Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans

2010, Tadschikistan: Ich erschrak, als mich der Fahrer mit ernster Miene anschaute, während wir holpernd über eine breite Front herabgeschwemmter Geröllmassen fuhren und mir „Village gone in the River“ zurief. Als ich mich umschaute, sah ich wie die braunen Bergdörfer fast ausschließlich an Steilhängen lagen und bemerkte auch die vielen Moränen, die zwischen den herabfallenden Felswänden herunter geschwemmt worden waren. Einzelne Bauernhöfe hingen in schwindelnder Höhe an den Steilhängen weit oben am Berg angenagelt wie ein Bild an der Wand und vermittelten einen Eindruck, als könnten sie jederzeit herunter rutschen. Ich erschauderte, als ich mir vorstellte, wie eine Gerölllawine die einfachen Lehmhütten der Bergbewohner im Handumdrehen mit sich hinunter in die Schlucht reißen konnte und war froh darüber, einen außerordentlich schönen und wolkenlosen Sommertag erwischt zu haben. Es hatte insgesamt gut drei Stunden gedauert, bis ich von Panjakent über einen Gebirgspass in der abgelegenen Landschaft der sieben Seen mitten im sogenannten Fangebirge angekommen war. Glaubt man der Legende, so verschwand in dieser Bergregion einmal ein alter Mann, den seine Töchter vergeblich suchten, worauf sie vor lauter Trauer die Seen mit ihren Tränen füllten. In Wirklichkeit muss es ein gewaltiges Erdbeben gewesen sein, dass die 4.000 Meter hohen, umliegenden Gebirgsketten auseinander gerissen und die Seelandschaft gebildet hatte.

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In Duschanbe

Nachdem die Schotterpiste hinter dem sechsten See in einem Ziegenhain mündete, stieg ich aus dem Jeep aus und begann mit meiner Wanderung zu dem obersten der sieben Seen. Friedlich saßen einige Ziegenhirtinnen unter den Schatten spendenden Sträuchern, sie wohnten wohl in dem kleinen romantisch anmutenden Lehmdorf, welches zu meiner linken Seite lag und hatten den ganzen Tag kaum mehr zu tun, als auf die Tiere aufzupassen. Das Leben schien in diesem abgelegenen Gebirge entschleunigt und ruhig zu verlaufen, weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten führte man ein von technischen Errungenschaften abgeschnittenes Leben, Mobiltelefone oder Satellitenschüsseln gab es nicht und der nächste Marktflecken war einen Tagesmarsch entfernt. Besonders hübsch war die bunte trachtenförmige Kleidung der Kinder, die mir fröhlich auf dem Wanderpfad hinterher sprangen  und deren Freude jedes Mal riesig war, wenn ich ein Foto von ihnen machte und es gleich im Anschluss auf dem Kameradisplay zeigte. Gleichzeitig konnte man auch die Verletzlichkeit erkennen, wenn im benachbarten Afghanistan auf der anderen Seite des Berges der Terror in die Dörfer getragen wurde. Kaum ein erwachsener Mann hier reichte über meine Schulter hinaus und niemand hätte sich gegen die Banditen verteidigen können. Als einziges Fortbewegungsmittel waren mir die Esel aufgefallen, auf denen allerlei Sackware hin und her bewegt wurde. Kein Fahrzeug weit und breit, ich genoss den Tag in einer anderen Welt, der Welt der tajikischen Bergbauern.

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Bergwelten

Zwei Tage später saß ich in Duschanbe auf einer Parkbank und überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Mein Rückflug ging von Almaty nach Deutschland, ich wollte aber unbedingt noch das Pamir-Gebirge bereisen und danach entweder durch Kirgisien oder über China zurück nach Kasachstan fahren. Den Sammelplatz für die Jeeps, die von Duschanbe entlang der afghanischen Grenze nach Khorog fuhren, hatte ich schon ausgemacht. Die Fahrt dauerte laut diversen Berichten im Internet zwischen achtzehn und vierundzwanzig Stunden, auch zog ich alternativ einen Flug in Erwägung. Allerdings startete die Propellermaschine nur bei klarer Sicht, was die ganze Sache etwas unkalkulierbar machte und es handelte sich bei der Strecke von Duschanbe nach Khorog wohl um eine der abenteuerlichsten Flugrouten überhaupt, die von einem Linienflug bedient wird. Nicht nur war es angeblich schon mehrfach vorgekommen, dass es das Flugzeug nicht über den dazwischen liegenden Berg schaffte, auch war schon einmal eine Maschine von der afghanischen Seite aus mit einer Rakete herunter geholt geworden. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, doch da die Sonne bereits seit dem Vortag vom afghanischen Wüstensand getrübt war, entschloss ich mich, auf den Flug zu verzichten, so atemberaubend er auch gewesen wäre. Den weiteren Verlauf des Tages nutzte ich, um in Duschanbe, der Hauptstadt Tajikistans herum zu wandern. Die gepflegte Atmosphäre verwunderte mich, war das Land doch eines der ärmsten der Welt, aber ebenso so wie in Usbekistan, war keine tiefgreifende Armut sichtbar. Die Menschen sahen allerdings etwas anders aus als im Nachbarstaat, auffällig waren insbesondere die wuchtigen Augenbrauen, nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen.

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Unterwegs 1

Ich freute mich schon auf die Fahrt nach Khorog, als ich am kommenden Morgen in aller Frühe um sechs Uhr an der Sammelstelle der Geländewagen ankam. Bereits die Fahrt von Panjakent nach Duschanbe war ein großartiges Spektakel zwischen Schluchten und Serpentinen gewesen. Die Fahrt nach Khorog sollte noch weit aus abenteuerlicher werden, so stand es zumindest in den Reiseblogs. Leider hatte ich meinen Proviant in Form einer Salami im Hotel vergessen, was mich äußerst ärgerte, da ich vermutlich bis zum kommenden Tag jetzt nichts zu essen bekommen sollte. Es dauerte ewig, bis es los ging, einfach weil es zu wenige Passagiere gab und ich auf den falschen Jeep gesetzt hatte. Erst um halb elf Uhr morgens löste mich ein anderer Fahrer aus, dem nur noch ein Passagier fehlte, so dass der gesamte Zeitplan durcheinander gekommen war. Eigentlich wollte ich unbedingt noch bei Tageslicht am Pandsch-Fluss ankommen, der Afghanistan von Tajikistan trennt, um die eindrucksvolle Landschaft genießen zu können, doch das schien nun kaum noch möglich zu sein. Ich kam in den Genuss, auf dem Beifahrersitz des Toyota 4X4 Minibusses Platz nehmen zu dürfen, hinter mir saßen zwei Frauen mit mehreren Kindern und ein Ehepaar. Ich befürchtete eine langsame Fahrt gegenüber den kraftvollen Geländewagen, doch der Fahrer gab Gas und das Auto schien Power zu haben, so dass es schneller als geplant voran ging. In Tajikistan gab es wohl noch mehr Schlagbäume und Polizeikontrollen als in den anderen Ländern Zentralasiens, die ich bisher gesehen hatte. Es müssen gut dreißig gewesen sein, bis wir bei Einbruch der Dunkelheit den Pandsch erreichten und jedes Mal durfte der Fahrer gegen eine Summe von einem Somoni (ca. 10 Cent) weiterfahren. Wir hatten bisher erst einmal angehalten um Schlechtsprit zu tanken und mein Magen knurrte gehörig, als sich die gesamte Fahrgemeinschaft in ein Restaurant begab, um Schaschlik und Fladenbrot zu essen.

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Bei dem Tanken

Nach meinen Schätzungen muss die senkrechte Felswand mindestens einen Kilometer abfällig gewesen sein, bis die Straße ein paar Meter wie eine Stufe herausragte und die Wand dann weitere hundert bis zweihundert Meter senkrecht in den Fluss abfiel. So war es an diesem Flussufer auf der Seite Tajikistans und so war es auf der anderen Seite des Pandsch in Afghanistan und so sollte es die kommenden zweihundert Kilometer weiter gehen. Ich verstand jetzt auch, weswegen eine Infrastrukturhilfe, die ich anstelle der im Korruptionssumpf zerfließenden Entwicklungshilfe forderte, völlig unnütze war, denn die Felsbrocken, die von den Wänden herunter kamen, nahmen die Hälfte der Straße mit in den Fluss, wie man an vielen Stellen eindrucksvoll sehen konnte. Es wurde auch so des Öfteren recht knapp, wenn andere Fahrzeuge entgegen kamen und noch enger, wenn wie beschrieben, ein ganzes Stück der Straße weg geschlagen war. Dementsprechend langsam ging es voran, als der Fahrer sich eine halbe Stunde Auszeit nahm und das Steuer für eine kurze Zeit an einen der Passagiere übergab. Ich vermute die Fahrt verlangsamte sich von siebzig bis achtzig Stundenkilometer auf unter zehn im Durchschnitt und war bereits vorbei, als an einer engen Stelle das erste Fahrzeug entgegen kam, was den neuen Steuermann völlig überforderte, worauf der eigentliche Fahrer wieder das Ruder übernehmen musste. Es war wirklich Maßarbeit für die Fahrer hier aneinander vorbei zu kommen und immer drohte rechts unten der Fluss, der mit großer Geschwindigkeit durch die Schlucht hindurch strömte. Ich verfiel in einen seltsamen Halbschlaf und nahm die Fahrt nur noch wie in Trance wahr, der volle Mond umhüllt von Wolken und die Silhouette der beiden Felswände dies und jenseits der Schlucht, sowie die Lichter aus den Dörfern des benachbarten Afghanistan verbreiteten eine surreale Atmosphäre. Plötzlich rüttelte es an meiner Hand, ich war eingeschlafen und der Fahrer hatte mich aufgeweckt. Wir standen vor einem Hotel in Khorog, es war inzwischen halb ein Uhr nachts und wir hatten die Fahrt in nur vierzehn Stunden hinter uns gebracht.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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