Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin

1994, Bogota/Medellin: Mir war nicht gut zumute, als sich das Flugzeug immer weiter hinab auf die Landebahn senkte und die kleinen Bauernhöfe in den satten grünen Hügeln an Größe gewannen. In den letzten Stunden im Flugzeug hatte ich einige Brocken Spanisch gelernt, Zahlen, einige Wörter, wichtige Phrasen, viel konnte ich nicht und jetzt, da es zunehmend ernst wurde, war ich mir nicht mehr sicher, ob das ausreichen würde, um mich in Kolumbien zu verständigen. Abgesehen von einem kurzen Trip nach Los Angeles ein halbes Jahr zuvor (Travel Report 1), war dies mein erster Aufenthalt außerhalb von Europas sicherem Hafen und gleich steuerte ich die Stadt des ewigen Frühlings an, in der die Drogenbarone unlängst noch ihr Unwesen getrieben haben. Um Medellin zu erreichen, musste ich von Stuttgart über London nach Caracas fliegen, anschließend weiter nach Bogota, dort das Flugzeug wechseln und den letzten Teil der Strecke mit einem Inlandsflug der kolumbianischen Fluggesellschaft Avianca überbrücken. Auf dieser Reise gab es weder Plan noch Ziel, ihre zeitliche Begrenzung sollte lediglich von der Geschwindigkeit abhängen, mit der ich meine finanziellen Mittel aufbrauchen würden, auch wusste ich nicht viel über das Land, hatte aber viel schlechtes gehört. Als ich in Bogota angekommen war, nahm ich ein Taxi vom internationalen Flughafen zum Inlands-Terminal, wobei ich darauf achtete, dass es offiziell registriert war, schließlich sollte es hier nicht ganz ungefährlich sein, hatte man mir gesagt, daher störte es mich auch, dass ich erst nach Einbruch der Dunkelheit in Medellin ankommen sollte. Wir fuhren kreuz und quer durch die Straßen, bis wir endlich das nationale Terminal erreichten und schon war ich auf einen Trick hereingefallen, was mir erst einige Wochen später auffiel, als ich bei einem erneuten Zwischenstopp sah, dass beide Terminals in Sichtweite voneinander entfernt lagen.

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Das Flugticket

Bloß nicht in ein Collectivo (Sammeltaxi) einsteigen, wurde im Reiseführer geschrieben! Es war stockdunkel, als ich in Medellin den Flughafen verließ und weit und breit war kein Auto zu sehen, außer ein Taxi mit bereits angelassenem Motor. Ehe ich mich richtig umgesehen hatte, saß ich auch schon auf der Rückbank des Wagens und die anderen Passagiere im Fahrzeug schienen nur auf mich gewartet zu haben. In einem irren Tempo ging es los, ich bekam das beklemmende Gefühl, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Wir fuhren eine dunkle Serpentinenstraße hinauf, von einer Stadt war weit und breit nichts zu sehen. War ich bereits am Abend meiner Ankunft ein Entführungsopfer geworden? Hier könnte man mit mir tun und lassen, was man wollte, fuhr es mir in den Kopf. Die Fahrt war sehr gewöhnungsbedürftig, der Fahrer fuhr mit großer Geschwindigkeit und die Überholmanöver bei den vereinzelt auftauchenden Fahrzeugen waren halsbrecherisch. Nach gut einer viertel Stunde atmete ich auf, als plötzlich ein hell erleuchtet Meer unter uns zu sehen war. Wir brausten die Serpentinen hinunter und als wir im Zentrum ankamen, verließen die anderen Passagiere nach und nach das Fahrzeug. Ich war der letzte im Wagen, mein Hotel schien in einer schlechten Gegend zu liegen, um uns herum gab es vielfach kleine Holzhütten, deren Verwendungszweck ich nicht erkennen konnte. Stockdunkel war die Umgebung und hier und dort sah man ein paar verlumpte Gestalten um die Häuser schleichen. Als ich das Hotel erblickte, traute ich meinen Augen nicht, die Eingangstüre war mit einer massiven eisernen Kette verriegelt und das gesamte Gebäude zeugte nicht davon, ein Hotel zu sein. Der deutsche Reiseführer hatte mich auf den Leim geführt und alle telefonischen Versuche zur Reservierung eines Zimmers, waren an der spanisch sprechenden Telefonverbindungsstelle bereits im Vorfeld gescheitert.

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In Medellin

Hier werde ich nicht aussteigen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Eine handvoll spanischer Wörter hatte ich ja im Flugzeug gelernt, zum Beispiel das Wort „barato“ für billig. Als der Taxifahrer mich rausschmeißen wollte, wehrte ich mich mit Händen und Füßen und gab ihm wild gestikulierend zu verstehen, er solle mich in ein billiges Hotel in der Nähe bringen. Billig musste alles sein, denn je weniger Geld ich ausgab, desto länger konnte ich bleiben, was mich mein Aufenthalt in Los Angeles einige Monate zuvor gelehrt hatte. Damals musste ich bereits nach zwei Wochen wieder abreisen, da das ganze Geld in der kurzen Zeit aufgebraucht war. Endlich verstand er und brachte mich in ein Hotel, das umgerechnet sieben Dollar die Nacht kostete. Wenn ich nur zwanzig Dollar am Tag ausgab, so mein Plan, konnte ich zwei Monate in Kolumbien bleiben. An der Rezeption angekommen brachte ich meinen einzigen zusammenhängenden spanischen Satz hervor: „tiene usted un habitacion“ – „haben Sie ein Zimmer“. Meine Frage wurde bejaht und ich buchte mich für drei Nächte ein. Als ich im Zimmer angekommen war, wollte ein Angestellter des Hotels noch Geld für irgendwas. Unbeholfen zog ich einen Schein aus der eingenähten Innentasche meiner Hose hervor, so dass man gleich erkennen konnte, wo bei mir etwas zu holen war. Ich nahm mir danach vor, nicht mehr so stümperhaft zu agieren und sank müde von den Strapazen der Anreise in mein Bett. Als ich am kommenden Morgen aufwachte, schien die Sonne hell durch die Ritzen des Fensterladens. Ich wagte einen Blick auf die Straße, die voller bunt gekleideter Menschen und kleinen Verkaufsbuden war. Jetzt bin ich also in Medellin angekommen, musste mich der Situation stellen und mich alsbald in die Öffentlichkeit begeben. Zwar gab es hier den berühmten Drogenboss Pablo Escobar nicht mehr doch angeblich verunsicherten immer noch über 3.000 Mordbuben die Straßen.

Reiseberichte:

Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin
Travel Report 2/2: Ein paar Minuten in Cali
Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia
Travel Report 2/4: Die Trickbetrüger
Travel Report 2/5: Bei den Strandparadiesen
Travel Report 2/6: Auf der Flucht

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