Travel Report 24/2: Wild West Gefühle

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Blick auf die Laguna

Ich stand im Gedränge der Reisenden an der Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica und freute mich, dass alles so schnell und problemlos abgelaufen war. Dabei hatte ich zunächst die größten Bedenken gehabt, als ich an Vormittag mit einem lokalen Bus von den Nebelwäldern in Monteverde/Costa Rica an die Panamericana hinunter fuhr, um dort den einzigen verfügbaren Überlandbus an diesem Tag abzufangen. Mein Ziel war es, rechtzeitig zur Silvesterparty in Granada/Nicaragua einzutreffen, um dort das neue Jahr zu feiern und nicht den Abend irgendwo in der Provinz verbringen zu müssen. Der zeitliche Abstand, an dem die beiden Busse an der  Kreuzung zwischen Monteverde und der Panamericana vorbei fahren sollten, betrug laut dem Agenten des Reisebüros, bei dem ich das Überlandticket gekauft hatte, zwanzig Minuten, wobei er mir versicherte, alles würde schon funktionieren. Ich traute ihm aber nicht über den Weg, hatte wenig Puffer und zuvor schon sehr schlechte Erfahrungen mit den lokalen Bussen in Costa Rica gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich es eigentlich für unmöglich gehalten, dass es ein Land auf der Erde geben könnte, in dem es mit dem Bus noch langsamer als in Indien voran ging, wo man im Durchschnitt etwa zwanzig bis dreißig Kilometer pro Stunde zurücklegen konnte. Auf der Fahrt nach Monteverde wurde ich eines besseren belehrt, hier war der Bus am Ende nur noch circa zehn Kilometer pro Stunde schnell, so dass die gesamte Fahrt ab Quepos über acht Stunden für nur 190 Kilometer gedauert hatte. Schuld an dem Schneckentempo waren nicht die schlechten Straßen, sondern die Passagiere, die fortwährend ein- und ausgestiegen sind. Nördlich eines Bergdorfs namens Juantes schien dabei ein besonders faules Volk zu leben, das statt zu Fuß zu gehen lieber Stunden lange auf den Bus wartete, um dann meistens kaum mehr als 500 Meter weiter wieder auszusteigen. Deswegen quoll den meisten dort auch das Fett aus den Hüften, als wären sie in einer Großkantine für das Abräumen der Überreste zuständig gewesen. Außerdem schien jedermann zu jederzeit an jedem Ort über das Privileg zu verfügen, den Bus zum Stehen bringen zu dürfen und sei es nur ein Haus weiter, als der Nachbar, der gerade ausgestiegen war.

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Granada

Gemäß dem Fahrplan hätte an diesem Vormittag der lokale Bus um acht Uhr und der Überlandbus um zwanzig nach acht an besagter Kreuzung ankommen sollen. Ich hatte großes Glück gehabt, der lokale Bus war sogar schneller und ich war schon um zehn vor acht an der Panamericana gestanden. Wie bitter diese paar Minuten auch notwendig waren, wurde nur fünf Minuten später offenbar, als der Überlandbus gut eine halbe Stunde früher als vorausgesagt angerauscht kam und mich mitgenommen hatte. Ich vermute, dass die meisten Kunden des Agenten ihren Bus verpassen würden und sich dann auf eigene Kosten mühsam Stück für Stück mit lokalen Bussen durchschlagen mussten. Von Costa Rica gibt es nicht viel zu erzählen, ich war froh in Nicaragua angekommen zu sein, ein typisches Staub und Knochen Land, bei dem das aus Kolumbien und Guatemala bereits wohlbekannte Wildwest-Gefühl, welches ich schon so lange vermisst hatte, zurück gekehrt war. Nach einigen lustlosen Handgriffen der Grenzbeamten in meinen Koffer und dem obligatorischen Einreisestempel, hatte ich die Grenze schnell passieren können. Das Armutsgefälle war sofort und in einem erheblichen Ausmaß zu spüren, hier wurden die Zigaretten wieder einzeln verkauft und unzählige Händler überfielen mich mit jeder Menge an Klein- und Kleinstwaren, darunter Cashew Nüsse, Kaugummis, Chiqulettes, Bonbons oder andere Nutzlosigkeiten. Die Cowboyhüte der Männer und die bunte Kleidung der Frauen, sowie die von Vulkanen und Viehherden dominierten Landschaft, rundeten das Bild ab. Mir war sofort klar, dass es hier Spaß machen wird. Selbstverständlich musste ich jetzt etwas vorsichtiger sein, schließlich war Nicaragua eines der ärmsten Länder der Welt, das mit einer hohen Kriminalitätsrate und mit jugendlichen Mara-Banden gestraft war. Doch das gehörte ebenso wie die bunten Häuser und die unzähligen Spielhallen zum Wildwest-Gefühl dazu und machte die Sache so spannend.

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Laguna de Apoyo

Von der Grenze aus nach Granada, was meine erste Station Nicaragua sein sollte, war es nur ein Katzensprung und gut eine Stunde nach dem Grenzübertritt war ich schon in meiner Unterkunft angekommen. Im Oasis Backpackers, wie sich die Institution nannte, hatte ich ein Einzelzimmer direkt im Innenhof neben dem Swimmingpool des alten Kolonialbaus gebucht. Unzählige Reisende, meist in den Schlafsälen des Hostels untergebracht, waren anwesend und bereiteten sich auf die Silvesternacht vor. Nur einer nicht, ein Australier aus Sydney, der sich hier den Fuß gebrochen hatte und unter großen Schmerzen hier noch einige Tage wartend auf seine Heimreise ausharren musste. Gegen sieben Uhr am Abend gab es Tumult an der Rezeption, als eine junge Dame in großer Aufregung hereingestürmt kam und davon berichtete, auf der Straße mit einem Messer bedroht worden zu sein. Die Umgebung war demnach nicht ganz ungefährlich und ich ließ größte Vorsicht walten, als ich zu der Calle Calzada lief, wo die Einwohner der Stadt den Neujahrsabend feierten und ich in einem Restaurant auf dem Gehweg, eines der besten Steaks bisher auf der Reise essen konnte. Von dem Restaurant aus konnte ich die Feierlichkeiten bestens beobachten, tanzend zogen die Leute hinter einer Blaskapelle durch die Straßen und freuten sich auf das neue Jahr, inmitten ein junger Tourist, der sturzbetrunken in einem grünen Froschkostüm für Erheiterung sorgte. Der Lärmpegel meiner Umgebung steigerte sich mit fortschreitender Zeit zunehmend, gegen elf Uhr hätte man sich schon in einem Fußballstation wähnen können, bis sich die Atmosphäre um Mitternacht in einem Sturm der Freude entlud und unter lautem Böllerregen das neue Jahr begrüßt wurde, worauf sich die gesamte Straße in eine einzige Tanzfläche verwandelte.

Reiseberichte:

Travel Report 24/1: Bei den Kuna Yala Indianern
Travel Report 24/2: Wild West Gefühle
Travel Report 24/3: Die Überfahrt
Travel Report 24/4: In El Salvador

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