Travel Report 6/1: Durch den Urwald

1995, Venezuela: Als ich in Ciudad Guyana am Busbahnhof saß und aus einer Metalltasse, deren Herkunft mir unbekannt war, einen Schluck Aquardiente nahm, wurde mir die Aufmerksamkeit einer Gruppe von etwa zehn Venezuelanischen Soldaten zuteil. Weswegen ihre Neugierde an mir so groß war, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht deuten und machte mir hierüber auch keine Gedanken, da ich eine äußerst anstrengende Fahrt hinter mir hatte. Mich beschäftigte auch noch das Schicksal eines schwarzafrikanischen Mitreisenden im Bus, der aus dem Bürgerkriegsland Liberia über das Meer nach Brasilien geflohen war und zu seinem Bruder auf einer karibischen Insel weiterreisen wollte. Aufgrund fehlender Dokumente hatte man ihn an der Grenze verhaftet und abgeführt. Die erste Station nach Manaus war das etwa 800 Kilometer entfernte Boa Vista gewesen, wo ich den jämmerlichsten aller Jammerhunde gesehen hatte, der mir je begegnet war. Er hatte sich aufgrund der Flöhe das gesamte Fell ausgerissen und stand nun nackt mit seinen etwa drei Zentimeter aus den Tatzen herausstehenden Krallen da, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Ich hätte ihm die Gnadenkugel verpasst, wäre ich bewaffnet gewesen. Dieser negative Eindruck geriet allerdings bald in Vergessenheit als ich die ersten Kilometer durch Venezuela gefahren bin, die von herausragender Schönheit waren. Der Bus hatten den Canaima Nationalpark gestreift und ich hatte die Tafelberge in der Nähe des Salto de Ángels sehen können.

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Am Bahnhof von Ciudad Guyana

Während ich in Ciudad Guyana am Busbahnhof saß, war es erst gut einen Tag her, als der Bus mit deutlicher Verspätung in dem etwa 800 Kilometer südlicher gelegenen Boa Vista eingetroffen war. Die lange matschige Piste war mehrfach von quer stehenden Lastkraftwagen und Autos blockiert gewesen und es hatte seitens des Busfahrers große Mühe und fahrerischen Geschicks bedurft, diese Situationen mitten im verregneten und schlammigen Urwald zu meistern. Nicht nur, dass die Straße nicht asphaltiert gewesen war, in der Regel gab es auch auf vielen Kilometern keine Ausweichmöglichkeiten, wodurch sich bald Staus mit zehn bis zwanzig Lastkraftwagen und Fahrzeugen in jede Richtungen gebildet hatten und der Matsch, in den sich die Fahrzeuge eingruben, ein Vor und Zurück beinahe unmöglich machte. Bei einem dieser Vorfälle hatte ich mir die Schuhe ruiniert, als ich den Bus verlassen hatte, um mir die Situation anzusehen. Der Matsch war dermaßen zäh, dass er beim Laufen nicht abfiel, sondern ich mit jedem Schritt ein paar Zentimeter größer wurde. Unter dem Gelächter meines dänischen Kollegen und dessen brasilianischer Freundin (Travel Report 5/3), gab ich mein Vorhaben bereits nach wenigen Schritten auf und war anschließend etwa eine Stunde mit dem Putzen der Schuhe beschäftigt gewesen. Unglücklicherweise hatte sich ein Riss von etwa fünf Zentimetern an der Naht des vorderen linken Schuhs gebildet, der sich im weiteren Verlauf der Fahrt zunehmend vergrößerte. Als wir an der Venezuelanischen Grenze angekommen waren, hatte ich die Schuhe ausgezogen und war Barfuß unterwegs, wodurch ich mir eine rohe Zurechtweisung von den Grenzsoldaten eingehandelt hatte. Gut zwanzig Jahre später erfuhr ich auf Little Corn Island von einem deutschen Reiseleiter, der in Venezuela wohnte, dass die Europäer hier nicht gut gelitten waren und als stinkende und ungepflegte Menschen wahrgenommen wurden. Vielleicht war das der Grund, warum ich von dem Grenzbeamten angebrüllt wurde, als ich mit meiner zusammen geschneiderten kurzen Hose (Travel Report 5/1) und ohne Schuhe vor ihm stand.

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Durch den Urwald

Ebenso wie für den Grenzbeamten, schien ich auch für die Soldaten am Busbahnhof in Ciudad Guyana ein Objekt besonderen Interesses zu sein. Sie setzten sich im Halbkreis um mich herum und hatten viele Fragen, von denen ich die meisten nicht verstand. Mir war nicht sehr wohl bei der Situation zumute, da die Uniformierten auf mich einen recht aufdringlichen Eindruck machten. Ich war froh, als der Däne und die Brasilianerin nach einer gefühlten Ewigkeit mit den Bustickets nach Caracas zurückkamen und wir endlich den letzten Teil unserer Fahrt über die unendliche Distanz von mehr als 2.200 Kilometern antreten konnten. In Caracas übernachtete ich zunächst zusammen mit den beiden in einem Zimmer und machte mich am folgenden Tag sogleich zur Botschaft auf,  um das Geld abzuholen, das ein Bekannter aus Deutschland beim Honorarkonsulat in München einbezahlen sollte (Travel Report 5/1). Zu meinem Erstaunen wurde mir mitgeteilt, dass kein Geld vorhanden sei und man mir daher auch nichts geben würde. Die Ursache konnte in einem Telefonat mit dem Freund aus Deutschland schnell herausgefunden werden, das Honorarkonsulat in München wollte das Geld erst annehmen, wenn ich in Caracas persönlich vorstellig geworden war. Mir wurden nach dieser Nachricht ein paar Pesos ausgeliehen, bis schließlich das Geld eintreffen sollte. Ich musste mir aufgrund dieser Verzögerung ernsthafte Sorgen machen, schließlich stand das Osterfest im vor der Türe und dann war alles für ein paar Tage geschlossen. Unweit von der Botschaft lag das Büro von British Airways, indem ich meinen Flug von Bogota nach London abändern wollte, um alternativ von Caracas nach London zu fliegen. Die Umbuchung stellte ich mir zunächst recht einfach vor, da Caracas als Zwischenstopp auf dem Weg lag. Weit gefehlt, aufgrund von internationalen Bestimmungen sollte mein Vorhaben nicht ohne weiteres möglich sein, man müsse erst von London die Genehmigung für die Umbuchung einholen, wurde mir von dem höflichen Mitarbeiter der Fluggesellschaft mitgeteilt.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
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