Travel Report 9/2: Zwischen Ratten und Amphibien

1999, Laos: Auf der Fahrt von Chiang Mai nach Chiang Rai hatte es mich im Bus ordentlich durchgeschüttelt, die Federung und Dämpfung des Transportmittels schien gänzlich kaputt gewesen zu sein und auch meine Knie schmerzten stark, denn der Abstand der hölzernen Sitzbänke war meiner Einschätzung nach für Menschen mit einer Körpergröße von maximal einem Meter sechzig eingerichtet. In der Bordellstadt Chiang Rai, dem Mekka des chinesischen Sextourismus, verweilte ich nur eine kurze Zeit, schon am Tag nach meiner Ankunft ging es weiter in ein kleines Dorf am Mekong von wo aus man nach Laos übersetzen konnte. Ich wusste nicht viel von diesem Land außer, dass es im Norden keine Straßen gab und ich bis Luang Prabang zwei Tage auf einem Schiff verbringen musste. Es dauerte nicht lange, ehe ich eine ausgesprochen attraktive Unterkunft in der Nähe des Grenzpostens gefunden hatte. Mein Zimmer war sehr groß und geräumig, die Einrichtung im  Landhausstil. Getrennt davon hinter einer Holztüre befand sich das kleine, aber beinahe schon luxuriöse Bad zusammen mit einer Toilette. Das gesamte Gebäude war massiv gemauert, bis auf das Dach, das romantisch aus Bambus geflochten oben aufgesetzt war und sich schräg an der Seite meines Zimmers hinunter über das Bad wölbte. Ich genehmigte mir an der Bar auf der Terrasse der Pension ein Bier und schaute in der Abenddämmerung auf die Furt hinunter, die ich am folgenden Tag überqueren würde, um auf der anderen Seite mit einem der dort bereits vor Anker liegenden Holzschiffe den Mekong hinunter zu fahren.

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Auf dem Mekong (1)

Als ich nach einer Weile zurück in mein Zimmer kam, befand sich ein Gecko unter dem Dachgewölbe an der Wand, gut drei Meter über mir. Mit dem würde ich leben können, dachte ich mir, war ich solche Tierchen aus diversen Reisen schon gewohnt und hatte dabei ihre Fähigkeit schätzen gelernt, die Umgebung von Insekten rein zu halten. Ich wollte keine Zeit mehr verschwenden und mich zur Ruhe begeben, da ich am kommenden Morgen sehr früh aufstehen musste und so eilte ich auch gleich ins Bad, um mir die Zähne zu putzen. Die Dachwölbung war hier im Gegensatz zum Zimmer schon recht niedrig und hinter mir befand sich eine etwa zehn Mal zehn Zentimeter große Luke nach außen, vermutlich um die Luftzufuhr zu befördern. Unnötig dachte ich mir, als ich vor dem Spiegel die Zähne putzte, freilich waren solch aufgesetzte Naturdächer ohnehin nicht richtig dicht. Da bemerkte ich plötzlich aus dem rechten unteren Augenwinkel etwas längliches Blaues schimmern. Ich schaute zur Seite und direkt rechts unter dem Waschbecken befand sich auf einer Holzablage ein gut 70 Zentimeter langer, blauer Leguan. Mit einem Satz haute es mich rückwärts vom Bad in mein Zimmer hinein und mit einem zweiten Satz sprang ich wieder nach vorne und schlug krachend die Türe zu. Benommen taumelte ich danach durch den Raum und dichtete gleich, als ich mich wieder gefangen hatte, die Fuge unter der Türe zum Bad mit einem Handtuch ab. Danach lag ich noch eine Weile geschockt im Bett, ehe ich einschlief und von einer Amphibiengrube träumte, in die ich hineingefallen war. Am kommenden Morgen traute ich mir bei leicht geöffnetem Türspalt kaum, die Zahnpasta und die Zahnbürste aus dem Badezimmer heraus zu holen. Schnell packte ich zusammen und verließ die Unterkunft, damit ich mit einem der am Ufer wartenden kleinen Boote auf die andere Seite überzusetzen konnte.

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Auf dem Mekong (2)

Inzwischen war ich seit gut einem halben Tag auf einem hölzernen Schiff den Mekong hinunter unterwegs, als ich mein knapp 600 Seiten dickes, wirtschaftswissenschaftliches Lehrbuch zuklappte und mir die vorbei ziehende Urwaldlandschaft ansah. Mein Leben war intellektueller geworden, im Gegensatz zu der Reise nach Indien, hatte ich jetzt keine Hanteln mehr dabei (Travel 7), dafür aber Bücher. Ich hatte inzwischen mit dem Studieren begonnen und mir die Reise in den Semesterferien als Belohnung für meine guten Leistungen genehmigt. Diese sollten unbedingt aufrecht erhalten bleiben und dabei sollten mir die mitgebrachen Bücher helfen, die ein Gewicht von ungefähr zehn Kilogramm auf die Waage brachten. Viel hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht lernen können, zu aufwendig war die tägliche Organisation des Transports und der Unterkünfte gewesen. Hier in Laos fand ich jetzt Zeit, da ich nach der Fahrt mit dem Boot ein paar Tage in Luang Prabang verbringen wollte, um eine Reisepause einzulegen. Als der Urwald langsam vorbei zog, saß ich wie die meisten anderen Reisenden auch, darunter einige Rucksacktouristen und ein paar Frauen aus Laos mit ihren Kleinkindern, auf dem Dach des Schiffes. Gleich war die Zeit gekommen, sich auf das Unterdeck zu begeben, auf dem das Mittagessen von dem Koch an Bord schon angerichtet wurde. Die Mahlzeiten auf der Fahrt waren inklusive und wurden an einem langen Tisch eingenommen, an dem sämtliche Passagiere wie an einer ärmlichen Hochzeitstafel saßen und Reis mit nicht identifizierbaren Fleischbeilagen serviert bekamen. Mit den Leuten aus Laos gelang es bedauerlicherweise nicht, eine Kommunikation aufzubauen, sie machten allerdings einen sehr friedlichen Eindruck auf mich und obwohl arm, schienen sie glücklich gewesen zu sein. Nach dem Mittagessen ging es noch einige Stunden den Fluss hinunter, ehe wir am Abend ein kleines Dorf erreichten, indem wir übernachteten. Die westlichen Touristen wurden nun in ein zweistöckiges Haus gebracht, das dem Anschein nach aus Bambus geflochten war. Es war auf jeden Fall sehr hellhörig und mitten in der Nacht meinte ich, eine Ratte in meinem Zimmer zu hören. Ich regte mich nicht in meinem Bett, während ich das Rascheln vernahm, das einmal näher da und ein anderes Mal wieder von etwas weiter in der Ferne zu vernehmen war. Nahrungsmittel hatte ich auf jeden Fall keine dabei und plötzlich hörte ich ein lautes „Fuck off“, einen Tritt und das quicken der Ratte und Ruhe war es. Das arme Tier musste sich zu den Engländern ins Nebenzimmer verlaufen haben und die waren nicht sehr zimperlich mit ihm zu Werke gegangen.

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Pak Ou

Als wir am folgenden Abend schließlich Luang Prabang erreichten, hatte die Dämmerung bereits eingesetzt. Es war die drittgrößte Stadt in Laos und obwohl sie nur gut 16.000 Einwohner zählte, gab es nach zwei Tagen auf dem Fluss wieder die Annehmlichkeiten einer zivilisierten Umgebung, wenn auch in sehr bescheidenen Zügen. Das Internet war ja noch eine sehr neue technische Errungenschaft, daher galt ein Café im Zentrum der kleine Stadt als besondere Attraktivität, da es über eine, freilich quälend langsame Verbindung verfügte und von den Touristen nur so belagert wurde. Wohl kannte auch ich das Internet schon von meiner Hochschule, konnte aber noch mit Ausnahme des Onlinehandels von Aktien wenig mit der neuen Technik anfangen, so dass ich mich eher dem Kaffee in dem Café widmete, der hier zu meinem Erstaunen aus löslichem Nestle-Pulver zubereitet wurde, obwohl das Land über eigene Anbauflächen zur Kaffeeproduktion verfügte. Ich wusste nicht so recht, ob ich das gut finden sollte. Ich überlegte mir, als ich am zweiten Tag meines Aufenthalts in der Umgebung mit einem Privatboot zu der Pak Ou Grotte gefahren wurde und mir die mit vielen Götzenbildern bestückte Höhle anschaute, ob die Nahrungsmittelproduktion westlicher Konzerne tatsächlich günstiger wäre, als einheimische Produktion in Ländern wie Laos. Ich kam zu dem Schluss, dass vermutlich die Arbeitskraft noch so billig sein konnte, wenn das Produktivitätsgefälle dadurch nicht ausgeglichen werden konnte. Vielleicht war es aber den Leuten von dem Café auch einfach nur zu lästig gewesen, ordentlichen Kaffee zuzubereiten, musste man das lösliche Pulver ja einfach nur mit heißem Wasser aufkochen.

Reiseberichte:

Travel Report 9/1: In Siam
Travel Report 9/2: Zwischen Ratten und Amphibien
Travel Report 9/3: Bus Chaos in Laos

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