Travel Report 23/1: Die Grenze vom Iran nach Aserbaidschan

2014, Teheran: Ich hatte lange im Internet nach Möglichkeiten gesucht, wie man von Teheran aus mit dem Bus in den Nordirak fahren könnte, aber außer den üblichen Warnhinweisen keine brauchbaren Informationen gefunden. Als ich im Tehraner Bus Terminal mein Ticket nach Baku löste, war die Frage schnell beantwortet, denn trotz der kürzlich zuvor ausgebrochenen Kampfhandlungen zwischen den Kurden und dem Islamischen Staat, verkehrten weiterhin zahllose Busse zwischen den beiden Ländern und es wurde noch immer reger Handel zwischen den Ländern getrieben. Da jetzt allerdings Arbil, die Stadt, die ich vor dem Krieg aufgrund ihrer einzigartigen Zitadelle zu besuchen geplant hatte, belagert wurde, konnte ich das Unterfangen nicht in Angriff nehmen. Die meisten Passagiere, die in den Nordirak fuhren, steuerten inzwischen überwiegend das etwas weiter östlich von Arbil gelegene Sulemanyae an. Ein gepflegter junger Iraner, der mit seinen langen Haaren, gezupften Augenbrauen und schwarz geschminkten Augenlidern wartend vor einem der Busse in Richtung Irak stand, erklärte mir, er würde von dort aus nach Malaysia in den Urlaub fliegen. Alles ging hier also den gewohnten Gang der Dinge, auch wenn die deutschen Medien auf manipulative Art und Weise diesen Teil der Welt so darstellten, als würde man sich bei einem Aufenthalt hier um Kopf und Kragen bringen. Mein Bus fuhr erst am folgenden Abend nach Baku los, ich musste vom Terminal also noch einmal zu meinem Hotel in das Stadtzentrum zurück und entschloss ich mich, hierzu die bestens funktionierenden Metro zu benutzen, die mich schon an den Tagen zuvor kreuz und quer durch Teheran geführt hatte. Als ich an der Station ankam, stand der Zug schon abfahrbereit da, was mich ungeachtet des ablehnend winkenden Mannes an der Türe zu einem Sprung in Waggon hinein verleitete, wo ich direkt im Frauen Abteil landete. Die schwarz gekleideten Damen nahmen keine Notiz von mir und ich wechselte bei der ersten Gelegenheit in die gemischte Abteilung. Alles halb so wild, dachte ich, selbst wenn man die Regeln verletzt.

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Tehran

Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits seit knapp zwei Wochen im Iran unterwegs und hatte mir vom Süden her kommend, neben Shiraz und den Ruinen von Persepolis auch bereits Yazd, Isfahan und Qom angesehen, ehe ich in der Teheran angekommen war. Dabei kam es des Öfteren vor, dass ich sehr herzlich auf der Straße angesprochen und willkommen geheißen wurde. Auch hatte ich einen Fahrradfahrer kennen gelernt, der im Zuge seiner Durchreise durch den Iran nicht ein einziges Mal in einem Hotel übernachten musste, da er in voller Gastfreundschaft stets privat zur Übernachtung eingeladen geworden war. Die Leute gaben sich redlich Mühe, mir zu verstehen zu geben, dass sie keine Terroristen seien und auch keinen Krieg mit dem Westen wollten. Somit hatte sich hier vor Ort schnell ein völlig anderes Bild abgezeichnet, als es die Schmier- und Lügenpresse und der öffentlich rechtliche Manipulationsapparat in Deutschland jahrelang an die Wand gemalt hatten. Die Gesellschaft im Iran schien meiner Beobachtung nach allerdings in zwei Lager gespalten zu sein. Einmal gab es da die konservativen Traditionalisten, die das Heft in der Hand hielten und auf der anderen Seite die jungen Liberalen. So kam es nicht selten vor, dass mir in Teheran eine Frau über den Weg gelaufen ist, die das Kopftuch soweit hinein in die Haare verwebt hatten, dass es als solches gar nicht mehr wahrnehmbar war. Zumindest bei den jungen Liberalen schien die Kopftuchpflicht keine freiwillige Angelegenheit zu sein, wie es uns die Vorzeigemuslimas in den deutschen Talkshows weismachen wollten. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass die fortschrittlichen Teile der Gesellschaft hier im Iran sehr unter der staatlichen Doktrin zu leiden hatten. Im Gegensatz zu der westlichen Propaganda, in der fortwährend die Rede von Menschen war, die im Iran aufgrund von Fotoaufnahmen inhaftiert worden wären, hatte die gesamte Zeit über unbehelligt tun und lassen können, was ich wollte. Fotografieren war überhaupt kein Problem und als ich einige Tage zuvor durch die noblen Wohnviertel der Nordstadt lief, um den Berg hinter Teheran zu besteigen, hätte ich angesichts der westlich anmutenden Wohngegenden nicht geahnt, in einem Land zu sein, dem so viel Schlechtes zugeschrieben wurde.

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Hafes Tomp

Mein Bus sollte erst um zehn Uhr Abends abfahren, doch ich saß bereits um sechs Uhr an der Busstation, um auch sicherzugehen, dass alles wie geplant funktionieren würde. Die Angewohnheit, auf den Reisen alles kontrollieren zu wollen und die Reiseroute wie ein Uhrwerk ab zu fahren, war in den früheren Jahren, als alles viel chaotischer verlaufen war, bei mir nicht sehr ausgeprägt gewesen, wie dies inzwischen der Fall war. Vor dem Verkaufsstand des Busunternehmens nach Aserbaidschan bemerkte ich einen blonden jungen Mann mit blauen Augen und vermutete einen anderen Ausländer, mit dem selben Reiseziel. Als zweites fiel mir ein älterer Herr mit einem für iranische Verhältnisse untypisch nach hinten gekämmten Haarstil auf. Ich behielt die beiden zusammen mit dem Verkaufsstand des Busunternehmens im Blick, während die Stunden vergingen. Falls sie Ausländer wären, könnte ich sie zur Not um Hilfe bitten, so meine Überlegung, schließlich war es aufgrund meiner fehlenden Kenntnisse der persischen Sprache schlichtweg nicht möglich mit dem offiziellen Personal im Terminal zu kommunizieren. Mit etwas Verspätung fuhr der Bus vor und die beiden Männer stiegen neben einer Gruppe von dicken Azeri Frauen, meiner Person und noch einer Handvoll anderer Reisender in den Bus ein. Ziemlich schnell nach der Abfahrt war ich schon eingeschlafen und wachte erst wieder auf, als der Bus mitten im Niemandsland angehalten hatte und draußen einige schwarze Autos zu sehen waren. Es war sechs Uhr morgens, zu meiner Verwunderung stiegen alle Passagiere aus und fuhren nach und nach mit den Fahrzeugen fort. Während ich zunächst ratlos vor dem Bus stand und der Fahrer mit zuckenden Schultern auf mich einredete, kam der blondhaarige Passagier auf mich zu, den ich am Tag zuvor beobachtet hatte und stellte sich mir mit seinem Namen ¨Hadi¨ vor. In sehr gutem Englisch erklärte er mir, dass wir in Astara angekommen waren und nun mit dem Taxi an die Grenze fahren mussten, während der Bus einen anderen Streckenverlauf nehmen würde.

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Qom

Hadi lud mich auf einen Kaffee ein, da die Grenze noch nicht geöffnet war. Ich hatte mich geirrt, mein neuer Weggefährte, der so gänzlich uniranisch aussah, stammte doch von hier und zwar aus der Provinz West-Aserbaidschan im Nordwesten des Landes. Es wird geprügelt werden, teilte er mir mit, als sich der Wartesaal an der Grenze zunehmend mit Menschen füllte und je weiter wir uns der Öffnungszeit um acht Uhr näherten, desto unruhiger wurde die Stimmung. Einige der Wartenden versuchten sich Sitzplätze in aussichtsreicher Lage vor den wackeligen Glastüren des Inspektionsraums zu verschaffen, wodurch die ersten Rangeleien entstanden. Die Unruhe steigerte sich stetig und als man um fünf nach acht zunehmend Bewegung hinter der milchigen Glasabsperrung sehen konnte, gab es ein größeres, von Wortgefechten begleitetes Gedränge. Gut fünf Minuten später wurde eine der Glastüren einen Spalt geöffnet und ein Beamter des iranischen Grenzschutzes gab die Anweisung, alle Pässe einzusammeln und an ihn zu überreichen. Inzwischen waren gut 200 Menschen in dem Wartesaal versammelt, so dass ein chaotischer Ablauf der Prozedur unvermeidbar war. Ich übergab meinen Pass einem der engagierten Einsammler, die sich freiwillig aus den Reihen der Wartenden hervorgetan hatten und sah mit Wehmut, wie er im Gewühl der anderen Pässe versank, ehe dem Grenzbeamten zwei gut einen Meter hohe Stapel übergeben wurden. Nach etwa zwanzig Minuten reichte eine Hand päckchenweise die Reisepässe wieder durch den Türspalt heraus, wovon sie unter lautem Gebrüll der jeweiligen Namen von den selben Männern zurück in die Menge gegeben wurden, die sie zuvor eingesammelt hatten. Mit großer Aufregung beobachtete ich die Szene, meinen Namen würde hier ja keiner aussprechen können, ehe mich Hadi antippte ich sah, wie die Hand einen letzten Pass aus dem Türspalt reichte und es meiner war. In Erwartung darüber, dass nun die Grenze bald ihre Pforten öffnen würde, drängte die Masse immer stärker an die Türe und die ersten Handgemenge um die beste Ausgangsposition entstanden in den vordersten Reihen, wobei die Wortgefechte inzwischen an Lautstärke gewonnen hatten. Als sich die Türen öffneten entstand regelrechter Tumult, darunter eine alte, halb verschleierte Frau, die neben einigen schreienden Kindern mit der Handtasche auf ihr Gegenüber einschlug. Daneben drängten sich mehrere Männer bis sie Hals über Kopf von anderen Reisenden nieder gerissen wurden, die eine Abkürzung über die quer stehenden Sitzbänke genommen hatten. Im Hintergrund drückten die Polizisten, wohl aus Angst um das Heil der Glastüren, von innen dagegen, doch es war schon abzusehen, dass sie nicht mehr lange würden bestehen können. Während lautes kreischen von mehreren zusammengedrückten Frauen ein einer Ecke des Wartesaals zu vernehmen war, machten sich zwei jüngere Männer an einer Seitentür zu schaffen und als die Polizisten dem Druck schließlich nicht mehr Stand halten konnten, sprangen die Türen auf und die ersten Reihen stolperten übereinander in den Inspektionsraum hinein, so dass es ein Wunder war, dass keiner zertrampelt wurde. Nickend schaute mich Hadi an, während uns ein Polizist, wohl aufgrund meiner Nationalität, über einen Seiteneingang hinein ließ, man traute mir wahrscheinlich nicht zu, hier in der Menge als Fremder bestehen zu können.

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Yazd

Glaubte man den Berichten im Internet, so sollte der Grenzübertritt zwischen drei und sieben Stunden dauern, es begann jetzt also die Zeit des großen Wartens. Ich war besorgt, den Bus nicht zu verpassen, den ich seit Stunden nicht mehr gesehen hatte und stand nervös in der Schlange vor dem Grenzbeamten. Als ich endlich meinen Pass überreichen konnte, waren alle anderen Passagiere meines Busses bereits durch den Zoll  gegangen. Mit wütenden Blicken musterten mich die Personen in der Schlange hinter mir, als ich in den Genuss einer Sonderbehandlung kam und der Grenzbeamte mit meinem Pass in einen Seitenraum ging, um zu telefonieren. Ich hatte zuvor meine Reiseroute im Detail aufschreiben müssen und war mir ziemlich sicher, dass er jetzt alle Hotels durchtelefonierte, um herauszufinden, ob ich mich dort ordentlich benommen hatte. Nach gut einer halben Stunde war ich endlich durch und lief an die Grenzbrücke, wo zu meiner Erleichterung die übrigen Passagiere des Busses ebenfalls noch warteten, wobei die Frauen jetzt alle unverschleiert waren. Eine Stunde später erschien der Bus und wir konnten in den aserbaidschanischen Grenzbereich weiterfahren, wo wir eine weitere Stunde in der brütenden Hitze warteten, ehe wir nach langem hin und her unsere Einreisestempel bekamen. Was bei der Einreiseprozedur vor sich ging, kann ich nicht sagen, jedenfalls wurde ich mehrfach in die Grenzstation gerufen, um dort barsch empfangen und gleich wieder des Raumes verwiesen zu werden. Dem älteren Mann mit den untypisch zurück gekämmten Haaren, den ich schon am Tag zuvor beobachtet hatte, ging es ähnlich, er hatte mehrere tausend Dollar an der Grenze deklariert und wurde nun sehr kritisch von den Grenzbeamten in Augenschein genommen. Das ging ja relativ schnell, dachte ich mir und war froh, als der Bus los fuhr, um keine fünf Minuten später auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden. Wir fuhren nicht weiter, sondern auf einen Parkplatz vor einem Duty-Free Shop, wir konnten die Grenze also noch nicht überschritten haben. Ich erkundigte mich, was vor sich ging und erfuhr, dass die Grenze von elf Uhr bis zwei Uhr Mittagspause machen würde und wir so lange hier warten müssten.

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Baku

Hadi hatte als nicht praktizierender Moslem gleich einige Flaschen Bier in dem Duty Free Shop besorgt und teilte diese mit mir im Schatten eines Baumes. Während wir das steuerfreie Bier konsumierten, lagen etliche ausgezogene Schlappen in der Nähe, die zu den betenden Männern gehörten, die neben uns auf ihren ausgerollten Teppichen sich in Richtung Mekka bückten. Wozu der ganze Stress in der Hitze, dachte ich mir, schließlich würde der Irrglauben ja ohnehin niemand ins Paradies bringen. Ich erfuhr nun mehr von Hadis Geschichte und seinen Beweggründen, nach Aserbaidschan zu kommen. Sein Vater war beim iranischen Geheimdienst tätig gewesen, betrieb aber bereits seit vielen Jahren eine Farm, wodurch es gelungen war, über 100.000 US Dollar zusammen zu sparen, mit denen der Iraner nun in den USA Kunstgeschichte studieren wollte. Er war auf dem Weg nach Baku zur amerikanischen Botschaft, um dort diesbezüglich für ein Visum vorzusprechen, die Zusage der Universität hatte er schon in der Tasche. Nach drei quälenden Stunden in der Hitze von über 40 Grad im Schatten konnten wir endlich wieder zurück an den Grenzposten fahren, wo in einem weiteren gut sechs stündigen Prozess das gesamte Gepäck ausgeladen und geröntgt wurde. Die Prozedur ging sehr langsam von Statten. Nicht nur, dass die Grenzbeamten alle Zeit der Welt hatten, die Busfahrer vor uns in der Schlange transportierten zudem jede Menge privater Güter, es gab also viel ein- und auszuladen und zu röntgen. Ich ärgerte mich sehr über diese Unannehmlichkeit, insbesondere über den Grenzbeamten, der eigentlich den Röntgenbildschirm überwachen sollte, es aber vorzog, am Telefon Text-Nachrichten zu schreiben. Zu guter Letzt wurde der Bus noch in einer riesigen Röntgenhalle komplett durchleuchtet und schließlich das gesamte Gepäck wieder eingeladen, so dass wir uns nach zwölf Stunden an der Grenze endlich in Richtung Baku aufmachen konnten, wo wir am späten Abend ankamen.

Reiseberichte:

Travel Report 23/1: Die Grenze vom Iran nach Aserbaidschan
Travel Report 23/2: Im wilden Kaukasus
Travel Report 23/3: Industrieruinen und Klöster

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