Travel Report 07/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern

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Nahe des Hotels

1997, Agra: Ich schlenderte gelangweilt und genervt die Straße hoch und wurde noch immer von dem Peitschenhändler verfolgt, der mir sein nutzloses Produkt nun schon seit mehr als einer viertel Stunde angeboten hatte. Ein kleiner schwarzer, zerzauster Mann mit verrissener Kleidung und einer Turban ähnlichen Kopfbedeckung war es, der mich hier belästigte. Ursprünglich sollte die Peitsche vierhundert Rupien kosten, inzwischen waren nur noch vierzig, ohne dass ich ein einziges positives Wort über einen möglichen Erwerb des Gegenstandes von mir gegeben hatte. Gut einen Kilometer waren wir inzwischen vom Taj Mahal in Richtung Innenstadt gelaufen, wobei die Peitsche ungefähr alle 100 Meter um einen gewissen Betrag günstiger geworden war. Meine Beteuerungen, nichts mit seinem Angebot anfangen zu können, überhörte er schlichtweg, ja er ignorierte mich. Das Taj Mahal und die umliegenden Paläste waren wirklich schön gewesen, hätten sich dort nicht die vielen Händler herumgetrieben, die in einer ähnlichen Produktkategorie agierten wie mein Schatten, dabei jedoch weitaus weniger Ausdauer aufbrachten. Ich war am Vortag irgendwann abends in Agra angekommen. Der Zug aus Delhi war insgesamt vier Stunden verspätet gewesen, da ich nur zwei davon antizipiert hatte, bin ich noch weitere zwei Stunden an Delhi Railway Station herum gesessen. Dort hatte mir ein Passant eine viertel Stunde lang auf den Kopf gestarrt, während ich mir die Zeit mit einem Buch vertreiben wollte. Er ging erst, als ich ihm einige Sekunden ins Gesicht blickte. Ich wunderte mich von da an, was an meinem Kopf so interessant sein sollte, dass man ihn aus einer Distanz von etwa einem halben Meter eine viertel Stunden lang begaffen konnte. Sehr aufdringlich schienen mir die Leute hier zu sein und nun platzte mir der Kragen mit meinem Peitschenhändler. Ich fauchte ihn unfreundlich an, er solle sich jetzt endlich fort schleichen. Rechts und links schüttelte er mit dem Kopf, eine nicht deutbare Bewegung. „Fort“, „fort“ – rechts, links, „fort“, „fort“ – rechts, links. Völlig entnervt gab ich auf und überreichte ihm zwanzig Rupien flehend mit der Bitte verbunden, mich jetzt in Ruhe zu lassen. Die Peitsche durfte er behalten und ich war froh, als ich ihn entschwinden sah, obwohl ich strategisch gedacht, natürlich einen Fehler gemacht hatte.

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Am Taj Mahal

In Agra war es nicht einfach, ohne Umweg mit einer Rikscha von einem zum anderen Ort zu gelangen. Die Fahrer hatten die Angewohnheit, die Fahrgäste an den Orten herauszulassen, an denen sie eine Provision kassieren konnten. Immer war es ein guter Onkel oder ein lieber Verwandter, den man noch kurz besuchen sollte und der zwischen Ausgangsort und Zielort dazwischen geschaltet wurde. Schon mehrfach hatte ich mich weigern müssen, auf einem der Zwischenstopps auszusteigen. Auch dieses Mal dauerte es zwei Stationen ehe ich im Hotel ankam, in dem ich inzwischen auf dem Balkon saß und in Gedanken versunken mir die letzten Sonnenstrahlen über der im Dunst verschleierten Stadt anschaute. Da trat ein stämmig gebauter, rauer Motorradfahrer aus England mit einer Flasche Schnaps in der Hand aus dem Nachbarzimmer auf den Balkon heraus. Er setzte sich und bot auch mir einen Drink an, den ich dankend entgegennahm. Mit Hochachtung folgte ich seinen Ausführungen, wie er von London bis nach Agra hergefahren war, wie er bei netten Menschen im Iran übernachtet hatte, wie er von der Polizei durch Pakistan eskortiert wurde und wie er gedachte, nach Indonesien weiter zu fahren. Wir saßen da und tranken noch eine Weile. Als er mir schließlich erzählte, das Getränk auf einem lokalen Markt gekauft zu haben, wurde mir unwohl, wusste ich doch, dass schon viele Menschen hier in Indien von dem selbstgebrannten Schnaps blind geworden waren. In der Region um Hyderabad herum war es der weiblichen Wählerschaft sogar gelungen, ein komplettes Alkoholverbot politisch durchzusetzen, da zu viele Männer sich dem Alkohol gewidmet hatten und viele davon erblindeten. Unbegründete Sorgen, wie sich bald herausstellen sollte, jedenfalls konnte ich am kommenden Tag so gut sehen wie je zuvor und sah auch erstaunliches, nämlich einen Schlangenbändiger, der drei Kobras gleichzeitig zum Tanzen brachte.

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Bei dem Teppichhänlder

Am Tag vor meiner Abreise aus Agra saß ich erneut auf einer Fahrradrikscha und hatte dem Fahrer den doppelten Preis geboten, wenn er mich direkt vom Zentrum der Stadt zu meinem Hotel bringen würde. Doch selbst das hat nichts genutzt und voller Zorn fand ich mich schon wieder, es muss bereits das dritte oder vierte Mal gewesen sein, bei einem Teppichhändler vor. Sogleich war ich mit diesem in einem Streitgespräch. Ja, der Teppich konnte für umgerechnet siebenhundert Dollar schon günstig sein, sofern er echt war. Aber, argumentierte ich, könnte ich das gar nicht prüfen. Darüber hinaus wäre ich noch weitere zwei Monate auf Reisen, könnte einen Teppich also gar nicht gebrauchen. Auf jeden meiner Einwände wusste der Händler Rat und Abhilfe. So meinte er, dass er einen Experten holen könnte, der anhand eines Zertifikats die Echtheit des Teppichs bestätigen würde und gegen Barzahlung wäre es möglich, den Teppich sogleich verschiffen zu lassen. Ich wurde noch ungehaltener über diese Unverfrorenheit. Nie, erwiderte ich, wäre ich bereit Bargeld auszuhändigen und rannte hinaus zur Rikscha. Los, schnaubte ich den Fahrer an, über den ich mich sehr ärgerte. Nach einigen Minuten drehte er sich zu mir um und entschuldigte sich mit dem Hinweis, das Geld für seine Familie zu benötigen. Ich hatte mich inzwischen wieder besänftigt und sah wie spindeldürr er war und dass er womöglich jeden Tag mehr Kalorien verbrauchen würde, als er zu sich nahm. Ich versicherte daraufhin, dass alles nicht so schlimm sei, wenn er mich jetzt wirklich direkt zum Hotel bringen würde. Als wir keine zehn Minuten später mitten in der Stadt einen Hügel hinauf fahren mussten, wurde er von seinen Kräften im Stich gelassen. Zum entsetzen der Passanten am Straßenrand stieg ich ab und half, die Rikscha hinauf zu schieben. Mit geballten Fäusten standen die Turbanträger am Straßenrand, ich hatte in dem Kastenwesen Indiens mit meiner Hilfsaktion wohl einen gesellschaftlichen Ehrenkodex verletzt, der zwar meiner Kultur fern war, einem Verständigen der indischen Kultur jedoch im innersten verletzend vorkommen musste.

Reiseberichte:

Travel Report 7/1: Nach Süden statt nach Norden
Travel Report 7/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern
Travel Report 7/3: Zwischen Panzern und Party
Travel Report 7/4: Zwischen Tempeln und Palästen
Travel Report 7/5: Entkräftet

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