Travel Report 5/1: Mode und Prostitution

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Ciudad del Este

1995, Paraguay/Rio: In Ciudad del Este drängelten die Busse in Zweier- und Dreierreihen auf der matschigen Piste entlang bis an den Horizont. Nicht die eindrucksvollen Iquazu Wasserfälle hier an der Grenze zwischen Paraguay und Brasilien lockten derartige Massen von Menschen an, es waren die für brasilianische Verhältnisse besonders günstigen Waren, die es hier gegeben hat. Was für eine Tortur, dachte ich, nehmen die Leute auf sich, nur um ein paar Dinge etwas günstiger kaufen zu können. Es war wieder einmal drückend heiß und ich entschloss mich dazu, eine meiner beiden Hosen zu kürzen. Gleich der erste Anlauf schlug fehl, denn die beiden gekürzten Beine waren unterschiedlich lang, was ich erst im Spiegel erkennen konnte. Als nach zwei weiteren Versuchen die Hosenbeine endlich die gleiche Länge hatten, war zu meinem Ärger schließlich im Schritt nicht mehr genug Stoff vorhanden, um auch im Sitzen alles Verdächtige zuverlässig zu verdecken. Da ich meine Jeansjacke hier im tropischen Tiefland nicht mehr benötigte, besorgte ich mir in einem Laden für Nähartikel eine Nadel und einen Faden, schnitt aus dem Rücken der Jacke zwei Streifen heraus und nähte diese an die gekürzten Hosenbeine an. Fertig war die einzigartige modische Schöpfung und sie gefiel mir so gut, dass ich sie bis nach Venezuela unentwegt tragen sollte, mit Ausnahme der Tage, an denen sie gewaschen wurde.

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Grenze Brasilien

Mein nächstes Ziel sollte Brasilien sein, wohin ich nach zwei Tagen in der überfüllten Stadt des Ostens aufbrach. Als der Bus, der direkt nach Rio de Janeiro fuhr, die Grenze zwischen Paraguay und dem großen Nachbarland passierte, schlief ich in aller Seelenruhe. Eigentlich war es eine freundliche Geste von den brasilianischen Grenzbeamten, mir meine Ruhe zu lassen, nur hatte ich nun das Problem, dass mir der Einreisestempel fehlte und ich mir Sorgen um die Ausreise machen musste. Dieser Sachverhalt aber fiel mir erst am kommenden Tag ein, ich schlief die gesamte Fahrt über und wachte im Morgengrauen gegen halb sechs Uhr auf. Von dem angehobenen Straßenverlauf der Autobahn konnte ich ein Meer von Wellblechhütten überblicken, welches erst weit im Hintergrund von grauen, gleichförmig gebauten Hochhäusern begrenzt wurde. Hier und dort sah man Müllberge, auf denen nackte und halbnackte Menschen herumliefen, und eine apokalyptisch anmutende schwarze-gelbe Wolkenfront bedeckte den Himmel. Ich war in Sao Paulo angekommen und es sollte noch sechs Stunden bis Rio de Janeiro dauern, wo ich aufgrund meines zunehmenden Geldmangels zum ersten Mal auf der Reise in einer Jugendherberge absteigen musste. Als wir in das Zentrum von Rio einfuhren überkam mich ein mulmiges Gefühl. Ich hatte Respekt vor der Stadt in der ich ankam, als ich die Favelas und die wackeligen Backsteinhäuser an den Hängen sah. Der Busbahnhof, war ein ungeheures, verschachteltes Bauwerk aus massiven Betonelementen in dem ich es mit der Angst zu tun bekam. Nachdem die anderen Passagiere aus dem Bus verschwunden waren, hielt sich außer mir kaum mehr jemand in dem Gebäude auf. Es handelte sich auf jeden Fall nicht um den zentralen Busbahnhof, das wusste ich und machte mich auf, um so schnell wie möglich an die Copacabana zu kommen.

Die sogenannte Jugendherberge lag etwas angehoben auf einem Hügel zwei Querstraßen hinter den Prachtgebäuden des wohl berühmtesten Strandes der Welt und war schon von Wellblechhütten umringt, in denen verschiedene Artikel zum Kauf angeboten wurden oder die als Gaststätten für Schnaps und Bier dienten. Allem Anschein nach war die vordere Häuserfront der Promenade ohnehin nur eine schmückende Fassade für die hässlichen Gebäude und Hütten dahinter. Ich bekam von dem Sohn des Besitzers der Einrichtung, der ebenfalls zwanzig Jahre alt war und mit dem ich mich bald angefreundet hatte, ein Bett in einem Schlafsaal zugewiesen. Entgegen meiner Erwartungen waren hier keine Jugendlichen aufzufinden, vielmehr nächtigten zwei Wanderarbeiter zusammen mit mir in den quietschenden Stockbetten einer riesigen Halle. Frisch geduscht ging ich mit meinem neuen Kumpel zu den Wellblechhütten hinunter und feierte dort mit ihm und mit einem Getränk namens „51“ einige Stunden lang bei lauter lateinamerikanischer Musik, die allerorts aus den Lautsprechern dröhnte. Als sich schließlich für meinen Geschmack zu viele verlebte Gestalten um uns herum angesammelt hatten, zog ich mich in das nahegelegene Gebäude zurück und ging zu Bett.

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Am Zuckerhut

Die folgenden beiden Tage waren von Hektik und Organisationsstress geprägt. Zunächst versuchte ich bei der Immigrationsbehörde einen Stempel zur Offizialisierung meiner Einreise und für meinen Aufenthalt in Brasilien zu bekommen. Von hier aus schickte man mich zu einer zweiten Behörde, die mich wiederum an eine dritte verwies, von der ich zurück zur Immigrationsbehörde gesendet wurde. So ging das den gesamten Tag über, bis sich endlich ein Beamter erbarmte und einen Stempel samt Schriftvermerk über den Sachverhalt in meinem Pass setzte. Am folgenden Tag sprach ich bei der österreichischen Botschaft vor, um hier Bescheid zu geben, das mir die Mittel spätestens in Caracas ausgingen und ein Bekannter aus Deutschland Geld einbezahlen würde, welches ich anschließend in der Venezuelanischen Hauptstadt abholen wollte. Anders als im Jahr zuvor in Kolumbien war man sehr freundlich und versprach mir, mich bei der Transaktion zu unterstützen. Die Botschaft lag direkt an der vordersten Front der Copacabana, so dass ich die Gelegenheit nutzte, um hier in einem nahe gelegenen Cafe ein Bier zu trinken. Kaum hatte ich mich gesetzt, wurde ich schon von zwei verlausten Straßenkindern angebettelt. Der Barkeeper sprang heraus und malträtierte die Kinder mit Fußtritten und Ohrfeigen, so dass sie schnell wieder verschwanden. Das waren ja Weiße mit blonden Haaren, schoss es mir erschrocken in den Kopf, um gleich darauf ein schlechtes Gewissen für diesen spontanen Gedanken zu bekommen.

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Copacabana

Die Jugendherberge entsprach ganz und gar nicht dem, wonach sie aussah. Es stellte sich heraus, dass ich der einzige in dieser Einrichtung war, der einen typischen Gast hätte darstellen können. Neben den Wanderarbeitern waren die beiden obersten Stockwerke für eine Vielzahl an Prosituierten reserviert, die dort halbnackt herumliefen und bei denen ich allabendlich mit dem Sohn des Besitzers der „Jugendherberge“ einen Besuch abstattete. Es wäre alles gratis für mich als Freund, meinte er immer wieder. Ich ließ aber aus Angst vor Krankheiten und auch davor ausgeraubt oder bestohlen zu werden und wegen meiner Freundin zu Hause in Deutschland, die Finger von den Damen. Außerdem war das eine oder andere Mädchen sehr aggressiv, wie ich feststellte, als ich unter großem Geschrei eines Abends einen Stuhl auf dem Balkon räumen musste, da eine der Damen mir zu verstehen gab, dass es der ihrige wäre. Ich vermutete im besten Falle Kokain und im schlimmsten Falle billige Abfalldrogen hinter diesem Verhalten, schließlich handelte es sich um Straßenprostituierte, deren Tagesablauf darin bestand, sich Nachts das Geld zu verdienen, es anschließend in einer der Wellblechbars zu verprassen und tagsüber durchzuschlafen.

Reiseberichte:

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Travel Report 3/3: Am Titicaca See
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Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
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