Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

2010, Sary Tash/Kirgisien: In dem Gästehaus in Sary Tash (Travel 14/6) wurde ich sehr herzlich empfangen, die junge Enkelin, die hier mit ihren Großeltern wohnte, sprach auch ganz gut Englisch und unterhielt sich mit mir, während mich das alte Pärchen mit Tee und Wodka versorgte. Es war inzwischen Abend geworden und ich vereinbarte mit dem Großvater, dass er mich am kommenden Tag an die chinesische Grenze fahren sollte, die ungefähr 80 Kilometer entfernt war. Alternativ und weitaus kostengünstiger hätte ich auch mit einem LKW per Anhalter an die Grenze kommen können, doch das war mir zu unsicher, zumal diese von 11:30 bis um 14:00 Uhr geschlossen war, ich somit zeitig ankommen musste. Am kommenden Morgen schien die Sonne und ich wanderte ein Stück den Hügel hinter dem Dörfchen hinauf, um von dort die mächtige mit Schnee bedeckte Gebirgskette des Pamir zu bewundern. Es war ein herrlicher Morgen im kirgisischen Bergland und ich konnte ausgezeichnete Bilder von der Morgensonne, den Ziegen und Pferden um mich herum auf der Weide und dem Dörfchen unter mir machen. Da sah ich den Alten, der mich zur Grenze bringen sollte, mit einen platten Reifen davon laufen und etwas abseits befand sich sein aufgebocktes Auto. Mein Gott, dachte ich, hoffentlich schafft er es rechtzeitig diesen zu flicken, ich wollte ja so früh wie möglich an der Grenze sein. Es dauerte gut eine drei viertel Stunde, bis er zurückkam und den reparierten Reifen wieder aufschraubte. Ich hoffte, dass die Chinesen die Straße zur Grenze schon so weit ausgebaut hatten, dass wir weitgehend auf einer ordentlichen Piste fahren konnten und der Reifen halten würde. In der Tat, die Chinesen hatten ganze Arbeit geleistet, im Reiseführer war noch von einer der schlimmsten Rüttelstrecken überhaupt die Rede gewesen und jetzt waren drei Viertel der Straße schon asphaltiert, so dass sich unsere Fahrt, die durch eine grandiose Landschaft führte, recht einfach gestaltete. Das war Entwicklungshilfe chinesischer Art, bei der chinesische Arbeiter eine Straße von der Provinz Xinjang bis hinunter ins Fergana-Tal bauten und keine Entwicklungshilfe europäischer Art, die in den Hosentaschen der Diktatoren verschwand.

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Sary Tash

Der kirgisische Grenzposten, den ich gegen zehn Uhr erreichte, war ein einziges Ärgernis. Ich war neben den LKWs, die auf der anderen Seite vorbei fuhren, der einzige Reisende überhaupt, der die Emigration besuchen musste. Hier wartete ich in einem Vorzimmer, endlich behandelt zu werden, ich vermutete ja eine vollständige Durchsuchung meiner Person und wusste aus leidlichen Erfahrungen, wie lange das dauern konnte. Der Grenzbeamte sollte vorwärts machen, damit ich rechtzeitig vor 11:30 Uhr auf der chinesischen Seite ankommen würde, ehe dort dir Mittagspause anbrechen würde. Nachdem ich eine viertel Stunde in dem Vorzimmer gewartet hatte, klopfte ich verlegen gegen die Tür des Beamten und öffnete diese einen Spalt. Er saß mit den Füßen auf dem Schreibtisch und rauchte Zigaretten, zu tun hatte er nichts. Er wank mich weg und diese Prozedur wiederholte sich noch zwei Mal, ehe er mir zurief „you can go“. Ich holte dann an einem zweiten Schalter meinen Ausreisestempel und sprang in einen der LKWs, da es noch sieben Kilometer bis zu den Chinesen war. Hier fand ich eine ganz andere Situation vor, indem ein Grenzbeamter mich persönlich willkommen hieß und mir mitteilte, mir bei dem gesamten Immigrationsprozess zur Seite zu stehen, damit dieser zu meiner vollen Zufriedenheit verlaufe. Ich war beinahe gerührt von derartigem Service und es war ein Kinderspiel, die Formalitäten zu erledigen. Kaum zwei Stunden später war ich mit einem Taxi in dem gut hundert Kilometer von der Grenze entfernt liegenden Kashgar in der Provinz Xinjang eingetroffen. Hier sah nichts nach China aus, weder die Menschen, noch die Schriftzeichen, noch die Häuser, hier war ich bei den Uiguren angekommen.

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Bei den Uiguren

Wie sollte es nun weiter gehen sinnierte ich, als ich im Gwinibag Hotel in der Mitte Kashgars im Garten saß und die restliche Zeit der Reise sinnvoll verplanen wollte. Es gab eine Wüste in der Nähe, die man sich anschauen konnte. Als weitere Option war eine Stippvisite bei einem Base Camp für Bergsteiger auf 5.400 Metern Höhe mit dem Helikopter möglich, oder die Befahrung des ersten Teils des Karakorum Highways hinauf an die pakistanische Grenze. Außerdem musste ich noch nach Urumqui kommen, von wo aus mein Flugzeug zurück nach Almaty ging, alles auf dem Landweg zu bewerkstelligen hatte ich inzwischen schweren Herzens verworfen, gleichwohl ein Überflug ja nicht als Reisestrecke gelten darf. Ich war aus dem Internet darüber informiert, dass die Bahntickets von Kashgar nach Urumqui knapp waren und am Bahnhof fand ich tatsächlich eine unlösbare Aufgabe vor. Gut hundert Leute standen vor den Schaltern herum und Schlange stehen ist nicht der Chinesen liebstes Kind. Es wurde gestritten und diskutiert und man konnte keinen Fortschritt der Warteschlange erkennen. Für mich war es also ganz unmöglich hier ein Zugticket zu kaufen, selbst wenn ich es an die vorderste Stelle bis zum Schalterbeamten geschafft hätte, was mir in einer ähnlichen Situation in Afrika schon einmal gelungen war, wer hätte mir garantiert, dass es noch Karten gab, dass ich mich verständigen hätte können oder dass ich überhaupt am richtigen Schalter angestanden war? Ich musste also nicht nur von Urumqui nach Almaty, sondern auch von Kashgar nach Urumqui fliegen und verwunderte mich, warum ich in so einem fortschrittlichen Land wie China, die Zugtickets nicht online kaufen konnte. Am nächsten Tag erwies sich die Entscheidung zu fliegen als reiner Segen. Schon morgens drehte mir es den Magen von dem widerlichen Frühstück herum, ich glaube es war Spinat mit rohen Eiern. Zur Mittagszeit musste ich sofort nach dem Essen mit zugehaltenem Mund in mein Zimmer rennen, um mich dort zu übergeben. Ich wusste zuerst nicht, ob ich das schaffen würde und überlegte mir noch, als ich die Eingangstüre des Hotels hinein rannte, ob ich nicht lieber in die Blumenkübel vor dem Hotel spucken sollte, als etwa in das Treppenhaus. Mit viel Mühe gelang es mir das Zimmer mit zugepresstem Mund zu erreichen und mich zu erleichtern, den darauf folgenden Tag war ich dann Magenkrank und wurde erst am übernächsten Tag aufgrund meiner strikten Fladenbrotkur wieder gesund. In diesem Zustand hätte ich niemals zwanzig Stunden mit der Bahn in einem engen Kabinenabteil fahren können.

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In Richtung Pakistan

Als ich wieder auf den Beinen war, entschied ich mich, nach Pakistan hoch zu fahren, für die beiden anderen Trips auf das Basecamp oder in die Wüste blieb jetzt keine Zeit mehr. Ich war sehr zufrieden, denn der Ausflug bot einiges. Landschaftlich war die Strecke abwechslungsreich und interessant, auch sah ich zum ersten Mal mongolisch anmutende Jurten, in denen die einheimischen Nomaden lebten. An der Grenze nach Pakistan war dann Schluss für mich, ich wünschte den vielen Motorradfahrern aus aller Welt, die weiter bis nach Gilgit oder Islamabad fuhren noch viel Glück und drehte um. Am kommenden Tag ging mein Flugzeug nach Urumqui, wo von Uiguren nichts mehr zu sehen war und die hier angesiedelten Han Chinesen das Bild der Stadt prägten. Zum ersten Mal kam ich mir nach vier Wochen wieder vor, als wäre ich in der westlichen Zivilisation angekommen. Die Stadt war mit 1,5 Millionen Einwohnern für chinesische Verhältnisse zwar eher eine Kleinstadt, doch sie verfügte über sämtliche Annehmlichkeiten, die ich von zu Hause aus kannte. Aufgrund eines Missverständnisses zwischen der Rezeption und mir, lernte ich hier im Hotel, was das Handeln in China bedeuten konnte. Mein Zimmer sollte laut Aushang gut 100 Dollar pro Nacht kosten und irgendwie scheint das Personal der Auffassung gewesen zu sein, ich wollte für die beiden Nächte, die ich in der Stadt blieb, insgesamt nur 100 Dollar zahlen, worauf mir der Preis zu meinem Verdutzen sogleich auch zugestanden wurde. Eigentlich hatte ich nur sagen wollen, ich müsste zuerst Geld am Automaten holen, als ich auf den Hundert Dollar Schein wild gestikulierend deutete.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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