Travel Report 07/5: Entkräftet

1997, Goa: Die Zeit war gekommen, nach Goa zurückzufahren. Meine Hantel, die noch immer wie ein Mühlstein in meinem Rucksack lag, hatte ich in den letzten gut sechs Wochen, seit ich hier in Indien war, noch nicht benutzt und machte mir nun ernsthafte Gedanken darüber, sie los zu werden. Auch auf der Rückfahrt in die ehemalige portugiesische Enklave am indischen Ozean störte sie erneut merklich, als ich den Rucksack auf das Dach des Minibusses heben wollte, was aufgrund des Gewichts erst nach dem dritten Anlauf gelang. Noch aber sollte sie nicht entsorgt werden, das, so überlegte ich mir, könnte ich in Goa tun. Nach mehr als zwölf Stunden in einem sehr beengten Bus, der wohl für deutlich kleinere Passagiere konzipiert worden war, erreichte ich erneut Panjim, von wo aus es zu dem vertrauten Calangute nur noch einen Katzensprung war. Eine Gruppe von Indern mit einer Boa Schlange passten mich am Busbahnhof ab und freuten sich diebisch, als ich gegen ein kleines Trinkgeld das Tier um den Hals legte und ein Foto von mich machen ließ. In Calangute wohnte ich in der selben Unterkunft wie bereits zwei Wochen zuvor, doch nun umgaben mich neue Nachbarn. Einerseits war ein Endländer gleich um die Ecke eingezogen, andererseits wohnte ein Deutsches Pärchen im benachbarten Zimmer, das hier zu meinem Missfallen gut von Arbeitslosengeld lebte und dies auch für viele Monate tun konnte, da man in der Heimatstadt Dortmund nicht regelmäßig beim Arbeitsamt erscheinen musste.

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Goa am Strand

Am ersten Morgen nach meiner Rückkehr an den Traumstrand, wurde ich von einem Pfeifenmeister geweckt. Er wollte sich ein kleines Trinkgeld verdienen, welches ich ihm bereitwillig zusteckte, um das blecherne Geräusch seines überdimensionierten Instruments aus meinen Ohren zu bekommen. Ich machte mich auf zum Strand, wo über einen Kilometer verteilt gut hundert barbusige Frauen lagen, kaum eine davon war ansehnlich, so dass ich mich ziemlich ekelte. Neben mir hatte ein Hundepärchen Sex, was ebenfalls recht unansehnlich war und ich mich der Strandbar zuwandte. Nach ein oder zwei Bieren bummelte ich den Strand entlang, sprang ins Wasser, lief hoch und runter und wusste nicht so recht, was ich mit dem Tag anfangen sollte. Zurück an der Strandbar hatte ich erstmals Kontakt mit dem Engländer aus meiner Nachbarschaft, der gerade eine Flasche Rum öffnete und diese mit Cola mischte. Er hatte mich am Abend zuvor bereits auf der Terrasse meiner Unterkunft gesehen und hieß mich herzlich dazu willkommen, mit ihm ein paar Drinks zu nehmen. Wir saßen von etwa zwölf Uhr mittags bis gegen vier Uhr am Nachmittag in der Bar, ehe wir uns gut angeheitert auf einem Motorradroller in Richtung Norden aufmachten. Die erste Station war erneut eine Bar, etwa drei Kilometer entfernt, in der wir weitere zwei Stunden verbrachten. Danach ging es mit dem Roller weiter. Mir war nicht gut bei dem Gedanken, dass kürzlich hier ein anderer Tourist buchstäblich unter die Räder gekommen war und sich bei einer Kollision mit einem Auto auf dem Roller beide Beine gebrochen hatte, schließlich vergaß ich vor der Abreise eine Krankenversicherung abzuschließen. Die berüchtigten Sandbänke zwischen Calangute und Vagator konnten wir ohne weitere Probleme passieren. Dies war allerdings auf dem Roller nur mit einer sehr geringen Geschwindigkeit möglich, so dass ich mir gut vorstellen konnte, wie schwierig es sein musste, Nachts hier von der Polizei zu flüchten, welche wie bereits erwähnt, die Angewohnheit hatte, solche Leute wie uns die Bambusstöcke in die Speichen zu rammen und ein Lösegeld für die Weiterfahrt zu erpressen (Travel 07/3).

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Schlangenbeschwörer

Gut fünf Stunden später wanderte ich durch die düster beleuchteten Trampelpfade zwischen den Lichtungen hin und her, in denen sich die Techno Party abspielte, auf der ich mich inzwischen befand und wunderte mich über die grellen Reflektionen des Mondes und die sanfte Atmosphäre, die mich umgab. Überall um mich herum waren wunderschöne Frauen aus Israel und die DJs war extra aus Tel Aviv eingeflogen worden, um hier am indischen Ozean zwischen den Palmen einer abgelegenen Meeresbucht mit heißen Rhythmen die Partygesellschaft zum Kochen zu bringen. Nach unserer Ankunft am frühen Abend mit dem Motorroller hatten wir noch eine dritte Bar direkt am Strand besucht, um die Pre-Party zu der Techno Party zu feiern. Hier lernten wir bereits etliche Menschen aus Israel kennen, die uns erzählten, dass sie nach ihrem Militärdienst ein halbes Jahr Freizeit bekommen haben und diese jetzt dazu nutzen würden, in Goa zu feiern. Deswegen stand auch der Panzer der Drogenpolizei aus Bombay in Calangute, dachte ich mir. Wie mir berichtet wurde, hatte die Israelische Regierung Druck auf Indien ausgeübt, da viele Soldaten beim Feiern in dieser Hippiehochburg ihre Kampf- und Einsatzfähigkeit verloren, sollten sie nicht gleich im Irrenhaus einige Kilometer weiter nördlich oder im Gefängnis einige Kilometer weiter südlich gelandet sein (Travel 07/3). Nach einigen Bieren an der Bar waren wir zusammen mit den Israelis an diesen kunterbunten Party-Ort gekommen, an dem die größte der bisher von mir besuchten Feierlichkeiten zu Gange war. Die Nacht war wie ein Märchen, die Musik umgab uns in abwechselnd langsamen und schnellen Basstönen und erzeugte durch die perfekte Mischung aus Elektro und Trance eine einzigartige Gefühlslage bis in den frühen Morgen hinein, ehe ich mit meinem Nachbarn nach Calangute zurückfuhr, um dort an der Strandbar die Party ausklingen zu lassen.

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Full Moon Party

Nach gut zwei Wochen, in denen sich der Engländer als eine perfekte Bekanntschaft heraus gestellt hatte, die genau meine Idealvorstellung von einem anzustrebenden Lebensstil verkörperte, war ich entkräftet. Fast jeden Abend gab es in der Umgebung ein Event, das bis in die frühen Morgenstunden dauerte. Die letzten drei Tage kam ich gänzlich ohne Schlaf aus und befand mich permanent zwischen Beach Bar, Elektro-Party und Sandstrand. Die Nahrungsmittelzufuhr war unregelmäßig und wurde am Ende ganz eingestellt, was sich bald äußerst negativ auf mein Wohlbefinden durchschlug. Am Tag als ich mich von allen verabschieden musste, um nach Bombay zu fahren, von wo aus mein Flugzeug zurück nach Deutschland gehen sollte, war ich zu schwach, um meinen Rucksack mit der Hantel allein zum Bus zu tragen und musste einen Träger engagieren, der mich zusammen mit dem Gepäck auf einem Fahrrad zur Bushaltestelle brachte. Erst im Verlauf der Busfahrt besserte sich mein schlimmer Zustand, der eine ganze Zeit lang noch von Schweißausbrüchen und Übelkeit bekleidet war. Die letzten beiden Tage in Bombay verliefen ruhig und es ging mit meiner körperlichen Verfassung stetig bergauf. Kurz vor dem Abflug hielt ich einen funkelnden Edelstein in der Hand, den ich bei einem Händler noch schnell gekauft hatte. Das gute Stück sollte aber zu meinem Leidwesen nie seinen Empfänger finden.

Reiseberichte:

Travel Report 7/1: Nach Süden statt nach Norden
Travel Report 7/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern
Travel Report 7/3: Zwischen Panzern und Party
Travel Report 7/4: Zwischen Tempeln und Palästen
Travel Report 7/5: Entkräftet

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