Travel Report 07/3: Zwischen Panzern und Party

1997, Goa: Bis nach Bombay war es eine weite Strecke, die ich aus Agra kommend über Nacht im Zug zurücklegen musste. Freilich war die Bahn erneut mehrere Stunden verspätet gewesen und ich hatte eine halbe Ewigkeit am Bahnhof warten müssen. Im Zug war ich in einem Schlafabteil der zweiten Klasse im obersten der drei Betten untergebracht, in dieser Wagon-Kategorie befand sich auch die indische Mittelschicht. Die Fahrt kostete nur 14 Dollar für etwa 1.400 Kilometer, Indien war ein sehr günstiges Reiseland und in der dritten Klasse wäre alles noch einmal um die Hälfte billiger gewesen, doch war mir das dort nicht ganz geheuer. Die anderen Passagiere im Abteil, umsorgten mich mit einer aus Südamerika unbekannten Nettigkeit und liehen mir über Nacht sogar eine Decke aufgrund der im Abteil vorherrschenden Kälte. Mich wunderte es, dass ich noch immer keinen Durchfall bekommen hatte, obwohl ich inzwischen regelmäßig den feuerscharfen Kartoffeleintopf im Fladenbrot aß, den ich direkt von den Straßenverkäufern am Bahnhof kaufte, wo es mit der Hygiene nicht weit her gewesen sein konnte. In Bombay angekommen, besuchte ich die üblichen Touristenorte, darunter das berühmte Gateway of India, das aus der Zeit der britischen Besatzung stammt. Indien hatte sich vom Kolonialismus gelöst, soviel war klar, denn Bombay hieß jetzt Mumbai und auch die alten englischen Straßennamen wurden fleißig umbenannt, was es sehr erschwerte von einem zum anderen Ort zu gelangen, schließlich musste man jetzt immer die alten und die neuen Straßennamen zugleich kennen und mehrfach schon war ich an einem anderen Ort herausgekommen als geplant. Die Stadt gefiel mir nicht besonders, war sie doch ziemlich verdreckt und von Abgasen verpestet. Auch wunderte ich mich über die Gepflogenheiten der Inder, die offen am Straßenrand, ja sogar in der Unterführung der U-Bahn urinierten. Alles mischte sich mit den Abgasen und dem Müll am Straßenrand zu einem süßlichen Luftgestank, der nicht nach meinem Geschmack war. Für Heiterkeit hatte hier einzig meine Hantel an einem Abend im Hotel gesorgt, welche von den Angestellten zunächst mit ungläubigem Staunen und schließlich mit großem Gelächter begutachtet geworden war.

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Am Gateway of India

Es hielt mich nicht viel in der Stadt und kaum drei Tage später machte ich mich auch schon wieder auf, um nach Goa weiter zu reisen. Erneut eine lange Zugfahrt die zu bewältigen war, doch wollte ich nach nunmehr zwei Wochen in Indien endlich ans Meer und in den Genuss ausgelassener Partys kommen. Mein Tagesetat von umgerechnet zwanzig US-Dollar war für Indien so üppig, dass ich bereits viel Geld gespart hatte, was nun in Goa ausgegeben werden sollte. Nach ungefähr einem Tag war ich in Panjim, der Hauptstadt der ehemaligen portugiesischen Enklave angekommen. Hatte ich seit Ewigkeiten keinen  Alkohol mehr gesehen, hier bei den Christen gab es Schnapsläden die nichts anderes verkauften. Ich fand eine sehr gute Unterkunft im nahe gelegenen Calangute direkt am nördlichen Strand, der sich vom Gefängnis bis hin zu der Irrenanstalt erstreckte. Die Partyhochburg zollte ihr Tribut, beide Einrichtungen waren für die Drogenkonsumenten vorgesehen. Glaubte man den Schildern am Strand, so wurden diejenigen für zehn Jahre ins Gefängnis gebracht, die mit etwas illegalem erwischt wurden und zwar ohne Gerichtsverhandlung. In die Irrenanstalt hingegen warf man die anderen, deren geistiger Zustand einen Gefängnisaufenthalt nicht mehr erlaubte. Irgendwie kam mir ganz Goa so vor, als wäre es ein Ort voller Verrückter. Allen voran der Busfahrer, der sich jeden Morgen am Ende der Hauptstraße mit einer gewaltigen Staubwolke ankündigte und dann mit hoher Geschwindigkeit rumpelnd durch die enge und von Mauern begrenzte Gasse herunter raste, so dass sich die spielenden Kinder gerade noch in Sicherheit bringen konnten. Mehrfach jährlich, erzählte man mir, würde auch eines der Kinder überfahren werden. Dann musste der Busfahrer mit noch größerer Geschwindigkeit das Weite suchen, wollte er von einem Mob nicht am nächsten Baum aufgeknüpft werden. Daneben gab es die Kashmiris, die in ihren Läden Souvenirs verkauften und den ganzen Tag aus der Haschpfeife pafften. Auch der Friseur, der einem nach getaner Arbeit heftig auf dem Kopf herumschlug, war meiner Beobachtung zu folge nicht ganz bei Trost. Mir hämmerte er schier den Schädel ein, so dass ich wutentbrannt nach außen lief und ihm dreißig Rupien in den Laden warf. Er meinte mit seiner Hauerei, die er als Massagedienstleistung bezeichnete, etwas mehr Geld verlangen zu können. Die ganze Sache wurde abgerundet vom Apotheker, der allerlei Aufputschendes  unter der Hand verkaufte.

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Strand von Calangute

Der Panzer in Calangute gehört der Drogenpolizei aus Bombay, teilte man mir mit. Die Polizisten hier waren mit allen Wassern gewaschen, ihr einziges Ziel war es, Bestechungsgelder einzutreiben. Das war auch notwendig, mussten sie doch selbst in Höhe der Summe eines Jahresgehalt Bestechung an ihre Vorgesetzten zahlen, um nach Goa versetzt zu werden. Dementsprechend hatte das mit Motorrollern bestückte Partyvolk auch Angst von den Full-Moon-Partys in Vagator zurück nach Calangute zu fahren. Mehrfach war ihnen schon in dem versandeten Palmenwaldgebiet zwischen den beiden Ortschaften ein Knüppel in die Speichen gesteckt und der Zündschlüssel gezogen geworden, den sie nur durch Bezahlung einer bestimmte Summe an Geld wieder von den Polizisten auslösen konnten. Doch nicht jeder musste sich fürchten. Ein dicker Hüne aus England zum Beispiel brauchte nur laut „Get out of my way“ zu brüllen und schon ließen die Polizisten von ihm ab. Mehrfach hatte er bereits die uniformierten Ganoven zusammengeschlagen, die gegen seine geballte Kraft mit ihren Schlagstöcken nur wenig ausrichten konnten. Es gefiel mir in Goa, war ich nicht am Strand, so befand ich mich meistens in einem nahe gelegenen Restaurant mit Meerblick einige Meter neben meinem Wohnort und aß feuerscharf gewürzten Reis. Am Wochenende kamen meistens Männergruppen aus Hyderabad angereist, deren einziger Aufenthaltszweck der Konsum von Alkohol war, den man wie bereits erwähnt (Travel 07/1) in der dortigen Gegend verboten hatte. Ich musste darüber lachen, denn die Inder hier machten mir nicht den Eindruck, am Hungertuch zu nagen, wie man es in den Medien in Deutschland immer vor Augen geführt bekam. Nein, es gab in der Apotheke sogar kleine Pillen, die in geringer Dosis als Schlankmacher wirkten, da sie dem Konsumenten auf Dauer den Appetit verdarben. Von ihnen hatte auch das Partyvolk schon gehört und es war allgemein bekannt, das die Schlankmacher auch als Muntermacher wirkten und in größerer Dosis, so etwa 20 Pillen auf einen Schlag, die Wirkung von Amphetaminen entfalten konnten.

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Mein Haus in Goa

Ich pendelte in den folgenden Tagen unentwegt zwischen Vagator und Calangute hin und her. Beide Ortschaften waren über einen wunderschönen Strand verbunden, der aufgrund einer felsigen Kuppe dazwischen durchgehend nur Tags begangen werden konnte. Den Weg zurück von den Partys in Vagator musste man meistens umständlich zu Fuß begehen oder waghalsig bei einer fremden Person auf dem Roller mitfahren. Jede der Partys war ein Abenteuer für sich und man lernte unentwegt neue Menschen kennen. Sind wir an einem Steilhang, fragte ich mich eines Nachts, als das Gelände bei lauter Musik immer abschüssiger wurde? Ich war ziemlich orientierungslos, wanderte jedoch gut gelaunt die gesamte Nacht hindurch zwischen den einzelnen mit unterschiedlichen Stoffen, Farben und Lichtern ausgestatteten Teilbereichen einer Goa-Party herum. Einmal kam es mir so vor, als wären wir mitten im Wald, ein anderes Mal dachte ich, ich stünde direkt an einer Klippe. Erst als die ersten Sonnenstrahlen den Tag erhellten, wurde langsam klar, dass sich die Veranstaltung in einem Wald direkt an einem Felsenhang befand. Von hier aus konnte man Bestens über die Weiten des Meeres blicken, in dem sich ausgelassen tanzende, nackte junge Damen tummelten. Meine Zeit war immer etwa so gegen zehn Uhr morgens gekommen, als mich die Lust an den Feierlichkeiten verließ. So spät am Morgen sah es dann meist schon sehr übel auf dem Partygelände aus und es gab viele komisch umherschauenden Gestalten. Die Polizei war sehr wohl dazu bereit, die Veranstaltungen auch zu stürmen und auseinander zu schlagen, hatten die Veranstalter zuvor nicht eine entsprechende Summe an Schweigegeld bezahlt. Trat solch ein Fall ein, gab es noch Stunden später verängstigte Personen auf dem Partygelände, die unter völligem Zeitverlust leidend sich hinter den Bäumen und Büschen vor der Polizei versteckten, bis sie von Badegästen hervorgeholt und auf den Weg nach Hause geschickt wurden.

Reiseberichte:

Travel Report 7/1: Nach Süden statt nach Norden
Travel Report 7/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern
Travel Report 7/3: Zwischen Panzern und Party
Travel Report 7/4: Zwischen Tempeln und Palästen
Travel Report 7/5: Entkräftet

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