Travel Report 5/3: Am Amazonas

1995, Brasilien: Bereits einen halben Tag vor der Abfahrt kam ich zu dem Schiff, das mich den Amazonas hinauf bringen sollte. Ich versprach mir von der frühen Ankunft, mir einen guten Platz für meine Hängematte sichern zu können und traute meinen Augen kaum, als ich sah, wie viele von ihnen schon auf dem Schiff herumbaumelten. Das Schiff war voll, dachte ich und hängte mich mitten in das Gewühl der anderen Matten hinein. Ich war ja inzwischen sehr mobil und flexibel, denn viel Gepäck führte ich nicht mehr mit mir und hatte daher auch meinen lästigen Rucksack im Hotel zurück gelassen. Ich sollte mich gewaltig irren, das Schiff war noch lange nicht voll. Unentwegt kamen weitere Menschen dazu und drängten sich auf das Mitteldeck. Die ganzen Hängematten anzubringen gelang nur, indem man sie auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich weit herunterhängen ließ. Als das Schiff ablegte sah ich neben mir einen jungen, blonden Kerl, der so gar nicht in das Bild der ganzen in ihren Hängematten schaukelnden dunkelhäutigen Gestalten passte. Es war ein Däne, der ebenfalls nach Caracas reisen musste und er hatte eine junge Brasilianerin dabei, die er zurück mit nach Europa nehmen wollte. Freudig über das Treffen machten wir uns an die Bar auf dem Deck und tranken eine Flasche Antarktika, was meinen Reiseetat von etwa 80 auf 78 Dollar dahinschmelzen ließ. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, auf dem Schiff kein Geld auszugeben, aber das war mir inzwischen egal.

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Hängematten

Im weiteren Verlauf der Fahrt stellte sich heraus, dass gut ein Dutzend englischsprechender Passagiere aus allen Teilen der Welt an Bord gewesen waren. Einer davon, ein etwa vierzigjähriger Amerikaner, der die Beiblätter seines Reisepasses wie eine Ziehharmonika herausziehen konnte, indem allein 75 Ein- und Ausreisestempel von und nach Hong Kong vermerkt waren, freundete sich ebenfalls mit uns an. Zusammen mit ihm, dem Dänen und dessen brasilianischer Freundin saß ich meist auf dem Oberdeck und schaute mir das vorbeiziehende Ufer mit seinen Bambushütten an. Der Däne wusste auch nicht so recht, wie das gehen könnte, eine Frau aus Brasilien mit nach Europa zu nehmen. Auf jeden Falls aber wusste er, dass Dänemark ein Sozialstaat ist und war guter Dinge, dass schon für sie gesorgt werden würde. Die Brasilianerin war völlig unaufgeklärt über die Verhältnisse in Europa und staunte nicht schlecht, als ich ihr erzählte, dass die Tage im Sommer sehr lang, im Winter aber sehr kurz sind und dass es guter Kleidung bedurfte, um den Winter auch durchzustehen. Hier und da trankt ich einen Schluck Cachaca von dem Amerikaner, aber nicht allzu viel, denn die Kopfschmerzen im Bus und der Anblick einiger Indios, die in der prallen Sonne aus einer zwei Liter Flasche den Schnaps am hellen Tag soffen, als wäre es Wasser, machten mir das Getränk in einem gewissen Maße zuwider. Allerdings hatte ich an den 0,75 Liter Antarktika Bierflaschen meinen Gefallen gefunden und konsumierte zwei davon am Tag, was meinen Etat täglich um vier Dollar schmälerte, so dass ich mich innerlich zunehmend auf eine Fahrt per Anhalter von Manaus nach Caracas einstellte.

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In Santarem

Etwa auf dem halben Wege nach Manaus, in einer Stadt Namens Santarem, ging das Schiff nach drei Tagen zum ersten Mal an Ufer und hielt hier für ein paar Stunden. Mir war die Sache nicht geheuer, denn ich hatte gehört, des Öfteren würde man früher starten und Passagiere zurücklassen, die anschließend mit sehr großem Aufwand und auf private Rechnung mit Motorbooten hinterher eilen mussten, um wieder an Bord zu kommen. Ich ging also nach der Hälfte der angesagten Zeit wieder zurück und beobachtete das Boot. Ich sollte Recht behalten, aus unergründlichen Umständen legten wir früher ab und zwei Israelis aus unserer Gruppe wurden zurückgelassen – ich sah sie nie wieder. Das Schauspiel, das sich ein paar Tage später vor unseren Augen abspielte, als der Rio Negro sich mit dem Rio Amazonas vereinigte, war einzigartig. Kilometer lang trieben die beiden Flüsse, der schwarze und der braune, nebeneinander her und vermengten sich nicht. Hier und dort sorgten die Süßwasserdelphine, die sporadische zu sehen waren, für Aufregung auf dem Boot. Ich genoss die Fahrt inzwischen und an den letzten beiden Tagen saß ich meisten vorne am Bug und schaute mir stundenlang die Umgebung an, wenn ich gerade nicht im Unterdeck war, um Hühnchen mit Reis zu essen. Ich kam mir vor wie in Trance von der einzigartigen an mir vorbeiziehenden unberührten Natur. Ein Zustand, der sich jedoch schlagartig änderte, als nach insgesamt sieben Tagen auf dem Amazonas die hässlichen und aufgrund des Klimas halb verrotteten Außenbezirke des Drecklochs Namens ¨Manaus¨ zu sehen waren.

Alle meine schlimmen Erwartungen an diesen Ort, der wie eine Trabantenstadt mitten im Urwald aus dem Nichts herausgestampft worden war, wurden auf negative Art und Weise unterboten. Allein schon das Klima war derart unmenschlich, dass jede Kreatur, die ihre Existenz hier fristen musste, aufrichtig zu  bemitleiden war. Es schüttete in Strömen und faustdicke Kakerlaken sprangen aus den Ritzen entlang der Kanalisation unter dem Gehweg heraus, als wären es die Ausgeburten einer unterirdischen Armee des Ekels. Ich hatte noch etwa fünfzig Dollar in brasilianischen Real in meiner Tasche und der Bus nach Caracas sollte knapp sechzig Dollar kosten, wobei ich auch noch eine Übernachtungsmöglichkeit benötigte, was aber weiter nicht schwer zu organisieren war, da ich inzwischen mit einer ganzen Gruppe an Europäern, Australiern und Amerikanern unterwegs war und sich alle, samt dem Dänen mit seiner brasilianischen Freundin in der selben Unterkunft einquartierten. Dennoch wagte ich einen kurzen Versuch, das österreichische Honorarkonsulat in Manaus aufzusuchen. Doch das kleine Häuschen, in dem es laut Reiseführer hätte sein sollen, war geschlossen. Mein dänischer Kollege schien ebenfalls wie ich knapp bei Kasse gewesen zu sein, denn ich hatte ihm versprochen, ihm im Falle eines erfolgreichen Besuchs bei der Botschaft, etwas zu leihen.

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Rio Amazonas

Als wir unverrichteter Dinge den Rückweg von dem geschlossenen und zugenagelten Honorarkonsulat in unsere Unterkunft antraten, war es zwecklos, weiterhin unsere T-Shirts anzubehalten. Der Regen war dermaßen stark, dass wir uns nackten Oberkörpers durch die Stadt bewegten und so taten, als könne uns das alles nichts anhaben. Als schließlich der Regen nachließ, zog ich zusammen mit dem Dänen und seiner brasilianische Freundin in der Stadt umher. Wir beschlossen, unser restliches Geld zusammenzulegen und einen Plan auszuarbeiten, wie wir nach Caracas kommen könnten und wie es dort weitergehen sollte. Demnach lieh mir der Däne zehn Dollar für den Bus, ich würde ihm dafür in Caracas unter die Arme greifen. Insgesamt hatten wir noch etwa 220 US Dollar in Rial, also ausreichend für drei Bustickets und es war sogar noch etwas übrig, da die Brasilianerin in der Lage war, Nahrungsmittel beinahe für umsonst zu besorgen. Wir waren uns schnell einig, der Entschluss zu dritt nach Caracas zu fahren, musste gefeiert werden. Nach zwei Flaschen Sekt inzwischen recht gut angeheitert, hatten wir uns einige Zeit später in den Hafen verlaufen. Als wir dort ein Schiff Namens ¨Westphalia¨ unter deutscher Flagge vor Anker liegen sahen, packte uns die Idee, mit diesem nach Europa zurück zu fahren, doch alles Trommeln an der Bordwand, das Geschrei und auch das Klirren der Sektflaschen, die wir an Bord warfen, half nichts. Kein Matrose, keine Kapitän ist erschienen um sich unser Anliegen anzuhören. Dennoch, die Idee der Rückreise mit einem Schiff war geboren und sollte später in Caracas noch einmal aufflammen.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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