Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem

1995, Zentral-Brasilien: Erneut stand eine dreitägige Busreise an, da ich meinen ursprünglichen Plan, über Recife und Bahia de Salvador nach Belem zu reisen, verworfen hatte. Ich wollte schnellst möglich nach Caracas weiter fahren, um mir dort bei der österreichischen Botschaft das Geld abzuholen, das ein Bekannter aus Deutschland bei dem Generalkonsulat in München einbezahlen sollte. Von der österreichischen Botschaft in Rio aus war es telefonisch möglich gewesen, ihn zu erreichen. Ich hatte extra für diesen Fall meine Bankkarte in Deutschland gelassen, eine Vorsichtsmaßnahme aufgrund der Ereignisse in Kolumbien im Jahr zuvor (Travel Report 2/4), als ich mir Geld von der Botschaft in Bogota leihen musste. Kreditkarten waren zu dieser Zeit in den meisten Teilen Südamerikas absolut unüblich, so dass ich auch keine mit mir führte.  Mit der Kommunikation nach Europa gab es vielfach die größten Schwierigkeiten, meistens konnte keine direkte Verbindung aufgebaut werden, sondern es meldeten sich dazwischen irgendwelche „Verbindungsdamen“, die ihre spanischen oder portugiesischen Worte mit der Geschwindigkeit einer halbautomatischen Waffe herunter ratterten, jeder Versuch meinerseits an ihnen vorbeizukommen, erwies sich als vollständig zwecklos. Gelang es doch einmal eine Leitung aufzubauen, ohne dass sich die Damen sich dazwischenschalteten, musste schnell geredet werden, denn ein zwei minütiges Telefonat war genauso teuer, wie das Reisebudget eines gesamten Tages.

Die Busfahrt war ziemlich langweilig und unbequem, es befanden sich kaum mehr als zehn Passagiere an Bord, alles Männer, die irgendetwas in Belem zu tun hatten. Freilich dauerte es nicht lange, bis Cachaca der Marke „51“ ausgepackt wurde und bereits in Belo Horizonte torkelten die ersten stockbetrunken im Bus herum. Ich nahm auch hin und wieder einen Schluck aus den Flaschen, die im Kreise herumgereicht wurden, war aber darauf bedacht, erst Abends damit anzufangen und nicht zu viel zu konsumieren, damit ich hier nicht bestohlen und ausgeraubt werden würde. Am zweiten Tag fuhren wir an der unnützen und überflüssigen Stadt Brasilia vorbei und bogen in eine Straße ein, die auf einer Distanz von etwa 2.000 Kilometern geradewegs nach Belem führen sollte. Die Landschaft war prinzipiell immer identisch, Weidegrund soweit das Auge reichte. Morgens am letzten Tag der Fahrt wachte ich mit Kopfschmerzen auf, ich hatte am Abend zuvor wohl doch etwas zu viel von dem Schnaps abbekommen, ja, es war nicht immer einfach die optimale Dosis zu finden. So gegen sechs Uhr muss es gewesen sein, es regnete in Strömen und die Bushaltestelle, an der wir uns befanden, gab ein jämmerliches Bild ab, wodurch sich meine Kopfschmerzen noch intensivierten. Unter einer halb aufgeweichten Bambushütte saßen ein paar verlumpte Kinder und daneben befand sich eine zwei mal zwei Meter große Bar an der einige Trunkenbolde gerade den „51“ unverdünnt aus kleinen Bechern kippten, während sich in den Regalen hinter dem Barkeeper mindestens 50 leere „51“ Flaschen reihten. Nicht nur barbusige Tänzerinnen im Karneval, sondern auch das ist Brasilien, dachte ich – die pure Trostlosigkeit.

In Belem angekommen, tauschte ich meine letzten beiden Reisechecks über insgesamt 200 US-Dollar in Brasilianische Real ein. Der Vorgang gestaltete sich als äußerst schwierig, der Kassier meinte, meine Kontroll-Unterschrift würde nicht mit den ursprünglich auf den Checks hinterlegten Unterschriften übereinstimmen und wollte mir das Geld nicht ausbezahlen. Ich flehte ihn an, denn durch die soeben durchgeführte zweite Unterschrift waren die Checks auch bei einer anderen Bank nutzlos geworden und hier an der Amazonasmündung, drei Tage von Rio und zwei Wochen von Caracas entfernt konnte mir mit Sicherheit keiner unter die Arme greifen. Erst als ich dem Kassierer die Tätowierung auf dem Oberarm mit meinem Namen zeigte, gab er nach und händigte mir schließlich das Geld aus. Die Schifffahrt von Belem nach Manaus dauerte volle sieben Tage und kostete umgerechnet siebzig US Dollar. Die Verpflegung war im Preis inbegriffen und wurde durch einen Schiffskoch sichergestellt, der zwei Mal am Tag Hühnchen mit Reis servierte. Ich musste mir zuvor noch eine Hängematte kaufen, da nur mit ihr überhaupt die Erlaubnis erteilt wurde, das Schiff zu betreten. Nach Abzug meiner Unterkunft in Belem, einiger Verpflegungsgegenstände, darunter die besonders wichtigen Kartoffelchips und die Zigaretten, blieben mir noch gut achtzig Dollar, um von Manaus aus bis nach Caracas zu kommen. Das sollte reichen, dachte ich. Alternativ zum Bus hätte ich schließlich auch per Anhalter ab Manaus fahren können, ein Gutes hatte die Strecke nämlich, es gab mit Boa Vista und Ciudad Guyana bis weit nach Venezuela hinein nur etwa alle 800 Kilometer eine relevante Ortschaft und man musste somit nur zwei Mal mitgenommen werden, um bis kurz vor die Tore der Venezuelanischen Hauptstadt zu gelangen.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 5/3: Am Amazonas

1995, Brasilien: Bereits einen halben Tag vor der Abfahrt kam ich zu dem Schiff, das mich den Amazonas hinauf bringen sollte. Ich versprach mir von der frühen Ankunft, mir einen guten Platz für meine Hängematte sichern zu können und traute meinen Augen kaum, als ich sah, wie viele von ihnen schon auf dem Schiff herumbaumelten. Das Schiff war voll, dachte ich und hängte mich mitten in das Gewühl der anderen Matten hinein. Ich war ja inzwischen sehr mobil und flexibel, denn viel Gepäck führte ich nicht mehr mit mir und hatte daher auch meinen lästigen Rucksack im Hotel zurück gelassen. Ich sollte mich gewaltig irren, das Schiff war noch lange nicht voll. Unentwegt kamen weitere Menschen dazu und drängten sich auf das Mitteldeck. Die ganzen Hängematten anzubringen gelang nur, indem man sie auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich weit herunterhängen ließ. Als das Schiff ablegte sah ich neben mir einen jungen, blonden Kerl, der so gar nicht in das Bild der ganzen in ihren Hängematten schaukelnden dunkelhäutigen Gestalten passte. Es war ein Däne, der ebenfalls nach Caracas reisen musste und er hatte eine junge Brasilianerin dabei, die er zurück mit nach Europa nehmen wollte. Freudig über das Treffen machten wir uns an die Bar auf dem Deck und tranken eine Flasche Antarktika, was meinen Reiseetat von etwa 80 auf 78 Dollar dahinschmelzen ließ. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, auf dem Schiff kein Geld auszugeben, aber das war mir inzwischen egal.

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Hängematten

Im weiteren Verlauf der Fahrt stellte sich heraus, dass gut ein Dutzend englischsprechender Passagiere aus allen Teilen der Welt an Bord gewesen waren. Einer davon, ein etwa vierzigjähriger Amerikaner, der die Beiblätter seines Reisepasses wie eine Ziehharmonika herausziehen konnte, indem allein 75 Ein- und Ausreisestempel von und nach Hong Kong vermerkt waren, freundete sich ebenfalls mit uns an. Zusammen mit ihm, dem Dänen und dessen brasilianischer Freundin saß ich meist auf dem Oberdeck und schaute mir das vorbeiziehende Ufer mit seinen Bambushütten an. Der Däne wusste auch nicht so recht, wie das gehen könnte, eine Frau aus Brasilien mit nach Europa zu nehmen. Auf jeden Falls aber wusste er, dass Dänemark ein Sozialstaat ist und war guter Dinge, dass schon für sie gesorgt werden würde. Die Brasilianerin war völlig unaufgeklärt über die Verhältnisse in Europa und staunte nicht schlecht, als ich ihr erzählte, dass die Tage im Sommer sehr lang, im Winter aber sehr kurz sind und dass es guter Kleidung bedurfte, um den Winter auch durchzustehen. Hier und da trankt ich einen Schluck Cachaca von dem Amerikaner, aber nicht allzu viel, denn die Kopfschmerzen im Bus und der Anblick einiger Indios, die in der prallen Sonne aus einer zwei Liter Flasche den Schnaps am hellen Tag soffen, als wäre es Wasser, machten mir das Getränk in einem gewissen Maße zuwider. Allerdings hatte ich an den 0,75 Liter Antarktika Bierflaschen meinen Gefallen gefunden und konsumierte zwei davon am Tag, was meinen Etat täglich um vier Dollar schmälerte, so dass ich mich innerlich zunehmend auf eine Fahrt per Anhalter von Manaus nach Caracas einstellte.

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In Santarem

Etwa auf dem halben Wege nach Manaus, in einer Stadt Namens Santarem, ging das Schiff nach drei Tagen zum ersten Mal an Ufer und hielt hier für ein paar Stunden. Mir war die Sache nicht geheuer, denn ich hatte gehört, des Öfteren würde man früher starten und Passagiere zurücklassen, die anschließend mit sehr großem Aufwand und auf private Rechnung mit Motorbooten hinterher eilen mussten, um wieder an Bord zu kommen. Ich ging also nach der Hälfte der angesagten Zeit wieder zurück und beobachtete das Boot. Ich sollte Recht behalten, aus unergründlichen Umständen legten wir früher ab und zwei Israelis aus unserer Gruppe wurden zurückgelassen – ich sah sie nie wieder. Das Schauspiel, das sich ein paar Tage später vor unseren Augen abspielte, als der Rio Negro sich mit dem Rio Amazonas vereinigte, war einzigartig. Kilometer lang trieben die beiden Flüsse, der schwarze und der braune, nebeneinander her und vermengten sich nicht. Hier und dort sorgten die Süßwasserdelphine, die sporadische zu sehen waren, für Aufregung auf dem Boot. Ich genoss die Fahrt inzwischen und an den letzten beiden Tagen saß ich meisten vorne am Bug und schaute mir stundenlang die Umgebung an, wenn ich gerade nicht im Unterdeck war, um Hühnchen mit Reis zu essen. Ich kam mir vor wie in Trance von der einzigartigen an mir vorbeiziehenden unberührten Natur. Ein Zustand, der sich jedoch schlagartig änderte, als nach insgesamt sieben Tagen auf dem Amazonas die hässlichen und aufgrund des Klimas halb verrotteten Außenbezirke des Drecklochs Namens ¨Manaus¨ zu sehen waren.

Alle meine schlimmen Erwartungen an diesen Ort, der wie eine Trabantenstadt mitten im Urwald aus dem Nichts herausgestampft worden war, wurden auf negative Art und Weise unterboten. Allein schon das Klima war derart unmenschlich, dass jede Kreatur, die ihre Existenz hier fristen musste, aufrichtig zu  bemitleiden war. Es schüttete in Strömen und faustdicke Kakerlaken sprangen aus den Ritzen entlang der Kanalisation unter dem Gehweg heraus, als wären es die Ausgeburten einer unterirdischen Armee des Ekels. Ich hatte noch etwa fünfzig Dollar in brasilianischen Real in meiner Tasche und der Bus nach Caracas sollte knapp sechzig Dollar kosten, wobei ich auch noch eine Übernachtungsmöglichkeit benötigte, was aber weiter nicht schwer zu organisieren war, da ich inzwischen mit einer ganzen Gruppe an Europäern, Australiern und Amerikanern unterwegs war und sich alle, samt dem Dänen mit seiner brasilianischen Freundin in der selben Unterkunft einquartierten. Dennoch wagte ich einen kurzen Versuch, das österreichische Honorarkonsulat in Manaus aufzusuchen. Doch das kleine Häuschen, in dem es laut Reiseführer hätte sein sollen, war geschlossen. Mein dänischer Kollege schien ebenfalls wie ich knapp bei Kasse gewesen zu sein, denn ich hatte ihm versprochen, ihm im Falle eines erfolgreichen Besuchs bei der Botschaft, etwas zu leihen.

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Rio Amazonas

Als wir unverrichteter Dinge den Rückweg von dem geschlossenen und zugenagelten Honorarkonsulat in unsere Unterkunft antraten, war es zwecklos, weiterhin unsere T-Shirts anzubehalten. Der Regen war dermaßen stark, dass wir uns nackten Oberkörpers durch die Stadt bewegten und so taten, als könne uns das alles nichts anhaben. Als schließlich der Regen nachließ, zog ich zusammen mit dem Dänen und seiner brasilianische Freundin in der Stadt umher. Wir beschlossen, unser restliches Geld zusammenzulegen und einen Plan auszuarbeiten, wie wir nach Caracas kommen könnten und wie es dort weitergehen sollte. Demnach lieh mir der Däne zehn Dollar für den Bus, ich würde ihm dafür in Caracas unter die Arme greifen. Insgesamt hatten wir noch etwa 220 US Dollar in Rial, also ausreichend für drei Bustickets und es war sogar noch etwas übrig, da die Brasilianerin in der Lage war, Nahrungsmittel beinahe für umsonst zu besorgen. Wir waren uns schnell einig, der Entschluss zu dritt nach Caracas zu fahren, musste gefeiert werden. Nach zwei Flaschen Sekt inzwischen recht gut angeheitert, hatten wir uns einige Zeit später in den Hafen verlaufen. Als wir dort ein Schiff Namens ¨Westphalia¨ unter deutscher Flagge vor Anker liegen sahen, packte uns die Idee, mit diesem nach Europa zurück zu fahren, doch alles Trommeln an der Bordwand, das Geschrei und auch das Klirren der Sektflaschen, die wir an Bord warfen, half nichts. Kein Matrose, keine Kapitän ist erschienen um sich unser Anliegen anzuhören. Dennoch, die Idee der Rückreise mit einem Schiff war geboren und sollte später in Caracas noch einmal aufflammen.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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