Travel Report 07/4: Zwischen Tempeln und Palästen

1997, Südindien: Der Aufenthalt in Goa hatte sich ziemlich negativ auf mein Reisebudget niedergeschlagen. Ich beschloss daher mich weiter nach Süden und ins Landesinnere zu begeben, um mich zunächst finanziell zu konsolidieren und später wieder nach Goa zurückzukehren. Teilweise hatte ich auf den Partys an einem Abend mehr Geld liegen lassen, als ich sonst in einer halben Woche verbrauchte. Ich nahm den Bus nach Hampi, wo es historische Stätten zu besichtigen gab. Aus dem Busfenster sah ich bei der Abfahrt, wie ein erwachsener Mann einen anderen erwachsenen Mann ohrfeigte, wobei die Beiden ihre Köpfe immer hin- und her schüttelten, andere Kulturen, andere Sitten. Neben mir saß ein alter Greis, der sofort nach Abfahrt des Busses mit seinem Kopf auf meiner Schulter einschlief. Mich störte das, doch wollte ich nicht unhöflich sein und ihn aufwecken. Daher hoffte ich, dass er aufgrund der Erschütterung durch die schlechte Straße irgendwann von selbst aufwachen würde. Nichts davon, fast die gesamte Fahrt von acht oder neun Stunden hüpfte sein Kopf wie ein Ping-Pong-Ball auf meiner Schulter herum, bei dem einen oder anderen etwas tieferen Schlagloch dürfe die Aufprallhöhe gut einen halben Meter betragen haben. Endlich angekommen, wunderte ich mich, ob nun meine Schulter oder sein Kopf mehr gelitten hatte, meine Schulter schmerzte auf jeden Fall ziemlich arg. Am folgenden Morgen stand ich an dem Busbahnhof und sah dort einen alten Mann schottischer Herkunft stehen, der mir des Öfteren schon in Goa über den Weg gelaufen war. Da wir an diesem Tag das selbe Ziel hatten und den berühmten Tempel von Hampi besichtigen wollten, identifizierten wir anhand einer Karte die Distanz bis dorthin, um  von dem Fahrer einer der Rikschas nicht über das Ohr gehauen zu werden. Als wir aufblickten hatte sich ein Doppelkreis von Menschen um uns herum gebildet, jede Bewegung unsererseits wurde mit einer Mischung aus Misstrauen und Neugierde beobachtet. Die Gaffer waren wieder da, so dass wir schnellstmöglich in eine der wartenden gelben Rikschas stiegen.

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Tempel von Hampi

Die Tempelanlage von Hampi war beeindruckend. Eine der letzten großen Hindureiche war in dem Unesco Weltkulturerbe im späten Mittelalter ansässig gewesen und dort wo jetzt die Affen auf den Mauern herumsprangen, residierten einst die Könige von Vijayanagar, die den gesamten südlichen Subkontinent Indiens unterworfen hatten. Auf dem Weg war mir ein kunterbunter Ganesh Tempel aufgefallen, der kitschig wie er war, überhaupt nicht zu den alten Tempeln und Palästen passte. Indien, ein Land der Gegensätze, dachte ich mir. Nachdem wir die Tempel besichtigt hatten, schlenderten wir noch eine Weile in der Gegend herum, bis wir an einem Dorf in der Nähe der Anlage ankamen und der alte Schotte eine Frisbeescheibe aus dem Rucksack herauszog. Wir warfen das Fluggerät einige Male hin und her, ehe die ersten Dorfbewohner sich am Seitenrand unseres Spielfelds formierten. Je länger wir dem Zeitvertreib nachgingen, desto mehr Leute erschienen. Verfehlte das Frisbee einmal sein Ziel, so waren die kleinen Jungen schnell dazu bereit, uns das Spielgerät zurück zu bringen. Nach etwa einer viertel Stunde war wohl bereits das gesamte Dorf anwesend. Frauen, Männer, Alte, Kinder, alle beobachteten uns und je nach Flugrichtung des Frisbees wendeten sich die Köpfe wie ein eingeübtes Manöver von Paradesoldaten hin und her. Flog die Scheibe einmal außer der Bahn, waren es nun die erwachsenen Männer, die sie uns zurückbringen wollten und es entstand jedes Mal ein handfester Streit zwischen den Buben und den Männern um dieses Privileg. Es wurde gezerrt und gezogen, bis einer die Scheibe ergattern und sie uns mit einem breiten Lächeln überreichen konnte. Überwältigt von so viel Aufmerksamkeit bedankten wir uns nach einiger Zeit und machten uns zurück nach Hampi auf.

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Palast von Mysore

In den folgenden Tagen fuhr ich über Bangalore nach Mysore weiter. Hier wohnte ich auf dem Dach eines recht billigen Hotels und hatte, wie schon in Südamerika und auch mehrfach auf dieser Reise, einen Gecko im Zimmer. War mir das kleine Tier zunächst nicht sehr willkommen gewesen, schätzte ich es inzwischen, da es die ganzen Moskitos von der Decke fraß und ich meine Ruhe vor den Fliegen hatte. Das Essen in Mysore war ausgezeichnet und je nachdem in welchem Restaurant ich war, schmeckte der Reis immer unterschiedlich. Jeder Koch schien seine selbst kreierte Variante des indischen Currys zu mischen, die immer Feuerscharf war und nichts mit dem gelben Pulver von zu Hause gemein hatte. In Mysore gab es verschiedene Dinge zu tun. Zunächst besuchte ich die Amba Vilas, einer der berühmtesten Paläste in Indien und Sitz der hiesigen Maharajas.  Später wanderte ich den Hausberg hinter der Stadt hinauf. Von hier oben sah ich, wie klein sie war, obwohl hier 700.000 Menschen wohnten. Das lag nach meinem Verständnis wohl daran, dass jedes Gebäude mit Menschen überfüllt war, die darinnen auf engstem Platz lebten. Ich schätze, die Stadt war lediglich so groß wie eine Stadt in Deutschland mit vielleicht 40.000 Einwohnern. In den kommenden Tagen besuchte ich die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Neben den prachtvollen Palästen zählte der Aufstieg der 1.000 Stufen des Chamundi Hügels zu den Highlights, wo ich dem großen Nandi-Bullen begegnete, der als Wächter des Tores zu der Gottheit Shiva fungiert. Das steinerne Götzenbild war aufopferungsvoll mit Blumen geschmückt worden und sah bedeutend besser aus, als seine noch lebenden Gefährten, die heiligen Kühe auf den Straßen. Im Gegensatz zu unserer Kultur verfügten sie zwar über das Privileg, nicht auf dem Steakteller zu landen, doch waren sie oftmals in einem bemitleidenswerten Zustand. Teilweise fehlten ihnen ganze Körperteile, die durch Unfälle,  Krankheiten oder Infektionen abhanden gekommen waren.

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Der große Buddha

Nachdem ich mir in Mysore alles angesehen hatte, entschloss ich mich, Tagesausflüge in die Umgebung anzutreten. Zuerst fuhr ich mit dem Bus nach Shravanabelagola wo es einen überdimensionierten Buddha gab und wo die Jain wohnten, von denen Adolf Hitler womöglich sein Hakenkreuz entlehnt hatte. Der Bus donnerte auf der gewölbten Straße hinunter und wich nur hier und dort einem Lastkraftwagen aus. Es galt das Recht des Stärkeren und der Stärkere fuhr immer auf der Mitte der Straße, vermutlich um sein Reifenprofil zu schonen. Die kleineren Transporter mussten uns ausweichen, die Autos wichen den kleineren Transportern, Lastkraftwagen und den Bussen aus, die Motorradrikschas den Autos, die Motorräder den Motorradrikschas, die Fahrradrikschas den Motorrädern, die Mopeds den Fahrradrikschas, die Fußgänger allen übrigen und die Eselskarren befanden sich irgendwo zwischen den Motorradrikschas und den Autos. Als eines der sieben Wunder Indiens konnte man schon einiges erwarten, doch der Buddha in Shravanabelagola war noch weitaus größer, als ich mir ausgemalt hatte und er befand sich zudem in Mitten einer riesigen Anlage von unterschiedlichen Tempeln, Statuen und künstlichen Seen. Großartig, dachte ich, als ich die gut zwanzig Meter hohe weiße Statue sah. Die Inder hatten es sich allerdings nicht verkneifen können, dem Steinbild ein vorne herunter baumelndes Geschlechtsteil zu verpassen, so dass nicht wirklich die religiös zurückhaltende, feierliche Stimmung aufkam, die man sich an solch einem Ort wünschen konnte. Hier und dort sah ich auch einen Jain, der mit Mundschutz vorsichtig über die Steine lief, um keine Fliegen einzuatmen und kein Gras zusammen zutreten.

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In Karnataka

Der zweite nennenswerte Tagesausflug sollte in den Bandipur Nationalpark führen, wo ich einen Tiger sehen wollte. Früh am Morgen machte ich mich auf und erreichte die Ranger Station so gegen zehn Uhr. Ich hatte keine Ahnung, wie das alles von Statten gehen sollte, doch man konnte angeblich auf einer geführten Tour mit Elefanten in den Park ausreiten. Einer der Ranger, ein dunkelhäutiger Mann mit weißen Haaren klärte mich auf, die Touren würden am Nachmittag starten und gut drei Stunden dauern. Oftmals wären sie überfüllt, doch könnte ich ihm bereits jetzt das Geld aushändigen, dann wäre ich später sicher dabei. Ich vertrieb mir die Zeit unter einem Baum liegend und wartete und wartete. Gegen ein Uhr bekam ich Gesellschaft von einer Gruppe von Indern, die dem Anschein nach ebenfalls in dem Park arbeiteten, wohl aber nicht  den Status eines Rangers begleiten durften. Gut eine Stunde später verschwanden sie wieder und ich war erneut am Warten. Wenn es hier so viele Leute gibt, die eine Elefantentour mitmachen wollten, so müsste doch bald ein Tourist hier auftauchen, dachte ich. Gegen fünfzehn Uhr fragte ich in der Ranger Station nach dem Trip. Heute wäre kein Elefantenritt geplant, wurde mir mitgeteilt, worauf ich mich auf die Straße vor der Station begab und kurz überlegte. Bin ich dem Ranger am Morgen auf den Leim gegangen? Ich konnte es nicht fassen. Schnell eilte ich in die Station zurück, um die Männer dort zur Rede zu stellen. Schnell meinte ich auch schon, den Übeltäter erkannt zu haben und bezichtigte ihn, mir Geld ohne eine Gegenleistung abgenommen zu haben. Da blickte ich nach links, nein, dachte ich, der war es doch. Ja, der muss es gewesen sein, da war ich mir sicher und lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen zweiten Ranger, der ebenfalls weiße Haare hatte. Fünf Minuten später saßen wir an einem Tisch um das Problem zu klären, denn ich war außer mir. Als ich nach einer Zeitlang sinnentleerten Diskutierens merkte, dass alles nichts half, weil ich die dunklen Gesichter unter den weißen Haaren nicht auseinander halten konnte, bekam ich einen Wutanfall und rannte wild fluchend von der Station auf die Straße. Wie von Himmels Hand gesendet rauschte gerade der Bus an, der eigentlich nur unregelmäßig alle paar Stunden kommen sollte und den ich sofort herunter winkte, um mich mit bösen Gesten und schlimmen Worten von den Gaunern zu verabschieden. Es war mir klar, dass ich  meine letzte Hoffnung, in Indien neben den Tempeln, Götter und Slums auch etwas Natur zu sehen abrupt zu Grabe tragen konnte.

Reiseberichte:

Travel Report 7/1: Nach Süden statt nach Norden
Travel Report 7/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern
Travel Report 7/3: Zwischen Panzern und Party
Travel Report 7/4: Zwischen Tempeln und Palästen
Travel Report 7/5: Entkräftet

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