Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia

1994, Amazonasgebiet: Die Busfahrt von San Augustin nach Bogota dauerte einige Stunden, hier sollte ich aufgrund einer großen Dummheit mein erstes Lehrgeld als unerfahrener Reisender bezahlen. Unachtsam hatte ich meinen Rucksack zu dem anderen Gepäck in den hinteren Teil des Buses geschmissen und das Kamera Equipment befand sich zusammen mit zwei Objektiven direkt unter dem Verschluss meines Rucksacks, wo es durch Abtasten von außen einfach als solches identifiziert werden konnte, weil es in einer großen, sperrigen Kameratasche untergebracht war. Natürlich hatte man die Ausrüstung bald gestohlen, was ich noch während der Busfahrt bemerkte. Doch was sollte ich ohne Spanischkenntnisse und ohne Beweise über die Existenz des Fotoapparates tun? Als einer der Passagier ausstieg und ich vom Busfenster hinaus auf die Straße blickte, sah ich ihn lauthals lachend davon laufen. Ich kam mir schlecht vor, sicherlich war er es, der meine Kamera gestohlen hatte und ich war zu feige gewesen, das dem Busfahrer klar zu machen, da ich mir keinen Ärger einfangen und mich nicht auffällig verhalten wollte. Es dauerte aber nicht lange, da war ich wieder guter Dinge, schließlich hatte ich noch die kleine Kompaktkamera bei mir und Bilder machen war mir ohnehin nicht so wichtig. In Bogota angekommen, nahm ich ein ziemlich ungünstig gelegenes Hotel in der Nähe der Seilbahn zum Monserrate, dem Hausberg der Stadt. Die gesamte Nacht über hörte ich laute Musik und andere Geräusche. Unter meinem Zimmer musste sich eine Disco und darüber ein Bordell befunden haben.

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In Leticia

Als ich am kommenden Tag den Flughafen in Bogota erreichte, regnete es stark. Ich löste ein Inlands-Flugticket in die Llanos, einer weitläufigen Weidelandschaft im Orinoco Tal, die im mittleren Osten Kolumbiens lag und wo ich die Gauchos sehen wollte. Nach etwa 45 Minuten Flugzeit beschlich mich das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehten und das Flugzeug wieder nach Bogota umkehrte. Eine weitere halbe Stunde später erblickte ich unter mir einen Flughafen und rätselte, ob ich jetzt doch in Villavicencio oder wieder in Bogota angekommen war. Die Enttäuschung ließ nicht lange auf sich warten, denn die Rückkehr nach Bogota hatte sich bald bestätigt, da in den Llanos zu dieser Jahreszeit die Regenperiode in vollem Gange gewesen ist und eine Landung aufgrund der überschwemmten Landebahn nicht möglich gewesen war. Zunächst stand ich etwas desorientiert auf dem Flughafen herum und wusste nicht, was zu tun war. Zurück in die Stadt? Mit dem Bus in Richtung Karibik? Oder ganz woanders hin? Am Avianca Schalter klärte man mich über eine Flugmöglichkeit nach Leticia auf. Warum nicht an den Amazonas fliegen, dachte ich, und löste das dritte meiner insgesamt fünf Inlandstickets.

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Im Hotel

Die Landebahn in Leticia war eine Wiese mit angrenzender Holzhütte. Diesen Komplex als Flughafen zu bezeichnen, hätte der Situation gespottet, dementsprechend klein war auch das Propeller-Flugzeug, mit dem ich angereist war. Es war ein phänomenaler Flug gewesen, von dem aus atemberaubende Blicke über die „grüne Hölle“ möglich gewesen waren, die sich wie ein weiter Ozean bis zum Horizont ausgedehnt hatte. Immer wieder streiften wir an zylinderförmigen Wolken vorbei, unter denen sich Regenbogen gebildet hatten. Leticia mit seinen gut 20.000 Einwohnern lag direkt am Amazonas, die Luft war feucht und heiß, der Sonnenschein wurde in kurzen Pausen von strömendem Regen unterbrochen. Den gesamten Tag war man ich in Schweiß gebadet und nicht einmal die dunklen Räume meiner Unterkunft boten etwas Abkühlung. Auch wenn der Ventilator mit lautem rattern alles unternahm, um einen Lufthauch durch das Zimmer zu blasen, in den Genuss wahrer Kälte konnte man einzig in dem Supermarkt um die Ecke kommen, in dem die Klimaanlage die Temperatur derart nach unten versetzte, dass man aufpassen musste, sich keine Erkältung einzufangen. Die Hitze konnte mir allerdings wenig anhaben, denn die laute Reggae Musik, die regelmäßig aus dem Nachbarzimmer dröhnte und der Aquardiente sorgten für gute Stimmung und insgesamt fühlte sich alles sehr abenteuerlich an.

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Urwaldtour

In den kommenden Tagen unternahm ich einige Ausflüge in die Umgebung, was mit den kleinen Booten diverser lokaler Reiseveranstalter auf dem Amazonas möglich war. Die beliebteste Tour war das Krokodile fangen, in dem die Guides, wahrscheinlich waren es nur Fischer, kleinere Kaimane packten und aus dem Wasser zogen. Nach einer Begutachtung derselben durch die aufgeregten Teilnehmer der Bootsausfahrt, wurden die Tiere wieder zurück in den Fluss geworfen. Auf einer Affeninsel lernte ich bei einem dieser Trips eine Familie aus Deutschland kennen, die mit Bekannten von mir aus meinem Heimatdorf befreundet war. Der Vater, ein Lehrer, wohnte bereits seit vielen Jahren in Kolumbien und unterrichtete an der Deutschen Schule in Medellin. Er ließ sich nicht so einfach über den Tisch ziehen, wie das die normalen Touristen in Kolumbien taten. Als man uns in einem Lokal die doppelte Menge an Bier in Rechnung stellen wollte, wie wir tatsächlich getrunken hatten, führten sein gutes Spanisch und seine aufbrausende Art dazu, dass der Kellner umgehend die Korrektur seines listigen Vorhabens einleitete. Es muss der dritte Tag meines Aufenthalts in Leticia gewesen sein, an dem ich zusammen mit der deutschen Familie einen Urwald-Ausflug unternahm. Mit kleinen Holzbooten fuhren wir zu einem angeblich weitgehend von der Zivilisation unberührten Dorf und starteten eine Trekking Tour, die uns durch dichtes Unterholz führen sollte. Eigentlich waren für die Urwaldbegehung nur drei Stunden eingeplant, doch als ich anfing den Veranstalter zu verfluchen, waren schon fünf Stunden vergangen. Schließlich war die Hitze kaum zu ertragen und immer wieder verfingen sich Insekten aller Art in meinen Haaren. Man wollte es uns wohl sehr abenteuerlich machen, dachte ich und war mir gleichzeitig nicht sicher, ob wir nur im Kreis um das Dorf herumliefen. Als wir eine weitere Stunde später endlich wieder die kleine Indianersiedlung sahen, rannte ich zu einer Plastiktonne voll mit Regenwasser und trank die abgestandene warme Brühe. Die Eingeborenen hatten sich im Kreis um mich herum gesammelt und staunten nicht schlecht über den unglaublich großen Leichtsinn, der glücklicherweise keine ernsthaften Konsequenzen in Form dadurch ausgelöster, diverser möglicher Krankheiten, nach sich zog.

Reiseberichte:

Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin
Travel Report 2/2: Ein paar Minuten in Cali
Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia
Travel Report 2/4: Die Trickbetrüger
Travel Report 2/5: Bei den Strandparadiesen
Travel Report 2/6: Auf der Flucht

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