Travel Report 11/2: Brot statt Böller

Silvester nahte und es sollte nur noch wenige Stunden dauern, bis das neue Jahr anbrechen würde. Derweil saß ich auf der Dachterrasse meines Hotels und breitete mich mit ein paar Dosen Bier auf den Abend vor. Kurz vor Mitternacht wollte ich an den Neujahrsumzügen teilnehmen, die sich im Stadtzentrum einige Meter von meiner Unterkunft entfernt ereignen sollten. Ich sinnierte darüber, wie es wohl wäre, in einem Land wie in Guatemala dauerhaft zu leben. Zwar hatte sich auf der Fahrt nach Honduras herausgestellt, dass der Fahrer das größte Sicherheitsproblem darstellte, nicht selten allerdings wurden solche Touristenbusse auch gekidnappt, ebenso wie sich die Bevölkerung nie sicher sein konnte, entführt zu werden. Mehrfach hatte ich auf der Fahrt von hohen Mauern umgebene und mit Wachtürmen geschützte Wohnparks gesehen, die von bewaffneten Sicherheitskräften beobachtet wurden. Jeden Tag berichteten die Zeitungen, neben spärlichen Sport- und Wetterinformationen umfassend von nichts anderem, als von der Gewalt und der Kriminalität, die sich am Tag zuvor ereignet hatte. Mehrfach wurde in den letzten Tagen von Überfällen auf Busse berichtet, die in blutigen Schießereien geendet hatten. Einmal erschoss ein Passagier drei Mitglieder einer Gang, ein anderes Mal richteten die Gangs ein Blutbad unter den Passagieren an. Immerwährend konnte man von solchen und ähnlichen Geschichten lesen und es traf meistens die kleinen Leute, etwa einen Geflügelverkäufer, der quer über seinen Stand geschossen wurde oder einen Bauarbeiter, den man von seinem Gerüst herunter geschossen hatte. Mitten in diese Gedanken hinein platzte eine heftige Explosion, die mich erschüttern ließ. An die normale Kracherei, welche hier bereits seit einigen Tagen zu Gange war, hatte ich mich inzwischen schon gewohnt, aber derartige Silvesterböller waren mir in meinem Leben noch nicht zu Ohren gekommen. Die Explosionen wurden häufiger und heftiger, auch die Grundlautstärke der ¨normalen¨ Feuerwerkskörper erhöhte sich merklich und als die ersten Raketen flogen, machte ich mich ins Zentrum der Stadt auf, wo mich ein buntes Durcheinander an tanzenden Leuten und ein großartiger Umzug mit vielen Musikern, Umzugswagen und Puppen erwartete. Der Alkohol floss in Strömen und es wurde getanzt und geballert was das Zeug hielt, der Gedanke an Brot wäre in dieser Nacht hier in Guatemala, einem der ärmsten und kriminellsten Länder der Welt, wohl niemandem gekommen.

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Roof Top Bar

Nach der Neujahrsnacht brauchte ich zwei Tage der Erholung, die ich meistens in dem Schaukelstuhl auf der Dachterrasse meines Hotels mit Blick auf den dampfenden und rauchenden Vulkan Acatenango verbrachte. Dann war die Zeit gekommen, den zweiten Trip anzutreten und auf den größten, noch aktiven Vulkan in der Nähe von Antiqua, den Pacaya, zu steigen. Zusammen mit einer Gruppe, die dieses Mal vornehmlich aus jungen Leuten verschiedener Nationalitäten bestand, machten wir uns bereits am frühen Morgen auf den Weg zum Gipfel auf. Oben angekommen, umgab uns ein fürchterlicher Gestank aus verfaulten Eiern und es rauchte und qualmte, dass man beinahe nichts vom Krater zu sehen bekam. Der Blick in die Umgebung dagegen, in der man gleich auf mehrere rauchende Bergschlote herunter blickte, war einzigartig. Ich war äußerst zufrieden, als wir unseren drei stündigen Abstieg antraten, nicht nur wegen der Aussicht, sondern auch weil wir den Aufstieg überhaupt hatten bestreiten können. Auf der Roof Top Bar hatten mehrere Leute von glühenden Lavasteinen berichtet, die ihnen dermaßen um die Ohren geflogen waren, dass sie kurz vor dem Schlund hatten umdrehen müssen. Die Roof Top Bar war als Treffpunkt der vielen Reisenden inzwischen mein beliebtester Ort geworden, an dem ich jeden Tag zu finden war. Hier lernte ich nach dem Vulkantrip zwei Kanadierinnen kennen, die mir die Fahrt zum Lago Atitlan empfahlen. Dieses Ziel hatte ich zwischenzeitlich aus den Augen verloren gehabt, lag aber ebenso wie Tikal, den Maja Ruinen im Norden, auf meiner ursprünglich geplanten Reiseroute, bevor ich mich zu dem Sprachkurs entschlossen hatte. Ich ließ mich schnell überzeugen und trat die Fahrt dorthin gleich am kommenden Tag an.

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Auf dem Vulkan

Welch eine Armut, dachte ich mir, als ich mit dem Bus auf dem Weg nach Atitlan an einem der Bergdörfer vorbei fuhr und in die Gesichter zweier grimmig und perspektivlos drein schauender Männer am Straßenrand blickte. Warum nicht einfach den Bus überfallen, es gibt ja nichts zu verlieren? Jetzt verstand ich plötzlich den Grund der Kriminalität. Aber nicht nur Armut und Perspektivlosigkeit, sondern auch der nach wie vor weit verbreitete Aberglaube machten das Land so gefährlich. Allein reisende Frauen wurden etwa von den indigenen Bevölkerungsgruppen als Subjekte angesehen, denen als vornehmliches Ziel des Aufenthalts der Kindsraub zugeschrieben wurde, so dass sie schnell in die Fänge eines Lynchmobs geraten konnten. Der Bus fuhr noch durch fünf oder sechs weitere bettelarme Dörfer, bis wir nach gut drei Stunden den kalten und klaren Atitlan-See in der Berglandschaft Zentral-Guatemalas erreichten. Auch hier konnte ich keine Ruhe finden, denn obwohl Silverster bereits seit einigen Tagen vorbei war, wurde ebenso wie es bei meiner Abreise in Antigua noch der Fall gewesen war, weiterhin geballert und geknallt, was das Zeug hielt. Inzwischen ging das seit vierzehn Tagen so und auch ich war jetzt dafür, es müsse endlich aufhören und man solle in solch einem armen Land lieber Brot statt Böller kaufen. Nach einigen Tagen an dem See, kam ich wieder rechtzeitig nach Antigua zurück, um das größte Raketenspektakel zu beobachten, das ich vermutlich je in meinem Leben zu Augen bekommen würde. Auf dem Plaza im Zentrum des Dorfes hatte man die restlichen Feuerwerkskörper in Schubkarren angeschleppt und eine Fackel hinein geworfen. Es krachte, pfiff und knallte gut eine viertel Stunde lang in einem solchen Ausmaß, dass man es selbst hinter den Stützen der steinernen Bögen von den alten Kolonialbauten mit der Angst zu tun bekam. Als mir die Raketen kreuz und quer um die Ohren flogen und ihr buntes Feuerwerk hinter mir entluden, war mir klar, was alleine in dieser viertel Stunde in die Luft gejagt wurde, vermag man in Brot kaum aufzuwiegen.

Reiseberichte:

Travel Report 11/1: Unter Kriminellen
Travel Report 11/2: Brot statt Böller

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Travel Report 11/1: Unter Kriminellen

2004, Antigua,/Guatemala: Als ich den kleinen Jungen sah, der aus einem Marktstand heraus jede denkbare Art von Feuerwerkskörpern verkaufte, hätte ich nur meine Zigarette hinein werfen müssen und der gesamte Marktplatz wäre in die Luft geflogen. Es war ja nicht der einzige Stand dieser Art, nein, sie reihten sich wie zu Hause die Krämerläden auf dem Weihnachtsmarkt, eng an eng neben einander und waren alle bis zum Brechen mit Raketen, Böllern und Bombenschlägen behangen. Gleich schossen mir die mahnenden Worte von vielen Bürgern aus meiner Heimat in den Kopf, die jedes Jahr aufs Neue an Silvester mahnend den frommen Spruch ¨Lieber Brot statt Böller¨ unter die Leute streuten, um das Gewissen der Menschen zu beschweren und die Spendenbereitschaft zu erhöhen. Hier, in einem der ärmsten Ländern Lateinamerikas wollte man es an Silvester dagegen richtig krachen lassen und Brot schien da nicht so wichtig zu sein, was mir sympathischer war als das Gerede der heimischen Weltverbesserer. Die Menschen in Lateinamerika verfügten über die Eigenschaft, den Tag zu feiern, wie er kommt, während sich die von Sorgen geplagten heimischen Moralapostel eine vermeintlich optimale Welt zusammen schustern wollten, wie man an den vielfältigen Einschränkungen freiheitlicher Rechte in den letzten Jahren, der zunehmenden Gewissensdiktatur und der fortschreitenden linksideologischen Regelungswut beobachten kann.

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Antigua

Es war erst ein paar Tage her, als ich in Guatemala angekommen war und bevor ich in das hübsche Bergdorf Antigua reiste, in dem sich der besagte Böllermarkt befand, hatte ich zwei Tage in der Hauptstadt verbracht. Ein finsteres und kriminelles Umfeld war mir dort begegnet. Schon am Flughafen hatte ich ein ungutes Gefühl gehabt, als ich keine registrierten Taxis finden konnte und die gesamte Umgebung vor dem Terminal, wenn man das Gebäude überhaupt als solches bezeichnen konnte, einen wenig vertrauensvollen Eindruck hinterlassen hatte. Man konnte gar nicht deuten, was die vielen Gestalten, die vor dem Ausgang des Flughafens herumlungerten dort eigentlich zu suchen hatten, allerdings lag die Vermutung nahe, dass sie nichts Gutes im Schilde führten. Es gab nur einen Polizisten, der in seiner abgeschundenen Uniform weitgehend teilnahmslos in einem verlumpten Sessel vor der Eingangstüre saß. Ich konnte ihm wenigstens den Gefallen abringen, sich das Nummernschild von dem Taxi aufzuschreiben, das mich in die Stadt bringen sollte, wobei es sich hier eher um eine private Fahrt gehandelt hatte, zumindest konnte man an dem schrottreifen Wagen keine Merkmale finden, die auf ein offizielles Transportmittel hätten schließen lassen. Ich war trotzdem wohlbehalten bei meiner Pension im Zentrum von Guatemala City angekommen und befand mich hier in einer Umgebung, in der es weder Supermärkte noch Bars gab, wahrscheinlich weil sie wegen der vielen Erpressungsdelikte und Raubüberfälle kaum einen Überlebenschance hatten. Einkäufe konnte man nur über kleine, vergitterte Öffnungen tätigen, die sich in manchen Häusern befanden. Hierdurch wurde die Ware dem Kunden übergeben und da diese Luken so klein und  schmal waren, konnte man auch nur kleine Artikel kaufen. Im Zentrum der Stadt auf dem Markt, gut drei Blöcke von meiner Pension entfernt, sah es etwas besser aus. Zwar war auch hier alles bitterarm, doch man konnte wenigstens ein Hühnchen mit Reis an einem der Essensstände kaufen. Bei solch einer Mahlzeit hatte ich zwei sehr gepflegte ältere Damen kennen gelernt, die den Charme von netten Großmüttern versprühten und mich herzlich am Abend dazu einluden, mit ihnen in eine Bar zu gehen, was mir vermutlich nicht allzu gut bekommen wäre, bedenkt man, wie oft hier K.o. Tropfen zum Einsatz kamen. Entsprechend grob und ungehalten wurden die beiden plötzlich, als ich ihr Angebot ausgeschlagen hatte, ja sogar richtig gehässig sind sie geworden, so dass ich mich fluchtartig in meine Pension begab. Am kommenden Tag war ich froh gewesen, als ich diese finstere Stadt verlassen konnte und mit dem Bus in Richtung Antigua losgefahren war.

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Grenze Honduras

Von der Dachterrasse meines Hotels aus konnte ich auf der rechten Seite einen beständig rauchenden  Vulkan sehen, vor mir türmte sich ein zweiter, jedoch weitaus ruhigerer Vulkan auf und der Blick von der hinteren Seite der Dachterrasse führte zu einem Hügel hinauf, über dem ein großes Kreuz thronte. Da mein Hotel in der Mitte von Antigua lag, beschreibt diese Sichtweise auch ziemlich genau die Lage der Stadt, die nicht nur aufgrund der umgebenen Vulkanlandschaft, sondern auch wegen ihres spanischen Kolonialstils ein sehr beliebtes Reiseziel war. In Antigua war die Sicherheitslage weitaus besser, als in Guatemala City, aber immer noch gefährdet genug, als dass selbst kleine Minimärkte sich einen Sicherheitsdienst leisteten und am Eingang jedes Ladens grimmige Kerle mit Pump Guns und Revolvern standen. Die Besichtigung des bereits erwähnten Kreuzes, von dem aus man einen großartigen Überblick über das Städtchen und seine Vulkan hatte, musste ich zusammen mit einer großen Gruppe von Menschen antreten, die einmal am Tag von dem Militär an einer Sammelstelle abgeholt und die gut 200 Meter auf den Hügel hinauf eskortiert wurde. Nicht selten schon waren den Erzählungen nach, Einzelgänger und Gruppen ohne Eskortierung bis auf das letzte Hemd beraubt worden und den Hügel nackt wieder herunter gekommen. Man musste vorsichtig sein, besonders wenn man am Abend unterwegs war, wo ich meistens auf einer Rooftop Bar saß und während des Sonnenuntergangs das Geschehen auf den Straßen beobachtete. Groß war Antigua nicht, wodurch man sich schnell kennen lernte, wenn auch nur durch wiederholte Begegnungen und nicht durch direkte Interaktion. Der Boss, wie ich in nannte, betrieb ein Backpacker Hostel, fuhr eine alte S-Klasse und dirigierte die Verkäufer in den umliegenden Marktständen herum, als wären sie seine Angestellten. Er machte allerlei Geschäfte und hatte in seinem Angebotsportfolio auch eine kleine Reiseagentur, in der ich einen Ausflug nach Copan in Honduras und eine Trekking Tour zum Volcan de Aqua buchte. Beides waren sehr willkommene Abwechslungen, da ich außer der Besteigung des Hügels zu dem Kreuz noch nichts Wesentliches auf dem Trip unternommen und mir die Zeit bisher in Spanischschulen vertrieben hatte, um meine Sprachkenntnisse aufzubessern.

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Die Bar

Mein Lehrer hatte mich in der Schule bitterlich angefleht, weiterhin bei ihm Unterricht zu nehmen und den Kurs nicht abzubrechen, aber nach zwei Wochen auf der Schulbank packte mich das Reisefieber wieder und ich musste gehen. Seine Klagen waren am Ende so erbärmlich gewesen, dass ich ein schlechtes Gewissen bekommen hatte und beinahe hoffen musste, er würde ohne mein Schulgelt nicht verhungern müssen. Mein schlechtes Gewissen verfolgte mich noch auf der Fahrt nach Honduras, wo die Ruinen von Copan auf uns warteten. Wir, das waren eine Gruppe von etwa acht Personen, die meisten davon aus den USA, einer auch aus Österreich, dazu ein kleiner runder Fahrer mit einem spitzen Schnauzbart. Zu meiner Erheiterung erkannte ich erst, als wir nach vier Stunden Fahrt die Grenze erreicht hatten, wie die übrigen Teilnehmer der Gruppe mit ihren weißen Explorationshüten aussahen, als wären sie Hobbyarchäologen und ich verstand nun auch, warum die Gespräche auf der Fahrt überwiegend von den untergegangenen Kulturen Mittelamerikas gehandelt hatten, was dem Ausflug gewissermaßen einen intellektuellen Anstrich gab. Natürlich haben auch mir letztendlich die Ruinen der versunkenen Maja Kultur gefallen, nachdem ich sie zusammen mit der Gruppe besichtigt hatte, aber eigentlich fand ich die Bar noch viel interessanter, in die wir nach dem kulturellen Programm einkehrt waren. Den Kellnerinnen gelang hier glatt das Kunststück, die Bierflaschen auf dem Kopf jonglierend an die Tische bringen und obwohl Copan ein verschlafenes Nest war, ging es bis in die frühen Morgenstunden hinein zu, wie in einem gut besuchten Londoner Pub. Für mich war das kein Problem, für unseren Fahrer allerdings schon. Ebenso, wie auf der Hinfahrt, durfte ich auch auf der Rückfahrt im Beifahrersitz des kleinen Toyota Minibusses Platz nehmen und bemerkte gleich zu Beginn unserer Rückfahrt, wie er vor lauter Müdigkeit seine Augen rollte und verschlafen aus den Augenlieder blinzelte. Als ihm die Augen immer öfter zufielen und unter dem Eindruck eines schrecklichen Unfalls, den wir schaudernd auf der Herfahrt hatten sehen müssen, versuchte ich den kleinen Kerl beinahe verzweifelt  mit meinem recht bescheidenen Spanisch in ein Gespräch zu verwickeln, was mir auch gut zwei Stunden lange gelang, bis ich nicht mehr weiter wusste, während die übrigen Touristen in dem Fahrzeug längst eingeschlafen waren und von der brenzligen Situation nichts mitbekamen. Plötzlich ließ es einen Schlag und alle saßen hellwach und aufrecht in dem Minibus. Wir waren zu nahe an den Straßenrand gekommen und über einen ziemlich großen Stein gefahren, worauf der müde Fahrer das Lenkrad herum gerissen hatte und wir kurz ins Schlingern gekommen waren. Als anschließend alle ratlos um den Bus herum standen und auf den lädierten Reifen schauten, war ich heilfroh, dass sich der Vorfall nicht bereits in den zuvor passierten Serpentinenstraßen zugetragen hatte, sondern erst, als die Landschaft wieder etwas flacher war.

Reiseberichte:

Travel Report 11/1: Unter Kriminellen
Travel Report 11/2: Brot statt Böller

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