir auf einem Boot den Fluss hinauf zu den Wasserfällen fuhren, kam auch ich aus dem Fotografieren nicht mehr heraus, als Bienenfresser, Jacanas und Kingfisher die Ufer säumten. Der Höhepunkt der Vogelwelt zeigte sich schließlich in unserem Nachtlager, wo mannsgroße Störche stolz zwischen unseren Zelten hindurch marschierten und dabei einer in Anzug und Frack gekleideten Ballgesellschaft ähnelten.

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Der Storch

Es war mitten im Niemandsland von Uganda, wo ich mich mit einem der Dorfbewohner aus der Nähe des Nachtlagers über alternative Energien und die nachhaltige Versorgung mit Strom unterhielt. Zu Hause hatte ich gelernt, dass die Afrikaner über eine große Anzahl an Kindern verfügten, damit diese beim Holz sammeln für die Küche helfen konnten, wodurch es aber immer weniger Holz gäbe. Der Dorfbewohner, mit dem ich mich unterhielt, schien nicht zu dieser Art von Holzsammlern zu gehören, er wollte sich lieber zwei Solarpaneele besorgen, mit denen er zukünftig seinen Strom zu produzieren plante. Es sollten allerdings nicht die billigen aus China sein, sondern richtige, wie sie in Deutschland hergestellt wurden. Mitten in unser Gespräch hinein drängte sich ein junges amerikanisches Pärchen, das so aussah als wollte es Uganda am liebsten so schnell wie möglich wieder verlassen. Die Beiden hatten hier, womöglich damit sie etwas Soziales in ihren Lebenslauf schreiben konnten, eine zwei wöchige Hospitanz in einem Krankenhaus angetreten und berichteten schlimmes. Natürlich waren sie nicht so erfahren, wie die italienische Krankenschwester, die ebenfalls auf Safari dabei war und bereits mehrere Monate im Freiwilligendienst einer internationalen Hilfsorganisation im Norden von Uganda gewesen war. Als ich am Vortag mit ihr redete, war sie völlig desillusioniert. Wie sie berichtete, herrschte im Norden Ugandas vollständige Armut bei einer Fertilität von neun Kindern pro Frau und die Ziegen der Einheimischen fraßen das gesamte Land leer. Dabei wäre es einfach gewesen, die Bevölkerung zu ernähren, hätte man statt der Weidewirtschaft lieber Ackerbau betrieben und so ein Vielfaches an Nahrungsmittel gewonnen. Das Fleisch der mageren Ziegen war ohnehin nicht für die einheimische Bevölkerung bestimmt, vielmehr stellte das Vieh eine Art Geldanlage dar, eben mit dem Nachteil, dass kein Getreide angebaut werden konnte. Die Italienerin, obwohl Idealistin, hatte die Brocken hingeworfen. In dem von Spenden und Entwicklungshilfe finanzierten Krankenhaus, was man ursprünglich aufzubauen gedachte, wurde alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest war, so dass die infrastrukturelle Maßnahme keinen Sinn mehr gemacht hatte und aufgegeben worden war.

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Kingfisher

Mir war es schon seit einer Weile aufgefallen gewesen, aber in Jinja am Viktoriasee, wo ich mich einige Tage später aufhielt, ist mir noch einmal besonders ins Auge gestochen, in welch großer Anzahl junge englische Frauen in diesem Teil von Afrika unterwegs waren. Vermutlich lag das in der früheren Kolonialpolitik des Empires begründet, trotzdem war es verwunderlich, zumal ich bisher noch kaum Zentraleuropäer angetroffen hatte. Die Briten schienen dem schwarzen Kontinent weitaus aufgeschlossener zu sein, vielleicht auch weil die BBC ein objektiveres Bild von Afrika vermittelte als es die heimischen öffentlich finanzierten Zwangsanstalten taten. Auch in Jinja, ebenso wie in Kampala, konnte ich überall unbehelligt durch die Straßen laufen und selbst in abgelegenen Gegenden in der Nähe des Viktoriasees wurde ich freundlich gegrüßt, wenn ich vereinzelt jemandem begegnete. Nichts von den Warnhinweisen des Auswärtigen Amtes schien von Relevanz, selbst am See war ich von den freundlichen Fischern herzlich in Empfang genommen und auf dem Wasser ausgefahren worden. Nach Jinja kam man nicht, um soziale Dienste zu leisten, wie es viele der jungen englischen Frauen im Land taten, sondern um Actionsport zu betreiben. Neben dem Kayak war hier das Rafting ein angesagter Zeitvertreib und ob geübt oder ungeübt, schien jeder den Fluss hinunter donnern zu müssen. Meine Frage, warum man ausgerechnet in Afrika für das halbe Jahreseinkommen eines Einheimischen durch die Strudel des wilden Viktoria Nils hindurch tanzen musste und gleichwohl den Sport nicht daheim betrieb, wo alles viel sicherer war, konnte mir von dem sportbegeisterten Partyvolk freilich nicht beantwortet werden.

Reiseberichte:

Travel Report 16/1: Ausversehen in Äthiopien
Travel Report 16/2: Verbrannt
Travel Report 16/3: Zwischen Meru und Kilimanjaro
Travel Report 16/4: Am Viktoriasee
Travel Report 16/5: Am Blauen Nil

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Travel 16/3: Zwischen Meru und Kilimanjaro

„Sie haben Ihren Fahrschein vergessen“, rief mir ein unbekannter Afrikaner in deutscher Sprache zu. Er sah nicht sehr vertrauenswürdig aus und ich fragte mich, wie so etwas Mitten in Arusha am Fuße des Kilimandscharos sein konnte und woher er wusste, dass ich am Tag zuvor ein Ticket nach Uganda gekauft hatte. Es handelte sich sicherlich um einen Betrugsversuch, daher winkte ich schnell ab und ging in mein Hotel, um mich für die Safari vorzubereiten. In weniger als einer Stunde schon sollte ich meinen privaten Tourguide mit dem Namen Julius Juvasabe in einem Restaurant treffen, wo ich das Geld für den Trip übergeben musste. Juvasabe machte einen netten Eindruck auf mich, doch waren es immerhin 1.800 Dollar, die ich für die vier Tage zu entrichten hatte. Wohl war mir bei der Geldübergabe nicht, konnte ich ihm trauen? Aber er war mir ja von Freunden empfohlen worden und die hatten sehr gute Erfahrungen mit seinen Diensten gemacht. Allerdings zog ich es vor, ihn etwas besser kennen zu lernen und nicht gleich nach der Geldübergabe wieder zurück in das Hotel zu gehen. So durfte ich ihn bekleiden, als er seinen Toyota Jeep für die Tour vorbereitete. Das Dach des Fahrzeugs konnte man heben und oben herausschauen, eine wichtige Eigenschaft, auf die ich unbedingt bestanden hatte. Freilich war es nicht möglich, diese Sonderausstattung ab Hersteller zu konfigurieren, vielmehr erforderte es einen Fahrzeugumbau, der mehrere tausend Dollar kostete, damit aus einem Geländewagen ein Safarifahrzeug wurde. Wir fuhren kreuz und quer durch die Stadt, tankten und richteten das Fahrzeug und dabei war es sehr interessant zu sehen, wie in afrikanischen Werkstätten gearbeitet wurde. Viel Werkzeug gab es nicht, dafür wurde gehämmert und geschraubt und Julius beteuerte, dass die Mechaniker hier die besten der Welt wären und alles reparieren könnten, was ihnen angetragen wurde.

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Masai

Am kommenden Morgen ging es in aller Frühe los und es dauerte gut drei Stunden, bis wir am Parkeingang in der Nähe des NgoroNgoro Kraters angekommen waren. Nach den Formalitäten fuhren wir in die Steppe hinunter und bereits hier waren zu meinem Erstaunen allerlei Tiere zu sehen. Man hätte vermuten können, die weitläufige Landschaft wäre menschenleer gewesen, aber weit gefehlt. Jedes Mal, wenn ich Julius darum bat anzuhalten, um ein Foto zu machen, sprang ein kriegerisch bekleideter Eingeborener aus den Büschen heraus und turnte um den Geländewagen herum, es kam mir fast so vor, als würden sie in der Böschung auf Touristen lauern. Dazu muss man muss verstehen, dass es am NgoroNgoro Krater eine Handvoll Lodges gab, die im günstigsten Falle gut 500 Dollar pro Nacht kosteten. Die „Crater Lodge“ als das nobelste Etablissement am Kraterrand, verlangte sogar über 1.000 Dollar für eine Nacht, wofür man jedoch in den Genuss eines eigenen Butlers kam, der vermutlich nur ein Hundertstel davon in seinem Geldbeutel klimpern hörte. Die Massai hatten vermutlich auch schon von dem vielen Geld gehört und wollten etwas vom Kuchen abhaben, indem sie sich als lebende Relikte in der afrikanischen Landschaft für Fotografien zur Verfügung stellten. Dabei waren sie schon richtig verdorben und verlangten zwanzig Dollar für ein Bild, was man jedoch mit einigem Geschick auf fünf Dollar herunter handeln konnte. Noch hatten die Massai das Recht, in dieser Gegend zu leben, der Zugang zur Serengeti war ihnen aber glücklicherweise verwehrt. Ihre Population war binnen weniger Jahre von 5.000 auf über 60.000 angewachsen. Ich hoffte, ihre Zeit hier wäre gezählt und es wäre am besten gewesen, sie umzusiedeln, ehe diese einzigartige Landschaft, wie an vielen anderen Stellen schon in Afrika, nicht mehr von den Gnu, sondern von den Ziegen leergefressen wird.

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Löwen

Wir fuhren an mehreren idyllisch gelegenen Massai Dörfern vorbei, ehe wir auf der unendlich weiten Ebene ankamen und während Julius so schnell wie möglich zum Zeltplatz in der Serengeti fahren wollte, war ich ausschließlich am Fotografieren interessiert. Löwen, Hyänen, Giraffen, Vogelstrauße, Elefanten, alles war in reicher Fülle vorhanden. Alleine meine neue Kamera machte mir zu schaffen, die ich völlig überteuert in Arusha hatte kaufen müssen, weil die ursprünglich mitgebrachte auf Sansibar den Wellen zum Opfer gefallen war (Travel Report 16/2). Obwohl ich fast doppelt so viel bezahlte, wie eine vergleichbare in Europa gekostet hätte, verfügte sie noch nicht einmal über manuelle Eingriffsmöglichkeiten. Das Fotografieren war schon in den ersten Stunden hier zu einer Sucht geworden und meine Stimmung wurde nach jedem schlechten Bild gedrückter, denn zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, was ich noch alles zu sehen bekommen würde. Im Verlauf des Aufenthalts stellten sich diese Sorgen freilich als völlig unbegründet heraus. Als wir in den kommenden Tagen eine Vielzahl an Rundfahrten in der Steppe durchführten, sahen wir eine unglaubliche Anzahl an Tieren, darunter auch schwer auszumachende Raubkatzen wie die Gebharden. Dazu kamen die unterschiedlichsten Vogelarten in allen Formen, Farben und Größen. Hatten mich die gefiederten Freunde bisher nicht sonderlich interessiert, wurde ich hier zu einem wahren Vogelfreund. Auf dem Zeltplatz versorgte uns unser Koch rund um die Uhr und ich wunderte mich, warum die wilden Tiere um uns herum nicht aus dem Steppengras gesprungen kamen, wenn er die Hähnchen auf dem Feuer grillte. Peinlich wurde darauf geachtet, die kurz gemähte Fläche des Zeltplatzes nicht zu verlassen, es waren ja schon mehrfach Leute spurlos von hier verschwunden. Eine weitere Besorgnis stellte das Zelt dar, ich hielt es zum Schutz vor Kriech- und Stacheltieren strengstens verschlossen. Die Zelte der benachbarten holländischen Familien standen dagegen immer offen und alles konnte ein- und ausgehen, was sich ansonsten im Gebüsch oder unter der Erde versteckte. Ein Graus, der eines Abends den atmosphärischen Sonnenuntergang unterbrach, der wie üblich den Tag abrundete. Kaum war die Sonne untergegangen, erhob sich ein millionenfacher Chor von Insekten zu einem ohrenbetäubenden Sirenenkonzert und ein Schrei aus dem Nachbarzelt, in dem sich ein Skorpion eingenistet hatte, durchzog die weite Landschaft.

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Nilpferd

Als wir nach drei Tagen zurück zum NgoroNgoro Krater fuhren, kamen wir in unserem Zeltlager in den Genuss eines nächtlichen Elefantenbesuchs, wobei die Dickhäuter sich äußerst friedlich verhielten und nur etwas von dem Duschwassertank des Lagers trinken wollten. Auf dem Weg hierher hatten wir an einem kleinen Wellblechhüttendorf Halt gemacht, in dem die Massai das Geld versoffen und verspielten, welches sie sich durch die Fotografien der Touristen verdient hatten. Es war ein eigentümlicher Ort, der da Mitte in der Steppe lag und der wirklich nicht der Vorstellung von einer Safari entsprach. Am besten, man würde sie einfach umsiedeln, dachte ich einmal mehr, als ich am kommenden Morgen um fünf Uhr aufwachte. Ich wollte sofort aufbrechen und hinunter in den Krater fahren, Julius schlief aber noch und so verzögerte sich unsere Abfahrt bis um kurz vor sechs. Trotzdem war es immer noch früh genug, den Krater nicht mit anderen Safaritouristen teilen zu müssen, die vermutlich noch oben in den Lodges beim Frühstück saßen. Der Krater entpuppte sich als ein einzigartiges Spektakel, in dem Flamingos und Nashörner die Hauptakteure darstellten und oben am Kraterrand wachten die Scharfschützen über die Szene, stets dazu bereit, jeden Wilderer unbarmherzig vor das Korn zu nehmen. Als wir am späten Vormittag zurück fuhren, waren schon gut 20 Jeeps vor Ort und rund um eine Löwin hatte es Stau gegeben. Ich war froh, rechtzeitig vor Ort gewesen zu sein, als ich sah, wie die Lodgetouristen mit Halbmeter langen Objektiven sich ihre Trophäen für den geselligen Bilderabend zu Hause sichern wollten. Die Safari war vorbei, in der Nacht darauf übernachtete ich bei Julius, wo ich das afrikanische Dorfleben kennen lernte. Ich hatte über 800 Aufnahmen gemacht, wovon ich drei Viertel noch am selben Abend löschte, denn nichts hasste ich mehr als schlechte oder doppelte Bilder auf meiner Kamera.

Reiseberichte:

Travel Report 16/1: Ausversehen in Äthiopien
Travel Report 16/2: Verbrannt
Travel Report 16/3: Zwischen Meru und Kilimanjaro
Travel Report 16/4: Am Viktoriasee
Travel Report 16/5: Am Blauen Nil

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Travel Report 16/2: Verbrannt

2012, Sansibar: Nachdem ich einige regenreichen Tagen in Daressalam und in Stone Town auf Sansibar ertragen hatte müssen, schien endlich die Sonne wieder und ich genoss den wunderbaren Tag, an dem ich gerade an der Nordküste der Insel Sansibar den Strand entlang schlenderte. Meine schlimmsten Befürchtungen, dass der Regen überhaupt nicht mehr aufhören würde, als ich die riesige Wolke bis hinunter nach Südafrika auf dem Satellitenbild des Wetterdienstes sah, waren zum Glück nicht eingetreten. Der Regen hatte zeitweise so stark vom Himmel herunter geprasselt, dass Überflutungen zu befürchten waren und als ich mit der Fähre hier her kam, konnte man kaum zehn Meter aus dem Schiff sehen. Dazu hatte sich hoher Wellengang gesellt und so gab es nicht wenige, die sich während der Fahrt in Gebeten und rituellen Kreuzigungsgesten, die Angst zu nehmen suchten. Es war noch nicht lange her, da war hier eine Fähre gekentert und das Meer hatte 500 Menschen verschluckt. So etwas konnte in diesem Teil der Welt schon mal passieren, dennoch war Tansania meinen ersten Eindrücken nach ein deutlich weiter entwickeltes Land, als es das arme Äthiopien gewesen ist, in dem ich gezwungener Maßen auf meiner Anreise zwei Nächte hatte verbringen müssen (Travel Report 16/1). In Daressalam konnte ich sogar auf einer Fußgängerzone flanieren und es gab eine Vielzahl an netten Restaurants, die rege besucht wurden. Sansibar war bereits ein durch und durch auf den Tourismus eingestellter Ort mit einer Vielzahl an Hotels, Resorts und anderen Unterkünften. Ich war überrascht über all das, kannte ich Afrika ja bisher nur aus den Elendsberichten, die von den deutschen Medien verbreitet wurden. Solch populistische und wenig objektive Reportagen zu Hause hatte mir ein völlig anderes, falsches Bild vermittelt, als sich die Situation jetzt in der Realität darstellte.

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Strandhütten

Die Strecke am Strand musste etwa drei Kilometer lang gewesen sein und es war schon knapp eine Stunde verstrichen, bis ich am nördlichen Zipfel der Insel in Banda Kuu angekommen war. Meine Sonnencreme lag im Hotel, weshalb ich mich im Schatten der etwa vier Meter hoch ansteigenden Felswand neben dem Strand bewegt hatte und dabei sehr vorsichtig gewesen war, nicht allzu viel von der Sonne abzubekommen. Der Sommer in Deutschland war schon vor langer Zeit den grauen Tagen des Winters gewichen, weswegen meine Haut keinerlei Einstrahlung gewohnt war. Ich setzte mich also, jetzt wo der Fußmarsch vorbei war, in den Schatten der improvisierten Hütten von den Strandverkäufern und bestaunte die in schrillen und bunten Kleidern angezogenen afrikanischen Frauen, die am Strand herum lagen und im Wasser badeten. Auf mich wirkte diese Szene äußerst befremdlich, kannte ich Strände bisher ja nur, wenn sie mit nackten oder halbnackten weißen Menschen belegt waren. Nachdem ich einige Zeit in der Hütte gesessen hatte, kam ich mit einem der Schmuckverkäufer ins Gespräch, der mir gar nicht erst die Qualität seiner Produkte schmackhaft machen wollte, sondern gleich auf meine moralischen Pflicht hinwies, ihn unterstützen zu müssen. Vor so viel Ehrlichkeit konnte ich mich natürlich nicht als geiziger Zeitgenosse präsentieren und kaufte ihm, freilich deutlich überteuert, eine Kette mit Afrika Emblem und grün, gelb, rotem Halsband ab. Anschließend schaute ich mir ein Dorf an, das in der Nähe des Strandes lag. Hier ging alles mit sehr primitiven Mitteln zu, die Hütten waren aus Holz und Wellblech zusammen genagelt und dahinter lag in krassem Kontrast das Hilton Resort. Als ich mich auf den Rückweg machte, sah ich, wie die Flut das Wasser schon recht nahe an die Felsen herangespülte und überlegte kurz, ob ich nicht besser die Straße oberhalb der Felsen nehmen sollte. Aber ich hatte die Sonnencreme nicht dabei und so entschloss ich mich, erneut an der schützenden Felswand den Strand entlang zu laufen, obwohl auch hier nur noch wenig von dem Schatten übrig geblieben war.

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Am Strand

Ich war schon gut fünfhundert Meter weit gelaufen, als mich zum ersten Mal eine Welle beinahe umgeworfen hätte, doch noch kam das Wasser meistens nur Knöchelhoch, so dass ich versuchte, immer zwei, drei Schritte weiter zu gehen, wenn sich die Wellen zurückgezogen hatten und anschließend dem Wellengang, als er gegen die Felswand schlug, Stand zu halten. Dabei gelang es mir zunächst noch recht gut, auch meinen Rucksack weitgehend über Wasser zu halten, damit die Kamera und andere Wertgegenstände nichts beschädigt wurden. Kurz überlegte ich mir umzukehren, sah aber hinter mir inzwischen dieselben Wellen toben wie sie es vor mir taten. Das Wasser drückte nun mit immer größerer Wucht gegen die Felsen, wich immer weniger zurück und ich hatte noch vielleicht weitere fünfhundert Meter zu gehen, bis ich an der Stelle ankam, an der die Felswand in einen offenen Strand überging. Auf einmal schlug mich eine Welle nieder und drückte mich gegen die Wand, dass es mich die größte Mühe kostete, mich wieder zu fangen und standhaft zu werden. Inzwischen war ich völlig durchnässt und auch der Rucksack war einmal  kurzzeitig unter das Wasser geraten. Ich versuchte nun, so nah wie möglich an der Wand entlang zu laufen, um nicht mehr aus dem Stand zu kommen, was mir Mühe und Not auch gelang. Dabei nahm ich jetzt auch in Kauf, dass der Rucksack mit allen Wertgegenständen nass wurde, ich wollte nur noch so schnell wie möglich aus den Wassermassen herauskommen. Von den spitzen Felskanten trug ich inzwischen mehrere Schnitte an den Fingern und den Füßen davon und immer wieder wurde ich von den Wellen überspült. Die Schnitte bluteten stark und mein weißes T-Shirt färbte sich rot und röter, so kroch ich eine halbe Stunde später buchstäblich hinter der letzten Felskuppe hervor und legte mich erschöpft auf den Sand.

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Vor der Flut

¨You need a doctor¨, ¨You need a doctor¨ riefen mir einige entsetzte Afrikaner zu, die am Strand gesessen waren und jetzt hilfsbereit zu mir herbei geeilt kamen. Alles sah jedoch, bedingt durch mein blutiges T-Shirt, viel schlimmer aus, als es in Wirklichkeit war. Von einem Arzt wollte ich nichts wissen, vielmehr war ich um meine Wertsachen besorgt. Noch immer unter Schock, nutzte ich eines der ersten Strandcafés, um eine Inspektion diesbezüglich vorzunehmen. Die Kamera, obwohl in einer Plastiktüte eingepackt, ließ sich nicht mehr einschalten, der Pass war durchweicht, so dass ich die einzelnen Seiten vorsichtig voneinander trennen und das Dokument aufgefächert zum Trocknen in die Sonne stellen musste. Auch die Dollarscheine und die Kreditkarten waren völlig durchnässt, es war also alles unter Wasser gewesen, was irgendeinen Wert hatte. Als ich selbst wieder trocken genug war, fuhr ich mit meinem blutverschmierten T-Shirt in einem Bus unter den argwöhnischen Blicken der anderen Passagiere zurück zu meinem Hotel in Stone Town und genehmigte mir auf den Schrecken hin ein Bier auf der Dachterrasse, welches mir von der sehr hübschen, aber doch auch sehr einfältigen Bedienung serviert wurde. Ein liebes Mädchen, welches mir jeden Morgen mein Frühstück zubereitete und jeden Abend mein Bier ausschenkte, mit dem leider aber keine vernünftige Konversation aufgebaut werden konnte, obwohl sie des Englischen sehr wohl mächtig war. Sie verstand leider die einfachsten Dinge nicht und ich konnte ihr nicht einmal auf einer Weltkarte erklären, wo ich schon überall gewesen war, da sie das Konzept der Kartographie nicht nachvollziehen konnte. Langsam machte sich nun auch der ungeheuerliche Sonnenbrand bemerkbar, den ich mir an diesem Tag eingeholt hatte. Durch den Kampf mit den Wellen dauerte die Passage an der Felswand vorbei fast eine Stunde, in der ich weitgehend ohne Schutz der Sonne ausgesetzt gewesen war und nachdem ich es geschafft hatte, saß ich zum Trocknen in der Sonne. So wachte ich am kommenden Morgen unter meinen Dollarscheinen auf, die über dem Bett an mehreren Schnüren zu Trocknen aufgehängt waren und spürte, wie sich an Armen, Schultern und am Nacken eine Vielzahl an kleinen, mit Wasser gefüllte Beulen gebildet hatten, die mich in den kommenden Tagen auf unangenehme Art und Weise noch beschäftigen sollten.

Reiseberichte:

Travel Report 16/1: Ausversehen in Äthiopien
Travel Report 16/2: Verbrannt
Travel Report 16/3: Zwischen Meru und Kilimanjaro
Travel Report 16/4: Am Viktoriasee
Travel Report 16/5: Am Blauen Nil

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Trave Report 16/1: Ausversehen in Äthiopien

2012, Frankfurt/Addis Abeba: Ungläubig schaute ich am Check-In Schalter von Ethiopean Airlines die Dame an, die mir gerade den Zutritt zu dem Flugzeug verweigert hatte. Ich stand abflugbereit am Frankfurter Flughafen und war wie vor den Kopf gestoßen, als sie mit strenger Stimme auf mein fehlendes Visum für Malawi verwies. Zum ersten Mal hatte ich mich nicht mit sämtlichen Formalien vertraut gemachte und war nun ahnungslos, wie es weiter gehen sollte. Als österreichischer Staatsbürger gehörte ich einem der wenigen europäischen Ländern an, für das seitens der malawischen Regierung ein Visum verlangt wurde, was ich mir nur aufgrund eines diplomatischen Vorfalls zwischen den beiden Ländern erklären konnte. Ungeachtet meines Versäumnisses, war ich aber auch sehr wütend auf die unflexible Dame am Schalter, da ich der festen Überzeugung war, vor Ort am Flughafen in Lilongwe alles regeln zu können. Immerhin rangierte Malawi mit einem Bruttoinlandsprodukt von etwas über 200 Dollar pro Person auf der untersten Skala der ärmsten Länder der Welt und irgendwie würde man schon reinkommen, so meine Ansicht. Aber ich konnte leider nichts zu machen, die Dame von der Fluggesellschaft ließ nicht mit sich reden und trotzt aller Argumente und Beteuerungen gelang es mir nicht, sie umzustimmen. Noch ärgerlicher war es, dass auch mein Vorschlag, bei dem Zwischenstopp in Addis Abeba aus dem Flugzeug auszusteigen, mit Verweis auf internationale Regularien abgelehnt wurde. Sie bat mich allen Ernstes, wieder nach Hause zu fahren und in der kommenden Woche das Weitere mit dem Büro der Fluglinie in Frankfurt zu klären. Daran wollte ich überhaupt nicht denken und rannte so schnell wie es mein Gepäck zuließ zum Ticketschalter der Lufthansa, die ebenfalls wie Ethiopiean Airlines ein Partner der Star Alliance war. Nervös und aufgeregt bat ich um ein Ticket zur sofortigen Ausstellung nach Addis Abeba. Es musste viel telefoniert werden, ob das erlaubt und möglich sei. Schlussendlich wurde mein Wunsch erfüllt und mit einem breiten Grinsen kam ich wieder bei der Dame am Schalter an, gab mein Gepäck auf und nahm anschließend im Flugzeug denselben Sitzplatz ein, auf dem ich auch schon mit dem ursprünglichen Ticket eingecheckt hatte.

Erst als das Flugzeug in die Luft gestiegen war, kam ich langsam wieder zur Besinnung. Nun stellte sich die Frage, was ich in Äthiopien wollte. Eigentlich sollte die ursprüngliche Reiseroute von Malawi über Tansania weiter nach Kenia und von dort nach Uganda führen. Erst am Ende der Reise war noch eine abschließende Woche in Äthiopien geplant gewesen und jetzt war ich schon am Anfang dort. Nach den Problemen am Flughafen und der Entscheidung, unter allen Umständen los zu fliegen, überlegte ich mir nun, die letzte Woche vor zu ziehen und die Reiseroute auf den Kopf zu stellen. Die Sache hatte allerdings einen Haken. Ich hatte für Anfang Januar 2013 einen privaten Safari Tour Guide für die Serengeti gebucht und musste zu diesem Zeitpunkt unbedingt in Arusha am Kilimandscharo sein, was mich zeitlich unflexibel machte. Trotz aller Überlegungen, gelang es mir nicht, eine adäquate Lösung zu finden. So nahm ich mir vor, gleich am ersten Tag in Addis Abeba die Weiterreise nach Tansania zu organisieren und die Zeit des eingesparten Aufenthalts in Malawi zu nutzen, um mich für einige Tage auf Sansibar auszuruhen, ehe die Safari in Angriff genommen werden musste.

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Addis Abeba

Ungeduldig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her und beobachtete, wie der Angestellte von Ethiopean Airlines wiederkehrend diverse Eingaben in die Tastatur seines Computers eintippte und anschließend jeweils für geraume Zeit bedächtig auf den Bildschirm blickte. Dabei hatte ich ganz vergessen, dass es mein erster Tag auf dem afrikanischen Kontinent war, ein Ereignis, was man hätte feiern müssen. Stattdessen saß ich jetzt in diesem tristen Büro, mitten im Zentrum von Addis Abeba und musste hoffen, die Reise würde finanziell nicht aus dem Ruder laufen. Am Tag zuvor war ich abends in der Hauptstadt Äthiopiens angekommen und gleich nach Verlassen des Flughafens in einem vier Sterne Hotel untergekommen, welches bei genauerer Betrachtung nicht einmal zwei Sterne wert war. Der Abend hatte sich sehr langweilig gestaltet, die Hotelbar war gänzlich ohne Gäste gewesen und die Umgebung des Hotels hatte nichts reizvolles zu bieten gehabt, so dass ich früh zu Bett gegangen war und am heutigen Morgen gleich als erster das Büro der Fluggesellschaft aufsuchen konnte. Nach einer halben Ewigkeit blickte der Agent endlich von seinem Computer auf und verkündete mir die wenig erfreuliche Erkenntnis seiner Recherchen, wonach auch mein Rückflug inzwischen verfallen war. Als Begründung hörten meine ungläubigen Ohren, ich hätte den Hinflug nicht offiziell angetreten und ich wusste, die Airline verstieß mit dieser Entscheidung gegen geltendes Recht. Mir wurde zwar angeboten, gegen eine Gebühr von 100 Euro, den ursprünglichen Flug zurückerstattet zu bekommen, womit ich allerdings überhaupt nicht einverstanden war und ich beschloss daher, den Sachverhalt zurück in Deutschland einer Klärung zuzuführen. Nach längeren Diskussionen mit dem Angestellten der Airline war ich zunehmend genervt, zog verärgert meine Kreditkarte und buchte einen neuen Rückflug und danach auch gleich ein Ticket zum Weiterflug nach Daressalam für den folgenden Tag.

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Addis Abeba

Zurück im Hotel, wollte ich meinem ersten Tag in Afrika noch etwas Versöhnliches abgewinnen und ich hoffte, es wären Leute an der Bar, doch wie schon am Vortag herrschte gähnende Leere. Dafür wimmelten gut zehn Hotelangestellte umher, als wäre die Einrichtung bis zum letzten Tisch mit Gästen überlaufen. Ich setzte mich an ein Fenster, bestellte mir einen Cocktail und schaute auf die Straßen der Stadt hinab. Auf sie hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt nur einige Blicke aus dem Taxi heraus werfen können und dabei äußerst befremdliches gesehen. An jeder Ecke standen oder lagen verlumpte Männer herum und träumten vor sich in den Tag hinein. Keiner davon schien einer sinnvollen Beschäftigung nach zu gehen oder über irgendeine Zukunftsperspektive zu verfügen. Es gab von ihnen so viele, dass sich einmal mehr die Frage nach der Sinnhaftigkeit unkontrollierter menschlicher Reproduktion stellte, wie sie von den Sektierern der katholischen Kirche stets gefordert wurde. Die ersten Stunden in Addis Abeba waren wahrlich keine schönen gewesen, nicht nur wegen den Eindrücken aus dem Taxi. Nachdem ich das Büro der Fluggesellschaft verlassen hatte, geriet ich an eine Gruppe von Fliegenfängern und Belästigern, die mich zu einer traditionellen äthiopischen Nacht eingeladen hatten. Ich erkannte gleich den Trick dahinter, mit dem nur das Ziel verfolgt wurde, mich in einem Hinterhalt mit K.o. Tropfen auszuschalten und anschließend auszurauben. Die Männergruppe war arg wütend geworden, als ich, selbst noch verärgert von den Problemen mit dem Flugticket, ihr Angebot mit Hinweis auf ihr eigentliches Ansinnen barsch abgelehnt hatte. Nur mit viel Mühe war es mir anschließend geglückt, wohlbehalten in das Taxi zu kommen. Kaum war das zweite Glas an der Bar bestellt, fingen die Angestellten des Hotels an, mich zu belagern und trugen mir mit bittenden Blicken und in breiten Ausführungen ihre Nöte vor. Ich meinte, in einem vier Sterne Hotel untergekommen zu sein, so zumindest wurde es auf dem Internet-Portal angegeben, bei dem ich gebucht hatte und auch der Preis ließ nicht vermuten, dass es sich um eine Einrichtung handeln würde, in der die Gäste vom Personal angebettelt werden. Hatte man hier kein Einsehen, dass in den letzten Stunden mehr Geld für Flugbuchungen ausgeben musste, als ein durchschnittlicher Äthiopier in fünf Jahren nicht verdient?

Reiseberichte:

Travel Report 16/1: Ausversehen in Äthiopien
Travel Report 16/2: Verbrannt
Travel Report 16/3: Zwischen Meru und Kilimanjaro
Travel Report 16/4: Am Viktoriasee
Travel Report 16/5: Am Blauen Nil

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Travel Report 11/2: Brot statt Böller

Silvester nahte und es sollte nur noch wenige Stunden dauern, bis das neue Jahr anbrechen würde. Derweil saß ich auf der Dachterrasse meines Hotels und breitete mich mit ein paar Dosen Bier auf den Abend vor. Kurz vor Mitternacht wollte ich an den Neujahrsumzügen teilnehmen, die sich im Stadtzentrum einige Meter von meiner Unterkunft entfernt ereignen sollten. Ich sinnierte darüber, wie es wohl wäre, in einem Land wie in Guatemala dauerhaft zu leben. Zwar hatte sich auf der Fahrt nach Honduras herausgestellt, dass der Fahrer das größte Sicherheitsproblem darstellte, nicht selten allerdings wurden solche Touristenbusse auch gekidnappt, ebenso wie sich die Bevölkerung nie sicher sein konnte, entführt zu werden. Mehrfach hatte ich auf der Fahrt von hohen Mauern umgebene und mit Wachtürmen geschützte Wohnparks gesehen, die von bewaffneten Sicherheitskräften beobachtet wurden. Jeden Tag berichteten die Zeitungen, neben spärlichen Sport- und Wetterinformationen umfassend von nichts anderem, als von der Gewalt und der Kriminalität, die sich am Tag zuvor ereignet hatte. Mehrfach wurde in den letzten Tagen von Überfällen auf Busse berichtet, die in blutigen Schießereien geendet hatten. Einmal erschoss ein Passagier drei Mitglieder einer Gang, ein anderes Mal richteten die Gangs ein Blutbad unter den Passagieren an. Immerwährend konnte man von solchen und ähnlichen Geschichten lesen und es traf meistens die kleinen Leute, etwa einen Geflügelverkäufer, der quer über seinen Stand geschossen wurde oder einen Bauarbeiter, den man von seinem Gerüst herunter geschossen hatte. Mitten in diese Gedanken hinein platzte eine heftige Explosion, die mich erschüttern ließ. An die normale Kracherei, welche hier bereits seit einigen Tagen zu Gange war, hatte ich mich inzwischen schon gewohnt, aber derartige Silvesterböller waren mir in meinem Leben noch nicht zu Ohren gekommen. Die Explosionen wurden häufiger und heftiger, auch die Grundlautstärke der ¨normalen¨ Feuerwerkskörper erhöhte sich merklich und als die ersten Raketen flogen, machte ich mich ins Zentrum der Stadt auf, wo mich ein buntes Durcheinander an tanzenden Leuten und ein großartiger Umzug mit vielen Musikern, Umzugswagen und Puppen erwartete. Der Alkohol floss in Strömen und es wurde getanzt und geballert was das Zeug hielt, der Gedanke an Brot wäre in dieser Nacht hier in Guatemala, einem der ärmsten und kriminellsten Länder der Welt, wohl niemandem gekommen.

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Roof Top Bar

Nach der Neujahrsnacht brauchte ich zwei Tage der Erholung, die ich meistens in dem Schaukelstuhl auf der Dachterrasse meines Hotels mit Blick auf den dampfenden und rauchenden Vulkan Acatenango verbrachte. Dann war die Zeit gekommen, den zweiten Trip anzutreten und auf den größten, noch aktiven Vulkan in der Nähe von Antiqua, den Pacaya, zu steigen. Zusammen mit einer Gruppe, die dieses Mal vornehmlich aus jungen Leuten verschiedener Nationalitäten bestand, machten wir uns bereits am frühen Morgen auf den Weg zum Gipfel auf. Oben angekommen, umgab uns ein fürchterlicher Gestank aus verfaulten Eiern und es rauchte und qualmte, dass man beinahe nichts vom Krater zu sehen bekam. Der Blick in die Umgebung dagegen, in der man gleich auf mehrere rauchende Bergschlote herunter blickte, war einzigartig. Ich war äußerst zufrieden, als wir unseren drei stündigen Abstieg antraten, nicht nur wegen der Aussicht, sondern auch weil wir den Aufstieg überhaupt hatten bestreiten können. Auf der Roof Top Bar hatten mehrere Leute von glühenden Lavasteinen berichtet, die ihnen dermaßen um die Ohren geflogen waren, dass sie kurz vor dem Schlund hatten umdrehen müssen. Die Roof Top Bar war als Treffpunkt der vielen Reisenden inzwischen mein beliebtester Ort geworden, an dem ich jeden Tag zu finden war. Hier lernte ich nach dem Vulkantrip zwei Kanadierinnen kennen, die mir die Fahrt zum Lago Atitlan empfahlen. Dieses Ziel hatte ich zwischenzeitlich aus den Augen verloren gehabt, lag aber ebenso wie Tikal, den Maja Ruinen im Norden, auf meiner ursprünglich geplanten Reiseroute, bevor ich mich zu dem Sprachkurs entschlossen hatte. Ich ließ mich schnell überzeugen und trat die Fahrt dorthin gleich am kommenden Tag an.

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Auf dem Vulkan

Welch eine Armut, dachte ich mir, als ich mit dem Bus auf dem Weg nach Atitlan an einem der Bergdörfer vorbei fuhr und in die Gesichter zweier grimmig und perspektivlos drein schauender Männer am Straßenrand blickte. Warum nicht einfach den Bus überfallen, es gibt ja nichts zu verlieren? Jetzt verstand ich plötzlich den Grund der Kriminalität. Aber nicht nur Armut und Perspektivlosigkeit, sondern auch der nach wie vor weit verbreitete Aberglaube machten das Land so gefährlich. Allein reisende Frauen wurden etwa von den indigenen Bevölkerungsgruppen als Subjekte angesehen, denen als vornehmliches Ziel des Aufenthalts der Kindsraub zugeschrieben wurde, so dass sie schnell in die Fänge eines Lynchmobs geraten konnten. Der Bus fuhr noch durch fünf oder sechs weitere bettelarme Dörfer, bis wir nach gut drei Stunden den kalten und klaren Atitlan-See in der Berglandschaft Zentral-Guatemalas erreichten. Auch hier konnte ich keine Ruhe finden, denn obwohl Silverster bereits seit einigen Tagen vorbei war, wurde ebenso wie es bei meiner Abreise in Antigua noch der Fall gewesen war, weiterhin geballert und geknallt, was das Zeug hielt. Inzwischen ging das seit vierzehn Tagen so und auch ich war jetzt dafür, es müsse endlich aufhören und man solle in solch einem armen Land lieber Brot statt Böller kaufen. Nach einigen Tagen an dem See, kam ich wieder rechtzeitig nach Antigua zurück, um das größte Raketenspektakel zu beobachten, das ich vermutlich je in meinem Leben zu Augen bekommen würde. Auf dem Plaza im Zentrum des Dorfes hatte man die restlichen Feuerwerkskörper in Schubkarren angeschleppt und eine Fackel hinein geworfen. Es krachte, pfiff und knallte gut eine viertel Stunde lang in einem solchen Ausmaß, dass man es selbst hinter den Stützen der steinernen Bögen von den alten Kolonialbauten mit der Angst zu tun bekam. Als mir die Raketen kreuz und quer um die Ohren flogen und ihr buntes Feuerwerk hinter mir entluden, war mir klar, was alleine in dieser viertel Stunde in die Luft gejagt wurde, vermag man in Brot kaum aufzuwiegen.

Reiseberichte:

Travel Report 11/1: Unter Kriminellen
Travel Report 11/2: Brot statt Böller

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Travel Report 11/1: Unter Kriminellen

2004, Antigua,/Guatemala: Als ich den kleinen Jungen sah, der aus einem Marktstand heraus jede denkbare Art von Feuerwerkskörpern verkaufte, hätte ich nur meine Zigarette hinein werfen müssen und der gesamte Marktplatz wäre in die Luft geflogen. Es war ja nicht der einzige Stand dieser Art, nein, sie reihten sich wie zu Hause die Krämerläden auf dem Weihnachtsmarkt, eng an eng neben einander und waren alle bis zum Brechen mit Raketen, Böllern und Bombenschlägen behangen. Gleich schossen mir die mahnenden Worte von vielen Bürgern aus meiner Heimat in den Kopf, die jedes Jahr aufs Neue an Silvester mahnend den frommen Spruch ¨Lieber Brot statt Böller¨ unter die Leute streuten, um das Gewissen der Menschen zu beschweren und die Spendenbereitschaft zu erhöhen. Hier, in einem der ärmsten Ländern Lateinamerikas wollte man es an Silvester dagegen richtig krachen lassen und Brot schien da nicht so wichtig zu sein, was mir sympathischer war als das Gerede der heimischen Weltverbesserer. Die Menschen in Lateinamerika verfügten über die Eigenschaft, den Tag zu feiern, wie er kommt, während sich die von Sorgen geplagten heimischen Moralapostel eine vermeintlich optimale Welt zusammen schustern wollten, wie man an den vielfältigen Einschränkungen freiheitlicher Rechte in den letzten Jahren, der zunehmenden Gewissensdiktatur und der fortschreitenden linksideologischen Regelungswut beobachten kann.

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Antigua

Es war erst ein paar Tage her, als ich in Guatemala angekommen war und bevor ich in das hübsche Bergdorf Antigua reiste, in dem sich der besagte Böllermarkt befand, hatte ich zwei Tage in der Hauptstadt verbracht. Ein finsteres und kriminelles Umfeld war mir dort begegnet. Schon am Flughafen hatte ich ein ungutes Gefühl gehabt, als ich keine registrierten Taxis finden konnte und die gesamte Umgebung vor dem Terminal, wenn man das Gebäude überhaupt als solches bezeichnen konnte, einen wenig vertrauensvollen Eindruck hinterlassen hatte. Man konnte gar nicht deuten, was die vielen Gestalten, die vor dem Ausgang des Flughafens herumlungerten dort eigentlich zu suchen hatten, allerdings lag die Vermutung nahe, dass sie nichts Gutes im Schilde führten. Es gab nur einen Polizisten, der in seiner abgeschundenen Uniform weitgehend teilnahmslos in einem verlumpten Sessel vor der Eingangstüre saß. Ich konnte ihm wenigstens den Gefallen abringen, sich das Nummernschild von dem Taxi aufzuschreiben, das mich in die Stadt bringen sollte, wobei es sich hier eher um eine private Fahrt gehandelt hatte, zumindest konnte man an dem schrottreifen Wagen keine Merkmale finden, die auf ein offizielles Transportmittel hätten schließen lassen. Ich war trotzdem wohlbehalten bei meiner Pension im Zentrum von Guatemala City angekommen und befand mich hier in einer Umgebung, in der es weder Supermärkte noch Bars gab, wahrscheinlich weil sie wegen der vielen Erpressungsdelikte und Raubüberfälle kaum einen Überlebenschance hatten. Einkäufe konnte man nur über kleine, vergitterte Öffnungen tätigen, die sich in manchen Häusern befanden. Hierdurch wurde die Ware dem Kunden übergeben und da diese Luken so klein und  schmal waren, konnte man auch nur kleine Artikel kaufen. Im Zentrum der Stadt auf dem Markt, gut drei Blöcke von meiner Pension entfernt, sah es etwas besser aus. Zwar war auch hier alles bitterarm, doch man konnte wenigstens ein Hühnchen mit Reis an einem der Essensstände kaufen. Bei solch einer Mahlzeit hatte ich zwei sehr gepflegte ältere Damen kennen gelernt, die den Charme von netten Großmüttern versprühten und mich herzlich am Abend dazu einluden, mit ihnen in eine Bar zu gehen, was mir vermutlich nicht allzu gut bekommen wäre, bedenkt man, wie oft hier K.o. Tropfen zum Einsatz kamen. Entsprechend grob und ungehalten wurden die beiden plötzlich, als ich ihr Angebot ausgeschlagen hatte, ja sogar richtig gehässig sind sie geworden, so dass ich mich fluchtartig in meine Pension begab. Am kommenden Tag war ich froh gewesen, als ich diese finstere Stadt verlassen konnte und mit dem Bus in Richtung Antigua losgefahren war.

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Grenze Honduras

Von der Dachterrasse meines Hotels aus konnte ich auf der rechten Seite einen beständig rauchenden  Vulkan sehen, vor mir türmte sich ein zweiter, jedoch weitaus ruhigerer Vulkan auf und der Blick von der hinteren Seite der Dachterrasse führte zu einem Hügel hinauf, über dem ein großes Kreuz thronte. Da mein Hotel in der Mitte von Antigua lag, beschreibt diese Sichtweise auch ziemlich genau die Lage der Stadt, die nicht nur aufgrund der umgebenen Vulkanlandschaft, sondern auch wegen ihres spanischen Kolonialstils ein sehr beliebtes Reiseziel war. In Antigua war die Sicherheitslage weitaus besser, als in Guatemala City, aber immer noch gefährdet genug, als dass selbst kleine Minimärkte sich einen Sicherheitsdienst leisteten und am Eingang jedes Ladens grimmige Kerle mit Pump Guns und Revolvern standen. Die Besichtigung des bereits erwähnten Kreuzes, von dem aus man einen großartigen Überblick über das Städtchen und seine Vulkan hatte, musste ich zusammen mit einer großen Gruppe von Menschen antreten, die einmal am Tag von dem Militär an einer Sammelstelle abgeholt und die gut 200 Meter auf den Hügel hinauf eskortiert wurde. Nicht selten schon waren den Erzählungen nach, Einzelgänger und Gruppen ohne Eskortierung bis auf das letzte Hemd beraubt worden und den Hügel nackt wieder herunter gekommen. Man musste vorsichtig sein, besonders wenn man am Abend unterwegs war, wo ich meistens auf einer Rooftop Bar saß und während des Sonnenuntergangs das Geschehen auf den Straßen beobachtete. Groß war Antigua nicht, wodurch man sich schnell kennen lernte, wenn auch nur durch wiederholte Begegnungen und nicht durch direkte Interaktion. Der Boss, wie ich in nannte, betrieb ein Backpacker Hostel, fuhr eine alte S-Klasse und dirigierte die Verkäufer in den umliegenden Marktständen herum, als wären sie seine Angestellten. Er machte allerlei Geschäfte und hatte in seinem Angebotsportfolio auch eine kleine Reiseagentur, in der ich einen Ausflug nach Copan in Honduras und eine Trekking Tour zum Volcan de Aqua buchte. Beides waren sehr willkommene Abwechslungen, da ich außer der Besteigung des Hügels zu dem Kreuz noch nichts Wesentliches auf dem Trip unternommen und mir die Zeit bisher in Spanischschulen vertrieben hatte, um meine Sprachkenntnisse aufzubessern.

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Die Bar

Mein Lehrer hatte mich in der Schule bitterlich angefleht, weiterhin bei ihm Unterricht zu nehmen und den Kurs nicht abzubrechen, aber nach zwei Wochen auf der Schulbank packte mich das Reisefieber wieder und ich musste gehen. Seine Klagen waren am Ende so erbärmlich gewesen, dass ich ein schlechtes Gewissen bekommen hatte und beinahe hoffen musste, er würde ohne mein Schulgelt nicht verhungern müssen. Mein schlechtes Gewissen verfolgte mich noch auf der Fahrt nach Honduras, wo die Ruinen von Copan auf uns warteten. Wir, das waren eine Gruppe von etwa acht Personen, die meisten davon aus den USA, einer auch aus Österreich, dazu ein kleiner runder Fahrer mit einem spitzen Schnauzbart. Zu meiner Erheiterung erkannte ich erst, als wir nach vier Stunden Fahrt die Grenze erreicht hatten, wie die übrigen Teilnehmer der Gruppe mit ihren weißen Explorationshüten aussahen, als wären sie Hobbyarchäologen und ich verstand nun auch, warum die Gespräche auf der Fahrt überwiegend von den untergegangenen Kulturen Mittelamerikas gehandelt hatten, was dem Ausflug gewissermaßen einen intellektuellen Anstrich gab. Natürlich haben auch mir letztendlich die Ruinen der versunkenen Maja Kultur gefallen, nachdem ich sie zusammen mit der Gruppe besichtigt hatte, aber eigentlich fand ich die Bar noch viel interessanter, in die wir nach dem kulturellen Programm einkehrt waren. Den Kellnerinnen gelang hier glatt das Kunststück, die Bierflaschen auf dem Kopf jonglierend an die Tische bringen und obwohl Copan ein verschlafenes Nest war, ging es bis in die frühen Morgenstunden hinein zu, wie in einem gut besuchten Londoner Pub. Für mich war das kein Problem, für unseren Fahrer allerdings schon. Ebenso, wie auf der Hinfahrt, durfte ich auch auf der Rückfahrt im Beifahrersitz des kleinen Toyota Minibusses Platz nehmen und bemerkte gleich zu Beginn unserer Rückfahrt, wie er vor lauter Müdigkeit seine Augen rollte und verschlafen aus den Augenlieder blinzelte. Als ihm die Augen immer öfter zufielen und unter dem Eindruck eines schrecklichen Unfalls, den wir schaudernd auf der Herfahrt hatten sehen müssen, versuchte ich den kleinen Kerl beinahe verzweifelt  mit meinem recht bescheidenen Spanisch in ein Gespräch zu verwickeln, was mir auch gut zwei Stunden lange gelang, bis ich nicht mehr weiter wusste, während die übrigen Touristen in dem Fahrzeug längst eingeschlafen waren und von der brenzligen Situation nichts mitbekamen. Plötzlich ließ es einen Schlag und alle saßen hellwach und aufrecht in dem Minibus. Wir waren zu nahe an den Straßenrand gekommen und über einen ziemlich großen Stein gefahren, worauf der müde Fahrer das Lenkrad herum gerissen hatte und wir kurz ins Schlingern gekommen waren. Als anschließend alle ratlos um den Bus herum standen und auf den lädierten Reifen schauten, war ich heilfroh, dass sich der Vorfall nicht bereits in den zuvor passierten Serpentinenstraßen zugetragen hatte, sondern erst, als die Landschaft wieder etwas flacher war.

Reiseberichte:

Travel Report 11/1: Unter Kriminellen
Travel Report 11/2: Brot statt Böller

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Travel Report 9/3: Bus Chaos in Laos

1999 Luang Prabang/Vientiane: Die Busfahrt von Luang Prabang nach Vientiane begann bereits früh am Morgen. Bis auf die fehlende Windschutzscheibe schien soweit alles in Ordnung zu sein, zumindest sah der Bus ansonsten technisch funktionsfähig aus und auch die Passagiere waren gut gelaunt. Alle hatten sich mit diversen Snacks und Getränken von den Straßenhändlern eingedeckt und aßen munter, als der Bus sich langsam in Bewegung setzte, losrollte und anschließend die Straße entlang kroch. Es dauerte gut zwei Stunden, in denen wir durch dichtes Gebüsch gefahren waren, ehe sich das erste Problem bemerkbar machte. Aus zunächst unbekannten Gründen hielten wir an, worauf der Busfahrer und mehrere Männer ausstiegen und wild gestikulierend um das Fahrzeug herum standen. Was das Problem war, erfuhren wir zu unserem Schrecken, als der Beifahrer die im Bus vor dem Lenkrad befindliche Abdeckung des Kühlers abschraubte und ein Strahl aus kochendem, mit heißem Dampf gemischtem Wasser an die Decke schoss und der ganze Bus im Nu vernebelt war, als wäre eine Bombe explodiert. Sofort folgte eine allgemeine Panik unter den Passagieren, alles drängte und quetschte sich unter fürchterlichem Geschrei nach hinten und als sich der Dampf verzogen hatte, schaute man sich gegenseitig verdutzt an. Einige Mütter hielten ihre Kinder mit besorgter Miene auf dem Arm, hatten sie diese gerade noch von der Trampelei bewahren und aus dem Gang auf ihren Schoß ziehen können.

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Der Bus (1)

Mir schwante nichts Gutes, als ich die Bemühungen des Busfahrer und der anderen Männer zur Behebung des technischen Defekts beobachtete. Mit zwei kleinen Hölzchen und zwei Ästen, die zwischen den Kühler und die Karosserie gespannt wurden, versuchte man das das Loch im Kühler abzudichten. Die provisorische Konstruktion hielt kaum fünf Kilometern weit, dann standen wir wieder da und es herrschte Ratlosigkeit, als wir auf das zischende und dampfende Loch im Kühler schauten, aus dem das Wasser heraus kochte. Da man auch nach einer weiteren halben Stunde aufgeregter Gespräche noch keine bessere Idee hatte, wie man den Kühler am besten hätte abdichten könnte, wurde das identische Verfahren erneut angewandt, dieses Mal allerding mit größeren Stöcken und Ästen und mit großem Erfolg, den zu meiner Verwunderung hielt das technische Meisterwerk der Improvisationskunst nun tatsächlich für den Rest der übrigen zweihundert Kilometer, die noch bis zur Hauptstadt zurückzulegen waren.

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Die Reparatur

Ich hoffte nun, die negativen Ereignisse auf der Fahrt wären vorbei, irrte mich aber gewaltig. Das Terrain war inzwischen zunehmend von Hügeln durchzogen und es ging auf und ab. Als wir eine Steigung hinauf um eine Kurve fuhren, befand sich plötzlich ein umgekippter LKW auf der Straße. Alle Passagiere mussten erneut aussteigen und wieder herrschte die inzwischen wohlbekannte Ratlosigkeit bei Busfahrer, Beifahrer und den männlichen Passagieren, die zwar so aussahen, als wollten sie stetig etwas anpacken, doch dem Anschein nach nicht so recht wussten, was es war. Nach etlichen Rangiermanövern gelang es schließlich, den Bus an dem LKW vorbei zu bringen und wir Passagiere durften wieder einsteigen, bemerkten dabei aber sehr wohl, dass der Straßenverlauf noch immer eine Steigung zu verzeichnen hatte. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Kühler und den aktuellen Eindrücken rund um den umgekippten LKW schien es niemand sehr wohl dabei gewesen zu sein. So kam es auch, dass die von Angst geschwängerte Luft im Bus sich erneut zu einer Panik zuspitzte, als dieser mit den Passagieren an Bord nicht in der Lage war, an der Steigung anzufahren, vielmehr bei jedem Bremsversuch zwei oder drei Hüpfer nach hinten in Richtung der abschüssigen Böschung zurücksetzte. Die vorderen Passagiere hatten inzwischen gelernt, dass es weniger optimal war, nach hinten in den Bus zu springen, wo keine Tür nach außen führten und stürmten jetzt vielfach durch die nicht vorhanden Windschutzscheibe auf die Straße, während ich und einige andere aus der Beifahrertüre heraus springen konnten. Aufgrund des verringerten Gewichts kam das Fahrzeug schließlich zum Stillstand und viele ängstliche Frauengesichter mit ihren Kindern im Arm schauten vom Bus aus zu uns hinaus. Nach diesem Ereignis wanderten die Passagiere geschlossen den Berg hinauf und waren im weiteren Verlauf der Fahrt froh, dass es einer der letzte Hügel vor Vientiane gewesen war.

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Auf der Überfahrt

Langsam fuhren wir mit dem Bus weiter, meinen Berechnungen nach, konnten es keine fünfzig Kilometer mehr bis zur Hauptstadt sein. Mich störte inzwischen die Tatsache, dass wir aufgrund der Verzögerungen viel Zeit verloren hatten und die Dunkelheit bereits eingekehrt war. Eigentlich wollte ich unbedingt immer bei Tageslicht am Zielort ankommen, sofern ich außerhalb Europas auf Reisen war. Allerdings schien mir eine nächtliche Ankunft in Laos nicht ganz so schlimm zu sein, als etwa in Südamerika, wo ich das Reisen gelernt hatte und wo die Städte, insbesondere dort die Passagiere in den Busterminals mit einem hohen Überfallrisiko konfrontiert waren. Fünfzig Kilometer sind ja nicht mehr so weit, noch eine Stunde, dachte ich, als plötzliche heftige Zuckungen das Mark des Busses erschütterten und dieser einmal mehr zum Stillstand kam. Das Benzin war aus und in Laos gab es zu dieser Zeit noch keine Tankstellen. Als der Beifahrer einen Kanister aus dem Stauraum hervor zog, war ich erst der Meinung, es ginge schnell weiter, doch wie sich gleich herausstellte, war dieser leer. Es musste also auf der Straße jemanden herunter gewunken werden und das dauerte. Mit vielen Stunden Verspätung erreichten wir endlich die Hauptstadt von Laos und ich bereitete gleich am kommenden Tag meine Weiterreise zurück nach Thailand vor (Travel Report 9/1), um dort als letztes Ziel die südlichen Inseln zu besuchen.

Reiseberichte:

Travel Report 9/1: In Siam
Travel Report 9/2: Zwischen Ratten und Amphibien
Travel Report 9/3: Bus Chaos in Laos

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Travel Report 9/2: Zwischen Ratten und Amphibien

1999, Laos: Auf der Fahrt von Chiang Mai nach Chiang Rai hatte es mich im Bus ordentlich durchgeschüttelt, die Federung und Dämpfung des Transportmittels schien gänzlich kaputt gewesen zu sein und auch meine Knie schmerzten stark, denn der Abstand der hölzernen Sitzbänke war meiner Einschätzung nach für Menschen mit einer Körpergröße von maximal einem Meter sechzig eingerichtet. In der Bordellstadt Chiang Rai, dem Mekka des chinesischen Sextourismus, verweilte ich nur eine kurze Zeit, schon am Tag nach meiner Ankunft ging es weiter in ein kleines Dorf am Mekong von wo aus man nach Laos übersetzen konnte. Ich wusste nicht viel von diesem Land außer, dass es im Norden keine Straßen gab und ich bis Luang Prabang zwei Tage auf einem Schiff verbringen musste. Es dauerte nicht lange, ehe ich eine ausgesprochen attraktive Unterkunft in der Nähe des Grenzpostens gefunden hatte. Mein Zimmer war sehr groß und geräumig, die Einrichtung im  Landhausstil. Getrennt davon hinter einer Holztüre befand sich das kleine, aber beinahe schon luxuriöse Bad zusammen mit einer Toilette. Das gesamte Gebäude war massiv gemauert, bis auf das Dach, das romantisch aus Bambus geflochten oben aufgesetzt war und sich schräg an der Seite meines Zimmers hinunter über das Bad wölbte. Ich genehmigte mir an der Bar auf der Terrasse der Pension ein Bier und schaute in der Abenddämmerung auf die Furt hinunter, die ich am folgenden Tag überqueren würde, um auf der anderen Seite mit einem der dort bereits vor Anker liegenden Holzschiffe den Mekong hinunter zu fahren.

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Auf dem Mekong (1)

Als ich nach einer Weile zurück in mein Zimmer kam, befand sich ein Gecko unter dem Dachgewölbe an der Wand, gut drei Meter über mir. Mit dem würde ich leben können, dachte ich mir, war ich solche Tierchen aus diversen Reisen schon gewohnt und hatte dabei ihre Fähigkeit schätzen gelernt, die Umgebung von Insekten rein zu halten. Ich wollte keine Zeit mehr verschwenden und mich zur Ruhe begeben, da ich am kommenden Morgen sehr früh aufstehen musste und so eilte ich auch gleich ins Bad, um mir die Zähne zu putzen. Die Dachwölbung war hier im Gegensatz zum Zimmer schon recht niedrig und hinter mir befand sich eine etwa zehn Mal zehn Zentimeter große Luke nach außen, vermutlich um die Luftzufuhr zu befördern. Unnötig dachte ich mir, als ich vor dem Spiegel die Zähne putzte, freilich waren solch aufgesetzte Naturdächer ohnehin nicht richtig dicht. Da bemerkte ich plötzlich aus dem rechten unteren Augenwinkel etwas längliches Blaues schimmern. Ich schaute zur Seite und direkt rechts unter dem Waschbecken befand sich auf einer Holzablage ein gut 70 Zentimeter langer, blauer Leguan. Mit einem Satz haute es mich rückwärts vom Bad in mein Zimmer hinein und mit einem zweiten Satz sprang ich wieder nach vorne und schlug krachend die Türe zu. Benommen taumelte ich danach durch den Raum und dichtete gleich, als ich mich wieder gefangen hatte, die Fuge unter der Türe zum Bad mit einem Handtuch ab. Danach lag ich noch eine Weile geschockt im Bett, ehe ich einschlief und von einer Amphibiengrube träumte, in die ich hineingefallen war. Am kommenden Morgen traute ich mir bei leicht geöffnetem Türspalt kaum, die Zahnpasta und die Zahnbürste aus dem Badezimmer heraus zu holen. Schnell packte ich zusammen und verließ die Unterkunft, damit ich mit einem der am Ufer wartenden kleinen Boote auf die andere Seite überzusetzen konnte.

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Auf dem Mekong (2)

Inzwischen war ich seit gut einem halben Tag auf einem hölzernen Schiff den Mekong hinunter unterwegs, als ich mein knapp 600 Seiten dickes, wirtschaftswissenschaftliches Lehrbuch zuklappte und mir die vorbei ziehende Urwaldlandschaft ansah. Mein Leben war intellektueller geworden, im Gegensatz zu der Reise nach Indien, hatte ich jetzt keine Hanteln mehr dabei (Travel 7), dafür aber Bücher. Ich hatte inzwischen mit dem Studieren begonnen und mir die Reise in den Semesterferien als Belohnung für meine guten Leistungen genehmigt. Diese sollten unbedingt aufrecht erhalten bleiben und dabei sollten mir die mitgebrachen Bücher helfen, die ein Gewicht von ungefähr zehn Kilogramm auf die Waage brachten. Viel hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht lernen können, zu aufwendig war die tägliche Organisation des Transports und der Unterkünfte gewesen. Hier in Laos fand ich jetzt Zeit, da ich nach der Fahrt mit dem Boot ein paar Tage in Luang Prabang verbringen wollte, um eine Reisepause einzulegen. Als der Urwald langsam vorbei zog, saß ich wie die meisten anderen Reisenden auch, darunter einige Rucksacktouristen und ein paar Frauen aus Laos mit ihren Kleinkindern, auf dem Dach des Schiffes. Gleich war die Zeit gekommen, sich auf das Unterdeck zu begeben, auf dem das Mittagessen von dem Koch an Bord schon angerichtet wurde. Die Mahlzeiten auf der Fahrt waren inklusive und wurden an einem langen Tisch eingenommen, an dem sämtliche Passagiere wie an einer ärmlichen Hochzeitstafel saßen und Reis mit nicht identifizierbaren Fleischbeilagen serviert bekamen. Mit den Leuten aus Laos gelang es bedauerlicherweise nicht, eine Kommunikation aufzubauen, sie machten allerdings einen sehr friedlichen Eindruck auf mich und obwohl arm, schienen sie glücklich gewesen zu sein. Nach dem Mittagessen ging es noch einige Stunden den Fluss hinunter, ehe wir am Abend ein kleines Dorf erreichten, indem wir übernachteten. Die westlichen Touristen wurden nun in ein zweistöckiges Haus gebracht, das dem Anschein nach aus Bambus geflochten war. Es war auf jeden Fall sehr hellhörig und mitten in der Nacht meinte ich, eine Ratte in meinem Zimmer zu hören. Ich regte mich nicht in meinem Bett, während ich das Rascheln vernahm, das einmal näher da und ein anderes Mal wieder von etwas weiter in der Ferne zu vernehmen war. Nahrungsmittel hatte ich auf jeden Fall keine dabei und plötzlich hörte ich ein lautes „Fuck off“, einen Tritt und das quicken der Ratte und Ruhe war es. Das arme Tier musste sich zu den Engländern ins Nebenzimmer verlaufen haben und die waren nicht sehr zimperlich mit ihm zu Werke gegangen.

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Pak Ou

Als wir am folgenden Abend schließlich Luang Prabang erreichten, hatte die Dämmerung bereits eingesetzt. Es war die drittgrößte Stadt in Laos und obwohl sie nur gut 16.000 Einwohner zählte, gab es nach zwei Tagen auf dem Fluss wieder die Annehmlichkeiten einer zivilisierten Umgebung, wenn auch in sehr bescheidenen Zügen. Das Internet war ja noch eine sehr neue technische Errungenschaft, daher galt ein Café im Zentrum der kleine Stadt als besondere Attraktivität, da es über eine, freilich quälend langsame Verbindung verfügte und von den Touristen nur so belagert wurde. Wohl kannte auch ich das Internet schon von meiner Hochschule, konnte aber noch mit Ausnahme des Onlinehandels von Aktien wenig mit der neuen Technik anfangen, so dass ich mich eher dem Kaffee in dem Café widmete, der hier zu meinem Erstaunen aus löslichem Nestle-Pulver zubereitet wurde, obwohl das Land über eigene Anbauflächen zur Kaffeeproduktion verfügte. Ich wusste nicht so recht, ob ich das gut finden sollte. Ich überlegte mir, als ich am zweiten Tag meines Aufenthalts in der Umgebung mit einem Privatboot zu der Pak Ou Grotte gefahren wurde und mir die mit vielen Götzenbildern bestückte Höhle anschaute, ob die Nahrungsmittelproduktion westlicher Konzerne tatsächlich günstiger wäre, als einheimische Produktion in Ländern wie Laos. Ich kam zu dem Schluss, dass vermutlich die Arbeitskraft noch so billig sein konnte, wenn das Produktivitätsgefälle dadurch nicht ausgeglichen werden konnte. Vielleicht war es aber den Leuten von dem Café auch einfach nur zu lästig gewesen, ordentlichen Kaffee zuzubereiten, musste man das lösliche Pulver ja einfach nur mit heißem Wasser aufkochen.

Reiseberichte:

Travel Report 9/1: In Siam
Travel Report 9/2: Zwischen Ratten und Amphibien
Travel Report 9/3: Bus Chaos in Laos

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Travel Report 9/1: In Siam

1999, Thailand: Ich war sehr erstaunt, als ich in Bangkok aus der Ankunftshalle des Flughafen heraus trat und vor mir den Zug sah, der mich in die Stadt bringen sollte. Die Waggons waren sauber herausgeputzt, technisch auf bestem Niveau und hinterließen einen weitaus moderneren und gepflegteren Eindruck, als man es vielfach von den schäbigen Regionalbahnen zu Hause gewohnt war. Zwei Jahre nach meiner Indien Reise (Travel 7), war ich wieder nach Asien gekommen und bereits im Vorfeld äußerst gespannt gewesen, auf welchem Entwicklungsstand sich Thailand befinden würde. In Indien hatte ich nach meiner Ankunft in Delhi mit einem halb auseinander gefallenen Klapperbus vorlieb nehmen müssen, der dort als einziges öffentliches Transportmittel vom Flughafen in die Stadt zur Verfügung stand (Travel Report 7/1). Ungleich fortschrittlicher musste Thailand sein, wenn man die beiden Transportmittel verglich. Ob mir das wirklich recht war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so genau. Ich wollte hier Abenteuer erleben und war eigentlich der Ansicht, das wäre eher in unterentwickelten Ländern möglich. Acht Wochen hatte ich nun Zeit, mir die siamesische Halbinsel anzusehen und es war gut möglich, neben Thailand auch noch Laos, Burma oder Kambodscha zu besuchen. Einen genauen Reiseplan hatte ich noch nicht ausgearbeitet, aber es gab genug Zeit, die Reise in Ruhe anzugehen.

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Bankok

Etwa zwei Stunden nach meiner Ankunft am Flughafen, war ich in der Nähe der bekannten, von Backpackern überfluteten Khaosan Road im Zentrum der Stadt angekommen und hatte ein schönes Hotel gefunden. Es war inzwischen etwa elf Uhr am Vormittag und ich legte mich erschöpft von den Strapazen der Anreise, die mit dem Flugzeug über Rom und Kuwait geführt hatte, auf das Bett. Eigentlich wolle ich mich nur etwas ausruhen, es dauerte aber nicht lange, bis ich eingeschlafen war. Die Temperatur hatte zu diesem Zeitpunkt schon die Marke von 30 Grad im Schatten überschritten, was sich komisch anfühlte, denn ich war stark an Grippe erkrankt, ein Zustand, den ich bisher nur in winterlicher Atmosphäre und bei kalten Wetterbedingungen kannte. Begonnen hatte die Krankheit am Tag meiner Abreise aus Deutschland, als sich zuerst Kopfweh und dann starke Halsschmerzen bemerkbar machten. In der Nacht davor war ich mit einigen Kollegen von meiner Universität bis in die frühen Morgenstunden durch die Stadt gezogen. Nun, als ich im Auto zum Flughafen saß, machten sich die Nachwehen der durchzechten Nacht bemerkbar. Bei der Zwischenlandung in Rom hatte ich bemerkt, wie sich mein Zustand noch einmal deutlich verschlechterte und als es mir im Verlauf des langen Fluges in der kühlen und windigen Kabine immer miserabler ging, wurde mir klar, dass ich vollkommen krank geworden war. Zum Zeitpunkt meiner Ankunft in Bangkok musste ich mich schließlich über ein Fieber von mehr als 39 Grad beklagen, welches von einem heftigen Keuchhusten begleitet war. Vermutlich hatte ich mich vor der Abreise übernommen, als ich im schneebedeckten Stuttgart meinte, die Nacht vor dem Abflug des langen Trips mit meinen Studienkollegen durchfeiern zu müssen.

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Thailand

Am kommenden Morgen erwachte ich lange vor Sonnenaufgang und ging bald auf die Straße, um mir irgendwo in der Umgebung einen Kaffee zu besorgen. Ich hatte den ersten Tag in Bangkok weitgehend durchgeschlafen und war am Abend zuvor nur kurz in einer Bar gewesen, in der ich nicht allzu viel Alkohol konsumiert hatte, nur ein paar Drinks, damit ich die Nacht gut durchschlafen konnte. Zwar war ich jetzt nicht mehr sonderlich müde, aber krank war ich noch immer und ich überlegte mir, wie lange sich dieser Zustand hier in den Tropen wohl halten würde, als ich in düsteren Umrissen plötzlich Achim Fritz mit seiner Freundin auf mich zukommen sah. Ein alter Kumpel aus einem der Dörfer im Bottwartal, einer Gegend, in der ich meine Jugend verbracht hatte. Er rieb sich ebenso verwundert die Augen, wie ich, was für ein außergewöhnlicher Zufall sich hier zutrug. Wir kannten uns schließlich ziemlich gut, wussten jetzt aber natürlich nichts davon, gleichzeitig um fünf Uhr am Morgen in einer Seitenstraße in Bangkok unterwegs zu sein. Die Freude war groß über die unverhoffte Begegnung und wir verabredeten uns für den Abend vor meinem Hotel, um diesen Zufall gebührend zu feiern. Ich verbrachte anschließend den Tag sonnenbadend im Park vor dem „Großen Palast“ im Zentrum der Stadt und hoffte so, durch besonders viel Strahlung und Wärme schnell wieder zu gesunden. Doch als Fritz und seine Freundin zum Einbruch der Dämmerung vor meinem Hotel erschienen und auf mich warteten, hatte sich mein Zustand noch nicht merklich verbessert. Die beiden waren inzwischen ebenfalls in einem Hotel untergekommen und verfügten dort über eine Terrasse, auf der wir unsere Begegnung später am Abend mit einigen Flaschen Chang Bier begossen. Besonders lustig an dem thailändischen Bier fanden wir die nur kurz aufschäumende Krone, die sich sogleich wieder verflüchtigte, was uns dazu veranlasste, das Gebräu aufgrund solch außergewöhnlicher Eigenschaften als Chemiebier zu bezeichnen. Nach nur drei Flaschen war Schluss, das Bier schien wirklich aus wenig bekömmlichen Zutaten hergestellt gewesen zu sein. Daheim die doppelte Menge gewohnt, war ich hier jetzt schon betrunken und verließ fluchtartig die Wohnung der beiden, als mein Kumpel mit einem großen Schwall Erbrochenes sich von der Terrasse auf den darunter befindlichen Balkon erleichterte, auf dem einige Engländer Karten spielten.

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In Ayutthaya

Am kommenden Tag war mein Zustand noch immer nicht besser, nur hatte sich inzwischen ein herber Sonnenbrand dazu gesellt, so dass ich mich fiebrig erhitzt fühlte. Ich wollte mir davon die Stimmung nicht verderben lassen und unternahm einen Ausflug nach Ayutthaya zu den Ruinen des Wat Mahathat. Es war ein interessanter Abstecher in eine vergangene Tempelwelt und auch die übrigen Kurztrips, die ich in den folgenden Tagen unternahm, waren durchweg empfehlenswert. Thailand gefiel mir immer besser und als sich mein Zustand nach gut fünf Tagen gebessert hatte, beschloss ich in den Norden zur reisen. Die Fahrt nach Chiang Mai in einem komfortablen Bus, der voller Rucksacktouristen war, dauerte gut einen Tag. Der dortige Aufenthalt war von zwei nennenswerten Ereignissen geprägt. Zum einen unternahm ich eine mehrtägige Wanderung durch die Teakwood-Wälder an der burmesischen Grenze, die mich an abgelegenen Dörfern vorbeiführte, in denen die Einwohner noch daran glaubten, dass die Flussgeister im Nebel der Nacht und im Tau und der frühen Morgenstunden über das Wasser heranschleichen würden. Wunderliche Dinge unternahmen sie zur Abwehr dieser Gefahr in Form von Zeichen und zur Schau gestellter Puppen. Am Rande eines dieser Dörfer übernachtete ich in einer auf Stelzen erhöhten Bambushütte, in welcher sich ihr alte Besitzer jeden Abend an seinem Opiumpfeifchen ergötzte. Zu der Wanderung gehörte auch ein Ausritt mit Elefanten über die nördlichen Ausläufer des Doi Suthep-Pui Gebietes, eine besondere Attraktion, da wir uns in einer absonderlich schönen Landschaft befanden. Der zweite Ausflug ging nach Burma, was zur damaligen Zeit von einem verbrecherischen Militärregime regiert wurde, welches das Land in Myanmar umbenannt hatte und es den Touristen nicht einfach machte, einzureisen. Trotzdem gelang es mir, ein drei tägiges Visum genehmigt zu bekommen, so dass ich mich ausführlich in der Stadt Tachileik umsehen konnte. Das Wohlstandsgefälle war sofort auf der Grenzbrücke zwischen den beiden Ländern spürbar, Burma war weitaus unterentwickelter als sein südlicher Nachbar. Nach gut zwei Wochen, in denen ich mich in Thailands Norden befunden hatte, begab ich mich mit einem Bus nach Chiang Rai, der Prostituierten-Hochburg des Landes, in der sich unzählige männliche Touristen aus China vergnügten. Von hier aus war das Tor zur Weiterreise nach Laos geöffnet (Travel Report 9/2 und 9/3).

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Luang Prabang

Nach gut zwei Wochen in Laos und einem weiteren Zwischenstopp in Bangkok, machte ich mich auf den Weg zu meinem letzten Ziel der Reise hinunter in die südliche Inselwelt nach Koh Phangan. Die bekanntere Nachbarinsel Koh Samui sei schon zu überlaufen, war mir zugetragen worden und außerdem gäbe es auf Koh Phangan ausufernde Full Moon Partys. Natürlich wollte ich an diesen teilnehmen, erinnerten mich solche Ereignisse doch auf positive Art und Weise an meine Zeit in Indien zwei Jahre zuvor (Travel Report 7/3 und 7/5). Die Fahrt mit dem Bus in den Süden war beschwerlich und dauerte beinahe einen Tag, die Überfahrt zu den Inseln mit der Fähre entschädigte für die Strapazen und war ein heiterer Spaß. Auf Deck unterhielt eine gesang- und trinkfreudige Truppe aus Australien die Passagiere und unter Deck gab es eine gut bestückte Bar mit Cocktails aller Geschmacksrichtungen. Endlich in Koh Phangan angekommen, wo ich eine Woche verbringen sollte, gelang es mir, direkt am Strand eine Bambushütte anzumieten. Es handelte sich hierbei eigentlich um eine Traumunterkunft, wären da nicht die Erinnerungen an den Leguan gewesen, der mir im Norden Thailands solch einen Schrecken eingejagt hatte (Travel Report 9/2), so dass ich jetzt sehr skeptisch gegenüber nicht vollständig abgedichteten Unterkünften war. Zu den Full Moon Partys, die am anderen Ende der Insel durchgeführt wurden, kam ich nicht. Zu groß war der Aufwand dort hin zu fahren. Zu unangenehm die Vorstellungen von dort, vermutlich in eingetrübtem Zustand wieder zurück zu kommen. Zu viel Stress nach zwei Monaten auf der indochinesischen Halbinsel. So verbrachte ich die meiste Zeit mit meinem chinesischen Nachbarn aus der Hütte neben an, der etwa so alt wie ich war. Bei unseren abendlichen Unterhaltungen wurde ich über die Vorzüge des politischen Systems in China aufgeklärt und auch über den Zukunftsoptimismus, der in dem Land vorherrschen würde. Es war ein feiner Kerl, nur bei den Mahlzeiten musste ich mich zurückhalten, wenn er sich die Häppchen mit seinen zwei mit Stäbchen bestückten Händen wie ein Rotor unter heftigem schlürfen und schmatzen zu Munde führte. Er hingegen, so glaube ich, dachte etwas Ähnliches von mir, der ich gänzlich ohne diese Manieren am Tisch auskam. Auch beherrschte ich zu diesem Zeitpunkt die Kunst des Stäbchenessens noch nicht und es sollte noch gut zwei Jahre dauern, ehe ich selbst eine Erbsenmahlzeit anhand von dieser Technik zu mir nehmen konnte.

Reiseberichte:

Travel Report 9/1: In Siam
Travel Report 9/2: Zwischen Ratten und Amphibien
Travel Report 9/3: Bus Chaos in Laos

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