Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo

1995, Peru: Von der Luna Bar in La Paz hatte ich aufregendes gehört und wollte unbedingt dort einen Besuch abstatten, doch der Weg war noch weit und ob ich meine Reise würde fortführen können, stand in den Sternen, als mich die peruanische Polizei kurz nach der verdreckten und verstaubten Stadt Trujillo auf dem Weg nach Lima aus dem Bus heraus zur Wache führte. Die Wochen zuvor hatte ich mich in Quito und Banjos in Ecuador aufgehalten und dabei eine große Anzahl an Menschen aller Art kennengelernt. Neben Aussteigern und Lebemännern, Abenteurern und Vagabunden, gab es auch kulturell interessierte Personen, Bergsteiger und Naturliebhaber. Zudem hatte es auch das eine oder andere Pärchen aus Deutschland hierher verschlagen, das vermutlich dem Pauschaltourismus entfliehen wollte und nun nach kalkulierbaren Abenteuern suchte, sich aber nicht nach Kolumbien traute. Eins lernte ich bei den abendlichen Runden des Gedankenaustausches mit diesen Personen: Finger weg vom Weißwein in allen Ländern nördlich Chiles! In einer warmen, Mond beleuchteten Nacht in Quito, als ich mit anderen Reisenden zusammen im Innenhof eines alten spanischen Kolonialgebäudes saß, hatte ich nur eine Flasche getrunken, war von dem Zuckerwasser am kommenden Tag aber jämmerlich verkatert und fühlte mich bis in den späten Mittag hinein wie ein neunzigjähriger Mann im Stadium weit fortgeschrittener Gliederversteifung. Nach dem dies überstanden war, stellte sich als Höhepunkt des Aufenthaltes in Ecuador die Kriegsdeklaration an Peru dar, die aufgrund von Streitigkeiten um ein Stück Urwald, am Plaza Bolivar unter großem Menschenauflauf stattgefunden hatte. Aus diesem Anlass hatte sich auch die bisherige Fahrt in dem Bus nach Lima stark verzögert, da wir in kurzen Abständen immer wieder an Militärposten passieren mussten und dabei nicht selten durchsucht wurden.

Prinzipiell war ich reinen Gewissens, als ich die Polizeiwache betrat, doch man konnte nie wissen, in welchen Ärger man bei einer Kontrolle hineingezogen werden würde, gehörte die Polizei doch zu der Menschengruppe, gegenüber der ich in Südamerika am meisten Argwohn hegte. In Kolumbien war es immer das oberste Gebot gewesen, auf keinen Fall einen Gegenstand von jemandem auf der Straße in die Hand zu nehmen, zum Beispiel ein Souvenir. Die Gefahr war zu groß, dass es mit Rauschgift gefüllt war und der Anbieter mit der Polizei kollaborierte. Kaum hatte man es angefasst, so die Warnung, würde prompt die Verhaftung durch die auf der Lauer liegenden Ordnungshüter erfolgen, die in erpresserischer Absicht auf solche Situationen warteten. Es ging dabei um Lösegeld zur Vermeidung einer Gefängnisstrafe. Außerdem, so meine Befürchtung, hätte mir jemand auf der Reise etwas in meine Tasche legen können, die während der Fahrt auf dem Dach des Busses festgebunden war und schließlich konnten die Schurken von der Polizei mir auch selbst etwas in die Schuhe schieben. Ich wurde bis in den Allerwertesten hinein in einem Hinterzimmer der staubigen Polizeiwache durchleuchtet und durfte zu meiner große Erleichterung nach etwa einer halben Stunde wieder gehen. Mein Ansinnen mit der Luna Bar wollte ich mir nach dieser Erfahrung nun noch mal überlegen. Vielleicht waren die verführerischen Dinge, die es dort geben sollte, doch mit einer zu großen Gefahr behaftet.

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Im Hotel

Als ich mich wieder auf meinem Platz im Bus eingefunden hatte und dieser die Weiterfahrt antrat, begann meine Platznachbarin erneut wie ein Buch auf mich einzureden, ähnlich wie schon in den Stunden zuvor. Ich verstand kein Wort und antwortete vereinzelt mit „Si“ oder „No“, was sie geradezu animierte, immer weiter und weiter zu reden, so dass sich ein wahrer Wortschwall über mir ergoss. Ich muss die Si‘s und No‘s so gut eingestreut haben, dass sie optimal in ihren Redeschwall passten, erst als sie kurz vor dem Ende der Fahrt eine Frage stellte, die ich nicht mehr mit „Si“ oder „No“ beantworten konnte, kehrte endlich Ruhe ein. Nach ungefähr 24 Stunden und einer unangenehmen Nacht im Bus erreichten ich schließlich Lima. Ich war verstaubt und verschwitzt und wollte so schnell wie möglich in ein Hotel kommen. Kaum war ich aus dem Bus ausgestiegen, schon umschwärmten mich vier hübsche junge Damen, was mir in meinem Zustand ziemlich peinlich war. Sie trugen mir meine Tasche bis ins Hotel und wir verabredeten uns für den Abend. Die Frauen waren hier, wie ich feststellen musste, sehr nett und aufgeschlossen, durchwegs von Kolumbien bis Peru.

Um sechs Uhr abends wartete ich wie vereinbart vor dem Hotel, doch niemand ist erschienen. Unschlüssig, was jetzt zu tun war, kaufte ich einige Flaschen Bier, den Aquardiente (Travel 2) gab es außerhalb Kolumbiens leider nicht. Anschließend setzte ich mich auf die riesige Dachterrasse vor meinem Zimmer und hörte meine eigens für die Reise zusammengestellte Best-off Collection der Doors aus dem Kassettenrecorder an. Es vergingen gut zwei Stunden, ehe  aus der Ferne vertraute „Techno“ Musik zu hören war. Diesen Ort wollte ich finden, da ich dort eine ausgelassene Party vermutete und machte mich unvermittelt auf den Weg. Die Nacht endete im Chaos, plötzlich zog ich mit einem peruanischen Pärchen von Bar zu Bar und schmiss in angeheitertem Zustand eine Runde nach der anderen. Als es kurz vor sechs Uhr morgens war und ich wieder vor meinem Hotel stand, waren die beiden noch immer mit dabei und beschimpften mich wüst angesichts der Tatsache, dass ich für sie in dieser Nacht keine weitere Runden mehr spendieren würde. Mein Verhalten war eine große Nachlässigkeit und es war ein teurer Abend, der empfindlich in mein Reisebudget eingeschnitten hatte.

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Love Park Lima

Auf der Terrasse vor meinem Zimmer auf dem Dach des Hotels lernte ich zwei Tage später einen französischen Reisenden kennen. Großgewachsen, gut aussehend und mit blonden Haaren, kaum älter als ich, vielleicht zweiundzwanzig. Er schien aufgrund seines Aussehens das Böse, wie auch das Gute magisch an sich zu ziehen. Als wir am kommenden Tag eine Mädchenschule passierten an der gerade Pause war, fühlten wir uns wie Hollywood Stars auf dem roten Teppich, als der gesamte Schulhof voller uniformierter Schülerinnen an das Absperrgitter heran sprang, um uns beim Vorbeilaufen ausgelassen zu zuwinken. Einige Straßen weiter standen wir dann wie angewurzelt da und sahen schon das Unheil auf uns zukommen. Ein Passant hatte es auf die Armbanduhr meines französischen Kollegen abgesehen und obwohl wir es ahnten, konnten wir nicht reagieren. Wie in Zeitlupe schien der Dieb auf uns zu zukommen, riss die Uhr vom Arm meines Begleiters und lief langsam in die Menge hinein. Wir schauten ihm wie einbetonierte  Bronzestatuen nach und noch immer war keine Reaktion möglich. Da bemerkten wir zwei nobel gekleidete Männer hinter ihm. Sie packten den Dieb und schlugen ihn auf das schlimmste zusammen, noch auf ihn eintretend, als er schon zu Boden lag. Wir waren inzwischen wieder bewegungsfähig und baten alle zur Mäßigung, erhielten die Uhr zurück und ließen den Gauner laufen. Ich war anschließend froh, braungebrannt und mit schwarzen Haaren, einem Südländer zu gleichen, dafür aber auch das Böse wie das Gute weniger stark auf mich zu ziehen.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 3/3: Am Titicacasee

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Am Maccu Piccu

1995, Pune (Peru): War dies die Vorbereitung auf die Luna Bar, dachte ich, als in zeitverzerrten aber klangklaren Tönen der „Shaman Blues“ aus den Miniboxen meines Kassettenrecorders drang? Ich war von Lima nach Cuzco geflogen, da zu meinem Leidwesen die spektakuläre Bahnfahrt aufgrund von Aktivitäten einiger Guerilla-Banden im Gebiet um El Tambo sicherheitsbedingt nicht möglich war. Cuzco und der Macchu Pichu mit seiner historischen Bedeutung sind außerordentlich schöne Sehenswürdigkeiten gewesen, noch besser aber gefiel mir die Bahnfahrt zwischen den beiden Orten, die mich etwas für die entfallene Fahrt ab Lima entschädigen konnte. Die Züge fuhren hier im Zickzack die senkrechten Felswände hoch, indem sie wie ein Uhrenpendel hin und her schwingend quer zum Berg sich immer ein kleines Stück weiter nach oben arbeiteten. In Cuzco hatten nach drei Wochen endlich meine Magenprobleme ein Ende gefunden, die von Durchfall und Schmerzen geprägt waren. Ich wusste nicht, ob ich die neue Gesundheit meiner Brotkur oder den beiden Cocktails, die ich in einer Bar zu mir nahm, zu verdanken hatte. Wie es möglich ist, fünf Getränkeschichten einzuschenken, ohne dass diese ineinander fließen, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Der Barmann in Cuszco beherrschte sein Handwerk perfekt und hatte mir mit seinem Mix einen ordentlichen Schwips verpasst, worauf die Magenprobleme verschwanden.

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Die Überfahrt

Die Zugfahrt von Cuzco hierher nach Pune hatte auf eine Höhe von knapp 4.500 Metern geführt, eine idyllische Strecke mit schneebedeckten Bergen im Hintergrund und vereinzelten Lamaherden davor, die als schmückendes Beiwerk des Panoramas dienten. Pune selbst lag immer noch auf einer Höhe von 4.200 Metern, dementsprechend kalt war es am Mittag gewesen, als wir im strömenden Regen in einer Bar unter einer Plastikplane Platz genommen und den Karnevalsumzug beobachtet hatten. Dem heiteren Treiben der Maskierten konnte das Wetter nichts anhaben, in aller Fröhlichkeit waren sie tanzend durch die Straßen gezogen. An die Temperaturen nicht gewohnt und auch nicht mit adäquater Kleidung versehen, war ich nun froh, in meinem Bett zu liegen und der Musik zuzuhören. Jeder Ton drang einzeln und auf eine mir bis dahin noch nie bewusst gewordenen Art und Weise vollkommener Klarheit in den Raum, bis diese Harmonie plötzlich von einer energischen Intervention unterbrochen wurde. Ein Österreicher, den ich tagsüber kennen gelernt hatte und der nun in einem anderen Bett im selben Raum lag, forderte mich roh auf, die Musik abzustellen. Zunächst hatte er einen sehr lässigen Eindruck auf mich gemacht, worauf ich ihm zusagt hatte, dass er bei mir aufgrund seiner Geldknappheit übernachten könnte. Im Zeitverlauf wurde er jedoch immer nerviger und hatte mich früh schon auf meinem Barhocker alleine sitzen lassen. Ich überlegte, ob ich noch einmal zurück an die Bar gehen sollte, jetzt da die Musik in meinem Zimmer aus war, verwarf aber dann den Gedanken aufgrund der wenig einladenden Gesichter, die mir dort zuvor begegnet waren.

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Am Titicaca See

Der kommende Morgen wurde von strahlendem Sonnenschein erleuchtet, knisternd war die Aufbruchstimmung zu spüren, die der junge Tag in seiner noch kühlen Atmosphäre versprühte. Heute sollte die Fahrt nach Bolivien stattfinden und zu meiner besonderen Freude lag der Titicacasee auf dem Weg. Zunächst begann die Busfahrt recht unspektakulär, was sich bald änderte, als der See vor uns wie ein riesiger blauer Saphir in der Sonne blitzte. Kurze Zeit später versperrte uns eine breite Wasserscheide die Weiterfahrt. Von einer Brücke war nichts zu sehen, und ich traute meinen Augen kaum, man verfrachtete unseren Bus kurzerhand auf einen hölzernen Kahn. Wir Passagiere stiegen aus und wurden auf einem zweiten Boot über das Wasser gebracht. Ich war recht angespannt, nicht dass ich mir um mich Sorgen machte, sondern vielmehr um das Fahrzeug. Ein einziger Windstoß, so zumindest musste man befürchten, als man die schaukelnde Angelegenheit von der Distanz beobachtete, würde ausreichen, um das Floß zum kentern zu bringen und den Bus zusammen mit meinem Rucksack zu versenken. Doch alle Sorgen waren umsonst, die Schiffer waren sehr erprobt bei dieser für mich so ungewohnten Aktion, Bus und Passagiere erreichten schließlich wohlbehalten das andere Ufer.

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Grenze Boliviens

Als sich die Passagiere von dieser wackeligen Überfahrt erholt hatten und noch einige Zeit weiterfuhren, öffneten sich erneut die Weiten des am höchsten gelegenen Sees der Welt. Ein phänomenaler Blick tat sich auf das von braunen Bergen gesäumte dunkelblau glitzernde Wasser auf. Es tat mir etwas leid, hier keinen Zwischenstopp eingeplant zu haben, aber der logistische Aufwand wäre zu groß gewesen. Es dauerte nicht mehr lange, da erreichten wir die Grenze zwischen Bolivien und Peru, die nur aus einem Steinbogen bestand. Hier war auch Schluss für einen Passagier, der keinen Reisepass mit sich führte und mit Handschellen abgeführt wurde. Die Grenzformalitäten für die anderen Passagiere gingen schnell von der Hand und es dauerte nicht lange, ehe sich La Paz unter uns ausdehnte. Als ich am folgenden Tage durch die Straßen der Stadt schlenderte, musste ich feststellen, dass die Frauen hier ziemlich dick und rund in ihren bunten Gewändern da saßen. Nichts schien sie mit den schlanken und schönen Chileninnen, die ich noch am Maccu Piccu gesehen hatte, zu verbinden. Auch schien es sich um einen anderen Typus von Menschen zu handeln, als es noch im Norden in Kolumbien der Fall gewesen war, weniger spanisch dafür mehr indianisch.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 4/1: Reise durch die Klimazonen

1995, Bolivien/Chile: Als sich der alte, halb zerfallene Bus langsam die Wüste südwestlich von La Paz hinauf quälte, hatte ich das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Tatsächlich war ich am Tag zuvor vor der Luna Bar gestanden, wandte mich aber aufgrund der Erfahrungen mit der Polizei in Peru (Travel Report 3/2) ab und ging unverrichteter Dinge wieder in mein Hotel zurück. Jetzt, während große Kakteen an dem Bus vorbeizogen als wären sie die stummen Wächter einer ewigen Einöde und die Landschaft in dem Ambiente eines alten Western Films erleuchtete, stellte sich die Frage, ob ich ein Feigling gewesen war. Die Gedanken verflogen aber bald, als ich mich mit meinem Platznachbarn im Bus anfreundete, der unentwegt auf einem Streichholz nagte. Er war mit einer Gruppe von bildhübschen jungen Frauen unterwegs, die eine ähnliche Strecke wie ich zurückgelegt hatten und ebenfalls vom Maccu Piccu kamen, um zurück in ihr Heimatland zu reisen. Die meisten jungen chilenischen Männer trugen zu dieser Zeit einen Zopf, sofern sie eine gewisse modische Intelligenz besaßen und sahen mir dadurch zum Verwechseln ähnlich. Das war auch der Grund gewesen, weswegen ich am Maccu Piccu nicht den Eintrittspreis für Europäer bezahlen musste, sondern in die Gunst einer deutlichen Ermäßigung gekommen war, man hatte mich dort offenbar für einen chilenischen Staatsbürger gehalten. Nach einigen Stunden Fahrt, es ging wirklich sehr langsam voran und wir erreichten im Durchschnitt bei weitem nicht die üblichen fünfzig Kilometer Wegstrecke pro Stunde, veränderte sich die Landschaft zunehmend in ein flimmerndes Meer aus verschiedenen Brauntönen, das zeitweise von blauen Wasserlachen mit rosaroten Flamingos unterbrochen wurde. Die Altiplanos waren erreicht und hier oben lag auch die Grenze zwischen Bolivien und Chile.

Es sah aus, als wäre ein Strich mit dem Lineal gezogen geworden, als die staubige Piste Boliviens in die asphaltierte Straße Chiles überging. Noch vor dem Grenzübertritt legten wir eine Pause ein. Zeit, um eine Erfrischung in dem einzigen Laden hier oben im Niemandsland zu kaufen. Wir betraten eine aus Lehm und Ästen gebaute Hütte in der höchstens ein Dutzend verschiedener Waren angeboten wurden und eine steinalte Frau hinter der Verkaufstheke stand. Mein chilenischer Weggefährte bestellte jeweils eine Dose Cola für uns beide, was kein einfaches Unterfangen war, denn die alte Dame wusste nicht, um was es sich bei diesem Produkt handeln sollte. Erst als die Bestellung von „Coca Cola“ auf „rote Dose“ abgeändert wurde, erhielten wir unser Getränk. Obwohl die Frau mit Sicherheit eine Analphabetin war, verstand ich nicht, wie man bei dieser geringen Anzahl an Artikeln, die zum Verkauf angeboten wurden, den Produktnamen nicht kennen konnte. Auch mein Weggefährte stand nur hilflos lächelnd da und zuckte mit den Schultern.

111 Atacama (Copy)

Atacama

Es dauerte noch drei Stunden, ehe wir Arica erreichten, eine Stadt die endlich wieder die Annehmlichkeiten vorweisen konnte, die wir aus Europa gewohnt waren. Cafes, gängige Fastfood Restaurants, ja sogar Zeitschriften aus Europa gab es hier, die mit einem Tag Zeitverzögerung erschienen, was es mir erlaubte, mich über die Geschehnisse in der heimischen Fußballliga zu informieren. Ich buchte zusammen mit meinem chilenischen Begleiter und dessen Freundinnen ein Zimmer in einem Hotel in der Nähe des Busbahnhofs, indem wir uns nach der anstrengenden Fahrt mit vorzüglichem chilenischem Rotwein in einer angenehmen, lauen Sommeratmosphäre belohnten. Zur Belustigung aller war ich zuvor entsetzt zur Rezeption gerannt, als ich die fehlende Decke und die ersatzweise schattenspendenden Schlingpflanzen bemerkte, die an Drähten entlang über dem Zimmer thronten. Mild hatte mir die Empfangsdame entgegen gelächelt und mir auf Lebenszeit freie Unterkunft angeboten, sollten meine Befürchtungen eintreten und es während unseres Aufenthalts zu regnen beginnen. Nachdem sich die Belustigung im Zimmer gelegt hatte versicherten mir die Chilenen, dass es hier gar nicht regnen könne.  Eine alte Frau klärte mich später darüber auf, dass sie seit ihrer Geburt in Arica wohnen würde, noch nie aber Regen gesehen hätte. Ich befand mich jetzt in der Atacama-Wüste, dem wohl trockensten Flecken auf dem Planeten von dem aus die Wissenschaftler mit riesigen Fernrohren in den Himmel schauen und in dem die ältesten Kindermumien aus dem Sand ragen und zu Schlamm verfallen.

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Im Tal

Zwei Tage später trennten sich die Wege von der Gruppe der Chilenen und mir, da ich nach Santiago de Chile aufbrach. Zunächst durchfuhr ich Stunden lang die Atacama-Wüste, ehe sich nach gut einem Tag die Landschaft langsam wandelte und das erste Grün aufblühte. Im weiteren Verlauf der Fahrt wurde die Umgebung immer fruchtbarer, bis ich im sogenannten „Valley“, im „Tal“ ankam, in dem die Trauben, die hier für den berühmten chilenischen Wein angebaut wurden, fast so groß wie Eier waren. Ich wäre mir hier vorgekommen wie zu Hause in Deutschland, hätte die Sonne nicht unentwegt geschienen und wären die Trauben nicht so groß gewesen. Es war schön im Tal, friedlich und ruhig, eine ganz und gar andere Atmosphäre als in den nördlichen Andenländern, vergleichbar mit Stellenbosch in Südafrika, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Gut einen weiteren halben Tag später erreichte ich schließlich die Hauptstadt und erneut war ich erstaunt, denn ich hätte sie leicht mit Mailand oder Barcelona verwechseln können, hätte man mich mit verbundenen hier her gebracht und anschließend raten lassen, wo ich sei. Im Verhältnis zu den nördlichen Andenländern schien Chile aus meiner Perspektive ein weitaus entwickelteres Land gewesen zu sein, was mich verwunderte, hatte schließlich die Pinochet Diktatur erst einige Jahre zuvor geendet. Auch das Klima war jetzt sehr angenehm und reizvoll war die Tatsache, als Einwohner von Santiago jederzeit in knapp über einer Stunde rund um das Jahr entweder an den Strand in Valparaisos oder zum Skifahren auf das 3.700 Meter hohe Valle Nevado  fahren zu  können.

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Südchile

Prinzipiell wollte ich auf dieser Reise ja eigentlich nur bis Peru vorstoßen, doch ich hatte das Gefühl, es müsse immer weiter gehen. Es standen nun drei Optionen für die Weiterreise zur Auswahl. Zum einen konnte ich von Santiago aus mit einer organisierten Tour auf den höchsten Berg Südamerikas, den Aconcaqua steigen, der hinter der argentinischen Grenze mit knapp 7.000 Metern in die Höhe ragte. Als zweite Option kam ein Ausflug auf die Osterinseln in Frage und drittens die vollkommene Umrundung des Kontinents, indem ich nach Feuerland weiterreisen würde. Zeitlich wären mir alle drei Optionen offen gestanden, denn es war gleichgültig, ob ich in drei Monaten oder erst in einem halben Jahr wieder zurück nach Europa reisen würde. Allerdings hatte ich bereits deutlich mehr Geld ausgegeben, als ursprünglich geplant. Ich war hin- und hergerissen, was nun zu tun sei. Meine einzigen beiden potenziellen Ratgeber, ein reiseerfahrenes holländisches Pärchen im Nachbarzimmer meines Hotels, wollten nicht mehr mit mir reden, da ich mich zwei Tage zuvor angeblich über ihre Sprache lustig gemacht hatte, indem ich meinte, Holländisch würde für mich lustig klingen, wenn man „Bäume und Blumen“ als „Bomen en Bloemen“ ausspricht. Nach längerem Zaudern entschloss ich mich schließlich, den Weg nach Feuerland in Angriff zu nehmen und buchte ein Busticket nach Puerto Montt.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 4/2: Am Ende der Welt

153 Feuerland (Copy)

Magellan Straße

1995, Puerto Montt/Feuerland: Als ich die Empfehlung aussprach, aufgrund der Körper zerstörenden Wirkung des Weins, selbigen nördlich von Chile besser nicht zu trinken, ahnte ich noch nicht, was in Puerto Montt mit mir geschehen würde. Eigentlich fand ich die Art und Weise, Wein aus einfach zu transportierenden Papierkartons zu trinken, eine recht angenehme Angelegenheit. Ich Chile war das, ebenso wie in Südafrika, ohnehin bei weitem nicht so verpönt wie bei uns in Deutschland. An diesem Abend hatte ich wohl ein Glas oder einen Karton zu viel konsumiert und das gesamte Bad einschließlich der Toilette in der Pension buchstäblich für andere Gäste unannehmbar gemacht. Unfähig alles wegzuwischen, durch meine Putzaktion wurde es noch schlimmer, legte ich mich zu Bett und schämte mich am nächsten Morgen abgrundtief. In den kommenden Tagen unternahm ich Ausflüge in die Umgebung, besuchte die Lachsmärkte und den Hafen der Stadt. So weit südlich war es natürlich längst nicht mehr so warm wie noch zu Beginn meiner Reise, doch das Klima war angenehm und die Landschaft war von einer prächtigen Natur geprägt. Vermutlich, so dachte ich, sieht es hier aus wie in Kanada mit dem einzigen Unterschied, dass viele schneebedeckte Vulkane in den Himmel ragten. Die Flüsse führten kristallklares Wasser und kulinarisch konnte man sich mit der besten Sorte von Lachs in Südamerika verwöhnen. Als ich einige Tage später an die Weiterreise dachte, musste ich zu meinem Ärger feststellen, dass das Schiff von Puerto Montt nach Punte Arenas, welches die westliche Seite des südlichen Teils dieses Kontinents vorbei am ewigen Eis passierte, ausgebucht war. Die alternative Busfahrt durch das zerklüftete Andengebirge, das ich am Tag meiner Abreise bei Sonnenuntergang hinter mir liegen ließ und in die unendlichen Ebenen Patagoniens einbog, war aber ebenso sehr reizvoll gewesen.

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In Feuerland

Ein strammer Wind wehte ohne Unterbrechung über die kargen, gelben Grasbüschel in der Gegend um Punte Arenas herum. Hier und dort sah man einen Pelikan durch die Landschaft watscheln, es war kalt und öde. Dennoch war ich stolz, nun in der südlichsten Stadt der Welt zu sein, gleichwohl ich wusste, dass es noch Ushuaia weiter südlich gab, das ich aber als Versorgungsposten für Forschungsstationen abtat. Ich wohnte zur Untermiete in dem Haus einer älteren Dame, die mich mit allem herzlich umsorgte, was ich benötigte. Auf einem Ausflug in die Umgebung lernte ich ein argentinisches Kamerateam kennen. Die Journalisten mussten aufgrund des schlechten Wetters hier bereits seit Tagen auf den Überflug ins ewige Eis warten. Vermutlich um ihr Taschengeld aufzubessern, boten sie mir an, für 1.500 US-Dollar eine Woche lang mitzufliegen, was ich schweren Herzens aufgrund meiner finanziell bereits schon wieder angespannten Situation ablehnen musste. Dieser Sachverhalt sollte mich im späteren Verlauf meines Lebens noch sehr oft in Ärger versetzen, hatte ich doch eine große Chance verpasst. Auf der anderen Seite lagen aber noch gut 15.000 Kilometer vor mir, um wieder nach Kolumbien zurück zu kommen, von wo aus mein Rückflug nach Europa starten sollte. Mein durchschnittlicher Tagesetat für die kommenden Wochen wurde kleiner und kleiner, doch Gott sei Dank, hatte ich meine Bankkarte bei einem Freund in Deutschland gelassen, der dadurch in der Lage war, jederzeit Geld einzubezahlen, was ich in Südamerika abholen konnte. Die leidigen Erfahrungen mit der Botschaft in Bogota (Travel Report 2/4) hingen mir noch immer nach.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 5/1: Mode und Prostitution

212 Ciudad del Este (Copy)

Ciudad del Este

1995, Paraguay/Rio: In Ciudad del Este drängelten die Busse in Zweier- und Dreierreihen auf der matschigen Piste entlang bis an den Horizont. Nicht die eindrucksvollen Iquazu Wasserfälle hier an der Grenze zwischen Paraguay und Brasilien lockten derartige Massen von Menschen an, es waren die für brasilianische Verhältnisse besonders günstigen Waren, die es hier gegeben hat. Was für eine Tortur, dachte ich, nehmen die Leute auf sich, nur um ein paar Dinge etwas günstiger kaufen zu können. Es war wieder einmal drückend heiß und ich entschloss mich dazu, eine meiner beiden Hosen zu kürzen. Gleich der erste Anlauf schlug fehl, denn die beiden gekürzten Beine waren unterschiedlich lang, was ich erst im Spiegel erkennen konnte. Als nach zwei weiteren Versuchen die Hosenbeine endlich die gleiche Länge hatten, war zu meinem Ärger schließlich im Schritt nicht mehr genug Stoff vorhanden, um auch im Sitzen alles Verdächtige zuverlässig zu verdecken. Da ich meine Jeansjacke hier im tropischen Tiefland nicht mehr benötigte, besorgte ich mir in einem Laden für Nähartikel eine Nadel und einen Faden, schnitt aus dem Rücken der Jacke zwei Streifen heraus und nähte diese an die gekürzten Hosenbeine an. Fertig war die einzigartige modische Schöpfung und sie gefiel mir so gut, dass ich sie bis nach Venezuela unentwegt tragen sollte, mit Ausnahme der Tage, an denen sie gewaschen wurde.

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Grenze Brasilien

Mein nächstes Ziel sollte Brasilien sein, wohin ich nach zwei Tagen in der überfüllten Stadt des Ostens aufbrach. Als der Bus, der direkt nach Rio de Janeiro fuhr, die Grenze zwischen Paraguay und dem großen Nachbarland passierte, schlief ich in aller Seelenruhe. Eigentlich war es eine freundliche Geste von den brasilianischen Grenzbeamten, mir meine Ruhe zu lassen, nur hatte ich nun das Problem, dass mir der Einreisestempel fehlte und ich mir Sorgen um die Ausreise machen musste. Dieser Sachverhalt aber fiel mir erst am kommenden Tag ein, ich schlief die gesamte Fahrt über und wachte im Morgengrauen gegen halb sechs Uhr auf. Von dem angehobenen Straßenverlauf der Autobahn konnte ich ein Meer von Wellblechhütten überblicken, welches erst weit im Hintergrund von grauen, gleichförmig gebauten Hochhäusern begrenzt wurde. Hier und dort sah man Müllberge, auf denen nackte und halbnackte Menschen herumliefen, und eine apokalyptisch anmutende schwarze-gelbe Wolkenfront bedeckte den Himmel. Ich war in Sao Paulo angekommen und es sollte noch sechs Stunden bis Rio de Janeiro dauern, wo ich aufgrund meines zunehmenden Geldmangels zum ersten Mal auf der Reise in einer Jugendherberge absteigen musste. Als wir in das Zentrum von Rio einfuhren überkam mich ein mulmiges Gefühl. Ich hatte Respekt vor der Stadt in der ich ankam, als ich die Favelas und die wackeligen Backsteinhäuser an den Hängen sah. Der Busbahnhof, war ein ungeheures, verschachteltes Bauwerk aus massiven Betonelementen in dem ich es mit der Angst zu tun bekam. Nachdem die anderen Passagiere aus dem Bus verschwunden waren, hielt sich außer mir kaum mehr jemand in dem Gebäude auf. Es handelte sich auf jeden Fall nicht um den zentralen Busbahnhof, das wusste ich und machte mich auf, um so schnell wie möglich an die Copacabana zu kommen.

Die sogenannte Jugendherberge lag etwas angehoben auf einem Hügel zwei Querstraßen hinter den Prachtgebäuden des wohl berühmtesten Strandes der Welt und war schon von Wellblechhütten umringt, in denen verschiedene Artikel zum Kauf angeboten wurden oder die als Gaststätten für Schnaps und Bier dienten. Allem Anschein nach war die vordere Häuserfront der Promenade ohnehin nur eine schmückende Fassade für die hässlichen Gebäude und Hütten dahinter. Ich bekam von dem Sohn des Besitzers der Einrichtung, der ebenfalls zwanzig Jahre alt war und mit dem ich mich bald angefreundet hatte, ein Bett in einem Schlafsaal zugewiesen. Entgegen meiner Erwartungen waren hier keine Jugendlichen aufzufinden, vielmehr nächtigten zwei Wanderarbeiter zusammen mit mir in den quietschenden Stockbetten einer riesigen Halle. Frisch geduscht ging ich mit meinem neuen Kumpel zu den Wellblechhütten hinunter und feierte dort mit ihm und mit einem Getränk namens „51“ einige Stunden lang bei lauter lateinamerikanischer Musik, die allerorts aus den Lautsprechern dröhnte. Als sich schließlich für meinen Geschmack zu viele verlebte Gestalten um uns herum angesammelt hatten, zog ich mich in das nahegelegene Gebäude zurück und ging zu Bett.

224 Rio (Copy)

Am Zuckerhut

Die folgenden beiden Tage waren von Hektik und Organisationsstress geprägt. Zunächst versuchte ich bei der Immigrationsbehörde einen Stempel zur Offizialisierung meiner Einreise und für meinen Aufenthalt in Brasilien zu bekommen. Von hier aus schickte man mich zu einer zweiten Behörde, die mich wiederum an eine dritte verwies, von der ich zurück zur Immigrationsbehörde gesendet wurde. So ging das den gesamten Tag über, bis sich endlich ein Beamter erbarmte und einen Stempel samt Schriftvermerk über den Sachverhalt in meinem Pass setzte. Am folgenden Tag sprach ich bei der österreichischen Botschaft vor, um hier Bescheid zu geben, das mir die Mittel spätestens in Caracas ausgingen und ein Bekannter aus Deutschland Geld einbezahlen würde, welches ich anschließend in der Venezuelanischen Hauptstadt abholen wollte. Anders als im Jahr zuvor in Kolumbien war man sehr freundlich und versprach mir, mich bei der Transaktion zu unterstützen. Die Botschaft lag direkt an der vordersten Front der Copacabana, so dass ich die Gelegenheit nutzte, um hier in einem nahe gelegenen Cafe ein Bier zu trinken. Kaum hatte ich mich gesetzt, wurde ich schon von zwei verlausten Straßenkindern angebettelt. Der Barkeeper sprang heraus und malträtierte die Kinder mit Fußtritten und Ohrfeigen, so dass sie schnell wieder verschwanden. Das waren ja Weiße mit blonden Haaren, schoss es mir erschrocken in den Kopf, um gleich darauf ein schlechtes Gewissen für diesen spontanen Gedanken zu bekommen.

222 Rio (Copy)

Copacabana

Die Jugendherberge entsprach ganz und gar nicht dem, wonach sie aussah. Es stellte sich heraus, dass ich der einzige in dieser Einrichtung war, der einen typischen Gast hätte darstellen können. Neben den Wanderarbeitern waren die beiden obersten Stockwerke für eine Vielzahl an Prosituierten reserviert, die dort halbnackt herumliefen und bei denen ich allabendlich mit dem Sohn des Besitzers der „Jugendherberge“ einen Besuch abstattete. Es wäre alles gratis für mich als Freund, meinte er immer wieder. Ich ließ aber aus Angst vor Krankheiten und auch davor ausgeraubt oder bestohlen zu werden und wegen meiner Freundin zu Hause in Deutschland, die Finger von den Damen. Außerdem war das eine oder andere Mädchen sehr aggressiv, wie ich feststellte, als ich unter großem Geschrei eines Abends einen Stuhl auf dem Balkon räumen musste, da eine der Damen mir zu verstehen gab, dass es der ihrige wäre. Ich vermutete im besten Falle Kokain und im schlimmsten Falle billige Abfalldrogen hinter diesem Verhalten, schließlich handelte es sich um Straßenprostituierte, deren Tagesablauf darin bestand, sich Nachts das Geld zu verdienen, es anschließend in einer der Wellblechbars zu verprassen und tagsüber durchzuschlafen.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
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Travel Report 3/3: Am Titicaca See
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Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 5/3: Am Amazonas

1995, Brasilien: Bereits einen halben Tag vor der Abfahrt kam ich zu dem Schiff, das mich den Amazonas hinauf bringen sollte. Ich versprach mir von der frühen Ankunft, mir einen guten Platz für meine Hängematte sichern zu können und traute meinen Augen kaum, als ich sah, wie viele von ihnen schon auf dem Schiff herumbaumelten. Das Schiff war voll, dachte ich und hängte mich mitten in das Gewühl der anderen Matten hinein. Ich war ja inzwischen sehr mobil und flexibel, denn viel Gepäck führte ich nicht mehr mit mir und hatte daher auch meinen lästigen Rucksack im Hotel zurück gelassen. Ich sollte mich gewaltig irren, das Schiff war noch lange nicht voll. Unentwegt kamen weitere Menschen dazu und drängten sich auf das Mitteldeck. Die ganzen Hängematten anzubringen gelang nur, indem man sie auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich weit herunterhängen ließ. Als das Schiff ablegte sah ich neben mir einen jungen, blonden Kerl, der so gar nicht in das Bild der ganzen in ihren Hängematten schaukelnden dunkelhäutigen Gestalten passte. Es war ein Däne, der ebenfalls nach Caracas reisen musste und er hatte eine junge Brasilianerin dabei, die er zurück mit nach Europa nehmen wollte. Freudig über das Treffen machten wir uns an die Bar auf dem Deck und tranken eine Flasche Antarktika, was meinen Reiseetat von etwa 80 auf 78 Dollar dahinschmelzen ließ. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, auf dem Schiff kein Geld auszugeben, aber das war mir inzwischen egal.

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Hängematten

Im weiteren Verlauf der Fahrt stellte sich heraus, dass gut ein Dutzend englischsprechender Passagiere aus allen Teilen der Welt an Bord gewesen waren. Einer davon, ein etwa vierzigjähriger Amerikaner, der die Beiblätter seines Reisepasses wie eine Ziehharmonika herausziehen konnte, indem allein 75 Ein- und Ausreisestempel von und nach Hong Kong vermerkt waren, freundete sich ebenfalls mit uns an. Zusammen mit ihm, dem Dänen und dessen brasilianischer Freundin saß ich meist auf dem Oberdeck und schaute mir das vorbeiziehende Ufer mit seinen Bambushütten an. Der Däne wusste auch nicht so recht, wie das gehen könnte, eine Frau aus Brasilien mit nach Europa zu nehmen. Auf jeden Falls aber wusste er, dass Dänemark ein Sozialstaat ist und war guter Dinge, dass schon für sie gesorgt werden würde. Die Brasilianerin war völlig unaufgeklärt über die Verhältnisse in Europa und staunte nicht schlecht, als ich ihr erzählte, dass die Tage im Sommer sehr lang, im Winter aber sehr kurz sind und dass es guter Kleidung bedurfte, um den Winter auch durchzustehen. Hier und da trankt ich einen Schluck Cachaca von dem Amerikaner, aber nicht allzu viel, denn die Kopfschmerzen im Bus und der Anblick einiger Indios, die in der prallen Sonne aus einer zwei Liter Flasche den Schnaps am hellen Tag soffen, als wäre es Wasser, machten mir das Getränk in einem gewissen Maße zuwider. Allerdings hatte ich an den 0,75 Liter Antarktika Bierflaschen meinen Gefallen gefunden und konsumierte zwei davon am Tag, was meinen Etat täglich um vier Dollar schmälerte, so dass ich mich innerlich zunehmend auf eine Fahrt per Anhalter von Manaus nach Caracas einstellte.

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In Santarem

Etwa auf dem halben Wege nach Manaus, in einer Stadt Namens Santarem, ging das Schiff nach drei Tagen zum ersten Mal an Ufer und hielt hier für ein paar Stunden. Mir war die Sache nicht geheuer, denn ich hatte gehört, des Öfteren würde man früher starten und Passagiere zurücklassen, die anschließend mit sehr großem Aufwand und auf private Rechnung mit Motorbooten hinterher eilen mussten, um wieder an Bord zu kommen. Ich ging also nach der Hälfte der angesagten Zeit wieder zurück und beobachtete das Boot. Ich sollte Recht behalten, aus unergründlichen Umständen legten wir früher ab und zwei Israelis aus unserer Gruppe wurden zurückgelassen – ich sah sie nie wieder. Das Schauspiel, das sich ein paar Tage später vor unseren Augen abspielte, als der Rio Negro sich mit dem Rio Amazonas vereinigte, war einzigartig. Kilometer lang trieben die beiden Flüsse, der schwarze und der braune, nebeneinander her und vermengten sich nicht. Hier und dort sorgten die Süßwasserdelphine, die sporadische zu sehen waren, für Aufregung auf dem Boot. Ich genoss die Fahrt inzwischen und an den letzten beiden Tagen saß ich meisten vorne am Bug und schaute mir stundenlang die Umgebung an, wenn ich gerade nicht im Unterdeck war, um Hühnchen mit Reis zu essen. Ich kam mir vor wie in Trance von der einzigartigen an mir vorbeiziehenden unberührten Natur. Ein Zustand, der sich jedoch schlagartig änderte, als nach insgesamt sieben Tagen auf dem Amazonas die hässlichen und aufgrund des Klimas halb verrotteten Außenbezirke des Drecklochs Namens ¨Manaus¨ zu sehen waren.

Alle meine schlimmen Erwartungen an diesen Ort, der wie eine Trabantenstadt mitten im Urwald aus dem Nichts herausgestampft worden war, wurden auf negative Art und Weise unterboten. Allein schon das Klima war derart unmenschlich, dass jede Kreatur, die ihre Existenz hier fristen musste, aufrichtig zu  bemitleiden war. Es schüttete in Strömen und faustdicke Kakerlaken sprangen aus den Ritzen entlang der Kanalisation unter dem Gehweg heraus, als wären es die Ausgeburten einer unterirdischen Armee des Ekels. Ich hatte noch etwa fünfzig Dollar in brasilianischen Real in meiner Tasche und der Bus nach Caracas sollte knapp sechzig Dollar kosten, wobei ich auch noch eine Übernachtungsmöglichkeit benötigte, was aber weiter nicht schwer zu organisieren war, da ich inzwischen mit einer ganzen Gruppe an Europäern, Australiern und Amerikanern unterwegs war und sich alle, samt dem Dänen mit seiner brasilianischen Freundin in der selben Unterkunft einquartierten. Dennoch wagte ich einen kurzen Versuch, das österreichische Honorarkonsulat in Manaus aufzusuchen. Doch das kleine Häuschen, in dem es laut Reiseführer hätte sein sollen, war geschlossen. Mein dänischer Kollege schien ebenfalls wie ich knapp bei Kasse gewesen zu sein, denn ich hatte ihm versprochen, ihm im Falle eines erfolgreichen Besuchs bei der Botschaft, etwas zu leihen.

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Rio Amazonas

Als wir unverrichteter Dinge den Rückweg von dem geschlossenen und zugenagelten Honorarkonsulat in unsere Unterkunft antraten, war es zwecklos, weiterhin unsere T-Shirts anzubehalten. Der Regen war dermaßen stark, dass wir uns nackten Oberkörpers durch die Stadt bewegten und so taten, als könne uns das alles nichts anhaben. Als schließlich der Regen nachließ, zog ich zusammen mit dem Dänen und seiner brasilianische Freundin in der Stadt umher. Wir beschlossen, unser restliches Geld zusammenzulegen und einen Plan auszuarbeiten, wie wir nach Caracas kommen könnten und wie es dort weitergehen sollte. Demnach lieh mir der Däne zehn Dollar für den Bus, ich würde ihm dafür in Caracas unter die Arme greifen. Insgesamt hatten wir noch etwa 220 US Dollar in Rial, also ausreichend für drei Bustickets und es war sogar noch etwas übrig, da die Brasilianerin in der Lage war, Nahrungsmittel beinahe für umsonst zu besorgen. Wir waren uns schnell einig, der Entschluss zu dritt nach Caracas zu fahren, musste gefeiert werden. Nach zwei Flaschen Sekt inzwischen recht gut angeheitert, hatten wir uns einige Zeit später in den Hafen verlaufen. Als wir dort ein Schiff Namens ¨Westphalia¨ unter deutscher Flagge vor Anker liegen sahen, packte uns die Idee, mit diesem nach Europa zurück zu fahren, doch alles Trommeln an der Bordwand, das Geschrei und auch das Klirren der Sektflaschen, die wir an Bord warfen, half nichts. Kein Matrose, keine Kapitän ist erschienen um sich unser Anliegen anzuhören. Dennoch, die Idee der Rückreise mit einem Schiff war geboren und sollte später in Caracas noch einmal aufflammen.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 6/1: Durch den Urwald

1995, Venezuela: Als ich in Ciudad Guyana am Busbahnhof saß und aus einer Metalltasse, deren Herkunft mir unbekannt war, einen Schluck Aquardiente nahm, wurde mir die Aufmerksamkeit einer Gruppe von etwa zehn Venezuelanischen Soldaten zuteil. Weswegen ihre Neugierde an mir so groß war, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht deuten und machte mir hierüber auch keine Gedanken, da ich eine äußerst anstrengende Fahrt hinter mir hatte. Mich beschäftigte auch noch das Schicksal eines schwarzafrikanischen Mitreisenden im Bus, der aus dem Bürgerkriegsland Liberia über das Meer nach Brasilien geflohen war und zu seinem Bruder auf einer karibischen Insel weiterreisen wollte. Aufgrund fehlender Dokumente hatte man ihn an der Grenze verhaftet und abgeführt. Die erste Station nach Manaus war das etwa 800 Kilometer entfernte Boa Vista gewesen, wo ich den jämmerlichsten aller Jammerhunde gesehen hatte, der mir je begegnet war. Er hatte sich aufgrund der Flöhe das gesamte Fell ausgerissen und stand nun nackt mit seinen etwa drei Zentimeter aus den Tatzen herausstehenden Krallen da, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Ich hätte ihm die Gnadenkugel verpasst, wäre ich bewaffnet gewesen. Dieser negative Eindruck geriet allerdings bald in Vergessenheit als ich die ersten Kilometer durch Venezuela gefahren bin, die von herausragender Schönheit waren. Der Bus hatten den Canaima Nationalpark gestreift und ich hatte die Tafelberge in der Nähe des Salto de Ángels sehen können.

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Am Bahnhof von Ciudad Guyana

Während ich in Ciudad Guyana am Busbahnhof saß, war es erst gut einen Tag her, als der Bus mit deutlicher Verspätung in dem etwa 800 Kilometer südlicher gelegenen Boa Vista eingetroffen war. Die lange matschige Piste war mehrfach von quer stehenden Lastkraftwagen und Autos blockiert gewesen und es hatte seitens des Busfahrers große Mühe und fahrerischen Geschicks bedurft, diese Situationen mitten im verregneten und schlammigen Urwald zu meistern. Nicht nur, dass die Straße nicht asphaltiert gewesen war, in der Regel gab es auch auf vielen Kilometern keine Ausweichmöglichkeiten, wodurch sich bald Staus mit zehn bis zwanzig Lastkraftwagen und Fahrzeugen in jede Richtungen gebildet hatten und der Matsch, in den sich die Fahrzeuge eingruben, ein Vor und Zurück beinahe unmöglich machte. Bei einem dieser Vorfälle hatte ich mir die Schuhe ruiniert, als ich den Bus verlassen hatte, um mir die Situation anzusehen. Der Matsch war dermaßen zäh, dass er beim Laufen nicht abfiel, sondern ich mit jedem Schritt ein paar Zentimeter größer wurde. Unter dem Gelächter meines dänischen Kollegen und dessen brasilianischer Freundin (Travel Report 5/3), gab ich mein Vorhaben bereits nach wenigen Schritten auf und war anschließend etwa eine Stunde mit dem Putzen der Schuhe beschäftigt gewesen. Unglücklicherweise hatte sich ein Riss von etwa fünf Zentimetern an der Naht des vorderen linken Schuhs gebildet, der sich im weiteren Verlauf der Fahrt zunehmend vergrößerte. Als wir an der Venezuelanischen Grenze angekommen waren, hatte ich die Schuhe ausgezogen und war Barfuß unterwegs, wodurch ich mir eine rohe Zurechtweisung von den Grenzsoldaten eingehandelt hatte. Gut zwanzig Jahre später erfuhr ich auf Little Corn Island von einem deutschen Reiseleiter, der in Venezuela wohnte, dass die Europäer hier nicht gut gelitten waren und als stinkende und ungepflegte Menschen wahrgenommen wurden. Vielleicht war das der Grund, warum ich von dem Grenzbeamten angebrüllt wurde, als ich mit meiner zusammen geschneiderten kurzen Hose (Travel Report 5/1) und ohne Schuhe vor ihm stand.

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Durch den Urwald

Ebenso wie für den Grenzbeamten, schien ich auch für die Soldaten am Busbahnhof in Ciudad Guyana ein Objekt besonderen Interesses zu sein. Sie setzten sich im Halbkreis um mich herum und hatten viele Fragen, von denen ich die meisten nicht verstand. Mir war nicht sehr wohl bei der Situation zumute, da die Uniformierten auf mich einen recht aufdringlichen Eindruck machten. Ich war froh, als der Däne und die Brasilianerin nach einer gefühlten Ewigkeit mit den Bustickets nach Caracas zurückkamen und wir endlich den letzten Teil unserer Fahrt über die unendliche Distanz von mehr als 2.200 Kilometern antreten konnten. In Caracas übernachtete ich zunächst zusammen mit den beiden in einem Zimmer und machte mich am folgenden Tag sogleich zur Botschaft auf,  um das Geld abzuholen, das ein Bekannter aus Deutschland beim Honorarkonsulat in München einbezahlen sollte (Travel Report 5/1). Zu meinem Erstaunen wurde mir mitgeteilt, dass kein Geld vorhanden sei und man mir daher auch nichts geben würde. Die Ursache konnte in einem Telefonat mit dem Freund aus Deutschland schnell herausgefunden werden, das Honorarkonsulat in München wollte das Geld erst annehmen, wenn ich in Caracas persönlich vorstellig geworden war. Mir wurden nach dieser Nachricht ein paar Pesos ausgeliehen, bis schließlich das Geld eintreffen sollte. Ich musste mir aufgrund dieser Verzögerung ernsthafte Sorgen machen, schließlich stand das Osterfest im vor der Türe und dann war alles für ein paar Tage geschlossen. Unweit von der Botschaft lag das Büro von British Airways, indem ich meinen Flug von Bogota nach London abändern wollte, um alternativ von Caracas nach London zu fliegen. Die Umbuchung stellte ich mir zunächst recht einfach vor, da Caracas als Zwischenstopp auf dem Weg lag. Weit gefehlt, aufgrund von internationalen Bestimmungen sollte mein Vorhaben nicht ohne weiteres möglich sein, man müsse erst von London die Genehmigung für die Umbuchung einholen, wurde mir von dem höflichen Mitarbeiter der Fluggesellschaft mitgeteilt.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 2/6: Auf der Flucht

1994, Santa Marta/Bogota: Es blieben nur noch wenige Tage nach meiner Rückkehr aus dem Park Tayrona (Travel Report 2/5), die ich in Santa Marta verbringen wollte, ehe ich von Bogota aus meinen Heimflug antreten musste. Zu den bunten Indianern in der Salzwüste würde ich es zeitlich nicht mehr schaffen, das war inzwischen klar geworden. Von den geplanten acht Wochen hatte das Geld schließlich nur für sechs ausgereicht, trotzdem war ich mit der Reise zufrieden. Das Hotel Miramar, in dem ich untergebracht war, lag direkt am Strand von Santa Marta. Ein altes spanisches Kolonialgebäude mit Innenhof, Bar und Restaurant, ziemlich einfach und glaubte man den Gerüchten, wurde einmal pro Monat der Hotelsafe ausgeraubt. Dafür konnte man für nur einen Dollar pro Nacht ein Zimmer buchen, ein unschlagbares Preis-Leistungsverhältnis, vorausgesetzt man war nicht besonders lärmempfindlich. Im Hotel regierte ein junges Partyvolk, die Musik dröhnte bis weit in die Nacht hinein und Bier und Aquardiente flossen in Strömen. Die „härtesten“ Gäste kamen aus der Schweiz und konnten sich den Heimflug nicht mehr leisten, da sie das ganze Geld hier im Hotel für Kokain verprasst hatten. In ständiger Bedrohung der einheimischen Konkurrenz versuchten sie sich mit selbstgemachten Kettchen und Ringen, die sie am Strand verkauften, über Wasser zu halten. Viele konsumierten härtere und weniger harte illegale Substanzen und jeden Abend tanzte man bis in die späte Nacht hinein. Tagsüber war ich mit einer Gruppe angehender Ärzte aus Deutschland des Öfteren in Taganga, einem kleinen Fischerdorf in der Nähe von Santa Marta, indem angeblich der beste Fisch aus der gesamten Umgebung serviert wurde.

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Hotel Miramar

Am vorletzten Abend vor meiner geplanten Abfahrt aus Santa Marta ließ ich mich dazu hin reisen, mit zwei deutschen Aussteigern eine Runde Pfennig-Skat zu spielen, dabei hatte ich mich bei der Höhe des Einsatzes vertan, denn eigentlich spielten wir um kolumbianische Pesos. Entgegen meiner Berechnung, es wäre umgerechnet nur ein halber Pfennig Einsatz erforderlich, ging es in Wirklichkeit um zwei Pfennige pro Punkt in jeder Runde. Ich bemerkte diesen Irrtum zunächst nicht und spielte munter eine Runde nach der anderen. Hatte ich zu Beginn noch gewonnen, so sah es immer schlechter um mein Glück aus. Im Nachgang wurde mir klar, dass die beiden gezielt gegen mich gespielt hatten. Eigentlich wollte ich schon aussteigen, doch dann stand aufgrund eines verlorenen Grand-Ouvert Spiels noch eine Runde Doppelbock mit anschließendem Ramsch an. Alle drei Bockspiele und auch die drei Ramsch-Runden verlor ich haushoch und war den Kollegen am Ende über 100 Dollar schuldig. Da ich schon wieder knapp bei Kasse war und nur noch über etwa 130 Dollar für die restlichen vier Tage verfügte, konnte ich unmöglich das Geld ausbezahlen und vertröstete die beiden auf den nächsten Tag, indem ich vorgab, mir erst bei einer Bank Geld besorgen zu müssen, was jedoch aufgrund fehlender Reisechecks (Travel Report 2/4) gar nicht möglich war. Die beiden wurden ziemlich böse und beruhigten sich erst wieder, als ich mit einem Bier für jeden von der Bar zurück an den Tisch kam.

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Auf dem Monseratte in Bogota

Am kommenden Morgen packte ich meine Sachen bereits um fünf Uhr und machte mich zur Busstation auf. Gott sei Dank, dachte ich, ist noch keiner wach. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als der Bus endlich nach Bogota aufbrach. Die Fahrt sollte etliche Stunden dauern und es regnete wie aus Eimern gegossen. Unfreiwillig bereits drei Tage vor meinem Heimflug zurück in Bogota, gestaltete sich die restliche Zeit ziemlich langweilig. Aber ich hatte die erste echte Bewährungsprobe als Reisender bestanden. Um mir die Zeit zu vertreiben schaute ich im Kino Pulp Fiction in Originalvertonung an und stattete dem Hausberg Bogotas, dem Monseratte einen weiteren Besuch ab. Auf der Fahrt an den Flughafen wunderte ich mich einmal mehr über das Chaos, das den Verkehr dominierte, daran konnte man sich wohl nicht so einfach gewöhnen.

Reiseberichte:

Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin
Travel Report 2/2: Ein paar Minuten in Cali
Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia
Travel Report 2/4: Die Trickbetrüger
Travel Report 2/5: Bei den Strandparadiesen
Travel Report 2/6: Auf der Flucht

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Travel Report 2/5: Bei den Strandparadiesen

1994, Karibik: Als sich das Flugzeug langsam neigte, um in die letzte Schleife bei der Landung auf San Andres einzubiegen, bot sich unter mir ein Bild dar, wie es in keinem Reisekatalog schöner hätte sein können. Der Strand war gesäumt von türkisgrünem Wasser, die Palmen  rauschten in der frischen Meeresbrise, goldgelbe Hütten lagen verstreut über der Insel und bunte Fischerboote schaukelten munter in der Brandung hin und her. Bei mir hob sich die Stimmung deutlich an und ich freute mich, in wenigen Minuten schon vor der Küste Nicaraguas auf einer kleinen Insel mit den Abmessungen von zwölf mal drei Kilometern zu sein. Schnell wurde mir aber auch wieder bewusst, als Opfer eines Trickbetrugs in Bogota nur noch über etwa zwölf Dollar am Tag zu verfügen (Travel Report 2/4). Als ich gelandet war, suchte ich die billigste Unterkunft aus dem South American Handbook auf, die von einer alten, dicken, warmherzigen Madame afrikanischer Herkunft geführt wurde. Der Preis von fünf Dollar pro Nacht für ein Zimmer war mir allerdings zu hoch, schließlich wollte ich nicht auf den Aquardiente verzichten und mietete mir daher eine Hängematte im Vorgarten der Unterkunft für umgerechnet fünfzig Cent pro Tag an.

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In San Andres

Die kommenden Tage waren von einem außerordentlich schönen Strandurlaub geprägt. San Andres war ein Paradies, wie man es nur selten vorfinden konnte. Aufgrund meiner günstigen Übernachtungsmöglichkeit und der Tatsache, mich weitgehend von Brot zu ernähren, reichte es noch für das eine oder andere Bier an der Beach-Bar. Auch wenn sich nur sehr wenige Besucher hierher verliefen, war immer etwas los und so leer der Strand auch war, zwei junge Damen aus Deutschland verweilten hier regelmäßig und lagen meistens unbedeckt unter den Palmen. Es war ein Genuss anzusehen, wie ganze Gruppen kolumbianischer Männer minutenlang starrend stehen blieben, um mit einem unverhohlenen Röntgenblick, jede Bewegung der beiden genau zu verfolgen. Mit bemerkenswerter Lässigkeit ließen sie sich begaffen, obwohl den Männern schier die Augen aus den Höhlen purzelten und zeigten dabei keinerlei Regung oder Schamgefühl. Die Rastas an der Bar verhielten sich weitaus lockerer als die vorbei eilenden Männer. Mit ihnen konnte man Tag ein Tag aus bis in die Nacht hinein feiern und wenn mein Etat für Bier aufgebraucht war, wurde ich eingeladen oder griff auf den Aquardiente zurück. So ging das etwa eine Woche lang, ehe ich den letzten meiner fünf Inlandsflüge zurück auf das Festland nach Cartagena antrat.

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Cartagena

In Cartagena erledigte ich zunächst den nervige Gang zum Honorarkonsulat, das auf der noblen Halbinsel Bocagrande lag und holte mir das Geld, welches mir aus Europa zugesandt worden war. Die wunderschöne Stadt hatte eine bewegte Vergangenheit, war sie doch unter Kanonendonner im Zeitalter der Piraten vielfachem Besitzwechsel unterworfen gewesen. Um mich ihrer historischen Bedeutung zu nähern, wanderte ich zuerst zum Fort hinauf, wo die alten Kanonen noch heute in den Himmel ragen. Gegen Mittag besuchte ich anschließend die Innenstadt, die von einem weitgehend intakten spanischen Kolonialstil geprägt war. Hier wurde ich zum ersten Mal auf den “Jugo” aufmerksam, ein Frappé-Getränk, das zusammen mit Milch, Eis und einer Frucht nach Wahl in einem Mixer zubereitet wurde. Bald hatte ich die schätzungsweise über zwanzig Variationen durchprobiert und meine zukünftige Wahl fiel nun meistens auf den Jugo de Granada (mit Granatapfel), den ich von da an mehrfach am Tag zu mir nahm. Ich wusste, dass sich die Reise langsam dem Ende zuneigen würde und wollte noch an die Karibikküste, weiter nördlich auf der Höhe der Sierra Nevada reisen. Auch hatte ich von Salzwüsten gehört, die es an der Grenze zu Venezuela geben würde, in denen man bunt gekleidete Indianer bestaunen könnte, so dass ich nach zwei oder drei Tagen mit dem Bus weiter nach Santa Marta fuhr, um dort im Hotel Miramar abzusteigen. Hier lernte ich einen jungen Schweizer kennen, mit dem ich am kommenden Tag zum Park Tayrona aufbrach, ein paradiesischer karibischer Strand, der am Fuße der Sierra Nevada de Santa Marta lag.

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Park Tayrona (kein Originalbild)

Direkt von der Küste steigt der sagenumwobene Vulkan Pico Cristobal Colon im höchsten Küstengebirge der Welt bis auf knapp 6.000 Metern in die Wolken hinauf. Hier auf dem Berg sollen sich die Marihuana Anbaugebiete Kolumbiens befinden, die Guerillas und Banditen verstecken und erst kürzlich entdeckte Indio-Stämme leben. Der am Saum des Berges angrenzende Park war zum Zeitpunkt unserer Anreise offiziell geschlossen, ein kleines Bestechungsgeld für die Wachen konnte uns jedoch schnell die Tore öffnen. In den kommenden Tagen teilten wir uns ein Stück des schönsten Strandes der Welt, den wir uns über eine Länge von gut 35 Kilometern mit nur einigen wenigen Leuten teilen mussten. Schätzungsweise gab es auf unserem Abschnitt von etwa zwei Kilometern lediglich zehn bis zwanzig Touristen, die sich von Bananen und Kokosnüssen ernährten. Dazu kamen noch eine Handvoll einheimischer Personen, deren Aufenthaltszweck ich nicht herausfinden konnte, vielleicht versteckten sie sich hier. Die von einem feinen weißen Sandstrand unterbrochenen Felsenbuchten spotteten jeder Beschreibung und stellten ein Idyll der besonderen Art dar. Als Übernachtungsmöglichkeit waren Hängematten an der einzigen Strandbar weit und breit vorhanden, hier wurde auch Bier und Brot verkauft. Neben einer Miniaturausgabe von einem Orang-Utan ähnlichen Affen, der die Touristen regelmäßig bestahl, gab es in dem Strandparadies als weiteres erwähnenswertes Lebewesen noch eine vierundzwanzigjährige bildhübsche deutsche Backpackerin, die von ihrem kolumbianischen Freund geflohen war. Mit ihr vertrieb ich mir die Zeit am Strand, obwohl sie mir damals aus meiner jugendlichen Perspektive mit neunzehn Jahren schon recht alt vorkam.

Reiseberichte:

Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin
Travel Report 2/2: Ein paar Minuten in Cali
Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia
Travel Report 2/4: Die Trickbetrüger
Travel Report 2/5: Bei den Strandparadiesen
Travel Report 2/6: Auf der Flucht

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Travel Report 2/4: Die Trickbetrüger

1994, Bogota: Bereits vor meinem Ausflug nach Leticia (Travel Report 2/3) musste ich in Bogota meine Reisechecks eintauschen, allzu schnell schon hatte ich mein Bargeld aufgebraucht. Eigentlich wollte ich Amex Reisechecks mit mir führen, die Bank in meinem Heimatdorf in Deutschland hatte mir allerdings die Marke Thomas Cook angedreht. Hier in Kolumbien schienen diese Art von Checks wertlos zu sein, denn ich konnte sie auch nach mehreren Anläufen nicht an den Mann bringen. In der höchsten Not war ich darauf hin zum Amex Büro in Bogota gelaufen, was sich zu meiner großen Dankbarkeit als so hilfreich erwiesen hatte, persönlich bei einer internationalen Bank in meinem Auftrag vorzusprechen und die Checks für mich einzulösen. Da ich nun meinen gesamten Bestand auf einmal tauschen musste, reiste ich seit gut einer Woche mit einem Bündel Geld durch das Land, das sich vom Volumen her nicht mehr in der eingenähten Innentasche meiner Hose unterbringen ließ und ich sozusagen über keine Sicherheiten mehr verfügte, sollte ich bestohlen werden.

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Straßenkinder

Die städtische Struktur Bogotas ist einfach zu beschreiben. Ab dem Plaza Bolivar mit seiner großen Kolonialkirche, werden in nördlicher Richtung die Querstraßen blockweise aufsteigend gezählt. Je weiter nördlich, desto wohlhabender die Anwohner. Ich schätze so, ab der 50. Querstraße lebte man bereits in einer guten Gegend und ab der 100. schloss man sich aus Angst vor Einbrechern, Räubern und Banditen in seiner Villa ein, um allenfalls mit Begleitschutz noch das Haus zu verlassen. Als ich am Tag nach meiner Rückkehr von Leticia durch das Zentrum Bogotas schlenderte, muss ich mich etwa fünf Blöcke nördlich vom Plaza Bolivar befunden haben, um hier die unheilvolle Bekanntschaft mit einem smarten US-Amerikaner aus Puerto Rico zu machen. Er gab sich ebenfalls als Reisender zu erkennen, wir tauschten uns über unsere bisherigen Erlebnisse aus und er gab mir Tipps, wohin ich noch reisen könnte. Es verstrich etwa eine viertel Stunde, bis eine Person in Polizeiuniform auf uns zukam. Er wird uns jetzt registrieren, übersetzte mir mein Gesprächspartner, dazu müssten wir Pässe und dass Geld vorzeigen, wurde mir versichert. Anschließend sollten wir ein Zertifikat erhalten, mit dem man uns bei zukünftigen Polizeikontakten keiner Kontrolle mehr unterziehen würde. Bereitwillig streckte er dem Polizisten daraufhin sein Geld und seinen Ausweis entgegen, ich tat also dasselbe, hatte aber nur eine Kopie des Reisepasses dabei. Der Rest trug sich in Sekunden schnelle zu. Der Polizist verschwand in der Menge und der Puerto Ricaner hielt mir mit der Aufforderung, mich ruhig zu verhalten, ein Klappmesser an den Bauch, um anschließend ebenfalls langsam nach hinten in der Menge zu verschwinden. Ich war noch etwa zwei oder drei Minuten benommen, bis mir schließlich bewusst wurde, am hellen Tag und auf offener Straße ausgeraubt geworden zu sein.

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Klebstoffschnüffler

Es war schon dreizehn Uhr an diesem Freitagmittag und ich stand da, ohne jeden Cent in der Tasche, hatte keine Reisechecks mehr und aufgrund meines Argwohns gegenüber dem Hotelpersonal auch keinen Notgroschen in meinem Zimmer gelassen. Die Dollarreserven hatte ich immer zusammengefaltet und unter den Bettstützen versteckt, mit dem Peseten Bündel war das nicht mehr möglich gewesen. Ich entschloss mich, umgehend die Botschaft aufzusuchen, die etwa auf Höhe der 75. Straße lag. Da ich nunmehr kein Geld für ein Taxi hatte, holte ich meinen Pass aus dem Hotel und rannte so schnell ich konnte, denn mir war bewusst, dass die Öffnungszeiten am Freitag durchaus eingeschränkt sein konnten. Unter der Annahme, jeder Block wäre 100 Meter lang, musste ich etwa sieben Kilometer zurücklegen. Als ich die Botschaft erreichte, war es bereits 14:30 Uhr, sie sollte bis um 15:00 Uhr geöffnet sein. Verschwitzt wie ich war, klingelte ich im Sturm, bis man mir endlich Eintritt gewährte. Nach der Bestandsaufnahme und langem hin und her, hilfreich war man nicht besonders, wurden mir 1.500 österreichische Schilling in kolumbianischen Peso ausbezahlt und ein Vermerk über den Vorgang in meinen Pass eingetragen. Man verabschiedete mich noch mit einer Warnung, mir nie mehr einen Groschen Unterstützung zu geben, sollte ich die geliehenen Pesos nicht bald wieder zurückbezahlen. Zudem wurden Angehörige in Deutschland telefonisch kontaktiert und dazu aufgefordert, bei dem österreichischen Generalkonsulat in München ausreichend Geld für den Rest meiner Reise einzubezahlen, das ich am Honorarkonsulat in Cartagena de los Indios abholen sollte. Cartagena lag aber noch weit entfernt in meinen Reiseplänen, denn zunächst wollte ich die beiden kleinen kolumbianischen Inselparadiese San Andres und Providencia besuchen. Umgerechnet blieben mir gut zwölf Dollar am Tag, um diese Pläne zu verwirklichen.

Eintrag im Reisepass

Eintrag im Reisepass

Reiseberichte:

Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin
Travel Report 2/2: Ein paar Minuten in Cali
Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia
Travel Report 2/4: Die Trickbetrüger
Travel Report 2/5: Bei den Strandparadiesen
Travel Report 2/6: Auf der Flucht

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