Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab

2010, Pamir-Gebirge: Nur einen Steinwurf von der afghanischen Grenze entfernt liegt Khorog, die Hauptstadt der autonomen Pamir-Region im östlichen Teil Tajikistans, in der ich einen drei tägigen Zwischenstopp einlegte. Bei niedrigem Pegel des Grenzflusses konnte man zu bestimmten Jahreszeiten von hier aus ohne Probleme mit dem Auto in das umkämpfte Nachbarland hinüberfahren und die Afghanen fuhren hin und wieder herüber, um sich auf dem Markt mit westlichen Produkten einzudecken. Zu dem Zeitpunkt, als ich mich hier aufgehalten habe, führte der Fluss allerdings zu viel Wasser für eine Grenzüberschreitung. Ich war auch gar nicht vor Ort, um nach Afghanistan weiter zu reisen, vielmehr fuhren in Khorog die Geländewagen nach Murgab ab. Die Fahrt sollte etwa sechs Stunden dauern und durch das Pamir-Gebirge führen, welches auch als das Dach der Welt bezeichnet wird und das einst schon Marco Polo überwinden musste, um nach China zu gelangen. Als wir an diesem frischen Morgen genügend Mitfahrer eingesammelt hatten und in die Berge los fuhren, war es bereits zehn Uhr. Meine Hektik am frühen Morgen aufgrund der Sorge, das Taxi zu verpassen, hatte dazu geführt, dass ich nun seit Stunden am Warten war und die meiste Zeit gelangweilt am Straßenrand saß. Berg-Badachschan war eine andere Bezeichnung für die Gegend um Khorog herum, ein Vielvölkergebiet zusammengewürfelt aus verschiedenen Ethnien und Kulturen. Man spricht hier viele Sprachen, Russisch, Tajikisch, Persisch und da überall Kirgisen leben, auch Kirgisisch. Dazu kommen eigene Pamir-Dialekte und in den verstreuten Tälern noch jeweils unterschiedliche Varianten aus dem Alt-Persischen, die außerhalb der jeweiligen Enklaven heutzutage angeblich niemand mehr versteht. Selbstverständlich sprach keiner Englisch, so dass ich auf der Fahrt mit den anderen Passagieren nicht kommunizierten konnte, sowieso versuchte ich mich auf der gesamten Reise mehr recht als schlecht, mit meinem Russisch-Wörterbuch über Wasser zu halten. Die vielen Varianten der kyrillischen Schrift stellten jedoch oftmals ein unüberwindbares Hindernis dar.

10-9 Stutenmilchküche

Die Stutenmilchküche

Nach etwa drei Stunden Fahrt wurde die erste Pause eingelegt. Raststätten und Tankstellen gab es hier, wo vielleicht zwei bis drei Fahrzeuge am Tag vorbei kamen, natürlich nicht, denn in der gesamten Region leben nur eine Handvoll  Menschen. Wir kehrten bei Bekannten des Fahrers ein und bekamen beinahe für umsonst das Nationalgetränk Tajikistans gereicht. Es handelte sich dabei um ein salziges, mit Fett versetztes Stutenmilch-Getränk, in das man Brot zum Essen eintunkte und das für meinen Magen eher ungeeignet  war. Um ehrlich zu sein, ich fand die Mahlzeit widerlich. Die übrigen Stunden der Fahrt bewegten wir uns stetig weiter ins Gebirge hinauf, zwischenzeitlich auf den knapp 4.700 Meter hohen Ak-Baital Pass, der zweithöchste der Welt, den wir in unserem kleinen 4×4 Minibus überwinden mussten. Zu meinem Verdruss schlug das Wetter auf der Hälfte der Fahrt um, es wurde regnerisch und als wir schließlich in Murgab eintrafen war es bereits recht düster. Meine Pension, angeblich die beste in Murgab, konnte mir nur für eine Nacht eine Unterkunft zur Verfügung stellen, am folgenden Tag sollte eine Trekking-Gruppe vorbei kommen und das Gästehaus vollständig besetzen. Mein Plan war es eigentlich, hier für mindestens vier Tage zu bleiben, um in die umliegenden Berge zu wandern und so machte ich mich noch am selben Abend auf die Suche nach einer weiteren Unterkunft für die folgenden Tage.

10-9 Khorog, Blick nach Afghanistan

Blick nach Afghanistan

Als ich vor der Pension stand und mich umschaute, sah ich wie die Häuser meistens nur teilweise gemauert und oftmals aus Lehm gebaut waren. Äußerlich sahen die Gebäude wenig einladend aus, aber innen waren sie recht gemütlich, wie ich erfuhr, als eine älteres Ehepaar mich dazu einlud, ihre Wohnung zu betreten, um mir ein Zimmer anzubieten. Die Räumlichkeiten waren von unterschiedlicher Deckenhöhe und man musste sich bücken, um von dem einen ins andere Zimmer zu gelangen, alles recht düster aber gemütlich. Wände und Böden waren von Teppichen geziert,  für Licht sorgten einige Kerzen, Strom war hier Mangelware und da weit und breit kein Baum aufzufinden war, heizte man mit Kuhfladen, was eine wärmlich stinkende Anmutung in den Gebäuden erzeugte. Ich behielt mir aufgrund des Wetters vor, erst am kommenden Tag eine Entscheidung über die Anmietung des Zimmers zu treffen und verabschiedete mich mit der Aufnahme eine Fotos von dem Ehepaar, dem ich noch versprach, im Internet Werbung für sie zu machen. Schließlich hatten auch sie schon gehört, dass es so etwas gab, auch wenn hier oben letztlich nicht nur aufgrund der eingeschränkten Stromversorgung sondern auch aufgrund des fehlenden Funknetzes kein Empfang möglich war.

10-9 Murgab

Murgab

Nach der Besichtigung des Zimmers drehte ich eine kleine Runde in dem aufgrund der dichten Wolkendecke düster anmutenden Dorfes. Murgab zählte etwa 4.000 Einwohner und lag auf einer Höhe von knapp 3.700 Metern. Nachdem endgültig die Dunkelheit hereingebrochen war, kehrte ich zu meiner Pension zurück, wo sich der angebrochene Abend im weiteren Verlauf als sehr langweilig gestaltete. Zudem war es bitterkalt geworden, wogegen mein Kapuzenpullover wenig ausrichten konnte. Der Strom in Murgab war dermaßen schwach, dass ich in meinem Zimmer nur vage Umrisse erkennen konnte, an Lesen, Schreiben oder ähnliches war in keiner Weise zu denken. Zu Essen oder Trinken konnte man jetzt außerhalb der Marktzeiten auch nichts mehr besorgen und fließendes Wasser gab es nicht, weshalb ich mir die Zeit für die Dusche sparen konnte. Ich wartete also in meinem Bett unter einem Stapel von Decken, bis ich endlich eingeschlafen war. Als der Morgen anbrach, hatte das Wetter noch immer nicht umgeschlagen, Kälte, Dunkelheit, Regen, ich fasste den Entschluss, sofort nach Sary Tash weiterzureisen, um noch vor dem Wochenende die chinesische Grenze zu erreichen, die nur von Montag bis Freitag geöffnet und noch etwa 400 Kilometer entfernt war. Ich sehnte mich nach dem zivilisierten China und hoffte, mich würde jemand mit nach Kirgisien nehmen, denn kaum zwei Monate zuvor gab es dort ein Blutbad in Osh und im Fergana Tal, dem Schätzungen zufolge knapp 3.000 Menschen zum Opfer gefallen waren. Am Marktplatz warteten die Sammeltaxis, aber schnell stellte sich heraus, dass mein Bemühen, eine Mitfahrgelegenheit nach Sary Tash zu finden, sich als relativ aussichtslos herausstellte. Zurück nach Khorog wäre kein Problem gewesen, auch die Weiterreise an die Grenze wurde mir angeboten. Aus Angst um Leib und Leben war jedoch keiner der Fahrer bereit, mich hinein nach Kirgisien zu fahren, da die Sorge bestand, dass die ethnischen Unruhen jederzeit wieder aufflammen konnten. Nach gut zwei Stunden verließ ich entnervt die Sammelstelle, um einen Spaziergang anzutreten und mir in Ruhe zu überlegen, ob ich mich nur bis an die Grenze fahren lassen sollte. Die Angaben waren unterschiedlich gewesen, mal hatte man mir erzählt, die Grenze wäre von Sary Tash nur zehn Kilometer entfernt, ein anderes Mal wurden fünfzig Kilometer erwähnt. Vermutlich wohnten Grenzbeamte in Sary Tash und konnten mir eine Mitfahrgelegenheit anbieten. Aufgrund des kalten Wetters, wollte ich es aber nicht darauf ankommen lassen. Nach meinem Rundgang durch das Dorf, nahm ich mir vor, es noch einmal zu versuchen. Als ich wieder an dem Treffpunkt angekommen war, fand ich dort drei junge Studenten vor, die ebenfalls nach Kirgisien reisen mussten, wo sie in der Hauptstadt Bishkek an der Universität eingeschrieben waren und die zu meinem Glück gut Englisch sprechen konnten.

10-9 in Murgab

Die Vermieter

„I paid for it“, schrie der junge Japaner einige Stunden später am Grenzübergang von Tajikisatan nach Kirgisien. Wir hatten tatsächlich einen Fahrer gefunden, doch selbst für die Studenten, Azizmamadov mit seiner kleinen Schwester und Sharif Vatanshoev war das keine einfache Angelegenheit gewesen. Es hatte noch gut zwei Stunden gedauert, ehe wir Murgab verlassen konnten und mit einem Gelände tauglichen Mitsubishi-Jeep über den Pamir-Highway und den knapp 4.300 Meter hohen Kyzyl-Art Pass, vorbei am Karakul See bis hierher gelangten. Zwischen Murgab und der Grenze gab es nur ein kleines, Gott verlassenes Dorf mit etwa zehn Häusern. Hier und dort kam uns ein Fahrradtourist entgegen, wobei sich die Schwester von Azizmamadov jedesmal fragte, ob man wohl Geld für solch eine Fahrradtour bekommen würden. Ja, bei diesem Wetter war es sicherlich nicht angenehm durch die Berge zu fahren und schwer vorstellbar, dass man das freiwillig machen konnte. Außerdem war es eine ziemliche Tortur, denn bei der dünnen Luft meist über 4.000 Metern dauerte es einige Tage bis man von einem zum nächsten Dorf kommen konnte. Entsprechend Proviant und Wasser waren von Nöten, sowie das Zelt und die ganze Ausrüstung eben. Sehr glücklich sahen die Radfahrer nicht aus, in dem Grau und Grau der Berge von weitem eher wie überladene Packesel mit heraushängender Zunge.

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Den Pamir hinauf

Der Japaner wollte sich einfach nicht beruhigen, was war geschehen? Als wir an der Grenze angekommen waren, dauerte die gesamte Prozedur gut zwei Stunden, obwohl wir neben dem Fahrer nur zu viert waren. Kaum waren wir auf der anderen Seite in Kirgisien, kam ein halb zerfallener Bus russischer Kommunistenbauart aus Osh angefahren. Die Fahrer wollten nun die Gäste tauschen, so dass sie gleich zurück fahren konnten und sich dadurch jeweils etwa die halbe Strecke sparten. Der Japaner bestand allerdings auf sein Recht, mit seinem Fahrer bis nach Murgab zu fahren und wollte einfach nicht verstehen, dass er mit dem Mitsubishi-Jeep viel schneller dort ankommen würde. Leidtragende waren da eher die Studenten, die in dem viel langsameren Klapperbus bis Osh weiter reisen mussten. Als der Japaner auch nach viel Zusprache von den Studenten und meinerseits, nicht einsehen wollte, dass es sich für ihn um einen guten Deal handelte, wurde er nach etwa einer halben Stunde einfach vor die Wahl gestellt, entweder mit dem Jeep nach Murgab zu fahren oder an der Grenze zu bleiben. Dieses letzte Ultimatum wirkte und er ergab sich seinem Schicksal, während wir in dem Russenbus weiterfuhren, der nicht einmal halb so schnell vorankam und in dem es bitter kalt war, weil der Wind von allen Seiten hereinpfiff. Die kleine Schwester von Azizmamadov fluchte inzwischen unentwegt, da sie in ihrem kurzen Minirock und ihren High Heels jämmerlich fror. Wir erreichten Sary Tash noch vor Anbruch der Dunkelheit und ich verließ bei dem ersten und vermutlich einzigen Gästehaus in dem Dorf den Bus und bedankte mich bei den dreien, die noch etliche Stunden vor sich hatten, ehe sie im Fergana Tal ankommen würden.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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