Travel Report 23/2: Im wilden Kaukasus

2014, Kaukasus: Es war erst sieben Uhr morgens, doch ich war schon seit gut einer Stunde auf meinem 32 Kilometer langen Fußmarsch von Omalo nach Dartlo unterwegs. Ich dachte an den bisherigen Reiseverlauf zurück und war froh, in diese abgelegene Kaukasusregion gekommen zu sein, ein Unterfangen, an dem ich aufgrund des hohen organisatorischen Aufwands vor der Reise mehr als einmal gezweifelt hatte. Der Iran, in dem die Reise knapp drei Wochen zuvor begonnen hatte, war mit einer Fülle von historischen und kulturellen Attraktionen gesegnet, landschaftlich sehenswert und die Menschen dort voller Gastfreundschaft. Von dort war ich nach Aserbaidschan weitergereist und hatte einige Tage in Baku verbracht, ein kleines Land, das für mich schwer einzuschätzen war. In der Hauptstadt Baku sah es teilweise aus wie in Paris und alles war dem Anschein nach sehr fortschrittlich und modern. Obwohl auch hier der Islam die hauptsächliche Religion darstellte und die Bevölkerung türkischer Abstammung war, gab es keine verschleierten Gestalten auf der Straße, ja nicht einmal Kopftücher waren zu sehen, hingegen windige und durchsichtige Blusen leichtgekleideter junger Damen mit knappen Röcken und engen Hosen. Dabei hätte man vermuten können, die weibliche Bevölkerung würde ähnliche Gewohnheiten, wie es im Osten der Türkei der Fall war, an den Tag legen, wo die Frauen bei 42 Grad im Schatten mit Mänteln und Kopftüchern bedeckt durch die sengende Hitze wandelten. Nein, in Aserbaidschan waren die hübschen jungen Damen sehr leicht und luftig gekleidet. Auf dem Land war das Gefälle zur Hauptstadt hingegen deutlich zu spüren, hier schien alles viel ärmlicher zu sein und außerdem hatte ich gehört, dass Korruption, ähnlich wie in den übrigen postsowjetischen Staaten ein großes Problem darstellen würde. Vielleicht hatte ein Reisender, den ich im Zug von Baku nach Tiflis kennen lernte mit seiner Aussage recht, wenn er meinte, die gesamte Wirtschaftskraft würde sich hier nur auf die Hauptstadt konzentrieren. Vielleicht war es aber auch der sowjetische Einfluss aus früheren Zeiten, der hier noch seine Auswirkungen zeigte. Zudem verstand ich nicht, weswegen es so schwer gewesen war, ein Visum für das Land zu bekommen, machte es doch selbst auf den Trikots eines bekannten spanischen Fussballclubs mit dem Slogan ¨Visit Aserbajan¨ Werbung

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Mit dem Jeep

Ich war noch nicht lange in Georgien, bevor ich in den Kaukasus kam. Unmittelbar nach dem Eintreffen meines Zuges aus Aserbaidschan nach einer 24 stündigen Überfahrt, fuhr ich vom Bahnhof in Tiflis mit dem Taxi in das gut 100 Kilometer entfernte Telavi, ein Städtchen am den Fuß der mächtigen Gebirgskette, die Asien von Europa trennt. Dort hatte ich eine Nacht verbracht und war am kommenden Morgen in aller Frühe nach Alvani aufgebrochen, einem Flecken an dem sich die Kreuzung mit der Sammelstelle für Jeeps befand, welche die Passagiere hinauf in den Kaukasus brachten. Solche Sammelstellen kannte ich bereits aus Usbekistan und Tadschikistan sehr gut und hatte daher meine Bedenken gehabt, denn nicht selten musste man mehrere Stunden warten, ehe ein Fahrzeug mit einer ausreichenden Anzahl an Passagieren gefüllt war und man losfahren konnte. Doch ich hatte großes Glück, ein junger sympathischer Kerl nahm mich sofort mit, als ich an der Kreuzung aus dem Taxi sprang. Ich glaube, er musste dringend etwas transportieren oder jemanden abholen und wartete nur auf einen Passagier, der ihm das Benzingeld zahlen würde. Fünf bis sieben Stunden sollte laut den Informationen aus dem Internet und den Reiseführern die Fahrt nach Omalo im Kaukasusgebirge dauern, doch mein Fahrer schaffte es in nur drei, so dass ich noch am Vormittag ankam und meine Unterkunft aufsuchen konnte. Es handelte sich um eine sehr einfache, aber typische Bauernhütte historischen Charakters, mit einem Alter von über 100 Jahren und man musste beim Betreten des Gebäudes aufgrund der geringen Höhe der Türe von etwa eineinhalb Metern aufpassen, sich nicht den Kopf anzuschlagen. Mari Laviglava, die junge Besitzerin der Hütte erklärte mir, es handele sich hierbei nicht um eine Fehlkonstruktion, vielmehr hatte man damals, als die Zeiten hier oben noch rauer waren, ungebetene Gäste so gezwungen, sich beim Eintritt zu bücken und konnte ihnen dabei gleich ein Messer in den Rücken rammen. Jedes Dorf in der Umgebung verfügte zudem über eigene Wehrtürme, die den Dorfbewohnern im Falle eines Überfalls zum Schutz gedient hatten. Es schien so, als hätte man vor vielen Jahren trotz aller Abgeschiedenheit in den Dörfern des Kaukasus ein recht unbequemes Leben geführt, schließlich war Dagestan und Tschetschenien nur einen Steinwurf entfernt und es waren hier oben in den luftigen Höhen des Kaukasus sehr viele unterschiedliche Ethnien und Religionen mit entsprechendem Konfliktpotenzial angesiedelt.

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Dartlo

Die Sonne stieg langsam empor, als ich nach einigen Windungen des Waldwegs auf der höchsten Stelle des Kamms zwischen den beiden Dörfern Omalo, in dem ich wohnte und Dartlo, das ich heute besuchen wollte, ankam. Ich erblickte vor mir die Felswand, an deren Fuß Dartlo lag und die auf eine Höhe von 4.000 Meter anstieg, dahinter war Tschetschenien und rechts Dagestan, alles in einer Luftlinie von weniger als zwei oder drei Kilometern. Der Abstieg von hier war einfach und es dauerte kaum mehr eine Stunde, ehe ich in dem abgelegenen Dorf des georgischen Kaukasusgebirges ankam. Die Häuser und Wehrtürme waren wie hier überall sonst auch, aus Schindeln erbaut und versprühten trotz des hellen Sonnenscheins einen Hauch abgelegener Einsamkeit. Es gab in Dartlo zwei oder drei Gästehäuser, die wohl auch über ein Restaurant verfügten, wie üblich gab es aber nichts von dem zu Essen, was auf dem Menu stand, so dass ich mich nach einigen Stunde, in denen ich die Gegend erkundigt hatte, mit leerem Magen wieder auf den Rückweg nach Omalo machte. Beklagen konnte ich mich wegen des Essens hier oben insgesamt nicht, denn Mari kochte jeden Abend ausgezeichnet für mich und außerdem hatte ich in Dartlo eine Flasche Bier auftreiben können, hier wie so oft in Georgien mit einem Volumen von 2,5 Litern, die mir den weiten Heimweg versüßen sollte.

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Im Kaukasus

Es war ein schwerer Abschied, als ich einige Tage später Omalo wieder in Richtung Zivilisation zurück nach Tiflis verlassen musste. Ich hatte mich mit der Einsamkeit der abgeschiedenen Bergregion angefreundet, in der es nur eine Handvoll Dörfer mit ein paar Einwohnern gab, ich schätze so zwischen zehn und zwanzig Menschen pro Dorf. Mit mir reiste Vakthang Beriaschwilli, den ich zwei Tage zuvor kennen gelernt hatte und mit dem ich zusammen am Tag zuvor einen Fußmarsch an die Grenze Dagestans unternommen hatte. Er war mit Mari befreundet und musste ebenfalls zurück nach Tiflis, wo er als eine Art Informatiker oder Webseitenentwickler arbeitete. Am Abend zuvor hatte es noch einige Aufregung gegeben, da ein italienisches Pärchen unter dem Vorwand ¨Traveller¨ zu sein, sich unentgeltlichen Zutritt zu unserer Hütte verschaffen wollte. Unbeeindruckt von den Bemühungen Maris, die beiden abzuwimmeln, forderten Sie eine Unterkunft und bestanden darauf, diese als ¨Traveller¨ für umsonst zu bekommen. Es hatte uns einige Anstrengungen gekostet, sie weg von der Hütte in einem Stall am Waldrand unterzubringen. In über 90 Ländern, die ich zu diesem Zeitpunkt besucht hatte, war mir bis dahin noch nie eine Gruppe von Menschen aufgefallen, die als ¨Traveller¨ das Privileg eingefordert hatten, für umsonst irgendwo übernachten zu dürfen.

Reiseberichte:

Travel Report 23/1: Die Grenze vom Iran nach Aserbaidschan
Travel Report 23/2: Im wilden Kaukasus
Travel Report 23/3: Industrieruinen und Klöster

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