Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia

1994, Amazonasgebiet: Die Busfahrt von San Augustin nach Bogota dauerte einige Stunden, hier sollte ich aufgrund einer großen Dummheit mein erstes Lehrgeld als unerfahrener Reisender bezahlen. Unachtsam hatte ich meinen Rucksack zu dem anderen Gepäck in den hinteren Teil des Buses geschmissen und das Kamera Equipment befand sich zusammen mit zwei Objektiven direkt unter dem Verschluss meines Rucksacks, wo es durch Abtasten von außen einfach als solches identifiziert werden konnte, weil es in einer großen, sperrigen Kameratasche untergebracht war. Natürlich hatte man die Ausrüstung bald gestohlen, was ich noch während der Busfahrt bemerkte. Doch was sollte ich ohne Spanischkenntnisse und ohne Beweise über die Existenz des Fotoapparates tun? Als einer der Passagier ausstieg und ich vom Busfenster hinaus auf die Straße blickte, sah ich ihn lauthals lachend davon laufen. Ich kam mir schlecht vor, sicherlich war er es, der meine Kamera gestohlen hatte und ich war zu feige gewesen, das dem Busfahrer klar zu machen, da ich mir keinen Ärger einfangen und mich nicht auffällig verhalten wollte. Es dauerte aber nicht lange, da war ich wieder guter Dinge, schließlich hatte ich noch die kleine Kompaktkamera bei mir und Bilder machen war mir ohnehin nicht so wichtig. In Bogota angekommen, nahm ich ein ziemlich ungünstig gelegenes Hotel in der Nähe der Seilbahn zum Monserrate, dem Hausberg der Stadt. Die gesamte Nacht über hörte ich laute Musik und andere Geräusche. Unter meinem Zimmer musste sich eine Disco und darüber ein Bordell befunden haben.

Scannen0059

In Leticia

Als ich am kommenden Tag den Flughafen in Bogota erreichte, regnete es stark. Ich löste ein Inlands-Flugticket in die Llanos, einer weitläufigen Weidelandschaft im Orinoco Tal, die im mittleren Osten Kolumbiens lag und wo ich die Gauchos sehen wollte. Nach etwa 45 Minuten Flugzeit beschlich mich das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehten und das Flugzeug wieder nach Bogota umkehrte. Eine weitere halbe Stunde später erblickte ich unter mir einen Flughafen und rätselte, ob ich jetzt doch in Villavicencio oder wieder in Bogota angekommen war. Die Enttäuschung ließ nicht lange auf sich warten, denn die Rückkehr nach Bogota hatte sich bald bestätigt, da in den Llanos zu dieser Jahreszeit die Regenperiode in vollem Gange gewesen ist und eine Landung aufgrund der überschwemmten Landebahn nicht möglich gewesen war. Zunächst stand ich etwas desorientiert auf dem Flughafen herum und wusste nicht, was zu tun war. Zurück in die Stadt? Mit dem Bus in Richtung Karibik? Oder ganz woanders hin? Am Avianca Schalter klärte man mich über eine Flugmöglichkeit nach Leticia auf. Warum nicht an den Amazonas fliegen, dachte ich, und löste das dritte meiner insgesamt fünf Inlandstickets.

Scannen0071

Im Hotel

Die Landebahn in Leticia war eine Wiese mit angrenzender Holzhütte. Diesen Komplex als Flughafen zu bezeichnen, hätte der Situation gespottet, dementsprechend klein war auch das Propeller-Flugzeug, mit dem ich angereist war. Es war ein phänomenaler Flug gewesen, von dem aus atemberaubende Blicke über die „grüne Hölle“ möglich gewesen waren, die sich wie ein weiter Ozean bis zum Horizont ausgedehnt hatte. Immer wieder streiften wir an zylinderförmigen Wolken vorbei, unter denen sich Regenbogen gebildet hatten. Leticia mit seinen gut 20.000 Einwohnern lag direkt am Amazonas, die Luft war feucht und heiß, der Sonnenschein wurde in kurzen Pausen von strömendem Regen unterbrochen. Den gesamten Tag war man ich in Schweiß gebadet und nicht einmal die dunklen Räume meiner Unterkunft boten etwas Abkühlung. Auch wenn der Ventilator mit lautem rattern alles unternahm, um einen Lufthauch durch das Zimmer zu blasen, in den Genuss wahrer Kälte konnte man einzig in dem Supermarkt um die Ecke kommen, in dem die Klimaanlage die Temperatur derart nach unten versetzte, dass man aufpassen musste, sich keine Erkältung einzufangen. Die Hitze konnte mir allerdings wenig anhaben, denn die laute Reggae Musik, die regelmäßig aus dem Nachbarzimmer dröhnte und der Aquardiente sorgten für gute Stimmung und insgesamt fühlte sich alles sehr abenteuerlich an.

Scannen0068

Urwaldtour

In den kommenden Tagen unternahm ich einige Ausflüge in die Umgebung, was mit den kleinen Booten diverser lokaler Reiseveranstalter auf dem Amazonas möglich war. Die beliebteste Tour war das Krokodile fangen, in dem die Guides, wahrscheinlich waren es nur Fischer, kleinere Kaimane packten und aus dem Wasser zogen. Nach einer Begutachtung derselben durch die aufgeregten Teilnehmer der Bootsausfahrt, wurden die Tiere wieder zurück in den Fluss geworfen. Auf einer Affeninsel lernte ich bei einem dieser Trips eine Familie aus Deutschland kennen, die mit Bekannten von mir aus meinem Heimatdorf befreundet war. Der Vater, ein Lehrer, wohnte bereits seit vielen Jahren in Kolumbien und unterrichtete an der Deutschen Schule in Medellin. Er ließ sich nicht so einfach über den Tisch ziehen, wie das die normalen Touristen in Kolumbien taten. Als man uns in einem Lokal die doppelte Menge an Bier in Rechnung stellen wollte, wie wir tatsächlich getrunken hatten, führten sein gutes Spanisch und seine aufbrausende Art dazu, dass der Kellner umgehend die Korrektur seines listigen Vorhabens einleitete. Es muss der dritte Tag meines Aufenthalts in Leticia gewesen sein, an dem ich zusammen mit der deutschen Familie einen Urwald-Ausflug unternahm. Mit kleinen Holzbooten fuhren wir zu einem angeblich weitgehend von der Zivilisation unberührten Dorf und starteten eine Trekking Tour, die uns durch dichtes Unterholz führen sollte. Eigentlich waren für die Urwaldbegehung nur drei Stunden eingeplant, doch als ich anfing den Veranstalter zu verfluchen, waren schon fünf Stunden vergangen. Schließlich war die Hitze kaum zu ertragen und immer wieder verfingen sich Insekten aller Art in meinen Haaren. Man wollte es uns wohl sehr abenteuerlich machen, dachte ich und war mir gleichzeitig nicht sicher, ob wir nur im Kreis um das Dorf herumliefen. Als wir eine weitere Stunde später endlich wieder die kleine Indianersiedlung sahen, rannte ich zu einer Plastiktonne voll mit Regenwasser und trank die abgestandene warme Brühe. Die Eingeborenen hatten sich im Kreis um mich herum gesammelt und staunten nicht schlecht über den unglaublich großen Leichtsinn, der glücklicherweise keine ernsthaften Konsequenzen in Form dadurch ausgelöster, diverser möglicher Krankheiten, nach sich zog.

Reiseberichte:

Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin
Travel Report 2/2: Ein paar Minuten in Cali
Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia
Travel Report 2/4: Die Trickbetrüger
Travel Report 2/5: Bei den Strandparadiesen
Travel Report 2/6: Auf der Flucht

Zurück zur Themenseite „Travel 2: Colombia (1994)“

Travel Report 2/2: Ein paar Minuten in Cali

1994, Cali/Popayan: Nachdem ich mich einige Tage in Medellin aufgehalten hatte, was wie ich feststellen musste, eine wunderbare Stadt war, in der das gesamte Jahr über ein frühlinghaftes Klima vorherrschte, flog ich weiter in das südlich gelegene Cali. Von dieser Stadt wusste ich nicht viel, nur dass es hier eine weltbekannte Assoziation von Drogenhändlern  gab, die das „Cali-Kartell“ genannt wurden. Kaum hatte ich die Stadt vom Flughafen aus mit dem Taxi erreicht, waren Schüsse aus einem Laden etwa 100 Meter vor meinem Taxi zu hören. Kurz darauf sprangen zwei maskierte Männer auf die Straße und rauschen von einer Staubwolke umgeben auf dem Motorrad davon. Ich gab dem Taxifahrer zu verstehen, er solle mich sofort zum Bus-Terminal fahren, denn binnen weniger Minuten hatte ich erkannt, dass diese Stadt nichts ist für mich war und ich hier keine Minute länger bleiben wollte. Am Busterminal löste ich ein Ticket in das 150 Kilometer südlich gelegene Popayan, schließlich wusste ich aus dem Reiseführer, dass diese Stadt neben Cartagena der einzig wirklich sichere Ort Kolumbiens in der damaligen Zeit war.

Scannen0074

In Popayan

Als ich drei Stunden später in Popayan angekommen war, hatte es längst zu regnen angefangen. Es war „Semana Santa“ im Jahre 1994 und ich suchte mit zunehmender Verärgerung nach einer Übernachtungsmöglichkeit, aber alle Hotels und Unterkünfte schienen ausgebucht zu sein. Wie ich später erfuhr war Popayan schlechthin das Hauptreiseziel Kolumbiens in der Osterzeit, weil es hier die größte Osterprozession gab. Inzwischen zeitlos geworden, war mir die Heilige Woche, in der die vielen Kolumbianer hierher pilgerten, gar nicht bewusst gewesen. Nach langem Suchen bot mir eine Pension ein Zimmer an, das ich aber zunächst ablehnte. Zehn Dollar sollte ich für ein Holzbrett bezahlen, auf dem eine Decke lag. Eine Dusche gab es nicht und als einzige Waschmöglichkeit war außerhalb des Zimmers ein Wasserhahn angebracht, der etwa einen Meter über dem Boden aus der Wand ragte.  Nach zwei weiteren zermürbenden Stunden im Regen ohne Erfolgsaussichten auf eine Unterkunft, kehrte ich zu der Pension zurück und nahm das Zimmer, wobei der Preis inzwischen von zehn auf zwanzig Dollar angestiegen war.

Scannen0084

In San Augustin

Die folgenden Tage waren von einer äußerst positiven Atmosphäre geprägt. Zunächst hatte ich eine weitaus bessere Pension gefunden, in der mir zwei riesige zusammenhängende Zimmer vermietet wurden. Der Sohn des Eigentümers war genau auf meiner Wellenlänge, mit ihm und seinen Kumpels, die ein wenig Englisch sprechen konnten, trank ich Aqardiente und hörte laute Rockmusik. Die Stunde des „Aquardiente Antioqueno“ war geboren, das Getränk sollte von diesem Zeitpunkt an im weiteren Verlauf der Reise mein Favorit werden, wenn es um hochprozentiges ging. Es handelte sich dabei um einen Anisschnaps der mit einem Alkoholgehalt von gut dreißig Prozent unverdünnt bestens genießbar war. Die koloniale Architektur und die umliegenden Berge Popayans, in die ich mehrfach Ausflüge unternahm, faszinierten mich. Jeden Tag schien, von wenigen Regenschauern unterbrochen, die Sonne, so auch an dem Tag als ich die wieder Stadt verließ und nach San Augustin weiter reiste. Die Strecke dauerte einige Stunden mit dem Bus und führte über hochgelegene Nebelwälder. Das Auswärtige Amt hatte aufgrund von Guerillatruppen, die in diesem Gebiet ihr Unwesen treiben sollten, vor der Fahrt gewarnt. Guerilleros waren in der Tat nicht zu unterschätzen, schließlich stellte bei ihnen die Entführung von Touristen eine der Haupteinnahmequellen dar. Es gab drei unterschiedliche Arten über das Land verteilt. Zum einen rein politisch orientierte linksextreme Aktivisten, die lediglich Handzettel in den Bussen verteilten und diesen mit Parolen vollschmierten. Ihr Ansinnen war es, Kolumbien in eine kommunistisch marxistische Zukunft zu führen. Zweitens solche, die den Fahrer nebenbei noch um sein Geld erleichterten und drittens reine Banditen, die neben dem Busfahrer zudem die Reisenden um ihr Geld brachten. Meine Überfahrt verlief mit Ausnahme einer Reifenpanne des Busses allerdings ohne Probleme und die einzige Gefahr schien von den Geröllmassen auszugehen, die hier und dort von den steilen Hängen hinab rutschten.

Scannen0085

Der Archäologische Park

Das kleine Städtchen San Augustin lag in einer idyllischen Umgebung, begrenzt von weitläufigen, mit Hügeln gesäumten Landschaften und war für seine Fundstätten historischer Indio-Relikte berühmt. Kaum angekommen, freundete ich mich mit einer Gruppe von Neo-Hippies aus meiner Pension an, die in den umliegenden Hügeln allabendlich rauschende Partys veranstalteten. Ich pendelte zwischen den Feierlichkeiten der Party-Gesellschaft und zwischen einer Bar im Zentrum hin und her, in der mir allabendlich von den attraktiven heimischen jungen Damen eindeutige Angebote gemacht wurden. Spanisch lernen hieß dass dann verklausuliert, doch in echt ging es darum, sich einen Reisenden anzulachen, der mit finanzieller Unterstützung der Familie etwas unter die Arme griff. Die restlos überfüllten Busse, die vom Marktplatz aus in die Nachbarortschaften fuhren, nutzte ich für Ausflüge in die Umgebung, wo einem den Gerüchten nach angeblich innere Organe entfernt werden würden, sollte man dort in einer Bar ein mit Ko-Tropfen versetztes Getränk zu sich nehmen. Als ich nach mehreren Tagen keinen Gefallen mehr an San Augustin fand, machte ich mich mit dem Bus nach Bogota auf. Ich hatte ein Paket mit fünf Inlandsflügen gebucht, von denen ich erst einen aufgebraucht hatte und wollte nun in die Llanos fliegen, um mir dort die Gauchos mit ihren Rinderherden anzusehen.

Reiseberichte:

Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin
Travel Report 2/2: Ein paar Minuten in Cali
Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia
Travel Report 2/4: Die Trickbetrüger
Travel Report 2/5: Bei den Strandparadiesen
Travel Report 2/6: Auf der Flucht

Zurück zur Themenseite „Travel 2: Colombia (1994)“

Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin

1994, Bogota/Medellin: Mir war nicht gut zumute, als sich das Flugzeug immer weiter hinab auf die Landebahn senkte und die kleinen Bauernhöfe in den satten grünen Hügeln an Größe gewannen. In den letzten Stunden im Flugzeug hatte ich einige Brocken Spanisch gelernt, Zahlen, einige Wörter, wichtige Phrasen, viel konnte ich nicht und jetzt, da es zunehmend ernst wurde, war ich mir nicht mehr sicher, ob das ausreichen würde, um mich in Kolumbien zu verständigen. Abgesehen von einem kurzen Trip nach Los Angeles ein halbes Jahr zuvor (Travel Report 1), war dies mein erster Aufenthalt außerhalb von Europas sicherem Hafen und gleich steuerte ich die Stadt des ewigen Frühlings an, in der die Drogenbarone unlängst noch ihr Unwesen getrieben haben. Um Medellin zu erreichen, musste ich von Stuttgart über London nach Caracas fliegen, anschließend weiter nach Bogota, dort das Flugzeug wechseln und den letzten Teil der Strecke mit einem Inlandsflug der kolumbianischen Fluggesellschaft Avianca überbrücken. Auf dieser Reise gab es weder Plan noch Ziel, ihre zeitliche Begrenzung sollte lediglich von der Geschwindigkeit abhängen, mit der ich meine finanziellen Mittel aufbrauchen würden, auch wusste ich nicht viel über das Land, hatte aber viel schlechtes gehört. Als ich in Bogota angekommen war, nahm ich ein Taxi vom internationalen Flughafen zum Inlands-Terminal, wobei ich darauf achtete, dass es offiziell registriert war, schließlich sollte es hier nicht ganz ungefährlich sein, hatte man mir gesagt, daher störte es mich auch, dass ich erst nach Einbruch der Dunkelheit in Medellin ankommen sollte. Wir fuhren kreuz und quer durch die Straßen, bis wir endlich das nationale Terminal erreichten und schon war ich auf einen Trick hereingefallen, was mir erst einige Wochen später auffiel, als ich bei einem erneuten Zwischenstopp sah, dass beide Terminals in Sichtweite voneinander entfernt lagen.

Scannen0043

Das Flugticket

Bloß nicht in ein Collectivo (Sammeltaxi) einsteigen, wurde im Reiseführer geschrieben! Es war stockdunkel, als ich in Medellin den Flughafen verließ und weit und breit war kein Auto zu sehen, außer ein Taxi mit bereits angelassenem Motor. Ehe ich mich richtig umgesehen hatte, saß ich auch schon auf der Rückbank des Wagens und die anderen Passagiere im Fahrzeug schienen nur auf mich gewartet zu haben. In einem irren Tempo ging es los, ich bekam das beklemmende Gefühl, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Wir fuhren eine dunkle Serpentinenstraße hinauf, von einer Stadt war weit und breit nichts zu sehen. War ich bereits am Abend meiner Ankunft ein Entführungsopfer geworden? Hier könnte man mit mir tun und lassen, was man wollte, fuhr es mir in den Kopf. Die Fahrt war sehr gewöhnungsbedürftig, der Fahrer fuhr mit großer Geschwindigkeit und die Überholmanöver bei den vereinzelt auftauchenden Fahrzeugen waren halsbrecherisch. Nach gut einer viertel Stunde atmete ich auf, als plötzlich ein hell erleuchtet Meer unter uns zu sehen war. Wir brausten die Serpentinen hinunter und als wir im Zentrum ankamen, verließen die anderen Passagiere nach und nach das Fahrzeug. Ich war der letzte im Wagen, mein Hotel schien in einer schlechten Gegend zu liegen, um uns herum gab es vielfach kleine Holzhütten, deren Verwendungszweck ich nicht erkennen konnte. Stockdunkel war die Umgebung und hier und dort sah man ein paar verlumpte Gestalten um die Häuser schleichen. Als ich das Hotel erblickte, traute ich meinen Augen nicht, die Eingangstüre war mit einer massiven eisernen Kette verriegelt und das gesamte Gebäude zeugte nicht davon, ein Hotel zu sein. Der deutsche Reiseführer hatte mich auf den Leim geführt und alle telefonischen Versuche zur Reservierung eines Zimmers, waren an der spanisch sprechenden Telefonverbindungsstelle bereits im Vorfeld gescheitert.

Scannen0050

In Medellin

Hier werde ich nicht aussteigen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Eine handvoll spanischer Wörter hatte ich ja im Flugzeug gelernt, zum Beispiel das Wort „barato“ für billig. Als der Taxifahrer mich rausschmeißen wollte, wehrte ich mich mit Händen und Füßen und gab ihm wild gestikulierend zu verstehen, er solle mich in ein billiges Hotel in der Nähe bringen. Billig musste alles sein, denn je weniger Geld ich ausgab, desto länger konnte ich bleiben, was mich mein Aufenthalt in Los Angeles einige Monate zuvor gelehrt hatte. Damals musste ich bereits nach zwei Wochen wieder abreisen, da das ganze Geld in der kurzen Zeit aufgebraucht war. Endlich verstand er und brachte mich in ein Hotel, das umgerechnet sieben Dollar die Nacht kostete. Wenn ich nur zwanzig Dollar am Tag ausgab, so mein Plan, konnte ich zwei Monate in Kolumbien bleiben. An der Rezeption angekommen brachte ich meinen einzigen zusammenhängenden spanischen Satz hervor: „tiene usted un habitacion“ – „haben Sie ein Zimmer“. Meine Frage wurde bejaht und ich buchte mich für drei Nächte ein. Als ich im Zimmer angekommen war, wollte ein Angestellter des Hotels noch Geld für irgendwas. Unbeholfen zog ich einen Schein aus der eingenähten Innentasche meiner Hose hervor, so dass man gleich erkennen konnte, wo bei mir etwas zu holen war. Ich nahm mir danach vor, nicht mehr so stümperhaft zu agieren und sank müde von den Strapazen der Anreise in mein Bett. Als ich am kommenden Morgen aufwachte, schien die Sonne hell durch die Ritzen des Fensterladens. Ich wagte einen Blick auf die Straße, die voller bunt gekleideter Menschen und kleinen Verkaufsbuden war. Jetzt bin ich also in Medellin angekommen, musste mich der Situation stellen und mich alsbald in die Öffentlichkeit begeben. Zwar gab es hier den berühmten Drogenboss Pablo Escobar nicht mehr doch angeblich verunsicherten immer noch über 3.000 Mordbuben die Straßen.

Reiseberichte:

Travel Report 2/1: Anflug auf Medellin
Travel Report 2/2: Ein paar Minuten in Cali
Travel Report 2/3: Der Trip nach Leticia
Travel Report 2/4: Die Trickbetrüger
Travel Report 2/5: Bei den Strandparadiesen
Travel Report 2/6: Auf der Flucht

Zurück zur Themenseite „Travel 2: Colombia (1994)“

Travel Report 3/1: In den Krieg

001 Pesto (Copy)

In Pesto

1995, Kolumbien/Equador: Die Fahrt von Pesto nach Ipales war ziemlich abenteuerlich, wie überhaupt die Busfahrten im südlichen Bergland Kolumbiens. Mit großer Geschwindigkeit schoss der alte amerikanische Schulbus die abfallenden Schotterstraßen hinab, um sich mit einer nervenzerreibenden Langsamkeit anschließend wieder den nächsten Berg hinauf zu quälen. Die neuen Hollywood-Filme wurden hier bereits kurz nach ihrem Erscheinen in den wackelnden Fernsehern an Bord gezeigt. Gab es keinen Film, so dröhnte laute Volksmusik aus den Lautsprechern, einzig der Ausblick in die Landschaft konnte dann die Strapazen der Busfahrt noch etwas mildern. Pesto lag am Fuße des Vulkans Galeras und war von grünen Hügeln und Wäldern umgeben. Die Fahrt von Bogota hierher und die Tage zuvor in Kolumbien hatten sich einfach für mich gestaltet, da ich bereits einige Monate zuvor (Travel Report 2) viele Reiseeindrücke und Erfahrungen bei einem mehrwöchigen Aufenthalt in dem Land sammeln konnte. Ganz im Gegensatz zu meinem ersten Aufenthalt, war mir bei dem Anflug nicht mehr mulmig zumute gewesen, vielmehr war ich voller Freude, denn ich hatte das Land und seine Einwohner schätzen gelernt. Bei dem Anflug habe ich Kolumbien im Flugzeug sogar verteidigt, als es in den hinteren Reihen des Flugzeugs, wo damals ja noch gesoffen und geraucht wurde, zu Rangeleien gekommen war. Ein Deutscher, der noch nie dort gewesen war, hatte behauptet, man könne das Land sicherheitsbedingt nicht bereisen, was einige Kolumbianer in Rage versetzt hatte. Inzwischen war auch mein Spanisch deutlich besser geworden, was meinem Bemühen, die Sprache zu lernen, geschuldet war und außerdem konnte ich mich noch gut an alles Wichtige von meinem ersten Aufenthalt erinnern.

002 Ipales (Copy)

Blick vom Hotel in Ipales

Die zweite Station nach Pesto war Ipales an der ecuadorianischen Grenze, wo ich in einem kleinen Hotel direkt am Marktplatz übernachtete. Wie hatte ich es vermisst, das Hühnchen mit Reis, das ich hier fast jeden Tag aß und das kühle Bavaria Bier. Ich überlegte mir während meines Abendessens, wo die Reise dieses Mal hin führen sollte. Zumindest bis zum Maccu Piccu nach Peru wollte ich kommen. Wie schon bei meiner ersten Reise nach Südamerika war einzig das verfügbare Geld ausschlaggebend darüber, wie lange ich bleiben konnte. Finanziell war ich für mehrere Monate ausgestattet und nicht nur für ein paar Wochen wie bei meinem vorangegangenen Trip in diese Gegend (Travel Report 2).  Das erste Land südlich von Kolumbien, das ich besuchen wollte, war Ecuador. Nach einer kurzen Nacht ging es am nächsten Morgen in aller Frühe los, die Grenze sollte zu Fuß überquert werden. Tulcan, die erste Stadt im Nachbarland, war etwa zehn Kilometer entfernt. Nach gut einer Stunde auf dem Weg dorthin sah ich auf der rechten Seite der abschüssigen Straße einige Hütten, die Grenze war erreicht. Die gesamten Formalitäten inklusive der Übergabe des Aquardientes (Aguardiente Antioqueño) als kleines Trinkgeld für den Grenzbeamten dauerten nur wenige Minuten, ehe ich meinen Einreisestempel bekam und in Richtung Tulcan weiterlaufen konnte. Mittags erreichte ich die Ausläufer der Stadt und übernachtete in einem der ersten Hotels am Stadtrand. Es war ein sehr kleines Zimmer und das Fenster nur so groß wie eine Schießscharte herkömmlicher mittelalterlicher Burgen in Europa. Von hier konnte ich das Treiben auf dem Markt beobachten. Es war heiß und der Boden war staubig, die Marktstände eher ärmlich. Aus meinem Nachbarzimmer dröhnte laute und aggressive Musik, das Spanisch verstand ich nicht, aber der Refrain  „Ecuador“, „Ecuador“ kam immer wieder vor. Später in Quito sollte ich erfahren, dass ein Krieg mit Peru um ein Gebiet im Amazonas in der Luft lag. Am kommenden Tag fuhr ich in die Hauptstadt des kleinen Landes weiter, wo ich in einem Hostel untergebracht war, das in einem alten spanischen Kolonialgebäude lag und über einen Innenhof verfügte, in dem ich viele andere Reisende traf und jede Menge Kontakte knüpfte und wertvolle Informationen für die Weiterreise sammelte.

Stamp

Einreisestempel in Tulcan

Nach einigen Tagen in Quito hatte ich mich mit einem israelischen Restaurantbesitzer angefreundet, der mich zu einer Sightseeing-Tour einlud. Zuerst präsentierte er mir stolz sein neues Häuschen in einer Gegend am Rand der Stadt, welches sich noch im Rohbauzustand befand. Ich war neugierig und informierte mich bei ihm, weswegen man vom hoch entwickelten Israel in das unterentwickelte Ecuador ziehen sollte. Es wäre sicherer hier, entgegnete er mir, was ich nicht verstehen konnte. Die zweite Station des Ausflugs ging zu einem Monument, durch das der Äquator verlief und anschließend wurde ich an einen Vulkan gefahren, aus dessen Schlund kalter weißer Rauch aufstieg. Ich wollte es jetzt genauer wissen und fragte meinen Gastgeber noch einmal nach den Beweggründen von Israel nach Ecuador zu ziehen, wo es hier ja immerhin eine nicht unbeachtliche Kriminalitätsrate gab, auch wenn diese freilich nicht so hoch war, wie in Kolumbien. Es stellte sich nun heraus, dass seine Frau aus Ecuador kam, was mein Weltbild wieder etwas zu recht rückte.

006 Quito (Copy)

Der Äquator

Konfliktfrei war die Region auf keinen Fall, was mir am kommenden Tag auf dem Plaza Bolivar deutlich vor Augen geführt wurde. Hier hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, als der Präsident den Krieg mit Peru ausrief. In einer aufgehetzten Stimmung und einem Fahnenmeer aus Gelb, Blau und Rot jaulte die Menge seinen Volksvertretern zu, welche auf einem Podest vor dem Säulenpalast standen und nicht Müde wurden, aggressive Reden zu halten. Bisher hatte ich durchweg einen positiven Eindruck von dem Land gewinnen können und wollte daher jetzt erfahren, um was sich der Konflikt drehte. Angeblich, so erzählte man mir, hätte Peru heimlicherweise seine Grenzposten im Urwald über die Jahre immer weiter in das ecuadorianische Hoheitsgebiet hineinverlegt, wobei das Nachbarland mit der schleichenden Landnahme das Ziel verfolgen würde, das peruanische Einflussgebiet auf mögliche Ölvorkommen im Amazonasgebiet auszuweiten. Diese Ereignisse bewogen mich dazu, aufgrund der sich nun formierenden Truppenbewegungen im Süden Ecuadors zunächst nicht nach Peru, sondern erst einmal nach Banjos weiter zu fahren, um dort einige Tage bei heißen Thermalquellen die Berglandschaft Zentral-Ecuadors zu genießen. Es waren recht langweilige Tage, denn die einzige Attraktion von Banjos war neben den Thermalquellen ein Cafe, das nach meiner Lieblingsband, den Doors benannt war. Hier saß ich mit einem älteren Reetdachdecker aus Norddeutschland, der aufgrund familiärer Probleme als Aussteiger nach Ecuador gekommen war, Abend für Abend beim Bier zusammen, ehe ich mir ein Herz fasste und ungeachtet der unsicheren Lage an der Grenze, die Weiterreise nach Peru antrat.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

Zurück zur Themen Seite „Travel 3: South America (North-West 1995)“

1 2