Travel Report 07/3: Zwischen Panzern und Party

1997, Goa: Bis nach Bombay war es eine weite Strecke, die ich aus Agra kommend über Nacht im Zug zurücklegen musste. Freilich war die Bahn erneut mehrere Stunden verspätet gewesen und ich hatte eine halbe Ewigkeit am Bahnhof warten müssen. Im Zug war ich in einem Schlafabteil der zweiten Klasse im obersten der drei Betten untergebracht, in dieser Wagon-Kategorie befand sich auch die indische Mittelschicht. Die Fahrt kostete nur 14 Dollar für etwa 1.400 Kilometer, Indien war ein sehr günstiges Reiseland und in der dritten Klasse wäre alles noch einmal um die Hälfte billiger gewesen, doch war mir das dort nicht ganz geheuer. Die anderen Passagiere im Abteil, umsorgten mich mit einer aus Südamerika unbekannten Nettigkeit und liehen mir über Nacht sogar eine Decke aufgrund der im Abteil vorherrschenden Kälte. Mich wunderte es, dass ich noch immer keinen Durchfall bekommen hatte, obwohl ich inzwischen regelmäßig den feuerscharfen Kartoffeleintopf im Fladenbrot aß, den ich direkt von den Straßenverkäufern am Bahnhof kaufte, wo es mit der Hygiene nicht weit her gewesen sein konnte. In Bombay angekommen, besuchte ich die üblichen Touristenorte, darunter das berühmte Gateway of India, das aus der Zeit der britischen Besatzung stammt. Indien hatte sich vom Kolonialismus gelöst, soviel war klar, denn Bombay hieß jetzt Mumbai und auch die alten englischen Straßennamen wurden fleißig umbenannt, was es sehr erschwerte von einem zum anderen Ort zu gelangen, schließlich musste man jetzt immer die alten und die neuen Straßennamen zugleich kennen und mehrfach schon war ich an einem anderen Ort herausgekommen als geplant. Die Stadt gefiel mir nicht besonders, war sie doch ziemlich verdreckt und von Abgasen verpestet. Auch wunderte ich mich über die Gepflogenheiten der Inder, die offen am Straßenrand, ja sogar in der Unterführung der U-Bahn urinierten. Alles mischte sich mit den Abgasen und dem Müll am Straßenrand zu einem süßlichen Luftgestank, der nicht nach meinem Geschmack war. Für Heiterkeit hatte hier einzig meine Hantel an einem Abend im Hotel gesorgt, welche von den Angestellten zunächst mit ungläubigem Staunen und schließlich mit großem Gelächter begutachtet geworden war.

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Am Gateway of India

Es hielt mich nicht viel in der Stadt und kaum drei Tage später machte ich mich auch schon wieder auf, um nach Goa weiter zu reisen. Erneut eine lange Zugfahrt die zu bewältigen war, doch wollte ich nach nunmehr zwei Wochen in Indien endlich ans Meer und in den Genuss ausgelassener Partys kommen. Mein Tagesetat von umgerechnet zwanzig US-Dollar war für Indien so üppig, dass ich bereits viel Geld gespart hatte, was nun in Goa ausgegeben werden sollte. Nach ungefähr einem Tag war ich in Panjim, der Hauptstadt der ehemaligen portugiesischen Enklave angekommen. Hatte ich seit Ewigkeiten keinen  Alkohol mehr gesehen, hier bei den Christen gab es Schnapsläden die nichts anderes verkauften. Ich fand eine sehr gute Unterkunft im nahe gelegenen Calangute direkt am nördlichen Strand, der sich vom Gefängnis bis hin zu der Irrenanstalt erstreckte. Die Partyhochburg zollte ihr Tribut, beide Einrichtungen waren für die Drogenkonsumenten vorgesehen. Glaubte man den Schildern am Strand, so wurden diejenigen für zehn Jahre ins Gefängnis gebracht, die mit etwas illegalem erwischt wurden und zwar ohne Gerichtsverhandlung. In die Irrenanstalt hingegen warf man die anderen, deren geistiger Zustand einen Gefängnisaufenthalt nicht mehr erlaubte. Irgendwie kam mir ganz Goa so vor, als wäre es ein Ort voller Verrückter. Allen voran der Busfahrer, der sich jeden Morgen am Ende der Hauptstraße mit einer gewaltigen Staubwolke ankündigte und dann mit hoher Geschwindigkeit rumpelnd durch die enge und von Mauern begrenzte Gasse herunter raste, so dass sich die spielenden Kinder gerade noch in Sicherheit bringen konnten. Mehrfach jährlich, erzählte man mir, würde auch eines der Kinder überfahren werden. Dann musste der Busfahrer mit noch größerer Geschwindigkeit das Weite suchen, wollte er von einem Mob nicht am nächsten Baum aufgeknüpft werden. Daneben gab es die Kashmiris, die in ihren Läden Souvenirs verkauften und den ganzen Tag aus der Haschpfeife pafften. Auch der Friseur, der einem nach getaner Arbeit heftig auf dem Kopf herumschlug, war meiner Beobachtung zu folge nicht ganz bei Trost. Mir hämmerte er schier den Schädel ein, so dass ich wutentbrannt nach außen lief und ihm dreißig Rupien in den Laden warf. Er meinte mit seiner Hauerei, die er als Massagedienstleistung bezeichnete, etwas mehr Geld verlangen zu können. Die ganze Sache wurde abgerundet vom Apotheker, der allerlei Aufputschendes  unter der Hand verkaufte.

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Strand von Calangute

Der Panzer in Calangute gehört der Drogenpolizei aus Bombay, teilte man mir mit. Die Polizisten hier waren mit allen Wassern gewaschen, ihr einziges Ziel war es, Bestechungsgelder einzutreiben. Das war auch notwendig, mussten sie doch selbst in Höhe der Summe eines Jahresgehalt Bestechung an ihre Vorgesetzten zahlen, um nach Goa versetzt zu werden. Dementsprechend hatte das mit Motorrollern bestückte Partyvolk auch Angst von den Full-Moon-Partys in Vagator zurück nach Calangute zu fahren. Mehrfach war ihnen schon in dem versandeten Palmenwaldgebiet zwischen den beiden Ortschaften ein Knüppel in die Speichen gesteckt und der Zündschlüssel gezogen geworden, den sie nur durch Bezahlung einer bestimmte Summe an Geld wieder von den Polizisten auslösen konnten. Doch nicht jeder musste sich fürchten. Ein dicker Hüne aus England zum Beispiel brauchte nur laut „Get out of my way“ zu brüllen und schon ließen die Polizisten von ihm ab. Mehrfach hatte er bereits die uniformierten Ganoven zusammengeschlagen, die gegen seine geballte Kraft mit ihren Schlagstöcken nur wenig ausrichten konnten. Es gefiel mir in Goa, war ich nicht am Strand, so befand ich mich meistens in einem nahe gelegenen Restaurant mit Meerblick einige Meter neben meinem Wohnort und aß feuerscharf gewürzten Reis. Am Wochenende kamen meistens Männergruppen aus Hyderabad angereist, deren einziger Aufenthaltszweck der Konsum von Alkohol war, den man wie bereits erwähnt (Travel 07/1) in der dortigen Gegend verboten hatte. Ich musste darüber lachen, denn die Inder hier machten mir nicht den Eindruck, am Hungertuch zu nagen, wie man es in den Medien in Deutschland immer vor Augen geführt bekam. Nein, es gab in der Apotheke sogar kleine Pillen, die in geringer Dosis als Schlankmacher wirkten, da sie dem Konsumenten auf Dauer den Appetit verdarben. Von ihnen hatte auch das Partyvolk schon gehört und es war allgemein bekannt, das die Schlankmacher auch als Muntermacher wirkten und in größerer Dosis, so etwa 20 Pillen auf einen Schlag, die Wirkung von Amphetaminen entfalten konnten.

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Mein Haus in Goa

Ich pendelte in den folgenden Tagen unentwegt zwischen Vagator und Calangute hin und her. Beide Ortschaften waren über einen wunderschönen Strand verbunden, der aufgrund einer felsigen Kuppe dazwischen durchgehend nur Tags begangen werden konnte. Den Weg zurück von den Partys in Vagator musste man meistens umständlich zu Fuß begehen oder waghalsig bei einer fremden Person auf dem Roller mitfahren. Jede der Partys war ein Abenteuer für sich und man lernte unentwegt neue Menschen kennen. Sind wir an einem Steilhang, fragte ich mich eines Nachts, als das Gelände bei lauter Musik immer abschüssiger wurde? Ich war ziemlich orientierungslos, wanderte jedoch gut gelaunt die gesamte Nacht hindurch zwischen den einzelnen mit unterschiedlichen Stoffen, Farben und Lichtern ausgestatteten Teilbereichen einer Goa-Party herum. Einmal kam es mir so vor, als wären wir mitten im Wald, ein anderes Mal dachte ich, ich stünde direkt an einer Klippe. Erst als die ersten Sonnenstrahlen den Tag erhellten, wurde langsam klar, dass sich die Veranstaltung in einem Wald direkt an einem Felsenhang befand. Von hier aus konnte man Bestens über die Weiten des Meeres blicken, in dem sich ausgelassen tanzende, nackte junge Damen tummelten. Meine Zeit war immer etwa so gegen zehn Uhr morgens gekommen, als mich die Lust an den Feierlichkeiten verließ. So spät am Morgen sah es dann meist schon sehr übel auf dem Partygelände aus und es gab viele komisch umherschauenden Gestalten. Die Polizei war sehr wohl dazu bereit, die Veranstaltungen auch zu stürmen und auseinander zu schlagen, hatten die Veranstalter zuvor nicht eine entsprechende Summe an Schweigegeld bezahlt. Trat solch ein Fall ein, gab es noch Stunden später verängstigte Personen auf dem Partygelände, die unter völligem Zeitverlust leidend sich hinter den Bäumen und Büschen vor der Polizei versteckten, bis sie von Badegästen hervorgeholt und auf den Weg nach Hause geschickt wurden.

Reiseberichte:

Travel Report 7/1: Nach Süden statt nach Norden
Travel Report 7/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern
Travel Report 7/3: Zwischen Panzern und Party
Travel Report 7/4: Zwischen Tempeln und Palästen
Travel Report 7/5: Entkräftet

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Travel Report 07/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern

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Nahe des Hotels

1997, Agra: Ich schlenderte gelangweilt und genervt die Straße hoch und wurde noch immer von dem Peitschenhändler verfolgt, der mir sein nutzloses Produkt nun schon seit mehr als einer viertel Stunde angeboten hatte. Ein kleiner schwarzer, zerzauster Mann mit verrissener Kleidung und einer Turban ähnlichen Kopfbedeckung war es, der mich hier belästigte. Ursprünglich sollte die Peitsche vierhundert Rupien kosten, inzwischen waren nur noch vierzig, ohne dass ich ein einziges positives Wort über einen möglichen Erwerb des Gegenstandes von mir gegeben hatte. Gut einen Kilometer waren wir inzwischen vom Taj Mahal in Richtung Innenstadt gelaufen, wobei die Peitsche ungefähr alle 100 Meter um einen gewissen Betrag günstiger geworden war. Meine Beteuerungen, nichts mit seinem Angebot anfangen zu können, überhörte er schlichtweg, ja er ignorierte mich. Das Taj Mahal und die umliegenden Paläste waren wirklich schön gewesen, hätten sich dort nicht die vielen Händler herumgetrieben, die in einer ähnlichen Produktkategorie agierten wie mein Schatten, dabei jedoch weitaus weniger Ausdauer aufbrachten. Ich war am Vortag irgendwann abends in Agra angekommen. Der Zug aus Delhi war insgesamt vier Stunden verspätet gewesen, da ich nur zwei davon antizipiert hatte, bin ich noch weitere zwei Stunden an Delhi Railway Station herum gesessen. Dort hatte mir ein Passant eine viertel Stunde lang auf den Kopf gestarrt, während ich mir die Zeit mit einem Buch vertreiben wollte. Er ging erst, als ich ihm einige Sekunden ins Gesicht blickte. Ich wunderte mich von da an, was an meinem Kopf so interessant sein sollte, dass man ihn aus einer Distanz von etwa einem halben Meter eine viertel Stunden lang begaffen konnte. Sehr aufdringlich schienen mir die Leute hier zu sein und nun platzte mir der Kragen mit meinem Peitschenhändler. Ich fauchte ihn unfreundlich an, er solle sich jetzt endlich fort schleichen. Rechts und links schüttelte er mit dem Kopf, eine nicht deutbare Bewegung. „Fort“, „fort“ – rechts, links, „fort“, „fort“ – rechts, links. Völlig entnervt gab ich auf und überreichte ihm zwanzig Rupien flehend mit der Bitte verbunden, mich jetzt in Ruhe zu lassen. Die Peitsche durfte er behalten und ich war froh, als ich ihn entschwinden sah, obwohl ich strategisch gedacht, natürlich einen Fehler gemacht hatte.

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Am Taj Mahal

In Agra war es nicht einfach, ohne Umweg mit einer Rikscha von einem zum anderen Ort zu gelangen. Die Fahrer hatten die Angewohnheit, die Fahrgäste an den Orten herauszulassen, an denen sie eine Provision kassieren konnten. Immer war es ein guter Onkel oder ein lieber Verwandter, den man noch kurz besuchen sollte und der zwischen Ausgangsort und Zielort dazwischen geschaltet wurde. Schon mehrfach hatte ich mich weigern müssen, auf einem der Zwischenstopps auszusteigen. Auch dieses Mal dauerte es zwei Stationen ehe ich im Hotel ankam, in dem ich inzwischen auf dem Balkon saß und in Gedanken versunken mir die letzten Sonnenstrahlen über der im Dunst verschleierten Stadt anschaute. Da trat ein stämmig gebauter, rauer Motorradfahrer aus England mit einer Flasche Schnaps in der Hand aus dem Nachbarzimmer auf den Balkon heraus. Er setzte sich und bot auch mir einen Drink an, den ich dankend entgegennahm. Mit Hochachtung folgte ich seinen Ausführungen, wie er von London bis nach Agra hergefahren war, wie er bei netten Menschen im Iran übernachtet hatte, wie er von der Polizei durch Pakistan eskortiert wurde und wie er gedachte, nach Indonesien weiter zu fahren. Wir saßen da und tranken noch eine Weile. Als er mir schließlich erzählte, das Getränk auf einem lokalen Markt gekauft zu haben, wurde mir unwohl, wusste ich doch, dass schon viele Menschen hier in Indien von dem selbstgebrannten Schnaps blind geworden waren. In der Region um Hyderabad herum war es der weiblichen Wählerschaft sogar gelungen, ein komplettes Alkoholverbot politisch durchzusetzen, da zu viele Männer sich dem Alkohol gewidmet hatten und viele davon erblindeten. Unbegründete Sorgen, wie sich bald herausstellen sollte, jedenfalls konnte ich am kommenden Tag so gut sehen wie je zuvor und sah auch erstaunliches, nämlich einen Schlangenbändiger, der drei Kobras gleichzeitig zum Tanzen brachte.

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Bei dem Teppichhänlder

Am Tag vor meiner Abreise aus Agra saß ich erneut auf einer Fahrradrikscha und hatte dem Fahrer den doppelten Preis geboten, wenn er mich direkt vom Zentrum der Stadt zu meinem Hotel bringen würde. Doch selbst das hat nichts genutzt und voller Zorn fand ich mich schon wieder, es muss bereits das dritte oder vierte Mal gewesen sein, bei einem Teppichhändler vor. Sogleich war ich mit diesem in einem Streitgespräch. Ja, der Teppich konnte für umgerechnet siebenhundert Dollar schon günstig sein, sofern er echt war. Aber, argumentierte ich, könnte ich das gar nicht prüfen. Darüber hinaus wäre ich noch weitere zwei Monate auf Reisen, könnte einen Teppich also gar nicht gebrauchen. Auf jeden meiner Einwände wusste der Händler Rat und Abhilfe. So meinte er, dass er einen Experten holen könnte, der anhand eines Zertifikats die Echtheit des Teppichs bestätigen würde und gegen Barzahlung wäre es möglich, den Teppich sogleich verschiffen zu lassen. Ich wurde noch ungehaltener über diese Unverfrorenheit. Nie, erwiderte ich, wäre ich bereit Bargeld auszuhändigen und rannte hinaus zur Rikscha. Los, schnaubte ich den Fahrer an, über den ich mich sehr ärgerte. Nach einigen Minuten drehte er sich zu mir um und entschuldigte sich mit dem Hinweis, das Geld für seine Familie zu benötigen. Ich hatte mich inzwischen wieder besänftigt und sah wie spindeldürr er war und dass er womöglich jeden Tag mehr Kalorien verbrauchen würde, als er zu sich nahm. Ich versicherte daraufhin, dass alles nicht so schlimm sei, wenn er mich jetzt wirklich direkt zum Hotel bringen würde. Als wir keine zehn Minuten später mitten in der Stadt einen Hügel hinauf fahren mussten, wurde er von seinen Kräften im Stich gelassen. Zum entsetzen der Passanten am Straßenrand stieg ich ab und half, die Rikscha hinauf zu schieben. Mit geballten Fäusten standen die Turbanträger am Straßenrand, ich hatte in dem Kastenwesen Indiens mit meiner Hilfsaktion wohl einen gesellschaftlichen Ehrenkodex verletzt, der zwar meiner Kultur fern war, einem Verständigen der indischen Kultur jedoch im innersten verletzend vorkommen musste.

Reiseberichte:

Travel Report 7/1: Nach Süden statt nach Norden
Travel Report 7/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern
Travel Report 7/3: Zwischen Panzern und Party
Travel Report 7/4: Zwischen Tempeln und Palästen
Travel Report 7/5: Entkräftet

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Travel Report 07/1: Nach Süden statt nach Norden

1997, Delhi: Von den Südamerikareisen war ich schon einiges gewohnt, einen vergleichbar heruntergekommenen Bus wie vor dem Flughafen in Delhi hatte ich aber noch nie gesehen. Verbeult, verrostet, technisch in katastrophalem Zustand, ohne Windschutzscheibe und vollgestopft mit dunklen Leuten. Ich quetschte mich auf den letzten Platz vorne direkt neben dem Busfahrer und war auf der Fahrt in Richtung New Delhi Railway-Station sehr verwundert über die vielen Gestalten, die am Straßenrand halb nackt da saßen und in den Tag hinein lebten. Dem Kontrolleur hatte ich mitgeteilt, an den Main Bazar fahren zu wollen und ihn gebeten, mich dort heraus zu lassen. Er meinte, alle Hotels und Unterkünfte am Bazar wären teuer, schmutzig, außerdem ausgebucht und er hätte einen besseren Tipp für ein hervorragendes Hotel direkt im Zentrum. Mir kam das nicht geheuer vor und ich machte jede Wette, er wollte eine Provision kassieren. In der Stadt angekommen, achtete ich penibel darauf, den Ausstieg aus dem Bus nicht zu verpassen. Als mich der Kontrolleur mit seinen Beteuerungen erneut in die Irre leiten wollte, sprang ich auf die Straße und provozierte dadurch ein paar zornige Worte, die mir von ihm hinterher geschleudert wurden. Ich hatte Glück, die Railway Station war gleich um die Ecke. Als ich sie durch einen Hintereingang betrat, verlor ich kurz die Orientierung, atmete erst einmal durch, ging dann langsam weiter. Ich hatte mit einem Bündel von Kleidern, das fünf Kilogramm wog, prinzipiell mein bisher leichtestes Gepäck dabei, das ich je zuvor auf Reisen mitgenommen hatte, wäre da nicht noch die Hantel mit einem Gewicht von zwanzig Kilogramm gewesen, die wie ein Mühlstein quer in meinem Rucksack lag. Schnell durchquerte ich die düsteren Hallen und fand bald den Haupteingang und somit den Weg nach draußen zu dem Bazar. Vor dem Bahnhof überwältigte mich der Anblick der Menge an Menschen, die sich einem Ameisenhaufen gleich unter mir durch die Straßen  in regem Treiben hin und her bewegten.

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Auf dem Currymarkt

Vom Bahnhof aus war die Main Bazar Road einfach auszumachen, schnell lief ich sie hinauf und fand nach einigen erfolglosen Anläufen in halb zusammengefallenen Pensionen schließlich eine passende Unterkunft. Mein Plan war es, insgesamt acht Wochen lang den indischen Subkontinent und seine Ausläufer zu bereisen, wobei der Schwerpunkt das nördlich gelegene Nepal bilden sollte. Auf der Straße hatte mich bereits ein Reisevermittler angesprochen und mir als Empfehlung Kashmir anstelle von Nepal angedient, ich lehnte jedoch ab, da ich die politische Lage in der umkämpften Region als zu instabil einschätzte. Als ich später das Hotel verließ und ein Restaurant aufsuchen wollte, stand er schon wieder da, als hätte er die ganze Zeit gewartet und beschwor mich mit weiteren Beteuerungen über die Vorzüge und die Schönheiten Kashmirs. Ihn loszuwerden war ein äußerst anstrengendes Unterfangen und es gelang mir erst, als ich das Restaurant betrat. Unvertraut mit der indischen Küche bestellte ich mir ein Tandoori Chicken mit Reis und war über die ungeheure Schärfe des Gerichtes verwundert ohne zu ahnen, dass es sich bei dem Feuerhühnchen noch um eine vergleichsweise milde Mahlzeit handeln sollte. Zurück auf der Straße wartete erneut der Reisevermittler und er schaffte es tatsächlich, mich in sein Büro zu locken, um mir anhand von einem Bildband die Möglichkeiten einer Reise  Kashmir schmackhaft zu machen. Ich lehnte erneut ab, buchte aber eine Delhi Sightseeing Rundfahrt für den folgenden Tag. Den Rest des Tages vertrieb ich mir in den engen Gassen des Bazars und trat dabei aus Spaß eine Rikschafahrt durch das Labyrinth der Händler und Verkaufsstände an. Der alte Fahrer kämpfte sich ab, so ein Engagement musste belohnt werden, dachte ich als wir etwa die Hälfte der vereinbarten Dauer von einer halben Stunde in den schmalen, dunklen und dicht bevölkerten Gassen zurückgelegt hatten. Dann fuhr mir plötzlich in den Kopf, dass ich den Preis nicht vorab ausgehandelt hatte und jetzt wohl über das Ohr gehauen werden würde. Zurück an der Delhi Railway-Station verlangte der alte Fahrer umgerechnet zehn US-Dollar für seine Dienstleistung. Ich hatte viele Sympathien für den Greis und war bereit das Geld zu bezahlen, allerdings schämte ich mich auch dafür, gleich am ersten Tag wie Anfänger über den Tisch gezogen worden zu sein und versuchte den Vorgang so diskret wie möglich abzuwickeln. Doch als ich aufschaute, starrten mich die Passanten mit erschrockener Miene an. Wahrscheinlich hatte ich mehr bezahlt, als ein Rikschafahrer in einer ganzen Woche üblicherweise verdiente.

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Mit der Riksha

Schon in der Nacht gerieten meine Nepal Pläne gehörig ins Wanken. Zwar verfügte ich über eine dicke Decke im Bett des fensterlosen Zimmers meines Hotels, doch lag ich auf gespannten Bastschnüren. Aufgrund der fehlenden Matratze  schlich sich die Kälte von unten heran, ich musste in voller Kleidung schlafen und fror trotzdem noch. Angemessene Ausrüstung für Nepal habe ich also nicht dabei, überlegte ich mir, meine zwanzig Kilo schwere Hantel konnte mir bei dem Problem ja schwerlich weiterhelfen. Ob ich bei dieser Kälte in den viel höher gelegenen Regionen des Nachbarlands tatsächlich bestehen konnte, hielt ich angesichts der nächtlichen Erfahrung für unwahrscheinlich. Es war Mitte Januar, tagsüber bei Sonnenschein hatte es fünfundzwanzig Grad, aber des Nachts kam die Temperatur dem Gefrierpunkt nahe. Als ich am frühen Morgen des folgenden Tages aufgrund dieser Erkenntnis etwas betrübt die Straße betrat, herrschte eine ungewohnte Atmosphäre vor. Das Rinnsal der Verwesung, wie ich den kleinen offenen Abwasserkanal nannte, der überall am Straßenrand zu finden war, dampfte fröhlich vor sich hin. Die Luft war von faulen Gerüchen geschwängert und es war noch immer sehr kühl. Erst als die ersten Sonnenstrahlen auf die Straße leuchteten hellte sich auch meine Gefühlslage auf und ein schöner Tag stand bevor. Ich trat meine Sightseeing Tour zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt an, ein Höhepunkt und gleichzeitig auch ein Tiefpunkt stellte das Red Fort dar. Faszinierend die Architektur und abstoßend die Bettler. Einem kleinen Mädchen, das meiner Einschätzung nach nicht älter als fünf Jahre gewesen sein konnte und mit einem Baby auf dem Arm da stand, kam meine Alimentation von einem Dollar in Rupien zu gering vor. Aggressiv ging mich das Bettelkind an und verlangte einen Nachschlag, dabei hatte ich schon den ersten Dollar ganz entgegen meiner Vorsätze ausgehändigt. Zur Schule gehen soll der kleine Teufel, dachte ich, denn ich war fester Überzeugung, dass die Unterstützung von bettelnden Kindern eine kontraproduktiv Auswirkung hat. Drei Jahre zuvor  in Kolumbien hatte ich Menschen gesehen, die von ihren Eltern nur zum Bettlerzweck verkrüppelt geworden waren, um aufgrund des Mitleid erregenden Zustandes zu höheren Einkünften zu kommen, solches Mitleidgeschäft war mir suspekt.

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Blick vom Red Fort

Zwei Tage später, die mir der Reiseagent mit seinem Kashmir Angebot beständig nervend auf den Fersen geblieben ist, schaute ich verwundert vom Portal der New Delhi Railway-Station auf die Szene, die sich unter mir darbot. Ein Motorradrikschafahrer hatte einen Hund überfahren und nun stand ein Halbkreis von Menschen um ihn herum, die böse auf ihn einschimpften, während er neben dem reglosen Geschöpf auf den Knien liegend um Abbitte flehte. Der Hinduismus hatte andere Regeln, die ein Europäer nur schwer verstehen konnte. Jedenfalls musste der Mann nun befürchten, in einem anderen Leben noch weiter die Kasten hinabzusteigen. Der Buddhismus, der im nördlich gelegenen Nepal praktiziert wurde, war da nicht so streng. Doch alle meine Pläne dort hin zu reisen, hatte ich inzwischen schweren Herzens zu Grabe getragen, anstelle dessen sollte es in den warmen Süden weiter gehen. Als nächstes Ziel war Agra angepeilt, um dort das Taj Mahal zu besichtigen. Einen kurzen Abstecher nach Varanasi, wo die Inder zur seelischen Beruhigung in den verdreckten Ganges steigen, hatte ich mir auch überlegt, aufgrund des damit einhergehenden Umwegs das Vorhaben jedoch wieder verworfen. Ich war nun seit vier Tagen in Indien und noch nicht ein einziges Mal ordentlich auf der Toilette gewesen. So etwas hatte ich noch nie erlebt, die Umstellung für den Magen aufgrund des scharfen Essens, das mir immer mehr zusagte, muss immens gewesen sein. Allerdings gab es trotz des bis dahin ausgefallenen Stuhlgangs keine negativen Auswirkungen auf mein Wohlbefinden. Vielleicht war der Grund auch im bisher ausgebliebenen Alkoholkonsum zu suchen, der mich vor Magenbeschwerden verschonte. Zwar war mir einmal ein englischer Pub ins Auge gefallen, sonst hatte ich aber noch kein Angebot von alkoholischen Getränken zur Kenntnis nehmen können. Ich war also fit für die Weiterreise und die Zeit des Aufbruchs war gekommen. Am nächsten Tag sollte der Zug offiziell gegen zehn Uhr morgens von der Railway-Station nach Agra abfahren. Ich nahm mir vor, so gegen zwölf Uhr dort zu sein, denn zwei Stunden Verspätung war laut meinen Informationen das Minimum, was man einkalkulieren musste.

Reiseberichte:

Travel Report 7/1: Nach Süden statt nach Norden
Travel Report 7/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern
Travel Report 7/3: Zwischen Panzern und Party
Travel Report 7/4: Zwischen Tempeln und Palästen
Travel Report 7/5: Entkräftet

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Accommodation and Tours in Ulanbaatar Mongolia

I strongly advise to make a reservation well in advance if you want to stay in a budget kind of accommodation such as a hostel in Ulanbaatar, especially during peak season in August. I made the experience that a lot of travelers were rejected in several different places I stayed. It might not be funny if you are arriving at night and the door is slammed in to your face, as pickpocketing and bag slashing is a growing concern and alcoholism is a serious problem too. You might not be able to find a reasonable priced hotel if you are rejected and urgently need to find a place to stay somewhere around.

I do not recommend day trips to Gorkhi-Terelj National Park. You might find yourself four out of six hours in the traffic chaos of the city center. It ist better to stay one night in the park even if the Ger Camps usually do not provide electricity or bathroom facilities.  If you are just spending a few day in Ulanbataar, it would be a good Idea to book a three day two night trip to Kharkorin, make as stopover at the sand dunes between Khustain NP and Kharkorin and take the Gorkhi-Terelj NP as an additional day. Friends of mine were very happy doing this. Most of the hotels and budget places in Ulanbataar are able to help you managing to find a tour operator. Be aware, the old Russian jeeps might exude an adventurous atmosphere, but in our case they were the wrong choice (cold & windy, technical problems).

Visum Weissrussland

Ungeachtet der unterschiedlichen Auskünfte diverser Reiseagenturen und Konsulate ist es derzeit am Konsulat in München möglich, ein Visum für Weißrussland auch ohne Einladung zu erhalten. Es ist hierfür eine Bestätigung der Hotelbuchung auf dem Briefbogen des Hotels mit Stempel und Unterschrift erforderlich. Dies muss allerdings nicht im Original vorgelegt werden, sondern kann auch als Ausdruck eines Anhangs einer eMail erfolgen. Sämtliche Buchungsbestätigungen wurden mir von den Hotels vor Ort innerhalb kürzester Zeit per eMail zugestellt. Im Anhang befindet sich ein Beispiel für eine digitale Buchungsbestätigung eines Hotels aus Belarus.

Confirmation letter Hotel Vesta

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