Travel Report 1/1: Auswanderungswillig

1993, Baden Württemberg: In voller Lautstärke dröhnte der Song „Welcome to the Jungle“ aus den Boxen, als ich die Autobahn entlang der beschaulichen Löwensteiner Berge hinunter fuhr und als mich plötzlich der dringende Wunsch überkam, nach Los Angeles zu fliegen. Pläne und Gedanken dieser Art hatten mich schon seit geraumer Zeit umgetrieben, denn schließlich kamen neben „Guns and Roses“ von dort auch noch einige der anderen meiner favorisierten Rockbands her und mein Lebensstil hätte meiner Ansicht nach schon seit langem eher zum sonnigen Kalifornien als zu einer ländlichen Region Südwestdeutschlands gepasst. In vielen Reportagen über die Stadt und die dortige Musik- und Nightlifeszene, hatte sich bei mir das Bild einer Welt von Freiheit, Sonne und Strand eingeprägt, das es erstrebenswert erscheinen ließ, einmal dort einen Besuch abzustatten oder am besten gleich dorthin auszuwandern. Wenn schon, warum nicht jetzt, überlegte ich mir, während ich noch ein paar Kilometer weiter fuhr, ehe sich mein Entschluss soweit verfestigt hatte, dass ich bei der nächsten Ausfahrt umdrehte, um an den Flughafen nach Frankfurt am Main zu fahren, der etwa zwei Autostunden entfernt lag. Das kleine Örtchen, in dem ich mein Auto direkt am Bahnhof abstellte, nannte sich Kelsterbach und lag in unmittelbarer Nachbarschaft des Flughafens. Aufgrund dieser Nähe war der gesamte Ort für Dauerparker gesperrt und die Anzahl der Warnschilder vom Abschleppdienst drängten sich dicht an dicht auf den Garagen, Ausfahrten und Parkplätzen.  Doch das war mir in diesem Moment egal, sollte man meinen Wagen doch abschleppen, eher wollte ich ja auswandern und ein Star im „Whisky a Gogo“ werden, als nur einen Kurztrip in die weit entfernte Stadt im Westen der USA zu unternehmen. Ganz sicher war ich mir meiner Sache aber nicht, so unterließ ich es, das Fahrzeug abzuschließen. Sollte ich doch wieder zurückkommen und das Auto benötigen, hoffte ich dadurch, dass man die Scheiben meines Fahrzeugs nicht einschlagen würde, wenn man das Radio aus dem Fahrzeug stehlen wollte. Um das Auto selbst machte ich mir keine Sorgen, es war rein gar nichts wert, längst ohne TÜV und technisch eigentlich gar nicht mehr auf dem Stand der Verkehrszulässigkeit, schließlich hatte ich zu dieser Zeit die Angewohnheit, am selben Tag als ich mir ein Auto zulegte, auch ein Paar Schuhe zu kaufen, wobei die Schuhe teurer sein mussten als der Wagen, was mir auch meistens gelang. Im Flughafen tauschte ich zunächst sechs oder sieben Schecks zu je vierhundert Mark ein, mit denen ich das Flugticket finanzierte. Außerdem benötigte ich ausreichend Startkapital, mit dem ich mich die ersten Tage in den USA durchschlagen konnte und ich musste mir noch eine Tasche, einige Drogerieartikel, sowie ein Handtuch und diverse Kleidungsstücke zulegen. Nach etwa zwei Stunden war alles erledigt und es war auch schon die Zeit gekommen, zum Flugsteig zu gehen. Die Reise ging los, mein erster Flug überhaupt und mein erster Aufenthalt außerhalb von Westeuropa stand an.

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Zu Fuß durch LA

Nach vielen Stunden in der Luft, ich wunderte mich, warum wir über Grönland geflogen waren, wechselte ich im Zuge eines Zwischenstopps in Pittsburg das Flugzeug. Der anschließende Inlandsflug führte quer durch die USA, wobei das Flugzeug langsamer war als die eintretende Dämmerung und ich aufgrund der einziehenden Nacht, zunehmend die ausgedehnten amerikanischen Städte wie leuchtende Inseln schimmernd unter mir sehen konnte. Am Ziel angekommen, drehte das Flugzeug auf den LA International Airport ein und der Blick über das achtzig Mal hundertfünfzig Kilometer ausgedehnte Lichtermeer dieser aufregenden Stadt raubte mir sogleich den Atem, hatte ich so etwas ja noch nie gesehen. Gleich kam der Entschluss, das Ereignis nach meiner Ankunft unbedingt mit zwei oder drei Dosen Bier feiern. Allerdings hatte ich gehört, dass man in den USA erst ab dem 21. Lebensjahr Alkohol kaufen durfte und ich wusste nicht, ob das auch für mich als Ausländer galt. Ein bisschen Bedenken hatte ich auch wegen der Prozedur bei der Immigration, da ich kaum Gepäck mit mir führte und man mich am Zoll für einen einwanderungswilligen Habenichts hätte halten können. Doch es lief alles problemlos und kaum eine halbe Stunde nach dem die Maschine gelandet war, stand ich schon vor dem Flughafen und wusste nicht wohin. Im Flughafen hatte ich noch einen Stadtplan gekauft und ausgemacht, dass die Venice Beach, was mein erster Aufenthaltsort sein sollte, mindestens zehn Kilometer vom Flughafen entfernt lag. Ein Hotel hatte ich auch nicht gebucht, Internet gab es noch nicht und über andere Informationsquellen hatte ich mich aufgrund des kurzfristigen Entschlusses hierher zu kommen, nicht informieren können. Ich überlegte mir, dass es wahrscheinlich keine gute Idee wäre, jetzt noch in die Stadt zu fahren und beschloss, mich von einem Taxi in ein Motel in der Nähe des Flughafens fahren zu lassen, in dem ich mich erst einmal von dem Flug erholen, feiern und alles weitere am kommenden Tag regeln wollte.

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Am Venice Beach

Das Motel war eine recht schlichte und einfache Einrichtung, hatte aber den Vorzug, dass sich ein Liquor Store direkt gegenüber befand. Ich war ja von ernsthaften Sorgen umtrieben gewesen, man würde mir hier kein Bier verkaufen, zumal ich zwar achtzehn Jahre alt war, aber viel jünger, eher wie ein sechzehnjähriger aussah. Jetzt lag ich auf meiner Couch, war gleich mit mehreren Sixpacks der Marke Becks ausgestattet und zappte zwischen amerikanischen Kitschserien und Sportsendungen im Fernsehen hin und her. Der Liquor Store, den ich gleich nach dem einchecken im Motel besuchte, war von einem Chinesen betrieben worden. Ich hatte mir vorgenommen, im Falle der Ablehnung meines Kaufgesuchs, ihm unter zu Hilfenahme meines österreichischen Reisepasses zu verdeutlichen, als österreichischer Staatsbürger bereits ab einem Alter von sechzehn Jahren über die Erlaubnis des Alkoholkonsums zu verfügen. Aber der Chinese fragte erst gar nicht nach meinem Alter, was mich dazu verleitete, die Gunst der Stunde zu nutzen und mir gleich einen Proviant anzulegen, damit ich in den kommenden Tagen nicht in irgendwelche Versorgungsschwierigkeiten kommen würde. Nach dem Besuch des Liquor Stores und als ich wieder zurück im Motel angekommen war, hatte ich noch ein paar Worte mit dem Rezeptionisten gesprochen. Es handelte sich um einen armen Kerl, der gerade mal eine Handvoll Dollar für seine Nachtschicht bekam. Der Verdienst dieses Mannes stellte lediglich einen Bruchteil von dem dar, was ich in Deutschland bei meinen vielen Gelegenheitsjobs in diversen Fabriken verdienen konnte. Ich war zwar in Europa bereits in vielen Ländern gewesen, aber noch nicht in Übersee, so dass ich wenig Ahnung von den USA hatte und der Rezeptionist schien zu einem anderen Amerika zu gehören, als ich es mir ausgemalt hatte und wie ich es aus den „Ein Colt für alle Fälle“ Sendungen bisher kannte. Es kamen plötzlich die ersten Zweifel auf, ob ich hier überhaupt in der Lage war, dauerhaft Fuß fassen zu können.

Reiseberichte:

Travel Report 1/1: Auswanderungswillig
Travel Report 1/2: Gescheitert

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