Travel Report 16/4: Am Viktoriasee

2012, Kenia/Uganda: Einige Tage nachdem die Safari in der Serengeti beendet war, fuhr der Bus zu meinem nächsten Ziel in das nordwestlich gelegene Uganda los. Als ich auf der Fahrt die eintönige Steppe vorbei ziehen sah, überlegte ich mir angesichts der Eindrücke aus dem afrikanischen Dorf, in dem ich mich zwei Tage aufgehalten hatte, wie hart man sich hier einen bescheidenen Wohlstand erarbeiten musste. Julius war nicht nur Reiseführer gewesen, sondern hatte auch einen Laden mit Metallwaren in seinem Dorf betrieben und hielt sich einen halben Bauernhof (Travel Report 16/3). Sein Haus erweiterte er Zug um Zug, doch alles ging nur sehr zögerlich voran, denn er war nicht durchgehend gebucht, lebte von Mund zu Mund Propaganda und sein Safarijeep hatte mindestens 30.000 Dollar gekostet. Um sich noch ein weiteres Standbein aufzubauen, plante er zudem ein Hostel auf einem Stück Land, dass er gekauft hatte. Obwohl mir die Menschen in dem Dorf von Julius nicht besonders arm vorkamen, mussten sie sich mit sehr vielen Ideen und Improvisationskunst ihr tägliches Brot verdienen, was in mir eine gewisse Bewunderung weckte, bedenkt man das Gejammer daheim über unser angeblich ungerechtes Sozialsystem. Das Dorf hatte einen friedlichen Eindruck auf mich gemacht, doch als ich im Morgengrauen des Neujahrtages einige Meter auf die Felder hinauslaufen wollte, um den rosarot schimmernden Kilimandscharo zu fotografieren, bestand Julius darauf, dass ich von seinem Sohn bekleidet wurde. Es waren wirklich nur einige Meter, die ich mich von seinem Haus entfernen wollte, aber irgendetwas stimmte nicht, als er meinte, die Nachbarn könnten sich vor mir fürchten.

Es dauerte nicht lange und kaum waren zwei Stunden vergangen, hatte der Bus auch schon die kenianische Grenze erreicht und ich versuchte mir, die Gesichter der anderen Passagiere gut einzuprägen, um bei den Grenzformalitäten nicht den Anschluss zu verlieren. Trotzdem machte sich an der Grenze Nervosität breit, als ich bemerkte, dass ich als letzter den Grenzposten verließ und schon befürchten musste, nicht rechtzeitig vor Abfahrt wieder an Bord des Busses zu sein. Grenzübergänge waren immer eine strapazierende Angelegenheit und jede Grenze hatte ihre individuellen Eigenarten. In diesem Falle war es das unkoordinierte Gedränge vor den Grenzbeamten gewesen, an dem ich mich nicht hatte beteiligen wollen. Gegen Mitternacht fuhren wir in Nairobi ein, wo der Bus einen einstündigen Zwischenstopp einlegte. Zu meiner Verwunderung wurde ich des Platzes verwiesen, als ich mir eine Zigarette anzünden wollte. Angeblich war die gesamte Stadt, die zu den kriminellsten der Welt zählte, mit einem Rauchverbot belegt, so dass ich beim Rauchen meinen Kopf unter dem Abdeckblech des Motors am Heck des Busses verstecken musste. Als sich dieser wieder in Gang gesetzt hatte, war es bitter kalt geworden und ich saß mit meiner unzureichenden Ausrüstung, die aus drei übereinander angezogenen dünnen Wollpullovern bestand, in meinem Sitz und fror, während sich die afrikanischen Passagiere in dicken Daunenjacken eingehüllt hatten. Trotzdem schlief ich bald ein und ich hätte den Grenzübertritt nach Uganda verpasst, wäre nicht einer der Passagiere so aufmerksam gewesen, mich aufzuwecken.

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In Kampala

Zu Hause hatten mich mahnende Stimmen vor Uganda gewarnt, kannte man das Land ja nur aus dem Fernsehen, wo vor Jahren der Bürgerkrieg in seinen schlimmsten Bildern an die Wand gemalt worden war. Als ich in der Hauptstadt ankam, konnte ich mich überall frei bewegen und selbst in den abgelegenen Stadtteilen von Kampala gab es nichts, wovon man sich hätte fürchten müssten. Kriminalität war dem Anschein nach keine vorhanden, hingegen waren die Menschen sehr nett und freundlich und man konnte die Bilder aus den deutschen Medien kaum glauben, die aktuell von öffentlichen Verbrennungen homosexueller Personen in Uganda berichteten. Das Red Chili Hideaway sollte mein zukünftiger Maßstab für die Beurteilung von Unterkünften auf den gängigen Reiseportalen werden. Dieser große, ummauerte Komplex am Rande der Stadt, bot für jeden Reisenden das passende und verfügte neben einer Bar und einem Restaurant auch über einen kleinen Swimming Pool. Neben den üblichen Schlafsälen, die in einfacher und gehobener Ausführung vorhanden waren, standen auch Einzelzimmer, wie ich eines gebucht hatte, zur Verfügung und man konnte selbst kleine Hütten und ganze Häuser als Unterkunft anmieten. An diesem Ort machte ich abends an der Feuerstelle zum ersten Mal Begegnung mit den umgebauten Überlandtrucks, die auf fest gelegten Routen durch Afrika fuhren und die Passagiere bequem von Nationalpark zu Nationalpark und hin zu den Sehenswürdigkeiten brachten. Ich notierte mir die Internet Adresse ¨Absoluteafrica.com¨ auf einem der Trucks, die im Red Chili eine Pause einlegten und die bei einer zukünftigen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht geplanten Reise durch das südliche Afrika eine große Rolle spielen sollten (Travel 20).

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Uganda Cob

Der Wildbestand hatte sich vom Bürgerkrieg erholt und die Nationalparks in Uganda ihre frühere Attraktivität längst wieder erlangt. Es war ein abwechslungsreiches Land, in dem man nicht nur Safaris beiwohnen, sondern auch an Bergbesteigungen teilnehmen konnte, aber zu den Höhepunkten einer Reise hierher zählten die Gorilla-Trecks. Ich konnte mir zeitbeding das alles freilich nicht ansehen, hatte in dem Reisebüro des Red Chili Hideaways aber immerhin eine Tour zu den Murchington Falls gebucht. War ich durch die Serengeti, in der eine Safari wohl unvergleichlich ist, bereits etwas verwöhnt, so hatte die Safari in Uganda auch einiges geboten. Hier gab es mit dem Uganda Cob einen endemischen Springbock, vielmehr aber machte die reiche Fülle an bunten Vögeln, von denen es an die 1.000 verschiedenen Arten gab, die Safari so einzigartig. Es waren recht unerfahrene, junge Afrikaner, die uns in einem Minibus durch die Wildnis fuhren und es dabei für den Fotografen manchmal viel zu eilig hatten. Zunächst ließ ich den anderen Teilnehmern den Vortritt und beteiligte mich nur bedingt an der Fotoorgie. Erst als wir auf einem Boot den Fluss hinauf zu den Wasserfällen fuhren, kam auch ich aus dem Fotografieren nicht mehr heraus, als Bienenfresser, Jacanas und Kingfisher die Ufer säumten. Der Höhepunkt der Vogelwelt zeigte sich schließlich in unserem Nachtlager, wo mannsgroße Störche stolz zwischen unseren Zelten hindurch marschierten und dabei einer in Anzug und Frack gekleideten Ballgesellschaft ähnelten.

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Der Storch

Es war mitten im Niemandsland von Uganda, wo ich mich mit einem der Dorfbewohner aus der Nähe des Nachtlagers über alternative Energien und die nachhaltige Versorgung mit Strom unterhielt. Zu Hause hatte ich gelernt, dass die Afrikaner über eine große Anzahl an Kindern verfügten, damit diese beim Holz sammeln für die Küche helfen konnten, wodurch es aber immer weniger Holz gäbe. Der Dorfbewohner, mit dem ich mich unterhielt, schien nicht zu dieser Art von Holzsammlern zu gehören, er wollte sich lieber zwei Solarpaneele besorgen, mit denen er zukünftig seinen Strom zu produzieren plante. Es sollten allerdings nicht die billigen aus China sein, sondern richtige, wie sie in Deutschland hergestellt wurden. Mitten in unser Gespräch hinein drängte sich ein junges amerikanisches Pärchen, das so aussah als wollte es Uganda am liebsten so schnell wie möglich wieder verlassen. Die Beiden hatten hier, womöglich damit sie etwas Soziales in ihren Lebenslauf schreiben konnten, eine zwei wöchige Hospitanz in einem Krankenhaus angetreten und berichteten schlimmes. Natürlich waren sie nicht so erfahren, wie die italienische Krankenschwester, die ebenfalls auf Safari dabei war und bereits mehrere Monate im Freiwilligendienst einer internationalen Hilfsorganisation im Norden von Uganda gewesen war. Als ich am Vortag mit ihr redete, war sie völlig desillusioniert. Wie sie berichtete, herrschte im Norden Ugandas vollständige Armut bei einer Fertilität von neun Kindern pro Frau und die Ziegen der Einheimischen fraßen das gesamte Land leer. Dabei wäre es einfach gewesen, die Bevölkerung zu ernähren, hätte man statt der Weidewirtschaft lieber Ackerbau betrieben und so ein Vielfaches an Nahrungsmittel gewonnen. Das Fleisch der mageren Ziegen war ohnehin nicht für die einheimische Bevölkerung bestimmt, vielmehr stellte das Vieh eine Art Geldanlage dar, eben mit dem Nachteil, dass kein Getreide angebaut werden konnte. Die Italienerin, obwohl Idealistin, hatte die Brocken hingeworfen. In dem von Spenden und Entwicklungshilfe finanzierten Krankenhaus, was man ursprünglich aufzubauen gedachte, wurde alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest war, so dass die infrastrukturelle Maßnahme keinen Sinn mehr gemacht hatte und aufgegeben worden war.

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Kingfisher

Mir war es schon seit einer Weile aufgefallen gewesen, aber in Jinja am Viktoriasee, wo ich mich einige Tage später aufhielt, ist mir noch einmal besonders ins Auge gestochen, in welch großer Anzahl junge englische Frauen in diesem Teil von Afrika unterwegs waren. Vermutlich lag das in der früheren Kolonialpolitik des Empires begründet, trotzdem war es verwunderlich, zumal ich bisher noch kaum Zentraleuropäer angetroffen hatte. Die Briten schienen dem schwarzen Kontinent weitaus aufgeschlossener zu sein, vielleicht auch weil die BBC ein objektiveres Bild von Afrika vermittelte als es die heimischen öffentlich finanzierten Zwangsanstalten taten. Auch in Jinja, ebenso wie in Kampala, konnte ich überall unbehelligt durch die Straßen laufen und selbst in abgelegenen Gegenden in der Nähe des Viktoriasees wurde ich freundlich gegrüßt, wenn ich vereinzelt jemandem begegnete. Nichts von den Warnhinweisen des Auswärtigen Amtes schien von Relevanz, selbst am See war ich von den freundlichen Fischern herzlich in Empfang genommen und auf dem Wasser ausgefahren worden. Nach Jinja kam man nicht, um soziale Dienste zu leisten, wie es viele der jungen englischen Frauen im Land taten, sondern um Actionsport zu betreiben. Neben dem Kayak war hier das Rafting ein angesagter Zeitvertreib und ob geübt oder ungeübt, schien jeder den Fluss hinunter donnern zu müssen. Meine Frage, warum man ausgerechnet in Afrika für das halbe Jahreseinkommen eines Einheimischen durch die Strudel des wilden Viktoria Nils hindurch tanzen musste und gleichwohl den Sport nicht daheim betrieb, wo alles viel sicherer war, konnte mir von dem sportbegeisterten Partyvolk freilich nicht beantwortet werden.

Reiseberichte:

Travel Report 16/1: Ausversehen in Äthiopien
Travel Report 16/2: Verbrannt
Travel Report 16/3: Zwischen Meru und Kilimanjaro
Travel Report 16/4: Am Viktoriasee
Travel Report 16/5: Am Blauen Nil

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