Travel Report 3/1: In den Krieg

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In Pesto

1995, Kolumbien/Equador: Die Fahrt von Pesto nach Ipales war ziemlich abenteuerlich, wie überhaupt die Busfahrten im südlichen Bergland Kolumbiens. Mit großer Geschwindigkeit schoss der alte amerikanische Schulbus die abfallenden Schotterstraßen hinab, um sich mit einer nervenzerreibenden Langsamkeit anschließend wieder den nächsten Berg hinauf zu quälen. Die neuen Hollywood-Filme wurden hier bereits kurz nach ihrem Erscheinen in den wackelnden Fernsehern an Bord gezeigt. Gab es keinen Film, so dröhnte laute Volksmusik aus den Lautsprechern, einzig der Ausblick in die Landschaft konnte dann die Strapazen der Busfahrt noch etwas mildern. Pesto lag am Fuße des Vulkans Galeras und war von grünen Hügeln und Wäldern umgeben. Die Fahrt von Bogota hierher und die Tage zuvor in Kolumbien hatten sich einfach für mich gestaltet, da ich bereits einige Monate zuvor (Travel Report 2) viele Reiseeindrücke und Erfahrungen bei einem mehrwöchigen Aufenthalt in dem Land sammeln konnte. Ganz im Gegensatz zu meinem ersten Aufenthalt, war mir bei dem Anflug nicht mehr mulmig zumute gewesen, vielmehr war ich voller Freude, denn ich hatte das Land und seine Einwohner schätzen gelernt. Bei dem Anflug habe ich Kolumbien im Flugzeug sogar verteidigt, als es in den hinteren Reihen des Flugzeugs, wo damals ja noch gesoffen und geraucht wurde, zu Rangeleien gekommen war. Ein Deutscher, der noch nie dort gewesen war, hatte behauptet, man könne das Land sicherheitsbedingt nicht bereisen, was einige Kolumbianer in Rage versetzt hatte. Inzwischen war auch mein Spanisch deutlich besser geworden, was meinem Bemühen, die Sprache zu lernen, geschuldet war und außerdem konnte ich mich noch gut an alles Wichtige von meinem ersten Aufenthalt erinnern.

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Blick vom Hotel in Ipales

Die zweite Station nach Pesto war Ipales an der ecuadorianischen Grenze, wo ich in einem kleinen Hotel direkt am Marktplatz übernachtete. Wie hatte ich es vermisst, das Hühnchen mit Reis, das ich hier fast jeden Tag aß und das kühle Bavaria Bier. Ich überlegte mir während meines Abendessens, wo die Reise dieses Mal hin führen sollte. Zumindest bis zum Maccu Piccu nach Peru wollte ich kommen. Wie schon bei meiner ersten Reise nach Südamerika war einzig das verfügbare Geld ausschlaggebend darüber, wie lange ich bleiben konnte. Finanziell war ich für mehrere Monate ausgestattet und nicht nur für ein paar Wochen wie bei meinem vorangegangenen Trip in diese Gegend (Travel Report 2).  Das erste Land südlich von Kolumbien, das ich besuchen wollte, war Ecuador. Nach einer kurzen Nacht ging es am nächsten Morgen in aller Frühe los, die Grenze sollte zu Fuß überquert werden. Tulcan, die erste Stadt im Nachbarland, war etwa zehn Kilometer entfernt. Nach gut einer Stunde auf dem Weg dorthin sah ich auf der rechten Seite der abschüssigen Straße einige Hütten, die Grenze war erreicht. Die gesamten Formalitäten inklusive der Übergabe des Aquardientes (Aguardiente Antioqueño) als kleines Trinkgeld für den Grenzbeamten dauerten nur wenige Minuten, ehe ich meinen Einreisestempel bekam und in Richtung Tulcan weiterlaufen konnte. Mittags erreichte ich die Ausläufer der Stadt und übernachtete in einem der ersten Hotels am Stadtrand. Es war ein sehr kleines Zimmer und das Fenster nur so groß wie eine Schießscharte herkömmlicher mittelalterlicher Burgen in Europa. Von hier konnte ich das Treiben auf dem Markt beobachten. Es war heiß und der Boden war staubig, die Marktstände eher ärmlich. Aus meinem Nachbarzimmer dröhnte laute und aggressive Musik, das Spanisch verstand ich nicht, aber der Refrain  „Ecuador“, „Ecuador“ kam immer wieder vor. Später in Quito sollte ich erfahren, dass ein Krieg mit Peru um ein Gebiet im Amazonas in der Luft lag. Am kommenden Tag fuhr ich in die Hauptstadt des kleinen Landes weiter, wo ich in einem Hostel untergebracht war, das in einem alten spanischen Kolonialgebäude lag und über einen Innenhof verfügte, in dem ich viele andere Reisende traf und jede Menge Kontakte knüpfte und wertvolle Informationen für die Weiterreise sammelte.

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Einreisestempel in Tulcan

Nach einigen Tagen in Quito hatte ich mich mit einem israelischen Restaurantbesitzer angefreundet, der mich zu einer Sightseeing-Tour einlud. Zuerst präsentierte er mir stolz sein neues Häuschen in einer Gegend am Rand der Stadt, welches sich noch im Rohbauzustand befand. Ich war neugierig und informierte mich bei ihm, weswegen man vom hoch entwickelten Israel in das unterentwickelte Ecuador ziehen sollte. Es wäre sicherer hier, entgegnete er mir, was ich nicht verstehen konnte. Die zweite Station des Ausflugs ging zu einem Monument, durch das der Äquator verlief und anschließend wurde ich an einen Vulkan gefahren, aus dessen Schlund kalter weißer Rauch aufstieg. Ich wollte es jetzt genauer wissen und fragte meinen Gastgeber noch einmal nach den Beweggründen von Israel nach Ecuador zu ziehen, wo es hier ja immerhin eine nicht unbeachtliche Kriminalitätsrate gab, auch wenn diese freilich nicht so hoch war, wie in Kolumbien. Es stellte sich nun heraus, dass seine Frau aus Ecuador kam, was mein Weltbild wieder etwas zu recht rückte.

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Der Äquator

Konfliktfrei war die Region auf keinen Fall, was mir am kommenden Tag auf dem Plaza Bolivar deutlich vor Augen geführt wurde. Hier hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, als der Präsident den Krieg mit Peru ausrief. In einer aufgehetzten Stimmung und einem Fahnenmeer aus Gelb, Blau und Rot jaulte die Menge seinen Volksvertretern zu, welche auf einem Podest vor dem Säulenpalast standen und nicht Müde wurden, aggressive Reden zu halten. Bisher hatte ich durchweg einen positiven Eindruck von dem Land gewinnen können und wollte daher jetzt erfahren, um was sich der Konflikt drehte. Angeblich, so erzählte man mir, hätte Peru heimlicherweise seine Grenzposten im Urwald über die Jahre immer weiter in das ecuadorianische Hoheitsgebiet hineinverlegt, wobei das Nachbarland mit der schleichenden Landnahme das Ziel verfolgen würde, das peruanische Einflussgebiet auf mögliche Ölvorkommen im Amazonasgebiet auszuweiten. Diese Ereignisse bewogen mich dazu, aufgrund der sich nun formierenden Truppenbewegungen im Süden Ecuadors zunächst nicht nach Peru, sondern erst einmal nach Banjos weiter zu fahren, um dort einige Tage bei heißen Thermalquellen die Berglandschaft Zentral-Ecuadors zu genießen. Es waren recht langweilige Tage, denn die einzige Attraktion von Banjos war neben den Thermalquellen ein Cafe, das nach meiner Lieblingsband, den Doors benannt war. Hier saß ich mit einem älteren Reetdachdecker aus Norddeutschland, der aufgrund familiärer Probleme als Aussteiger nach Ecuador gekommen war, Abend für Abend beim Bier zusammen, ehe ich mir ein Herz fasste und ungeachtet der unsicheren Lage an der Grenze, die Weiterreise nach Peru antrat.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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