Travel Report 1/2: Gescheitert

1993, Los Angeles: Nachdem ich bei meinem ersten Aufenthalt in Übersee die Nacht in einem Motel in Los Angeles verbracht hatte, machte ich mich am kommenden Tag zu meinem ersten Ziel in der unendlich großen Stadt auf. Es sollte nach Venice Beach zum Cadillac Hotel gehen, das ich seit geraumer Zeit aus der Zeitschrift „Metal Hammer“ kannte. Der Glanz des Hotels, in dem sich früher Berühmtheiten wie Charlie Chaplin einquartiert hatten, war freilich längst erloschen, die Lage war aber optimal für einen Neuankömmling, da es direkt an der Promenade des berühmten Strandes angesiedelt war. Es war bereits früher Mittag, als ich aufbrach. Inzwischen  hatte ich beschlossen, die Strecke als eine Sightseeingtour durch die Stadt zu nutzen und die gut dreizehn Kilometer zu Fuß zurück zu legen. Schon an der ersten Straßenecke sah ich einen verlassenen Einkaufswagen und war froh über den willkommenen Zufall, da mehrere Sixpacks mit Becks Bier wie ein Stein in meiner Tasche lagen. Ausgestattet mit diesem neuen Utensil ging es gleich viel besser voran, auch wenn ich mir bei dem Anblick, den ich da abgab, recht komisch vorkam. Anhand der tags zuvor am Flughafen erworbenen Straßenkarte orientierte ich mich, während ich durch die weitläufigen Straßen schlenderte, die mit Reih an Reih stehenden einstöckigen kleinen Holzhäuschen gesäumt waren. Jedes davon war etwa so groß wie eine Doppelgarage und mit einem kleinen Garten versehen. Diese Weitläufigkeit mitten in der Stadt verwunderte mich sehr, ich verstand jetzt auch den Grund der unglaublichen Dimension der L.A. Metropol-Area und warum man hier ohne ein Fahrzeug kaum zu Recht kommen konnte. Ich vermute, dass ich über Westchester, die Centinela Avenue hinunter und weiter über Culver-West lief, wobei ich lange Zeit kreuz und quer in kleinen Nebenstraßen unterwegs war. Später behauptete ich, durch das Mexikaner-Viertel gelaufen zu sein, der genaue Verlauf des Fußmarsches lässt sich im Nachhinein aber nicht mehr rekonstruieren.

Nach etwa vier Stunden in sengender Hitze erreichte ich schließlich die Venice Beach und hier auch bald das Cadillac Hotel, in dem ich mich für fünfzig Dollar die Nacht einquartierte. Den Rest des Tages verbrachte ich an dem weltberühmten Strand und schaute mir die Umgebung an, wobei ich in einer Nebenstraße in die Dreharbeiten des kurz später erscheinenden Films „Speed“ lief, was ich allerdings erst einige Monate später im Kino realisieren sollte. Im Cadillac Hotel hatte man mein Gesuch, für freie Kost und Unterkunft bei der Reinigung des Hotels behilflich zu sein, bedauerlicherweise mit dem Verweis abgelehnt, dass es für diese Tätigkeiten derzeit bereits eine ausreichende Anzahl an Reisenden im Hotel geben würde. Meine Pläne hier in der Stadt Fuß zu fassen waren erst einmal durchkreuzt, ich würde mich ohne Job mit meinem Geld höchstens zehn Tage lange durchbringen können. Nach einigen Überlegungen, woanders einen zweiten Anlauf zu wagen, konnte ich mich mit dem Gedanken, ernsthaft auf Jobsuche zu gehen, nur noch bedingt anfreunden, zumal zu Hause in Deutschland keiner wusste wo ich war. Ich beschloss, mir erst einmal die Stadt anzusehen und über das weitere Vorgehen später zu entscheiden.

011

Am Strip

Gemäß dieser Neuausrichtung der Reise nach Los Angeles unternahm ich in den kommenden Tagen mehrere Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Zunächst ging es in einen Stadtteil, der sich Bel Air nannte und den ich aus dem Lied „Angel City“ von Motörhead kannte. Von einem Taxifahrer ließ ich mich danach hinauf nach Hollywood bringen, um mir das Haus von Madonna anzusehen, welches um die Nachbarn zu ärgern in gestreiften Farben angestrichen war, wie mir mein Chauffeur beteuerte. Bei einem weiteren Ausflug ging es zu dem berühmten Rodeo Drive, mitunter eine der teuersten Einkaufsstraßen der Welt, anschließend besuchte ich noch den Walk of Fame und am Ende ging es nach Santa Barbara. Einige Tage später, die ich meistens an der Strandpromenade verbrachte, wo es mir immer langweiliger wurde, wusste ich noch immer nicht, wie es weiter gehen sollte und unternahm schließlich eine organisierte Sightseeing-Tour in einem Minibus zusammen mit etlichen britischen und französischen Touristen, die während der gesamten Fahrt über deutsche Touristen lästerten und anschließend große Augen machten, als ich mich an Ende des Ausflugs als solch einer ausgab. Unser Fahrer schwedischer Herkunft hatte auf der Fahrt viele Geschichten rund um Los Angeles erzählt, besonders als wir in den für seine Kriminalität weltweit bekannten Stadtteil South Central eingebogen waren, in dem die Crips und Bloods ihr Unwesen trieben und Monster Kody Scott (Sanyika Shakur) zu Hause war. Seine eigene Geschichte war für mich besonders spannend, schließlich handelte sie davon, wie er von Schweden nach Amerika kam und wie lange es gedauert hatte, bis er endlich Fuß fassen konnte. Er erzähltr, dass er während der ersten Jahre seines Aufenthalts in den USA harte Zeit durchleben und sich mit einer Vielzahl an schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs durchschlagen musste, um sich als illegaler Einwanderer über Wasser halten zu können. Erst nach Jahren war er in den Genuss einer offiziellen Arbeitserlaubnis gekommen und hatte schließlich die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen. Ob er da nicht lieber in Schweden geblieben wäre, dachte ich mir, wenn er es nach so viel Mühe jetzt nach Jahren gerade mal zum Fahrer eines Tourismusbüros geschafft hatte. Seine Geschichte hörte sich als alles andere an, als eine Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär, wie ich sie mir ausgemalt hatte. Von diesen Gedanken umtrieben und auch aufgrund meines rapide dahin schmelzenden Bargeldbestands, sah ich mich inzwischen genötigt, das USA Abenteuer in absehbarer Zeit zu beenden und mein Rückflugticket umzubuchen, damit ich in Kürze wieder nach Hause fliegen konnte. Schweren Herzens musste ich mir nun eingestehen, dass die erste Reise nach Übersee ein großartiger Flop gewesen ist und gemessen an ihren ursprünglichen Zielen, man sie als gescheitert bezeichnen musste, zumal ich nicht einmal das Whisky a Gogo zu Gesicht bekommen hatte.

017

Am Rodeo Drive

Am Tag meines Rückfluges stand ich nervös an der Bushaltestelle, die ich tags zuvor ausfindig gemacht hatte. Der Bus zum Flughafen hätte schon längst da sein sollen, aber er kam und kam nicht und ich musste mir ernsthafte Gedanken machen, ob ich den Flug überhaupt noch erreichen konnte. An ein Taxi war nicht zu denken, ich hatte nur noch zwei Dollar übrig, exakt die Summe, die ich für den Bus benötigte. Dieser traf schließlich mit weit mehr als einer Stunde Verspätung ein und ich erreichte den Flughafen gerade noch eine halbe Stunde vor Abflug. Mit größter Eile rannte ich an den First Class Schalter von American Airlines, um die Schlange an der Economy zu umgehen und mein Gepäck aufzugeben. Zunächst sollte ich abgewiesen werden, doch als man sah, dass ich dermaßen knapp bei Zeit war und das Flugzeug womöglich schon mit dem Einstieg begonnen hatte, wurde das Gepäck eilig entgegen genommen und ich musste noch schnell einen Zettel mit der Bestätigung unterschreiben, dass ich keine Ansprüche stellen würde, sollte die Tasche nicht rechtzeitig in Deutschland ankommen. Anschließend ging es in aller Eile durch die Sicherheitszonen, zum Flugzeug, wo die Passagiere bereits am Einsteigen waren und ich es als letzter noch hinein schaffte. Wie üblich wurde damals auf den hinteren Platzreihen während des Fluges geraucht und gesoffen, so dass ich mir auch zwei oder drei Bier gönnte. Als ich bei meinem Zwischenstopp in Pittsburg angekommen war, schien es einige Stunden zu dauern, bis der Anschlussflug zurück nach Frankfurt am Main starten sollte. Welcher Trugschluss, der beinahe dazu geführt hätte, schon wieder fast das Flugzeug zu verpassen. Ich hatte die Zeitumstellung vergessen und bemerkte den Fauxpas erst im letzten Moment, als mich ein anderer Passagier zufälligerweise nach der Zeit fragte. Erneut kam ich in der letzten Minute am Abflugsteig an und als ich anschließend im Flugzeug durchatmete, nahm ich mir vor, zukünftig geplanter und geordneter zu reisen und weniger Chaos walten zu lassen.

Zurück in Deutschland, in dem kleinen Städtchen namens Kelsterbach, in dem die Reise begonnen hatte, war der Tag von einem dunklen, kühlen und  widrigen Oktoberwetter umgeben. Unbehelligt von den ganzen Drohschildern des Abschleppdienstes stand mein Auto noch am selben Platz im absoluten Halteverbot direkt am Bahnhof und ich hatte nicht einmal einen Strafzettel bekommen. So recht wusste ich aber nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, denn obwohl ich mein Auto mit Absicht nicht abgeschlossen hatte (Travel Report 1/1), war die Seitenscheibe eingeschlagen und das Radio gestohlen. Jetzt fuhr ich in Richtung Stuttgart und musste daheim erst mal erklären, wo ich die ganze Zeit gesteckt hatte.

Reiseberichte:

Travel Report 1/1: Auswanderungswillig
Travel Report 1/2: Gescheitert

Zurück zur Themenseite „Travel 1: Los Angeles (1993)

Travel Report 1/1: Auswanderungswillig

1993, Baden Württemberg: In voller Lautstärke dröhnte der Song „Welcome to the Jungle“ aus den Boxen, als ich die Autobahn entlang der beschaulichen Löwensteiner Berge hinunter fuhr und als mich plötzlich der dringende Wunsch überkam, nach Los Angeles zu fliegen. Pläne und Gedanken dieser Art hatten mich schon seit geraumer Zeit umgetrieben, denn schließlich kamen neben „Guns and Roses“ von dort auch noch einige der anderen meiner favorisierten Rockbands her und mein Lebensstil hätte meiner Ansicht nach schon seit langem eher zum sonnigen Kalifornien als zu einer ländlichen Region Südwestdeutschlands gepasst. In vielen Reportagen über die Stadt und die dortige Musik- und Nightlifeszene, hatte sich bei mir das Bild einer Welt von Freiheit, Sonne und Strand eingeprägt, das es erstrebenswert erscheinen ließ, einmal dort einen Besuch abzustatten oder am besten gleich dorthin auszuwandern. Wenn schon, warum nicht jetzt, überlegte ich mir, während ich noch ein paar Kilometer weiter fuhr, ehe sich mein Entschluss soweit verfestigt hatte, dass ich bei der nächsten Ausfahrt umdrehte, um an den Flughafen nach Frankfurt am Main zu fahren, der etwa zwei Autostunden entfernt lag. Das kleine Örtchen, in dem ich mein Auto direkt am Bahnhof abstellte, nannte sich Kelsterbach und lag in unmittelbarer Nachbarschaft des Flughafens. Aufgrund dieser Nähe war der gesamte Ort für Dauerparker gesperrt und die Anzahl der Warnschilder vom Abschleppdienst drängten sich dicht an dicht auf den Garagen, Ausfahrten und Parkplätzen.  Doch das war mir in diesem Moment egal, sollte man meinen Wagen doch abschleppen, eher wollte ich ja auswandern und ein Star im „Whisky a Gogo“ werden, als nur einen Kurztrip in die weit entfernte Stadt im Westen der USA zu unternehmen. Ganz sicher war ich mir meiner Sache aber nicht, so unterließ ich es, das Fahrzeug abzuschließen. Sollte ich doch wieder zurückkommen und das Auto benötigen, hoffte ich dadurch, dass man die Scheiben meines Fahrzeugs nicht einschlagen würde, wenn man das Radio aus dem Fahrzeug stehlen wollte. Um das Auto selbst machte ich mir keine Sorgen, es war rein gar nichts wert, längst ohne TÜV und technisch eigentlich gar nicht mehr auf dem Stand der Verkehrszulässigkeit, schließlich hatte ich zu dieser Zeit die Angewohnheit, am selben Tag als ich mir ein Auto zulegte, auch ein Paar Schuhe zu kaufen, wobei die Schuhe teurer sein mussten als der Wagen, was mir auch meistens gelang. Im Flughafen tauschte ich zunächst sechs oder sieben Schecks zu je vierhundert Mark ein, mit denen ich das Flugticket finanzierte. Außerdem benötigte ich ausreichend Startkapital, mit dem ich mich die ersten Tage in den USA durchschlagen konnte und ich musste mir noch eine Tasche, einige Drogerieartikel, sowie ein Handtuch und diverse Kleidungsstücke zulegen. Nach etwa zwei Stunden war alles erledigt und es war auch schon die Zeit gekommen, zum Flugsteig zu gehen. Die Reise ging los, mein erster Flug überhaupt und mein erster Aufenthalt außerhalb von Westeuropa stand an.

015

Zu Fuß durch LA

Nach vielen Stunden in der Luft, ich wunderte mich, warum wir über Grönland geflogen waren, wechselte ich im Zuge eines Zwischenstopps in Pittsburg das Flugzeug. Der anschließende Inlandsflug führte quer durch die USA, wobei das Flugzeug langsamer war als die eintretende Dämmerung und ich aufgrund der einziehenden Nacht, zunehmend die ausgedehnten amerikanischen Städte wie leuchtende Inseln schimmernd unter mir sehen konnte. Am Ziel angekommen, drehte das Flugzeug auf den LA International Airport ein und der Blick über das achtzig Mal hundertfünfzig Kilometer ausgedehnte Lichtermeer dieser aufregenden Stadt raubte mir sogleich den Atem, hatte ich so etwas ja noch nie gesehen. Gleich kam der Entschluss, das Ereignis nach meiner Ankunft unbedingt mit zwei oder drei Dosen Bier feiern. Allerdings hatte ich gehört, dass man in den USA erst ab dem 21. Lebensjahr Alkohol kaufen durfte und ich wusste nicht, ob das auch für mich als Ausländer galt. Ein bisschen Bedenken hatte ich auch wegen der Prozedur bei der Immigration, da ich kaum Gepäck mit mir führte und man mich am Zoll für einen einwanderungswilligen Habenichts hätte halten können. Doch es lief alles problemlos und kaum eine halbe Stunde nach dem die Maschine gelandet war, stand ich schon vor dem Flughafen und wusste nicht wohin. Im Flughafen hatte ich noch einen Stadtplan gekauft und ausgemacht, dass die Venice Beach, was mein erster Aufenthaltsort sein sollte, mindestens zehn Kilometer vom Flughafen entfernt lag. Ein Hotel hatte ich auch nicht gebucht, Internet gab es noch nicht und über andere Informationsquellen hatte ich mich aufgrund des kurzfristigen Entschlusses hierher zu kommen, nicht informieren können. Ich überlegte mir, dass es wahrscheinlich keine gute Idee wäre, jetzt noch in die Stadt zu fahren und beschloss, mich von einem Taxi in ein Motel in der Nähe des Flughafens fahren zu lassen, in dem ich mich erst einmal von dem Flug erholen, feiern und alles weitere am kommenden Tag regeln wollte.

007

Am Venice Beach

Das Motel war eine recht schlichte und einfache Einrichtung, hatte aber den Vorzug, dass sich ein Liquor Store direkt gegenüber befand. Ich war ja von ernsthaften Sorgen umtrieben gewesen, man würde mir hier kein Bier verkaufen, zumal ich zwar achtzehn Jahre alt war, aber viel jünger, eher wie ein sechzehnjähriger aussah. Jetzt lag ich auf meiner Couch, war gleich mit mehreren Sixpacks der Marke Becks ausgestattet und zappte zwischen amerikanischen Kitschserien und Sportsendungen im Fernsehen hin und her. Der Liquor Store, den ich gleich nach dem einchecken im Motel besuchte, war von einem Chinesen betrieben worden. Ich hatte mir vorgenommen, im Falle der Ablehnung meines Kaufgesuchs, ihm unter zu Hilfenahme meines österreichischen Reisepasses zu verdeutlichen, als österreichischer Staatsbürger bereits ab einem Alter von sechzehn Jahren über die Erlaubnis des Alkoholkonsums zu verfügen. Aber der Chinese fragte erst gar nicht nach meinem Alter, was mich dazu verleitete, die Gunst der Stunde zu nutzen und mir gleich einen Proviant anzulegen, damit ich in den kommenden Tagen nicht in irgendwelche Versorgungsschwierigkeiten kommen würde. Nach dem Besuch des Liquor Stores und als ich wieder zurück im Motel angekommen war, hatte ich noch ein paar Worte mit dem Rezeptionisten gesprochen. Es handelte sich um einen armen Kerl, der gerade mal eine Handvoll Dollar für seine Nachtschicht bekam. Der Verdienst dieses Mannes stellte lediglich einen Bruchteil von dem dar, was ich in Deutschland bei meinen vielen Gelegenheitsjobs in diversen Fabriken verdienen konnte. Ich war zwar in Europa bereits in vielen Ländern gewesen, aber noch nicht in Übersee, so dass ich wenig Ahnung von den USA hatte und der Rezeptionist schien zu einem anderen Amerika zu gehören, als ich es mir ausgemalt hatte und wie ich es aus den „Ein Colt für alle Fälle“ Sendungen bisher kannte. Es kamen plötzlich die ersten Zweifel auf, ob ich hier überhaupt in der Lage war, dauerhaft Fuß fassen zu können.

Reiseberichte:

Travel Report 1/1: Auswanderungswillig
Travel Report 1/2: Gescheitert

Zurück zur Themenseite „Travel 1: Los Angeles (1993)