Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans

2010, Tadschikistan: Ich erschrak, als mich der Fahrer mit ernster Miene anschaute, während wir holpernd über eine breite Front herabgeschwemmter Geröllmassen fuhren und mir „Village gone in the River“ zurief. Als ich mich umschaute, sah ich wie die braunen Bergdörfer fast ausschließlich an Steilhängen lagen und bemerkte auch die vielen Moränen, die zwischen den herabfallenden Felswänden herunter geschwemmt worden waren. Einzelne Bauernhöfe hingen in schwindelnder Höhe an den Steilhängen weit oben am Berg angenagelt wie ein Bild an der Wand und vermittelten einen Eindruck, als könnten sie jederzeit herunter rutschen. Ich erschauderte, als ich mir vorstellte, wie eine Gerölllawine die einfachen Lehmhütten der Bergbewohner im Handumdrehen mit sich hinunter in die Schlucht reißen konnte und war froh darüber, einen außerordentlich schönen und wolkenlosen Sommertag erwischt zu haben. Es hatte insgesamt gut drei Stunden gedauert, bis ich von Panjakent über einen Gebirgspass in der abgelegenen Landschaft der sieben Seen mitten im sogenannten Fangebirge angekommen war. Glaubt man der Legende, so verschwand in dieser Bergregion einmal ein alter Mann, den seine Töchter vergeblich suchten, worauf sie vor lauter Trauer die Seen mit ihren Tränen füllten. In Wirklichkeit muss es ein gewaltiges Erdbeben gewesen sein, dass die 4.000 Meter hohen, umliegenden Gebirgsketten auseinander gerissen und die Seelandschaft gebildet hatte.

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In Duschanbe

Nachdem die Schotterpiste hinter dem sechsten See in einem Ziegenhain mündete, stieg ich aus dem Jeep aus und begann mit meiner Wanderung zu dem obersten der sieben Seen. Friedlich saßen einige Ziegenhirtinnen unter den Schatten spendenden Sträuchern, sie wohnten wohl in dem kleinen romantisch anmutenden Lehmdorf, welches zu meiner linken Seite lag und hatten den ganzen Tag kaum mehr zu tun, als auf die Tiere aufzupassen. Das Leben schien in diesem abgelegenen Gebirge entschleunigt und ruhig zu verlaufen, weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten führte man ein von technischen Errungenschaften abgeschnittenes Leben, Mobiltelefone oder Satellitenschüsseln gab es nicht und der nächste Marktflecken war einen Tagesmarsch entfernt. Besonders hübsch war die bunte trachtenförmige Kleidung der Kinder, die mir fröhlich auf dem Wanderpfad hinterher sprangen  und deren Freude jedes Mal riesig war, wenn ich ein Foto von ihnen machte und es gleich im Anschluss auf dem Kameradisplay zeigte. Gleichzeitig konnte man auch die Verletzlichkeit erkennen, wenn im benachbarten Afghanistan auf der anderen Seite des Berges der Terror in die Dörfer getragen wurde. Kaum ein erwachsener Mann hier reichte über meine Schulter hinaus und niemand hätte sich gegen die Banditen verteidigen können. Als einziges Fortbewegungsmittel waren mir die Esel aufgefallen, auf denen allerlei Sackware hin und her bewegt wurde. Kein Fahrzeug weit und breit, ich genoss den Tag in einer anderen Welt, der Welt der tajikischen Bergbauern.

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Bergwelten

Zwei Tage später saß ich in Duschanbe auf einer Parkbank und überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Mein Rückflug ging von Almaty nach Deutschland, ich wollte aber unbedingt noch das Pamir-Gebirge bereisen und danach entweder durch Kirgisien oder über China zurück nach Kasachstan fahren. Den Sammelplatz für die Jeeps, die von Duschanbe entlang der afghanischen Grenze nach Khorog fuhren, hatte ich schon ausgemacht. Die Fahrt dauerte laut diversen Berichten im Internet zwischen achtzehn und vierundzwanzig Stunden, auch zog ich alternativ einen Flug in Erwägung. Allerdings startete die Propellermaschine nur bei klarer Sicht, was die ganze Sache etwas unkalkulierbar machte und es handelte sich bei der Strecke von Duschanbe nach Khorog wohl um eine der abenteuerlichsten Flugrouten überhaupt, die von einem Linienflug bedient wird. Nicht nur war es angeblich schon mehrfach vorgekommen, dass es das Flugzeug nicht über den dazwischen liegenden Berg schaffte, auch war schon einmal eine Maschine von der afghanischen Seite aus mit einer Rakete herunter geholt geworden. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, doch da die Sonne bereits seit dem Vortag vom afghanischen Wüstensand getrübt war, entschloss ich mich, auf den Flug zu verzichten, so atemberaubend er auch gewesen wäre. Den weiteren Verlauf des Tages nutzte ich, um in Duschanbe, der Hauptstadt Tajikistans herum zu wandern. Die gepflegte Atmosphäre verwunderte mich, war das Land doch eines der ärmsten der Welt, aber ebenso so wie in Usbekistan, war keine tiefgreifende Armut sichtbar. Die Menschen sahen allerdings etwas anders aus als im Nachbarstaat, auffällig waren insbesondere die wuchtigen Augenbrauen, nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen.

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Unterwegs 1

Ich freute mich schon auf die Fahrt nach Khorog, als ich am kommenden Morgen in aller Frühe um sechs Uhr an der Sammelstelle der Geländewagen ankam. Bereits die Fahrt von Panjakent nach Duschanbe war ein großartiges Spektakel zwischen Schluchten und Serpentinen gewesen. Die Fahrt nach Khorog sollte noch weit aus abenteuerlicher werden, so stand es zumindest in den Reiseblogs. Leider hatte ich meinen Proviant in Form einer Salami im Hotel vergessen, was mich äußerst ärgerte, da ich vermutlich bis zum kommenden Tag jetzt nichts zu essen bekommen sollte. Es dauerte ewig, bis es los ging, einfach weil es zu wenige Passagiere gab und ich auf den falschen Jeep gesetzt hatte. Erst um halb elf Uhr morgens löste mich ein anderer Fahrer aus, dem nur noch ein Passagier fehlte, so dass der gesamte Zeitplan durcheinander gekommen war. Eigentlich wollte ich unbedingt noch bei Tageslicht am Pandsch-Fluss ankommen, der Afghanistan von Tajikistan trennt, um die eindrucksvolle Landschaft genießen zu können, doch das schien nun kaum noch möglich zu sein. Ich kam in den Genuss, auf dem Beifahrersitz des Toyota 4X4 Minibusses Platz nehmen zu dürfen, hinter mir saßen zwei Frauen mit mehreren Kindern und ein Ehepaar. Ich befürchtete eine langsame Fahrt gegenüber den kraftvollen Geländewagen, doch der Fahrer gab Gas und das Auto schien Power zu haben, so dass es schneller als geplant voran ging. In Tajikistan gab es wohl noch mehr Schlagbäume und Polizeikontrollen als in den anderen Ländern Zentralasiens, die ich bisher gesehen hatte. Es müssen gut dreißig gewesen sein, bis wir bei Einbruch der Dunkelheit den Pandsch erreichten und jedes Mal durfte der Fahrer gegen eine Summe von einem Somoni (ca. 10 Cent) weiterfahren. Wir hatten bisher erst einmal angehalten um Schlechtsprit zu tanken und mein Magen knurrte gehörig, als sich die gesamte Fahrgemeinschaft in ein Restaurant begab, um Schaschlik und Fladenbrot zu essen.

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Bei dem Tanken

Nach meinen Schätzungen muss die senkrechte Felswand mindestens einen Kilometer abfällig gewesen sein, bis die Straße ein paar Meter wie eine Stufe herausragte und die Wand dann weitere hundert bis zweihundert Meter senkrecht in den Fluss abfiel. So war es an diesem Flussufer auf der Seite Tajikistans und so war es auf der anderen Seite des Pandsch in Afghanistan und so sollte es die kommenden zweihundert Kilometer weiter gehen. Ich verstand jetzt auch, weswegen eine Infrastrukturhilfe, die ich anstelle der im Korruptionssumpf zerfließenden Entwicklungshilfe forderte, völlig unnütze war, denn die Felsbrocken, die von den Wänden herunter kamen, nahmen die Hälfte der Straße mit in den Fluss, wie man an vielen Stellen eindrucksvoll sehen konnte. Es wurde auch so des Öfteren recht knapp, wenn andere Fahrzeuge entgegen kamen und noch enger, wenn wie beschrieben, ein ganzes Stück der Straße weg geschlagen war. Dementsprechend langsam ging es voran, als der Fahrer sich eine halbe Stunde Auszeit nahm und das Steuer für eine kurze Zeit an einen der Passagiere übergab. Ich vermute die Fahrt verlangsamte sich von siebzig bis achtzig Stundenkilometer auf unter zehn im Durchschnitt und war bereits vorbei, als an einer engen Stelle das erste Fahrzeug entgegen kam, was den neuen Steuermann völlig überforderte, worauf der eigentliche Fahrer wieder das Ruder übernehmen musste. Es war wirklich Maßarbeit für die Fahrer hier aneinander vorbei zu kommen und immer drohte rechts unten der Fluss, der mit großer Geschwindigkeit durch die Schlucht hindurch strömte. Ich verfiel in einen seltsamen Halbschlaf und nahm die Fahrt nur noch wie in Trance wahr, der volle Mond umhüllt von Wolken und die Silhouette der beiden Felswände dies und jenseits der Schlucht, sowie die Lichter aus den Dörfern des benachbarten Afghanistan verbreiteten eine surreale Atmosphäre. Plötzlich rüttelte es an meiner Hand, ich war eingeschlafen und der Fahrer hatte mich aufgeweckt. Wir standen vor einem Hotel in Khorog, es war inzwischen halb ein Uhr nachts und wir hatten die Fahrt in nur vierzehn Stunden hinter uns gebracht.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Panjakent

2010, Khiva: Nachdem ich mich von dem Ausflug an den vertrockneten Aralsee (Travel Report 14/3) einen weiteren Tag in Khiva erholt hatte, schickte ich Nikolai zum Bahnhof, damit er dort zwei Tickets nach Samarkand und Tashkent lösen würde, meine Pläne nach Turkmenistan weiter zu fahren, hatte ich inzwischen begraben (Travel 14/1). Nikolai wollte zurück nach Tashkent, während ich in Samarkand, der berühmten alten Stadt an der Seidenstraße, nur einen kurzen Zwischenstopp einplante und primär das Ziel verfolgte, weiter nach Tajikistan zu fahren. Bereits in Kasachstan, als meine Reise begonnen hatte, ging die Nachricht um, der tajikische Präsident Emomalii Rahmon hätte einen Herzanfall erlitten. Ich hoffte, der Präsident würde noch die Zeit meines Aufenthaltes durchhalten, denn die Lage in dem schroffen Gebirgsland war alles andere als gefestigt. Bis 1997 hatte ein Bürgerkrieg getobt und es konnten im Falle eines politischen Vakuums jederzeit die alten Gräben wieder aufbrechen, zumal die Pamir-Region weiter nach Unabhängigkeit strebte. Als zweites bedrückte mich die Sorge um mein Bargeld, das ich bei der Einreise von den tajikischen Grenzbeamten zählen lassen musste. Es war schließlich nur erlaubt auch die Menge an Geld wieder mit zu nehmen, die zuvor bei der Einreise zertifiziert worden war. Drittens war mir von der Registrierungspflicht bei der Polizei, der man spätestens am dritten Tage des Aufenthaltes in dem Land nachkommen musste, nichts Gutes zu Ohren gekommen. Die Korruption war allgegenwärtig und die Öffnungszeiten der Registrierungsstellen alles andere als kundenfreundlich, vorausgesetzt, man konnte diese überhaupt finden und sich dort verständigen.

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Samarkand am Morgen

Die Sonne glühte auf den stählernen gelben Waggon ein, in dem ich am kommenden Tag zusammen mit dem russischen Professor saß, es war als sollten wir gegart werden. Bei verlangsamter Zugfahrt, was überaus oft vorkam, führte der ausbleibende Fahrtwind zu regelrechten Schweißausbrüchen bei mir und bei den anderen Passagieren um mich herum. Fleißig wurde dann allerseits mit bunten Taschentüchern nach Luft gewedelt, doch viel genutzt hat es nicht. Ich schaute auf die vorbei ziehende braune und versandete Landschaft, wie sollen wir bei dieser Hitze in der Nacht nur schlafen können, fragte ich mich. Die Zugfahrt dauerte gut achtzehn Stunden und meine Ankunft in Samarkand war gegen sechs Uhr morgens geplant. Wir saßen in einem typischen Waggon russischer Bauart mit sechs Klappbetten in jedem Abteil, drei davon auf jeder Seite, ich musste mit dem obersten Bett vorlieb nehmen, in dem es natürlich am wärmsten war. Aber alle Sorgen dieser Art verschwanden auf einen Schlag, als ich in die Augen einer jungen Dame blickte, die wohl aufgrund unseres westlichen Aussehens auf uns aufmerksam geworden war und uns nun mit einem hübschen Lächeln Gurken- und Tomatensalat aus einer Plastikschüssel anbot und uns dazu Fladenbrot reichte. Gleichzeitig erschrak ich über das Aussehen ihrer Freundin, die mir geradewegs in das Gesicht lachte und wohl kaum älter als zwanzig Jahre alt war, doch schon über ein Gebiss aus purem Gold verfügte. Wir luden die beiden dazu ein, sich zu uns zu gesellen, schließlich gab die Landschaft außerhalb des Zuges weitaus weniger reizvolles her. Nach einer kurzen Konversation stellte sich heraus, dass die Hübsche Nodira Jaberganova hieß und als Deutschlehrerin in Nukus arbeitet, doch ungeachtet dieser Tatsache war es kaum möglich, eine vernünftige Unterhaltung mit ihr zu führen, denn in Wirklichkeit war es nicht weit her mit ihren Deutschkenntnissen. Nikolai musste also übersetzten und bevor wir uns einige Stunden später zum Schlafen legten, bekam ich noch einen Heiratsantrag gestellt und die eMail Adresse überreicht, schnell hatte wohl das reiche Europa gelockt. Dabei hinterließ Usbekistan bisher einen sehr guten Eindruck bei mir, immerhin gab es keine sichtbare Armut und die Menschen schienen ungeachtet der strikten Diktatur bis zu einem gewissen Grad ihre Freiheit genießen zu können.

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Schluchtenwelt

Am kommenden Morgen war ich bereits um fünf Uhr wach, verabschiedete mich von Nikolai und während ich aus dem Zug stieg, um den Bahnsteig von Samarkand zu betreten, winkten mir die beiden jungen Damen noch hinterher. Als sich der Zug wieder langsam in Bewegung setzte, eilte ich im Morgengrauen vom Bahnhof zu dem weltbekannten Registanplatz, um mir diese wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt kurz anzusehen und dann schnell weiter nach Tajikistan zu reisen. Noch immer waren meine Gedanken bei Nodira, die so typisch wie die meisten Frauen in Usbekistan ausgesehen hatte. Man konnte in ihren Gesichtern einen leichten russischen und einen leichten fernöstlichen Schimmer erkennen, wusste aber nicht so recht, in welche Himmelsrichtung man sie zuordnen sollte. Die kunterbunten Suzuni-Kleider waren so dünn und knapp geschnitten, dass man kaum erahnen konnte, sich in einem islamisch geprägten Land zu befinden und ähnlich wie in Japan lächelten die Frauen unentwegt. Als ich nach einer halben Stunde am Registanplatz ankam, war ich der erste Tourist, der das historische Wahrzeichen aus dem 15. Jahrhundert in diesen frühen Morgenstunden besuchen durfte und wollte gleich das weiche Licht dazu nutzen, die im Angesicht der ersten Sonnenstrahlen glitzernden, blau gekachelten Medressen zu fotografieren. Kaum hatte ich den Fotoapparat ausgepackt, stand schon ein junger Polizist an meiner Seite und bot mir an, mir gegen ein kleines Trinkgeld ein geheimes Tor zu öffnen, das zu einer Treppe hinauf auf einen der Türme führen sollte. Er rief mir noch hinterher, bloß vorsichtig zu sein und schnell begriff ich auch den Grund hierfür. Das gesamte innere des alten Bauwerks war zusammengefallen und es war erforderlich über Schuttmassen und Holzleitern zu steigen, schließlich noch ein Gerüst hinaufzuklettern, ehe man im Gewölbe ankam, wo ich mit einem herrlichen Blick auf die rötlich warm beleuchtete Stadt belohnt wurde. Als ich diesen Moment für einige Minuten genossen hatte und wieder zurück auf dem Platz angekommen war, sah ich bereits die ersten Besucher einströmen, es war die Zeit gekommen, weiter an die Grenze zu fahren.

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Bei den 7 Seen

Als mein Bargeld, etwa 1.000 US-Dollar in kleinen Scheinen, auf dem Tisch des tajikischen Grenzbeamten lag, damit dieser es offiziell registrieren konnte und ich dadurch befugt war, das Geld bei der Ausreise wieder mit mir zu nehmen, war mir nicht gut zu Mute. Immerhin handelte es sich fast um ein Jahresgehalt des Polizisten und derselbe war sich sicherlich bewusst, wie wehrlos ich gegenüber jeder Art der Erpressung gewesen wäre. Zudem lag die Grenze irgendwo im Niemandsland und ich musste mit einem der Fahrer, die vor dem Grenzposten warteten, weiter nach Panjakent fahren, wo ich die ersten Nächte in Tajikistan verbringen wollte. Wie leicht hätte der Grenzbeamte mit dem Fahrer gemeinsame Sache machen und mich ausnehmen können. Auch war es mir peinlich, im Verhältnis so viel Geld gegenüber den Menschen hier bei mir zu führen und dabei war es ja nur der Notgroschen, falls es Probleme mit den Kreditkarten geben sollte. Nur einmal zuvor war ich in eine ähnliche, zugegebener Maßen noch ärgere Situation gekommen, als ich auf einer Bank in Kuba das fünfzig Fache des Monatsverdienstes von dem Bankangestellten abgehoben hatte. Die gesamte Prozedur an der Grenze dauerte erstaunlicherweise nur etwa eine Stunde und nach nunmehr knapp zwei Wochen Flach- und Wüstenland konnte ich die mächtigen Ausläufer des tajikischen Hochgebirges bestaunen, die ihren Meister in dem knapp 7.500 Meter hohen Pik Ismoil Somoni fanden, der auch schon mal Pik Stalin und Pik Kommunismus geheißen hatte.

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Unterwegs

Es gab natürlich keine Probleme mit dem Fahrer, der mich von der Grenze nach Panjakent brachte, die Menschen waren zwar arm, aber ehrlich und ich kam mir schlecht vor, wie ich sie durch meine Paranoia vorverurteilte. Kaum in Panjakent angekommen, galt es sich als erstes der lästigen Pflicht der OVIR Registrierung zu entledigen, ein altes Relikt aus sowjetischer Zeit, nachdem jeder Reisende dazu verpflichtet war, sich innerhalb von drei Tagen nach der Grenzüberschreitung bei der Polizei zu melden. Ich hatte Glück, mein Hotel lag direkt gegenüber der Bezirksverwaltung, der Besitzer war der englischen Sprache mächtig und kannte die Beamten. Trotzdem dauerte die Prozedur beinahe zwei Stunden, in denen ich, über eine Hintertür hereingelassen, in einem kleinen Büro warten musste. Alle halbe Stunde hatte ich dort gut fünf Dollar für irgendeine Dienstleistung zu bezahlen und jedes Mal wurde dabei ein roter Stempel auf ein Dokument gehauen, das in kyrillischer Schrift verfasst und für mich nicht lesbar war. Meiner Ansicht nach diente der gesamte Prozess für die Beamten nur dazu, sich den Wodka für das Wochenende zu finanzieren und so war ich froh, als ich endlich das Verwaltungsgebäude wieder durch den Hinterausgang verlassen konnte und im Besitz eines Stempels in meinem Pass und einer offiziellen Einreiseurkunde mit diversen roten Stempeln war.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab

2010, Pamir-Gebirge: Nur einen Steinwurf von der afghanischen Grenze entfernt liegt Khorog, die Hauptstadt der autonomen Pamir-Region im östlichen Teil Tajikistans, in der ich einen drei tägigen Zwischenstopp einlegte. Bei niedrigem Pegel des Grenzflusses konnte man zu bestimmten Jahreszeiten von hier aus ohne Probleme mit dem Auto in das umkämpfte Nachbarland hinüberfahren und die Afghanen fuhren hin und wieder herüber, um sich auf dem Markt mit westlichen Produkten einzudecken. Zu dem Zeitpunkt, als ich mich hier aufgehalten habe, führte der Fluss allerdings zu viel Wasser für eine Grenzüberschreitung. Ich war auch gar nicht vor Ort, um nach Afghanistan weiter zu reisen, vielmehr fuhren in Khorog die Geländewagen nach Murgab ab. Die Fahrt sollte etwa sechs Stunden dauern und durch das Pamir-Gebirge führen, welches auch als das Dach der Welt bezeichnet wird und das einst schon Marco Polo überwinden musste, um nach China zu gelangen. Als wir an diesem frischen Morgen genügend Mitfahrer eingesammelt hatten und in die Berge los fuhren, war es bereits zehn Uhr. Meine Hektik am frühen Morgen aufgrund der Sorge, das Taxi zu verpassen, hatte dazu geführt, dass ich nun seit Stunden am Warten war und die meiste Zeit gelangweilt am Straßenrand saß. Berg-Badachschan war eine andere Bezeichnung für die Gegend um Khorog herum, ein Vielvölkergebiet zusammengewürfelt aus verschiedenen Ethnien und Kulturen. Man spricht hier viele Sprachen, Russisch, Tajikisch, Persisch und da überall Kirgisen leben, auch Kirgisisch. Dazu kommen eigene Pamir-Dialekte und in den verstreuten Tälern noch jeweils unterschiedliche Varianten aus dem Alt-Persischen, die außerhalb der jeweiligen Enklaven heutzutage angeblich niemand mehr versteht. Selbstverständlich sprach keiner Englisch, so dass ich auf der Fahrt mit den anderen Passagieren nicht kommunizierten konnte, sowieso versuchte ich mich auf der gesamten Reise mehr recht als schlecht, mit meinem Russisch-Wörterbuch über Wasser zu halten. Die vielen Varianten der kyrillischen Schrift stellten jedoch oftmals ein unüberwindbares Hindernis dar.

10-9 Stutenmilchküche

Die Stutenmilchküche

Nach etwa drei Stunden Fahrt wurde die erste Pause eingelegt. Raststätten und Tankstellen gab es hier, wo vielleicht zwei bis drei Fahrzeuge am Tag vorbei kamen, natürlich nicht, denn in der gesamten Region leben nur eine Handvoll  Menschen. Wir kehrten bei Bekannten des Fahrers ein und bekamen beinahe für umsonst das Nationalgetränk Tajikistans gereicht. Es handelte sich dabei um ein salziges, mit Fett versetztes Stutenmilch-Getränk, in das man Brot zum Essen eintunkte und das für meinen Magen eher ungeeignet  war. Um ehrlich zu sein, ich fand die Mahlzeit widerlich. Die übrigen Stunden der Fahrt bewegten wir uns stetig weiter ins Gebirge hinauf, zwischenzeitlich auf den knapp 4.700 Meter hohen Ak-Baital Pass, der zweithöchste der Welt, den wir in unserem kleinen 4×4 Minibus überwinden mussten. Zu meinem Verdruss schlug das Wetter auf der Hälfte der Fahrt um, es wurde regnerisch und als wir schließlich in Murgab eintrafen war es bereits recht düster. Meine Pension, angeblich die beste in Murgab, konnte mir nur für eine Nacht eine Unterkunft zur Verfügung stellen, am folgenden Tag sollte eine Trekking-Gruppe vorbei kommen und das Gästehaus vollständig besetzen. Mein Plan war es eigentlich, hier für mindestens vier Tage zu bleiben, um in die umliegenden Berge zu wandern und so machte ich mich noch am selben Abend auf die Suche nach einer weiteren Unterkunft für die folgenden Tage.

10-9 Khorog, Blick nach Afghanistan

Blick nach Afghanistan

Als ich vor der Pension stand und mich umschaute, sah ich wie die Häuser meistens nur teilweise gemauert und oftmals aus Lehm gebaut waren. Äußerlich sahen die Gebäude wenig einladend aus, aber innen waren sie recht gemütlich, wie ich erfuhr, als eine älteres Ehepaar mich dazu einlud, ihre Wohnung zu betreten, um mir ein Zimmer anzubieten. Die Räumlichkeiten waren von unterschiedlicher Deckenhöhe und man musste sich bücken, um von dem einen ins andere Zimmer zu gelangen, alles recht düster aber gemütlich. Wände und Böden waren von Teppichen geziert,  für Licht sorgten einige Kerzen, Strom war hier Mangelware und da weit und breit kein Baum aufzufinden war, heizte man mit Kuhfladen, was eine wärmlich stinkende Anmutung in den Gebäuden erzeugte. Ich behielt mir aufgrund des Wetters vor, erst am kommenden Tag eine Entscheidung über die Anmietung des Zimmers zu treffen und verabschiedete mich mit der Aufnahme eine Fotos von dem Ehepaar, dem ich noch versprach, im Internet Werbung für sie zu machen. Schließlich hatten auch sie schon gehört, dass es so etwas gab, auch wenn hier oben letztlich nicht nur aufgrund der eingeschränkten Stromversorgung sondern auch aufgrund des fehlenden Funknetzes kein Empfang möglich war.

10-9 Murgab

Murgab

Nach der Besichtigung des Zimmers drehte ich eine kleine Runde in dem aufgrund der dichten Wolkendecke düster anmutenden Dorfes. Murgab zählte etwa 4.000 Einwohner und lag auf einer Höhe von knapp 3.700 Metern. Nachdem endgültig die Dunkelheit hereingebrochen war, kehrte ich zu meiner Pension zurück, wo sich der angebrochene Abend im weiteren Verlauf als sehr langweilig gestaltete. Zudem war es bitterkalt geworden, wogegen mein Kapuzenpullover wenig ausrichten konnte. Der Strom in Murgab war dermaßen schwach, dass ich in meinem Zimmer nur vage Umrisse erkennen konnte, an Lesen, Schreiben oder ähnliches war in keiner Weise zu denken. Zu Essen oder Trinken konnte man jetzt außerhalb der Marktzeiten auch nichts mehr besorgen und fließendes Wasser gab es nicht, weshalb ich mir die Zeit für die Dusche sparen konnte. Ich wartete also in meinem Bett unter einem Stapel von Decken, bis ich endlich eingeschlafen war. Als der Morgen anbrach, hatte das Wetter noch immer nicht umgeschlagen, Kälte, Dunkelheit, Regen, ich fasste den Entschluss, sofort nach Sary Tash weiterzureisen, um noch vor dem Wochenende die chinesische Grenze zu erreichen, die nur von Montag bis Freitag geöffnet und noch etwa 400 Kilometer entfernt war. Ich sehnte mich nach dem zivilisierten China und hoffte, mich würde jemand mit nach Kirgisien nehmen, denn kaum zwei Monate zuvor gab es dort ein Blutbad in Osh und im Fergana Tal, dem Schätzungen zufolge knapp 3.000 Menschen zum Opfer gefallen waren. Am Marktplatz warteten die Sammeltaxis, aber schnell stellte sich heraus, dass mein Bemühen, eine Mitfahrgelegenheit nach Sary Tash zu finden, sich als relativ aussichtslos herausstellte. Zurück nach Khorog wäre kein Problem gewesen, auch die Weiterreise an die Grenze wurde mir angeboten. Aus Angst um Leib und Leben war jedoch keiner der Fahrer bereit, mich hinein nach Kirgisien zu fahren, da die Sorge bestand, dass die ethnischen Unruhen jederzeit wieder aufflammen konnten. Nach gut zwei Stunden verließ ich entnervt die Sammelstelle, um einen Spaziergang anzutreten und mir in Ruhe zu überlegen, ob ich mich nur bis an die Grenze fahren lassen sollte. Die Angaben waren unterschiedlich gewesen, mal hatte man mir erzählt, die Grenze wäre von Sary Tash nur zehn Kilometer entfernt, ein anderes Mal wurden fünfzig Kilometer erwähnt. Vermutlich wohnten Grenzbeamte in Sary Tash und konnten mir eine Mitfahrgelegenheit anbieten. Aufgrund des kalten Wetters, wollte ich es aber nicht darauf ankommen lassen. Nach meinem Rundgang durch das Dorf, nahm ich mir vor, es noch einmal zu versuchen. Als ich wieder an dem Treffpunkt angekommen war, fand ich dort drei junge Studenten vor, die ebenfalls nach Kirgisien reisen mussten, wo sie in der Hauptstadt Bishkek an der Universität eingeschrieben waren und die zu meinem Glück gut Englisch sprechen konnten.

10-9 in Murgab

Die Vermieter

„I paid for it“, schrie der junge Japaner einige Stunden später am Grenzübergang von Tajikisatan nach Kirgisien. Wir hatten tatsächlich einen Fahrer gefunden, doch selbst für die Studenten, Azizmamadov mit seiner kleinen Schwester und Sharif Vatanshoev war das keine einfache Angelegenheit gewesen. Es hatte noch gut zwei Stunden gedauert, ehe wir Murgab verlassen konnten und mit einem Gelände tauglichen Mitsubishi-Jeep über den Pamir-Highway und den knapp 4.300 Meter hohen Kyzyl-Art Pass, vorbei am Karakul See bis hierher gelangten. Zwischen Murgab und der Grenze gab es nur ein kleines, Gott verlassenes Dorf mit etwa zehn Häusern. Hier und dort kam uns ein Fahrradtourist entgegen, wobei sich die Schwester von Azizmamadov jedesmal fragte, ob man wohl Geld für solch eine Fahrradtour bekommen würden. Ja, bei diesem Wetter war es sicherlich nicht angenehm durch die Berge zu fahren und schwer vorstellbar, dass man das freiwillig machen konnte. Außerdem war es eine ziemliche Tortur, denn bei der dünnen Luft meist über 4.000 Metern dauerte es einige Tage bis man von einem zum nächsten Dorf kommen konnte. Entsprechend Proviant und Wasser waren von Nöten, sowie das Zelt und die ganze Ausrüstung eben. Sehr glücklich sahen die Radfahrer nicht aus, in dem Grau und Grau der Berge von weitem eher wie überladene Packesel mit heraushängender Zunge.

10-9 den Pamir hinauf 1

Den Pamir hinauf

Der Japaner wollte sich einfach nicht beruhigen, was war geschehen? Als wir an der Grenze angekommen waren, dauerte die gesamte Prozedur gut zwei Stunden, obwohl wir neben dem Fahrer nur zu viert waren. Kaum waren wir auf der anderen Seite in Kirgisien, kam ein halb zerfallener Bus russischer Kommunistenbauart aus Osh angefahren. Die Fahrer wollten nun die Gäste tauschen, so dass sie gleich zurück fahren konnten und sich dadurch jeweils etwa die halbe Strecke sparten. Der Japaner bestand allerdings auf sein Recht, mit seinem Fahrer bis nach Murgab zu fahren und wollte einfach nicht verstehen, dass er mit dem Mitsubishi-Jeep viel schneller dort ankommen würde. Leidtragende waren da eher die Studenten, die in dem viel langsameren Klapperbus bis Osh weiter reisen mussten. Als der Japaner auch nach viel Zusprache von den Studenten und meinerseits, nicht einsehen wollte, dass es sich für ihn um einen guten Deal handelte, wurde er nach etwa einer halben Stunde einfach vor die Wahl gestellt, entweder mit dem Jeep nach Murgab zu fahren oder an der Grenze zu bleiben. Dieses letzte Ultimatum wirkte und er ergab sich seinem Schicksal, während wir in dem Russenbus weiterfuhren, der nicht einmal halb so schnell vorankam und in dem es bitter kalt war, weil der Wind von allen Seiten hereinpfiff. Die kleine Schwester von Azizmamadov fluchte inzwischen unentwegt, da sie in ihrem kurzen Minirock und ihren High Heels jämmerlich fror. Wir erreichten Sary Tash noch vor Anbruch der Dunkelheit und ich verließ bei dem ersten und vermutlich einzigen Gästehaus in dem Dorf den Bus und bedankte mich bei den dreien, die noch etliche Stunden vor sich hatten, ehe sie im Fergana Tal ankommen würden.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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