Travel 10/2: Auf den Spuren des Zuckerrohrs

2003, Trinidad: Ratlos stand ich vor der Höhlendisko, von der mein Reiseführer so viel Gutes berichtet hatte. Sie war geschlossen und ich hatte Trinidad inzwischen schon in all seinen Ecken und Winkeln erkundet. Es waren kaum Touristen anwesend und das mitten in der Urlaubszeit im August. Zwar hatte ich bereits einigen Salsa Veranstaltungen auf dem Plaza in der Mitte der Stadt beigewohnt, wenig aufregende Veranstaltungen bei denen alte europäische Damen mit jungen durchtrainierten Kubanern die Hüften schwangen, freilich war das nichts für mich und da die Disko geschlossen war, drohte ein langweiliger Aufenthalt bevor zu stehen. Endtäuscht verließ ich den Berg, indem die Disko in einer Höhle eingelassen war. Aufgrund der schwierigen Transportsituation hatte ich bereits den Gedanken aufgegeben, noch einen anderen Ort, etwa Salvador im Süden, zu besuchen, dabei waren es noch drei volle Wochen, ehe die Reise zu Ende ging. Ich lieh mir ein Fahrrad, um das Beste aus der Situation zu machen und fuhr jeden Tag hinunter zu dem Resort am Strand, wo ich mir eine Liege mietete, um das Meer zu genießen und mir ein oder zwei Mojito zu genehmigen. Dösend unter einem Sonnenschirm hörte ich im Halbschlaf ein weiches und nettes „Hello“ und in den beiden folgenden Stunden durfte ich mich angeregt mit einer Holländerin unterhalten, die Ihren Liegestuhl unter meinen Schirm gezogen hatte. Wenn ich nicht alles falsch deutete, war sie sehr aufgeschlossen und die Konversation diente nicht nur zum Zeitvertreib, sondern, wie ich der Stimmlage entnehmen konnte, auch einem Annäherungsversuch. Leider nur, war ich dreißig Jahre alt und sie schien in meinen Augen schon siebzig zu sein, wenigstens ging sie aber auf die sechzig zu. Irgendwie hatte ich es dann doch noch geschafft, ohne Affront aus der Situation heraus zu kommen. Erst ein paar Tage später sah ich wieder, als sie mit einem jungen Kubaner auf einer dieser Salsa Veranstaltungen eng umschlungen ihre Runden drehte.

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Frühstück

Die ökonomischen Prinzipien der Marktwirtschaft waren verständlicherweise in Kuba nicht sehr weit verbreitet, was ich sehr bedauerte. Am Strand des Resorts, in dem einige Europäer und Amerikaner ihren Urlaub verbrachten, wurde Pizza verkauft. In einem beständigen hin und her liefen zwei oder drei Strandverkäufer alle halbe Stunde an mir vorbei, um mir ihre Waren aus einem Tupper heraus anzubieten und ich griff auch jeden Tag zu, wobei ich darauf achtete, dies einmal bei jenem und eine anderes Mal bei einem anderen zu tun. Einer der Verkäufer, ein älterer Herr, war mir sehr sympathisch, was mich dazu verleitete ihn in die Geheimnisse des Marketings einzuweihen, denn ich war es leid immer wieder nur Pizza Margherita aufgetischt zu bekommen. Mein Rat war also, er möge doch die Pizza mit anderen Zutaten, etwa Salami, Schinken oder Spinat bestücken und ich malte ihm in großen Bildern aus, wie sein Umsatz steigen und sich seine Kasse füllen würde. Als ich mit meinen Ausführungen zu Ende war, schaute er mich mit großen Augen an, ich glaube, er hatte nichts von meinen Vorschlägen der horizontalen Diversifikation verstanden. Erst lange Zeit später, nachdem ich mich oft fragte, warum meine Vorschläge nicht auf fruchtbaren Boden gestoßen waren, kam mir der Verdacht, dass es vielleicht mangels verfügbarer Auswahl an „Rohstoffen“ gar nicht möglich war, eine Produktdifferenzierung nach meinen Vorstellungen in der Realität umzusetzen. Ein klein wenig von der Marktwirtschaft schien aber auch der Alte verstanden zu haben. Kaum zwei Tage nach meinem Vorschlag kam er bei mir an meiner Strandliege vorbei und bot mir gedämpften Lobster an, ein Angebot, das ich ihm nicht ausschlagen konnte. Essen musste ich die Mahlzeit versteckt hinter den Büschen weitab des Strandes, verkaufen durfte er das Gericht an mich natürlich nicht, denn ich sollte als Tourist eigentlich in dem Restaurant des Resorts essen, wo der kubanische Staat mit verdienen konnte. Ich kam mir vor wie bei einen Drogendeal und doch war ich mir sicher, eine gute Tat getan zu haben.

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Am Strand

Als ich mich auf einem meiner Bilder am Strand posieren sah, wurde ich ganz unzufrieden mit meiner Figur. Freilich war ich nicht dick, da ich nur etwa 65 Kilogramm wog, doch konnte man in ersten Ansätzen schon bedenkliche Pölsterchen um meinen Bauch herum ausmachen, so sehr ich diesen auch anspannte. Zu Hause war ich beinahe jeden Tag im Fitnessstudio oder beim Joggen, was ich hier inzwischen sehr vernachlässigt hatte und die paar Kilometer mit dem schweren und ungelenken Fahrrad konnten es auch nicht richten. Zwar hatte ich bereits ein Fitnessstudio gesehen, doch der kleine Bau hat nicht sehr einladend auf mich gewirkt und ich konnte mir die Hitze darin gut vorstellen, denn über eine Klimaanlage verfügte das kleine Gebäude nicht. Also probierte ich es am Abend mit einem beschwerlichen Lauf in einem schwülen Klima, welches mir die Beine so sehr erschwerte, dass ich bei jedem Schritt glaubte, fast an der Straße kleben zu bleiben. Ich kam gerade so weit, bis ich von einer Meute an wilden Hunden angefallen und zurück gedrängt worden war. Der Spurt, den ich im Angesicht dieses Ereignisses hinlegte, war fast schon atemberaubend, war mir wohl bewusst, dass ich nicht gegen Tollwut geimpft war. Als die Hunde von mir abgelassen hatten, lief ich bei einigen Bauern vorbei, die mir Kopf schüttelnd hinter her schauten. Sie konnten sich wohl im besten Willen nicht vorstellen, wie man solch eine Strapaze auf sich nehmen konnte, während sie mit ihren Macheten auf äußerst unproduktive Art und Weise das Gras abschlugen, um Futter für ihre Tiere aufzubringen. Als ich zurück in meiner Pension war, durfte ich im Nachbarzimmer zwei Tschechinnen begrüßen, die hier für einige Tage untergebracht waren. Die kommenden drei Tage wurden daraufhin sehr lustig, denn die jungen Damen waren in Feierlaune und verfügten über eine ausgezeichnete Trinkfestigkeit.

Eine Woche später war ich noch immer in Trinidad und mein Geldverbrauch war unverändert hoch. So schaute ich peinlich berührt in das Gesicht des Bankbeamten, als er mir 250 Dollar von meiner Kreditkarte ausbezahlte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, schließlich war ich bereits zum dritten Mal hier, um Geld bei ihm in ähnlicher Höhe abzuheben. Jedes Mal war es ein Vielfaches des Monatslohns von dem Kassenwart. Aber die Kosten waren erheblich und meine Vermieterin gehörte zu dem Gewinnerklientel im Kuba des Jahres 2003. Alleine an mir hatte sie schon eine erhebliche Stange an Geld verdient, konnte sich aber auf den heimischen Märkten zu Spottpreisen eindecken. Das Essen kostete hier fast gar nichts, nahm man einmal die Haribo Gummibären aus, die in einem kleinen Laden in der Mitte des Dorfes für umgerechnet zwei Dollar pro Tüte angeboten wurden. Die Langeweile, die inzwischen über der Kubareise lag, versuchte ich mir inzwischen oftmals in einem Internetcafé zu vertreiben. Kubaner waren in dieser Einrichtung nicht zugelassen, aber ich nehmen an, dass der Besitzer und seine Freunde des Nachts schon mal heimlich surften. Hier fand ich erstaunliches heraus, obwohl der Monatslohn in Kuba 23 Mal geringer war, als in Bulgarien, war die Kaufkraftparität höher, was wohl auf die minimalen Kosten der Lebensführung zurückgeführt werden konnte. Die Miete kostete nur ein paar Cent im Monat, wenn man sie überhaupt in Anspruch nehmen musste, denn die meisten Einwohner verfügten über ein Häuschen oder eine Wohnung und die Lebensmittel waren so spottbillig, dass ich mir noch mal überlegen musste, ob ich weiterhin bereit war, bei meiner Vermieterin vier Dollar für das Frühstück und sechs Dollar für das Abendessen zu bezahlen.

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Auf dem Pferd

Als sich die letzte Woche meines Aufenthalts endlich dem Ende zuneigte, brachte ich mich vor lauter Langeweile bei meinem ersten Ausritt auf einem Pferd beinahe noch in Lebensgefahr. Ein Bruder meiner Vermieterin hatte mich mit aufs Land genommen und kaum war ich fünf Minuten im Sattel, ging es entgegen den Versprechungen, eine Geröllböschung hinunter, bei der ich mich nur mit größter Mühe in auf dem Pferd halten konnte, während die Äste der Sträucher dicke Kratzer in meinem Gesicht hinterließen. Einen Tag später saß ich mit den Wunden im Gesicht, in dem alten Lada meiner Vermieterin, in dem ich von ihr und ihrem Mann zurück nach Havanna gebracht wurde. Die mit Abstand langweiligste Reise, die ich bisher begangen hatte neigte sich dem Ende zu und nachdem ich noch zwei Tage in der Hauptstadt verbracht hatte flog ich nach Europa zurück. Für Carolina hatte ich noch einen Microsoft Office Kurs gebucht, da ich ihr im Sinne der Weiterbildung etwas Gutes tun wollte. Zwar traf ich ihren angeblichen Großvater in dem Haus vor, in dem ich sie zu Beginn der Reise einmal besuchte hatte, von ihr war allerdings weit und breit nichts zu sehen gewesen. Der Alte konnte mir über ihren Verbleib die ganzen beiden Tage über, an denen ich versucht hatte, sie zu finden, nichts Brauchbares mitteilen. Vielleicht war sie gar nicht die junge Studentin gewesen, wie sie es vorgegeben hatte, vielleicht, fragte ich mich im Flugzeug, war sie doch nur der Prostitution nachgegangen.

Reiseberichte:

Travel Report 10/1: Von Havanna nach Trinidad
Travel Report 10/2: Auf den Spuren des Zuckerrohrs

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Travel 10/1: Von Havanna nach Trinidad

2003, Havanna: Soeben schlug ich das 702 Seiten umfassende Werk Kants zur Kritik der reinen Vernunft zu. Ich hatte mich inzwischen bis auf Seite 103 durchgekämpft und war bei dem Kapitel „Von der Deduction der reinen Verstandsbegriffe“ angekommen. Ich gebe zu, ohne Vorkenntnisse über das Gedankengebäude des weltberühmten Philosophen, hätte ich wenig von dem verstanden, was ich da gelesen hatte. Dennoch war ich schon aufgrund der sprachlichen Qualität fasziniert von der Lektüre und war fleißig dabei, die wichtigsten Passagen mit dem Kugelschreiber in verschiedenen Zeichen zu markieren. Einerseits, weil sie dermaßen intelligent geschrieben waren und andererseits, um Passagen in Erinnerung zu behalten, nach deren Sinn ich noch einmal im Internet recherchieren wollte. Ich legte das Buch weg, nahm einen Schluck von meinem Rum und blickte auf die Karibik hinaus. Neben mir saßen zwei weitere Besucher auf der Terrasse der Bar, die direkt am Malecón, der Strandpromenade von Havanna lag. Cuba hatte ich mir als Reisender einfacher vorgestellt. In den vergangenen beiden Tagen war ich stets bemüht auf der Suche nach einem Busbahnhof gewesen, von dem aus ich die anderen Teile des Landes besuchen konnte. Gefunden hatte ich nichts brauchbares, zumindest keinen Busbahnhof, an dem regelmäßig verkehrt wurde und man sich Tickets besorgen konnte, was für mich eine völlig neue Situation darstellte, war ich ja in anderen lateinamerikanischen Ländern stets gewohnt gewesen, über eine Fülle an Reisemöglichkeiten zu verfügen und auch mein Spanisch war nicht so schlecht, als dass ich mich nicht hätte durchfragen könnten. Den ursprünglichen Plan, auf die Isla de la Juventud zu fahren, um dort einige Tage zu verbringen, hatte ich längst aufgegeben. Wenn ich nicht einmal eine Bus fand, wie sollte ich dann eine Reise, die darüber hinaus noch die Überfahrt mit einem Schiff erforderte, organisieren können?

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In Havanna (1)

Carolina musste zwei Meter hinter mir auf dem Bürgersteig laufen, als ich am Abend mit ihr hinunter zu einem Restaurant lief, schließlich war Prostitution in Cuba verboten, was auch gar nicht mein Ansinnen war. Vielmehr wollte ich jemanden aus der Stadt kennen lernen, um mehr über das verschlossene Land zu erfahren und da war mir ihre jugendliche Straßengang gerade recht gekommen, die mich fortwährend vor der Türe abgepasst hatte, kaum als ich das Hotel verließ. Der Deal bestand darin, dass ihre Kumpels sich zwei von meinen T-Shirts aussuchen durften und uns dafür an diesem Abend alleine ließen. Freilich wollten die Jungs irgendetwas von mir, aber anders als in Südamerika, konnte ich mich auf die Gruppe einlassen, denn Cuba war ein sehr sicheres Land, ein Polizeistaat, wo in jeder Ecke ein Polizist kauerte. Allerdings störte mich im Allgemeinen die Aufdringlichkeit der Frauen sehr, wusste man schließlich nicht, ob ein ernsthaftes und verständliches Interesse bestand, über eine Liaison das Land verlassen zu können oder ob es eher darum ging, im Nachgang eines Schäferstündchens den Reisenden um seine Bargeldbestände zu erleichtern. Tags zuvor hatte ich am Plaza de la Catedral einfach nur die Kant‘sche Kritik lesen wollen, als ich im zehn Minuten Takt von wechselnden Damen gestört worden war. Eine besonders aufdringliche junge Frau davon wollte nicht einmal gehen, als ich sie mehrfach dazu aufgefordert hatte. Die Konzentration auf die schwierige Schrift war danach freilich völlig abhanden gegkommen und ich hatte die Lektüre genervt zur Seite legen müssten. Allerdings muss ich eingestehen, wäre eine davon so ansehnlich gewesen wie Carolina, hätte ich mich schon mit ihr unterhalten. Carolina war hingegen nicht aufdringlich. Vielleicht war sie achtzehn Jahre alt, vielleicht auch nur sechzehn. Auf jeden Fall erzählte sie mir viel an diesem Abend von ihrem Leben in Havanna und von all den Schwierigkeiten, welche die Revolution für sie gebracht hatte, denn wie sonst auch überall auf der Welt, wo der Sozialismus herrschte, gab es allgegenwärtige Armut und Unterdrückung. Sie wollte auf jeden Fall noch etwas aus ihrem Leben machen und ich versprach ihr, als ich sie wieder bei ihrem Großvater in einem halb verfallenen Haus unweit von meinem Hotel abgegeben hatte, ihr zu helfen, wenn ich nach der geplanten drei wöchigen Rundreise durch das Land zurück in Havanna sein sollte.

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In Havanna (2)

Am kommenden Tag saß ich in einem Kleinbus, der ausdrücklich nur für Touristen gedacht war und an einem der besten Hotels in Havanna losfuhr. Es schien für Touristen hier die einzige Möglichkeit gewesen zu sein, von einem zum anderen Ort zu kommen, sieht man einmal von den Mietwagen ab. Das Ziel stellte die kleine, aber unter dem Protektorat des UNESCO Weltkulturerbes stehende Stadt Trinidad dar, die gut 300 Kilometer südöstlich von der Hauptstadt lag. Der Busfahrer war ein blonder Kerl, der perfektes Deutsch sprach, was mich sehr wunderte, doch bald klärte sich die Eigenart. Er gehörte zu den wenigen weißen Bürger des Landes und war in den Genuss gekommen, als ehemaliger Leistungssportler mehrere Jahre in der DDR verbringen zu dürfen. Ich unterhielt mich mit ihm über Land und Leute und man konnte kein schlechtes Wort aus ihm über seinen autoritären Staat entlocken. Man war hier wohl sehr vorsichtig, dachte ich mir, als wir an einem Gefängnis für politisch Verfolgte auf halber Strecke vorbei fuhren. Man musste schon vorsichtig sein, auf Cubas Straßen. Schlecht waren sie nicht, allerdings gab es immer wieder Bahnübergänge, die völlig ungesichert kreuzten und ich wunderte mich, ob die Mietwagenfahrer das wussten. Es dauerte etwa fünf Stunden, da kamen wir in dem idyllischen Städtchen an und zu meiner Schande war ich aufgrund der bisher weit höher als geplanten Ausgaben für die Unterkünfte nicht bereit dazu, ein Trinkgeld zu geben. Dabei wusste ich doch, dass man hier als Arzt kaum zehn Dollar im Monat verdienen konnte und es war mir ferner bekannt, wie die staatlich verabreichten Nahrungsmittelkontingente die Menschen kaum einen halben Monat ernährten.

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In Havanna (3)

In Trinidad dauerte es nicht lange, bis ich eine Unterkunft gefunden hatte. Ich wurde sehr herzlich von einem jungen Ehepaar aufgenommen, das über drei Zimmer verfügte, obwohl sie nur zwei hätten anbieten dürfen. So kam es, dass ich in einem versteckten hinteren Zimmer unterkam, welches jedoch über eine sehr schöne Aussicht auf die abfallende Landschaft bis hinunter zu dem Meer verfügte. Hier erfuhr ich auch, weswegen in Cuba die Unterkünfte im Verhältnis zu anderen Ländern in Lateinamerika so teuer waren, denn wie mir die Besitzerin erklärte, müsste sie als private Vermieterin für jedes Zimmer pauschal fünfzehn Dollar täglich an den Staat abführen. Dies galt unabhängig davon, ob es vermietet war, oder nicht und wie bereits erwähnt, waren nur zwei Zimmer erlaubt. In diesem Moment wurde mir auch bewusst, dass ich indirekt das schändliche Regime in diesem Land unterstützte. Auch wenn mir eine links verdrehte Person vor meiner Abfahrt daheim in Deutschland noch hatte weiß machen wollen, wie progressiv der kubanische Staat mit seiner sozialistischen Planwirtschaft war, ich verachtete dieses System auf das Äußerste und wurde immerdar bestätigt, wenn ich von jungen Leuten auf der Straße um eine Einladung nach Europa gebeten wurde. Dennoch stellte sich auch für mich die Frage, inwiefern es besser war, in einem Land ohne Freiheit zu leben und dafür in den Genuss absoluter Sicherheit zu kommen oder in einem freien, aber kriminellen Land wie man sie vielfach in Südamerika vorfinden konnte, sein Dasein zu fristen. Ich war rundum versorgt in meiner Unterkunft, die Besitzerin sprach gutes Englisch und kochte vorzüglich für mich. Es gab Fisch, Steaks und Hummer und auch die Frühstücke waren reichlich, doch freilich war auch das verboten, denn Touristen durften nur in offiziell lizenzierten Restaurants essen, damit auch hier der Staat zugreifen konnte. Ich wusste das und war froh, davon absehen und die Menschen hier unterstützen zu können.

Reiseberichte:

Travel Report 10/1: Von Havanna nach Trinidad
Travel Report 10/2: Auf den Spuren des Zuckerrohrs

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Stamps of the World

Travel Report 1/2: Gescheitert

1993, Los Angeles: Nachdem ich bei meinem ersten Aufenthalt in Übersee die Nacht in einem Motel in Los Angeles verbracht hatte, machte ich mich am kommenden Tag zu meinem ersten Ziel in der unendlich großen Stadt auf. Es sollte nach Venice Beach zum Cadillac Hotel gehen, das ich seit geraumer Zeit aus der Zeitschrift „Metal Hammer“ kannte. Der Glanz des Hotels, in dem sich früher Berühmtheiten wie Charlie Chaplin einquartiert hatten, war freilich längst erloschen, die Lage war aber optimal für einen Neuankömmling, da es direkt an der Promenade des berühmten Strandes angesiedelt war. Es war bereits früher Mittag, als ich aufbrach. Inzwischen  hatte ich beschlossen, die Strecke als eine Sightseeingtour durch die Stadt zu nutzen und die gut dreizehn Kilometer zu Fuß zurück zu legen. Schon an der ersten Straßenecke sah ich einen verlassenen Einkaufswagen und war froh über den willkommenen Zufall, da mehrere Sixpacks mit Becks Bier wie ein Stein in meiner Tasche lagen. Ausgestattet mit diesem neuen Utensil ging es gleich viel besser voran, auch wenn ich mir bei dem Anblick, den ich da abgab, recht komisch vorkam. Anhand der tags zuvor am Flughafen erworbenen Straßenkarte orientierte ich mich, während ich durch die weitläufigen Straßen schlenderte, die mit Reih an Reih stehenden einstöckigen kleinen Holzhäuschen gesäumt waren. Jedes davon war etwa so groß wie eine Doppelgarage und mit einem kleinen Garten versehen. Diese Weitläufigkeit mitten in der Stadt verwunderte mich sehr, ich verstand jetzt auch den Grund der unglaublichen Dimension der L.A. Metropol-Area und warum man hier ohne ein Fahrzeug kaum zu Recht kommen konnte. Ich vermute, dass ich über Westchester, die Centinela Avenue hinunter und weiter über Culver-West lief, wobei ich lange Zeit kreuz und quer in kleinen Nebenstraßen unterwegs war. Später behauptete ich, durch das Mexikaner-Viertel gelaufen zu sein, der genaue Verlauf des Fußmarsches lässt sich im Nachhinein aber nicht mehr rekonstruieren.

Nach etwa vier Stunden in sengender Hitze erreichte ich schließlich die Venice Beach und hier auch bald das Cadillac Hotel, in dem ich mich für fünfzig Dollar die Nacht einquartierte. Den Rest des Tages verbrachte ich an dem weltberühmten Strand und schaute mir die Umgebung an, wobei ich in einer Nebenstraße in die Dreharbeiten des kurz später erscheinenden Films „Speed“ lief, was ich allerdings erst einige Monate später im Kino realisieren sollte. Im Cadillac Hotel hatte man mein Gesuch, für freie Kost und Unterkunft bei der Reinigung des Hotels behilflich zu sein, bedauerlicherweise mit dem Verweis abgelehnt, dass es für diese Tätigkeiten derzeit bereits eine ausreichende Anzahl an Reisenden im Hotel geben würde. Meine Pläne hier in der Stadt Fuß zu fassen waren erst einmal durchkreuzt, ich würde mich ohne Job mit meinem Geld höchstens zehn Tage lange durchbringen können. Nach einigen Überlegungen, woanders einen zweiten Anlauf zu wagen, konnte ich mich mit dem Gedanken, ernsthaft auf Jobsuche zu gehen, nur noch bedingt anfreunden, zumal zu Hause in Deutschland keiner wusste wo ich war. Ich beschloss, mir erst einmal die Stadt anzusehen und über das weitere Vorgehen später zu entscheiden.

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Am Strip

Gemäß dieser Neuausrichtung der Reise nach Los Angeles unternahm ich in den kommenden Tagen mehrere Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Zunächst ging es in einen Stadtteil, der sich Bel Air nannte und den ich aus dem Lied „Angel City“ von Motörhead kannte. Von einem Taxifahrer ließ ich mich danach hinauf nach Hollywood bringen, um mir das Haus von Madonna anzusehen, welches um die Nachbarn zu ärgern in gestreiften Farben angestrichen war, wie mir mein Chauffeur beteuerte. Bei einem weiteren Ausflug ging es zu dem berühmten Rodeo Drive, mitunter eine der teuersten Einkaufsstraßen der Welt, anschließend besuchte ich noch den Walk of Fame und am Ende ging es nach Santa Barbara. Einige Tage später, die ich meistens an der Strandpromenade verbrachte, wo es mir immer langweiliger wurde, wusste ich noch immer nicht, wie es weiter gehen sollte und unternahm schließlich eine organisierte Sightseeing-Tour in einem Minibus zusammen mit etlichen britischen und französischen Touristen, die während der gesamten Fahrt über deutsche Touristen lästerten und anschließend große Augen machten, als ich mich an Ende des Ausflugs als solch einer ausgab. Unser Fahrer schwedischer Herkunft hatte auf der Fahrt viele Geschichten rund um Los Angeles erzählt, besonders als wir in den für seine Kriminalität weltweit bekannten Stadtteil South Central eingebogen waren, in dem die Crips und Bloods ihr Unwesen trieben und Monster Kody Scott (Sanyika Shakur) zu Hause war. Seine eigene Geschichte war für mich besonders spannend, schließlich handelte sie davon, wie er von Schweden nach Amerika kam und wie lange es gedauert hatte, bis er endlich Fuß fassen konnte. Er erzähltr, dass er während der ersten Jahre seines Aufenthalts in den USA harte Zeit durchleben und sich mit einer Vielzahl an schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs durchschlagen musste, um sich als illegaler Einwanderer über Wasser halten zu können. Erst nach Jahren war er in den Genuss einer offiziellen Arbeitserlaubnis gekommen und hatte schließlich die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen. Ob er da nicht lieber in Schweden geblieben wäre, dachte ich mir, wenn er es nach so viel Mühe jetzt nach Jahren gerade mal zum Fahrer eines Tourismusbüros geschafft hatte. Seine Geschichte hörte sich als alles andere an, als eine Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär, wie ich sie mir ausgemalt hatte. Von diesen Gedanken umtrieben und auch aufgrund meines rapide dahin schmelzenden Bargeldbestands, sah ich mich inzwischen genötigt, das USA Abenteuer in absehbarer Zeit zu beenden und mein Rückflugticket umzubuchen, damit ich in Kürze wieder nach Hause fliegen konnte. Schweren Herzens musste ich mir nun eingestehen, dass die erste Reise nach Übersee ein großartiger Flop gewesen ist und gemessen an ihren ursprünglichen Zielen, man sie als gescheitert bezeichnen musste, zumal ich nicht einmal das Whisky a Gogo zu Gesicht bekommen hatte.

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Am Rodeo Drive

Am Tag meines Rückfluges stand ich nervös an der Bushaltestelle, die ich tags zuvor ausfindig gemacht hatte. Der Bus zum Flughafen hätte schon längst da sein sollen, aber er kam und kam nicht und ich musste mir ernsthafte Gedanken machen, ob ich den Flug überhaupt noch erreichen konnte. An ein Taxi war nicht zu denken, ich hatte nur noch zwei Dollar übrig, exakt die Summe, die ich für den Bus benötigte. Dieser traf schließlich mit weit mehr als einer Stunde Verspätung ein und ich erreichte den Flughafen gerade noch eine halbe Stunde vor Abflug. Mit größter Eile rannte ich an den First Class Schalter von American Airlines, um die Schlange an der Economy zu umgehen und mein Gepäck aufzugeben. Zunächst sollte ich abgewiesen werden, doch als man sah, dass ich dermaßen knapp bei Zeit war und das Flugzeug womöglich schon mit dem Einstieg begonnen hatte, wurde das Gepäck eilig entgegen genommen und ich musste noch schnell einen Zettel mit der Bestätigung unterschreiben, dass ich keine Ansprüche stellen würde, sollte die Tasche nicht rechtzeitig in Deutschland ankommen. Anschließend ging es in aller Eile durch die Sicherheitszonen, zum Flugzeug, wo die Passagiere bereits am Einsteigen waren und ich es als letzter noch hinein schaffte. Wie üblich wurde damals auf den hinteren Platzreihen während des Fluges geraucht und gesoffen, so dass ich mir auch zwei oder drei Bier gönnte. Als ich bei meinem Zwischenstopp in Pittsburg angekommen war, schien es einige Stunden zu dauern, bis der Anschlussflug zurück nach Frankfurt am Main starten sollte. Welcher Trugschluss, der beinahe dazu geführt hätte, schon wieder fast das Flugzeug zu verpassen. Ich hatte die Zeitumstellung vergessen und bemerkte den Fauxpas erst im letzten Moment, als mich ein anderer Passagier zufälligerweise nach der Zeit fragte. Erneut kam ich in der letzten Minute am Abflugsteig an und als ich anschließend im Flugzeug durchatmete, nahm ich mir vor, zukünftig geplanter und geordneter zu reisen und weniger Chaos walten zu lassen.

Zurück in Deutschland, in dem kleinen Städtchen namens Kelsterbach, in dem die Reise begonnen hatte, war der Tag von einem dunklen, kühlen und  widrigen Oktoberwetter umgeben. Unbehelligt von den ganzen Drohschildern des Abschleppdienstes stand mein Auto noch am selben Platz im absoluten Halteverbot direkt am Bahnhof und ich hatte nicht einmal einen Strafzettel bekommen. So recht wusste ich aber nicht, ob ich lachen oder weinen sollte, denn obwohl ich mein Auto mit Absicht nicht abgeschlossen hatte (Travel Report 1/1), war die Seitenscheibe eingeschlagen und das Radio gestohlen. Jetzt fuhr ich in Richtung Stuttgart und musste daheim erst mal erklären, wo ich die ganze Zeit gesteckt hatte.

Reiseberichte:

Travel Report 1/1: Auswanderungswillig
Travel Report 1/2: Gescheitert

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Travel Report 1/1: Auswanderungswillig

1993, Baden Württemberg: In voller Lautstärke dröhnte der Song „Welcome to the Jungle“ aus den Boxen, als ich die Autobahn entlang der beschaulichen Löwensteiner Berge hinunter fuhr und als mich plötzlich der dringende Wunsch überkam, nach Los Angeles zu fliegen. Pläne und Gedanken dieser Art hatten mich schon seit geraumer Zeit umgetrieben, denn schließlich kamen neben „Guns and Roses“ von dort auch noch einige der anderen meiner favorisierten Rockbands her und mein Lebensstil hätte meiner Ansicht nach schon seit langem eher zum sonnigen Kalifornien als zu einer ländlichen Region Südwestdeutschlands gepasst. In vielen Reportagen über die Stadt und die dortige Musik- und Nightlifeszene, hatte sich bei mir das Bild einer Welt von Freiheit, Sonne und Strand eingeprägt, das es erstrebenswert erscheinen ließ, einmal dort einen Besuch abzustatten oder am besten gleich dorthin auszuwandern. Wenn schon, warum nicht jetzt, überlegte ich mir, während ich noch ein paar Kilometer weiter fuhr, ehe sich mein Entschluss soweit verfestigt hatte, dass ich bei der nächsten Ausfahrt umdrehte, um an den Flughafen nach Frankfurt am Main zu fahren, der etwa zwei Autostunden entfernt lag. Das kleine Örtchen, in dem ich mein Auto direkt am Bahnhof abstellte, nannte sich Kelsterbach und lag in unmittelbarer Nachbarschaft des Flughafens. Aufgrund dieser Nähe war der gesamte Ort für Dauerparker gesperrt und die Anzahl der Warnschilder vom Abschleppdienst drängten sich dicht an dicht auf den Garagen, Ausfahrten und Parkplätzen.  Doch das war mir in diesem Moment egal, sollte man meinen Wagen doch abschleppen, eher wollte ich ja auswandern und ein Star im „Whisky a Gogo“ werden, als nur einen Kurztrip in die weit entfernte Stadt im Westen der USA zu unternehmen. Ganz sicher war ich mir meiner Sache aber nicht, so unterließ ich es, das Fahrzeug abzuschließen. Sollte ich doch wieder zurückkommen und das Auto benötigen, hoffte ich dadurch, dass man die Scheiben meines Fahrzeugs nicht einschlagen würde, wenn man das Radio aus dem Fahrzeug stehlen wollte. Um das Auto selbst machte ich mir keine Sorgen, es war rein gar nichts wert, längst ohne TÜV und technisch eigentlich gar nicht mehr auf dem Stand der Verkehrszulässigkeit, schließlich hatte ich zu dieser Zeit die Angewohnheit, am selben Tag als ich mir ein Auto zulegte, auch ein Paar Schuhe zu kaufen, wobei die Schuhe teurer sein mussten als der Wagen, was mir auch meistens gelang. Im Flughafen tauschte ich zunächst sechs oder sieben Schecks zu je vierhundert Mark ein, mit denen ich das Flugticket finanzierte. Außerdem benötigte ich ausreichend Startkapital, mit dem ich mich die ersten Tage in den USA durchschlagen konnte und ich musste mir noch eine Tasche, einige Drogerieartikel, sowie ein Handtuch und diverse Kleidungsstücke zulegen. Nach etwa zwei Stunden war alles erledigt und es war auch schon die Zeit gekommen, zum Flugsteig zu gehen. Die Reise ging los, mein erster Flug überhaupt und mein erster Aufenthalt außerhalb von Westeuropa stand an.

015

Zu Fuß durch LA

Nach vielen Stunden in der Luft, ich wunderte mich, warum wir über Grönland geflogen waren, wechselte ich im Zuge eines Zwischenstopps in Pittsburg das Flugzeug. Der anschließende Inlandsflug führte quer durch die USA, wobei das Flugzeug langsamer war als die eintretende Dämmerung und ich aufgrund der einziehenden Nacht, zunehmend die ausgedehnten amerikanischen Städte wie leuchtende Inseln schimmernd unter mir sehen konnte. Am Ziel angekommen, drehte das Flugzeug auf den LA International Airport ein und der Blick über das achtzig Mal hundertfünfzig Kilometer ausgedehnte Lichtermeer dieser aufregenden Stadt raubte mir sogleich den Atem, hatte ich so etwas ja noch nie gesehen. Gleich kam der Entschluss, das Ereignis nach meiner Ankunft unbedingt mit zwei oder drei Dosen Bier feiern. Allerdings hatte ich gehört, dass man in den USA erst ab dem 21. Lebensjahr Alkohol kaufen durfte und ich wusste nicht, ob das auch für mich als Ausländer galt. Ein bisschen Bedenken hatte ich auch wegen der Prozedur bei der Immigration, da ich kaum Gepäck mit mir führte und man mich am Zoll für einen einwanderungswilligen Habenichts hätte halten können. Doch es lief alles problemlos und kaum eine halbe Stunde nach dem die Maschine gelandet war, stand ich schon vor dem Flughafen und wusste nicht wohin. Im Flughafen hatte ich noch einen Stadtplan gekauft und ausgemacht, dass die Venice Beach, was mein erster Aufenthaltsort sein sollte, mindestens zehn Kilometer vom Flughafen entfernt lag. Ein Hotel hatte ich auch nicht gebucht, Internet gab es noch nicht und über andere Informationsquellen hatte ich mich aufgrund des kurzfristigen Entschlusses hierher zu kommen, nicht informieren können. Ich überlegte mir, dass es wahrscheinlich keine gute Idee wäre, jetzt noch in die Stadt zu fahren und beschloss, mich von einem Taxi in ein Motel in der Nähe des Flughafens fahren zu lassen, in dem ich mich erst einmal von dem Flug erholen, feiern und alles weitere am kommenden Tag regeln wollte.

007

Am Venice Beach

Das Motel war eine recht schlichte und einfache Einrichtung, hatte aber den Vorzug, dass sich ein Liquor Store direkt gegenüber befand. Ich war ja von ernsthaften Sorgen umtrieben gewesen, man würde mir hier kein Bier verkaufen, zumal ich zwar achtzehn Jahre alt war, aber viel jünger, eher wie ein sechzehnjähriger aussah. Jetzt lag ich auf meiner Couch, war gleich mit mehreren Sixpacks der Marke Becks ausgestattet und zappte zwischen amerikanischen Kitschserien und Sportsendungen im Fernsehen hin und her. Der Liquor Store, den ich gleich nach dem einchecken im Motel besuchte, war von einem Chinesen betrieben worden. Ich hatte mir vorgenommen, im Falle der Ablehnung meines Kaufgesuchs, ihm unter zu Hilfenahme meines österreichischen Reisepasses zu verdeutlichen, als österreichischer Staatsbürger bereits ab einem Alter von sechzehn Jahren über die Erlaubnis des Alkoholkonsums zu verfügen. Aber der Chinese fragte erst gar nicht nach meinem Alter, was mich dazu verleitete, die Gunst der Stunde zu nutzen und mir gleich einen Proviant anzulegen, damit ich in den kommenden Tagen nicht in irgendwelche Versorgungsschwierigkeiten kommen würde. Nach dem Besuch des Liquor Stores und als ich wieder zurück im Motel angekommen war, hatte ich noch ein paar Worte mit dem Rezeptionisten gesprochen. Es handelte sich um einen armen Kerl, der gerade mal eine Handvoll Dollar für seine Nachtschicht bekam. Der Verdienst dieses Mannes stellte lediglich einen Bruchteil von dem dar, was ich in Deutschland bei meinen vielen Gelegenheitsjobs in diversen Fabriken verdienen konnte. Ich war zwar in Europa bereits in vielen Ländern gewesen, aber noch nicht in Übersee, so dass ich wenig Ahnung von den USA hatte und der Rezeptionist schien zu einem anderen Amerika zu gehören, als ich es mir ausgemalt hatte und wie ich es aus den „Ein Colt für alle Fälle“ Sendungen bisher kannte. Es kamen plötzlich die ersten Zweifel auf, ob ich hier überhaupt in der Lage war, dauerhaft Fuß fassen zu können.

Reiseberichte:

Travel Report 1/1: Auswanderungswillig
Travel Report 1/2: Gescheitert

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Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

2010, Sary Tash/Kirgisien: In dem Gästehaus in Sary Tash (Travel 14/6) wurde ich sehr herzlich empfangen, die junge Enkelin, die hier mit ihren Großeltern wohnte, sprach auch ganz gut Englisch und unterhielt sich mit mir, während mich das alte Pärchen mit Tee und Wodka versorgte. Es war inzwischen Abend geworden und ich vereinbarte mit dem Großvater, dass er mich am kommenden Tag an die chinesische Grenze fahren sollte, die ungefähr 80 Kilometer entfernt war. Alternativ und weitaus kostengünstiger hätte ich auch mit einem LKW per Anhalter an die Grenze kommen können, doch das war mir zu unsicher, zumal diese von 11:30 bis um 14:00 Uhr geschlossen war, ich somit zeitig ankommen musste. Am kommenden Morgen schien die Sonne und ich wanderte ein Stück den Hügel hinter dem Dörfchen hinauf, um von dort die mächtige mit Schnee bedeckte Gebirgskette des Pamir zu bewundern. Es war ein herrlicher Morgen im kirgisischen Bergland und ich konnte ausgezeichnete Bilder von der Morgensonne, den Ziegen und Pferden um mich herum auf der Weide und dem Dörfchen unter mir machen. Da sah ich den Alten, der mich zur Grenze bringen sollte, mit einen platten Reifen davon laufen und etwas abseits befand sich sein aufgebocktes Auto. Mein Gott, dachte ich, hoffentlich schafft er es rechtzeitig diesen zu flicken, ich wollte ja so früh wie möglich an der Grenze sein. Es dauerte gut eine drei viertel Stunde, bis er zurückkam und den reparierten Reifen wieder aufschraubte. Ich hoffte, dass die Chinesen die Straße zur Grenze schon so weit ausgebaut hatten, dass wir weitgehend auf einer ordentlichen Piste fahren konnten und der Reifen halten würde. In der Tat, die Chinesen hatten ganze Arbeit geleistet, im Reiseführer war noch von einer der schlimmsten Rüttelstrecken überhaupt die Rede gewesen und jetzt waren drei Viertel der Straße schon asphaltiert, so dass sich unsere Fahrt, die durch eine grandiose Landschaft führte, recht einfach gestaltete. Das war Entwicklungshilfe chinesischer Art, bei der chinesische Arbeiter eine Straße von der Provinz Xinjang bis hinunter ins Fergana-Tal bauten und keine Entwicklungshilfe europäischer Art, die in den Hosentaschen der Diktatoren verschwand.

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Sary Tash

Der kirgisische Grenzposten, den ich gegen zehn Uhr erreichte, war ein einziges Ärgernis. Ich war neben den LKWs, die auf der anderen Seite vorbei fuhren, der einzige Reisende überhaupt, der die Emigration besuchen musste. Hier wartete ich in einem Vorzimmer, endlich behandelt zu werden, ich vermutete ja eine vollständige Durchsuchung meiner Person und wusste aus leidlichen Erfahrungen, wie lange das dauern konnte. Der Grenzbeamte sollte vorwärts machen, damit ich rechtzeitig vor 11:30 Uhr auf der chinesischen Seite ankommen würde, ehe dort dir Mittagspause anbrechen würde. Nachdem ich eine viertel Stunde in dem Vorzimmer gewartet hatte, klopfte ich verlegen gegen die Tür des Beamten und öffnete diese einen Spalt. Er saß mit den Füßen auf dem Schreibtisch und rauchte Zigaretten, zu tun hatte er nichts. Er wank mich weg und diese Prozedur wiederholte sich noch zwei Mal, ehe er mir zurief „you can go“. Ich holte dann an einem zweiten Schalter meinen Ausreisestempel und sprang in einen der LKWs, da es noch sieben Kilometer bis zu den Chinesen war. Hier fand ich eine ganz andere Situation vor, indem ein Grenzbeamter mich persönlich willkommen hieß und mir mitteilte, mir bei dem gesamten Immigrationsprozess zur Seite zu stehen, damit dieser zu meiner vollen Zufriedenheit verlaufe. Ich war beinahe gerührt von derartigem Service und es war ein Kinderspiel, die Formalitäten zu erledigen. Kaum zwei Stunden später war ich mit einem Taxi in dem gut hundert Kilometer von der Grenze entfernt liegenden Kashgar in der Provinz Xinjang eingetroffen. Hier sah nichts nach China aus, weder die Menschen, noch die Schriftzeichen, noch die Häuser, hier war ich bei den Uiguren angekommen.

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Bei den Uiguren

Wie sollte es nun weiter gehen sinnierte ich, als ich im Gwinibag Hotel in der Mitte Kashgars im Garten saß und die restliche Zeit der Reise sinnvoll verplanen wollte. Es gab eine Wüste in der Nähe, die man sich anschauen konnte. Als weitere Option war eine Stippvisite bei einem Base Camp für Bergsteiger auf 5.400 Metern Höhe mit dem Helikopter möglich, oder die Befahrung des ersten Teils des Karakorum Highways hinauf an die pakistanische Grenze. Außerdem musste ich noch nach Urumqui kommen, von wo aus mein Flugzeug zurück nach Almaty ging, alles auf dem Landweg zu bewerkstelligen hatte ich inzwischen schweren Herzens verworfen, gleichwohl ein Überflug ja nicht als Reisestrecke gelten darf. Ich war aus dem Internet darüber informiert, dass die Bahntickets von Kashgar nach Urumqui knapp waren und am Bahnhof fand ich tatsächlich eine unlösbare Aufgabe vor. Gut hundert Leute standen vor den Schaltern herum und Schlange stehen ist nicht der Chinesen liebstes Kind. Es wurde gestritten und diskutiert und man konnte keinen Fortschritt der Warteschlange erkennen. Für mich war es also ganz unmöglich hier ein Zugticket zu kaufen, selbst wenn ich es an die vorderste Stelle bis zum Schalterbeamten geschafft hätte, was mir in einer ähnlichen Situation in Afrika schon einmal gelungen war, wer hätte mir garantiert, dass es noch Karten gab, dass ich mich verständigen hätte können oder dass ich überhaupt am richtigen Schalter angestanden war? Ich musste also nicht nur von Urumqui nach Almaty, sondern auch von Kashgar nach Urumqui fliegen und verwunderte mich, warum ich in so einem fortschrittlichen Land wie China, die Zugtickets nicht online kaufen konnte. Am nächsten Tag erwies sich die Entscheidung zu fliegen als reiner Segen. Schon morgens drehte mir es den Magen von dem widerlichen Frühstück herum, ich glaube es war Spinat mit rohen Eiern. Zur Mittagszeit musste ich sofort nach dem Essen mit zugehaltenem Mund in mein Zimmer rennen, um mich dort zu übergeben. Ich wusste zuerst nicht, ob ich das schaffen würde und überlegte mir noch, als ich die Eingangstüre des Hotels hinein rannte, ob ich nicht lieber in die Blumenkübel vor dem Hotel spucken sollte, als etwa in das Treppenhaus. Mit viel Mühe gelang es mir das Zimmer mit zugepresstem Mund zu erreichen und mich zu erleichtern, den darauf folgenden Tag war ich dann Magenkrank und wurde erst am übernächsten Tag aufgrund meiner strikten Fladenbrotkur wieder gesund. In diesem Zustand hätte ich niemals zwanzig Stunden mit der Bahn in einem engen Kabinenabteil fahren können.

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In Richtung Pakistan

Als ich wieder auf den Beinen war, entschied ich mich, nach Pakistan hoch zu fahren, für die beiden anderen Trips auf das Basecamp oder in die Wüste blieb jetzt keine Zeit mehr. Ich war sehr zufrieden, denn der Ausflug bot einiges. Landschaftlich war die Strecke abwechslungsreich und interessant, auch sah ich zum ersten Mal mongolisch anmutende Jurten, in denen die einheimischen Nomaden lebten. An der Grenze nach Pakistan war dann Schluss für mich, ich wünschte den vielen Motorradfahrern aus aller Welt, die weiter bis nach Gilgit oder Islamabad fuhren noch viel Glück und drehte um. Am kommenden Tag ging mein Flugzeug nach Urumqui, wo von Uiguren nichts mehr zu sehen war und die hier angesiedelten Han Chinesen das Bild der Stadt prägten. Zum ersten Mal kam ich mir nach vier Wochen wieder vor, als wäre ich in der westlichen Zivilisation angekommen. Die Stadt war mit 1,5 Millionen Einwohnern für chinesische Verhältnisse zwar eher eine Kleinstadt, doch sie verfügte über sämtliche Annehmlichkeiten, die ich von zu Hause aus kannte. Aufgrund eines Missverständnisses zwischen der Rezeption und mir, lernte ich hier im Hotel, was das Handeln in China bedeuten konnte. Mein Zimmer sollte laut Aushang gut 100 Dollar pro Nacht kosten und irgendwie scheint das Personal der Auffassung gewesen zu sein, ich wollte für die beiden Nächte, die ich in der Stadt blieb, insgesamt nur 100 Dollar zahlen, worauf mir der Preis zu meinem Verdutzen sogleich auch zugestanden wurde. Eigentlich hatte ich nur sagen wollen, ich müsste zuerst Geld am Automaten holen, als ich auf den Hundert Dollar Schein wild gestikulierend deutete.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans

2010, Tadschikistan: Ich erschrak, als mich der Fahrer mit ernster Miene anschaute, während wir holpernd über eine breite Front herabgeschwemmter Geröllmassen fuhren und mir „Village gone in the River“ zurief. Als ich mich umschaute, sah ich wie die braunen Bergdörfer fast ausschließlich an Steilhängen lagen und bemerkte auch die vielen Moränen, die zwischen den herabfallenden Felswänden herunter geschwemmt worden waren. Einzelne Bauernhöfe hingen in schwindelnder Höhe an den Steilhängen weit oben am Berg angenagelt wie ein Bild an der Wand und vermittelten einen Eindruck, als könnten sie jederzeit herunter rutschen. Ich erschauderte, als ich mir vorstellte, wie eine Gerölllawine die einfachen Lehmhütten der Bergbewohner im Handumdrehen mit sich hinunter in die Schlucht reißen konnte und war froh darüber, einen außerordentlich schönen und wolkenlosen Sommertag erwischt zu haben. Es hatte insgesamt gut drei Stunden gedauert, bis ich von Panjakent über einen Gebirgspass in der abgelegenen Landschaft der sieben Seen mitten im sogenannten Fangebirge angekommen war. Glaubt man der Legende, so verschwand in dieser Bergregion einmal ein alter Mann, den seine Töchter vergeblich suchten, worauf sie vor lauter Trauer die Seen mit ihren Tränen füllten. In Wirklichkeit muss es ein gewaltiges Erdbeben gewesen sein, dass die 4.000 Meter hohen, umliegenden Gebirgsketten auseinander gerissen und die Seelandschaft gebildet hatte.

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In Duschanbe

Nachdem die Schotterpiste hinter dem sechsten See in einem Ziegenhain mündete, stieg ich aus dem Jeep aus und begann mit meiner Wanderung zu dem obersten der sieben Seen. Friedlich saßen einige Ziegenhirtinnen unter den Schatten spendenden Sträuchern, sie wohnten wohl in dem kleinen romantisch anmutenden Lehmdorf, welches zu meiner linken Seite lag und hatten den ganzen Tag kaum mehr zu tun, als auf die Tiere aufzupassen. Das Leben schien in diesem abgelegenen Gebirge entschleunigt und ruhig zu verlaufen, weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten führte man ein von technischen Errungenschaften abgeschnittenes Leben, Mobiltelefone oder Satellitenschüsseln gab es nicht und der nächste Marktflecken war einen Tagesmarsch entfernt. Besonders hübsch war die bunte trachtenförmige Kleidung der Kinder, die mir fröhlich auf dem Wanderpfad hinterher sprangen  und deren Freude jedes Mal riesig war, wenn ich ein Foto von ihnen machte und es gleich im Anschluss auf dem Kameradisplay zeigte. Gleichzeitig konnte man auch die Verletzlichkeit erkennen, wenn im benachbarten Afghanistan auf der anderen Seite des Berges der Terror in die Dörfer getragen wurde. Kaum ein erwachsener Mann hier reichte über meine Schulter hinaus und niemand hätte sich gegen die Banditen verteidigen können. Als einziges Fortbewegungsmittel waren mir die Esel aufgefallen, auf denen allerlei Sackware hin und her bewegt wurde. Kein Fahrzeug weit und breit, ich genoss den Tag in einer anderen Welt, der Welt der tajikischen Bergbauern.

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Bergwelten

Zwei Tage später saß ich in Duschanbe auf einer Parkbank und überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Mein Rückflug ging von Almaty nach Deutschland, ich wollte aber unbedingt noch das Pamir-Gebirge bereisen und danach entweder durch Kirgisien oder über China zurück nach Kasachstan fahren. Den Sammelplatz für die Jeeps, die von Duschanbe entlang der afghanischen Grenze nach Khorog fuhren, hatte ich schon ausgemacht. Die Fahrt dauerte laut diversen Berichten im Internet zwischen achtzehn und vierundzwanzig Stunden, auch zog ich alternativ einen Flug in Erwägung. Allerdings startete die Propellermaschine nur bei klarer Sicht, was die ganze Sache etwas unkalkulierbar machte und es handelte sich bei der Strecke von Duschanbe nach Khorog wohl um eine der abenteuerlichsten Flugrouten überhaupt, die von einem Linienflug bedient wird. Nicht nur war es angeblich schon mehrfach vorgekommen, dass es das Flugzeug nicht über den dazwischen liegenden Berg schaffte, auch war schon einmal eine Maschine von der afghanischen Seite aus mit einer Rakete herunter geholt geworden. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht, doch da die Sonne bereits seit dem Vortag vom afghanischen Wüstensand getrübt war, entschloss ich mich, auf den Flug zu verzichten, so atemberaubend er auch gewesen wäre. Den weiteren Verlauf des Tages nutzte ich, um in Duschanbe, der Hauptstadt Tajikistans herum zu wandern. Die gepflegte Atmosphäre verwunderte mich, war das Land doch eines der ärmsten der Welt, aber ebenso so wie in Usbekistan, war keine tiefgreifende Armut sichtbar. Die Menschen sahen allerdings etwas anders aus als im Nachbarstaat, auffällig waren insbesondere die wuchtigen Augenbrauen, nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den Frauen.

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Unterwegs 1

Ich freute mich schon auf die Fahrt nach Khorog, als ich am kommenden Morgen in aller Frühe um sechs Uhr an der Sammelstelle der Geländewagen ankam. Bereits die Fahrt von Panjakent nach Duschanbe war ein großartiges Spektakel zwischen Schluchten und Serpentinen gewesen. Die Fahrt nach Khorog sollte noch weit aus abenteuerlicher werden, so stand es zumindest in den Reiseblogs. Leider hatte ich meinen Proviant in Form einer Salami im Hotel vergessen, was mich äußerst ärgerte, da ich vermutlich bis zum kommenden Tag jetzt nichts zu essen bekommen sollte. Es dauerte ewig, bis es los ging, einfach weil es zu wenige Passagiere gab und ich auf den falschen Jeep gesetzt hatte. Erst um halb elf Uhr morgens löste mich ein anderer Fahrer aus, dem nur noch ein Passagier fehlte, so dass der gesamte Zeitplan durcheinander gekommen war. Eigentlich wollte ich unbedingt noch bei Tageslicht am Pandsch-Fluss ankommen, der Afghanistan von Tajikistan trennt, um die eindrucksvolle Landschaft genießen zu können, doch das schien nun kaum noch möglich zu sein. Ich kam in den Genuss, auf dem Beifahrersitz des Toyota 4X4 Minibusses Platz nehmen zu dürfen, hinter mir saßen zwei Frauen mit mehreren Kindern und ein Ehepaar. Ich befürchtete eine langsame Fahrt gegenüber den kraftvollen Geländewagen, doch der Fahrer gab Gas und das Auto schien Power zu haben, so dass es schneller als geplant voran ging. In Tajikistan gab es wohl noch mehr Schlagbäume und Polizeikontrollen als in den anderen Ländern Zentralasiens, die ich bisher gesehen hatte. Es müssen gut dreißig gewesen sein, bis wir bei Einbruch der Dunkelheit den Pandsch erreichten und jedes Mal durfte der Fahrer gegen eine Summe von einem Somoni (ca. 10 Cent) weiterfahren. Wir hatten bisher erst einmal angehalten um Schlechtsprit zu tanken und mein Magen knurrte gehörig, als sich die gesamte Fahrgemeinschaft in ein Restaurant begab, um Schaschlik und Fladenbrot zu essen.

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Bei dem Tanken

Nach meinen Schätzungen muss die senkrechte Felswand mindestens einen Kilometer abfällig gewesen sein, bis die Straße ein paar Meter wie eine Stufe herausragte und die Wand dann weitere hundert bis zweihundert Meter senkrecht in den Fluss abfiel. So war es an diesem Flussufer auf der Seite Tajikistans und so war es auf der anderen Seite des Pandsch in Afghanistan und so sollte es die kommenden zweihundert Kilometer weiter gehen. Ich verstand jetzt auch, weswegen eine Infrastrukturhilfe, die ich anstelle der im Korruptionssumpf zerfließenden Entwicklungshilfe forderte, völlig unnütze war, denn die Felsbrocken, die von den Wänden herunter kamen, nahmen die Hälfte der Straße mit in den Fluss, wie man an vielen Stellen eindrucksvoll sehen konnte. Es wurde auch so des Öfteren recht knapp, wenn andere Fahrzeuge entgegen kamen und noch enger, wenn wie beschrieben, ein ganzes Stück der Straße weg geschlagen war. Dementsprechend langsam ging es voran, als der Fahrer sich eine halbe Stunde Auszeit nahm und das Steuer für eine kurze Zeit an einen der Passagiere übergab. Ich vermute die Fahrt verlangsamte sich von siebzig bis achtzig Stundenkilometer auf unter zehn im Durchschnitt und war bereits vorbei, als an einer engen Stelle das erste Fahrzeug entgegen kam, was den neuen Steuermann völlig überforderte, worauf der eigentliche Fahrer wieder das Ruder übernehmen musste. Es war wirklich Maßarbeit für die Fahrer hier aneinander vorbei zu kommen und immer drohte rechts unten der Fluss, der mit großer Geschwindigkeit durch die Schlucht hindurch strömte. Ich verfiel in einen seltsamen Halbschlaf und nahm die Fahrt nur noch wie in Trance wahr, der volle Mond umhüllt von Wolken und die Silhouette der beiden Felswände dies und jenseits der Schlucht, sowie die Lichter aus den Dörfern des benachbarten Afghanistan verbreiteten eine surreale Atmosphäre. Plötzlich rüttelte es an meiner Hand, ich war eingeschlafen und der Fahrer hatte mich aufgeweckt. Wir standen vor einem Hotel in Khorog, es war inzwischen halb ein Uhr nachts und wir hatten die Fahrt in nur vierzehn Stunden hinter uns gebracht.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Panjakent

2010, Khiva: Nachdem ich mich von dem Ausflug an den vertrockneten Aralsee (Travel Report 14/3) einen weiteren Tag in Khiva erholt hatte, schickte ich Nikolai zum Bahnhof, damit er dort zwei Tickets nach Samarkand und Tashkent lösen würde, meine Pläne nach Turkmenistan weiter zu fahren, hatte ich inzwischen begraben (Travel 14/1). Nikolai wollte zurück nach Tashkent, während ich in Samarkand, der berühmten alten Stadt an der Seidenstraße, nur einen kurzen Zwischenstopp einplante und primär das Ziel verfolgte, weiter nach Tajikistan zu fahren. Bereits in Kasachstan, als meine Reise begonnen hatte, ging die Nachricht um, der tajikische Präsident Emomalii Rahmon hätte einen Herzanfall erlitten. Ich hoffte, der Präsident würde noch die Zeit meines Aufenthaltes durchhalten, denn die Lage in dem schroffen Gebirgsland war alles andere als gefestigt. Bis 1997 hatte ein Bürgerkrieg getobt und es konnten im Falle eines politischen Vakuums jederzeit die alten Gräben wieder aufbrechen, zumal die Pamir-Region weiter nach Unabhängigkeit strebte. Als zweites bedrückte mich die Sorge um mein Bargeld, das ich bei der Einreise von den tajikischen Grenzbeamten zählen lassen musste. Es war schließlich nur erlaubt auch die Menge an Geld wieder mit zu nehmen, die zuvor bei der Einreise zertifiziert worden war. Drittens war mir von der Registrierungspflicht bei der Polizei, der man spätestens am dritten Tage des Aufenthaltes in dem Land nachkommen musste, nichts Gutes zu Ohren gekommen. Die Korruption war allgegenwärtig und die Öffnungszeiten der Registrierungsstellen alles andere als kundenfreundlich, vorausgesetzt, man konnte diese überhaupt finden und sich dort verständigen.

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Samarkand am Morgen

Die Sonne glühte auf den stählernen gelben Waggon ein, in dem ich am kommenden Tag zusammen mit dem russischen Professor saß, es war als sollten wir gegart werden. Bei verlangsamter Zugfahrt, was überaus oft vorkam, führte der ausbleibende Fahrtwind zu regelrechten Schweißausbrüchen bei mir und bei den anderen Passagieren um mich herum. Fleißig wurde dann allerseits mit bunten Taschentüchern nach Luft gewedelt, doch viel genutzt hat es nicht. Ich schaute auf die vorbei ziehende braune und versandete Landschaft, wie sollen wir bei dieser Hitze in der Nacht nur schlafen können, fragte ich mich. Die Zugfahrt dauerte gut achtzehn Stunden und meine Ankunft in Samarkand war gegen sechs Uhr morgens geplant. Wir saßen in einem typischen Waggon russischer Bauart mit sechs Klappbetten in jedem Abteil, drei davon auf jeder Seite, ich musste mit dem obersten Bett vorlieb nehmen, in dem es natürlich am wärmsten war. Aber alle Sorgen dieser Art verschwanden auf einen Schlag, als ich in die Augen einer jungen Dame blickte, die wohl aufgrund unseres westlichen Aussehens auf uns aufmerksam geworden war und uns nun mit einem hübschen Lächeln Gurken- und Tomatensalat aus einer Plastikschüssel anbot und uns dazu Fladenbrot reichte. Gleichzeitig erschrak ich über das Aussehen ihrer Freundin, die mir geradewegs in das Gesicht lachte und wohl kaum älter als zwanzig Jahre alt war, doch schon über ein Gebiss aus purem Gold verfügte. Wir luden die beiden dazu ein, sich zu uns zu gesellen, schließlich gab die Landschaft außerhalb des Zuges weitaus weniger reizvolles her. Nach einer kurzen Konversation stellte sich heraus, dass die Hübsche Nodira Jaberganova hieß und als Deutschlehrerin in Nukus arbeitet, doch ungeachtet dieser Tatsache war es kaum möglich, eine vernünftige Unterhaltung mit ihr zu führen, denn in Wirklichkeit war es nicht weit her mit ihren Deutschkenntnissen. Nikolai musste also übersetzten und bevor wir uns einige Stunden später zum Schlafen legten, bekam ich noch einen Heiratsantrag gestellt und die eMail Adresse überreicht, schnell hatte wohl das reiche Europa gelockt. Dabei hinterließ Usbekistan bisher einen sehr guten Eindruck bei mir, immerhin gab es keine sichtbare Armut und die Menschen schienen ungeachtet der strikten Diktatur bis zu einem gewissen Grad ihre Freiheit genießen zu können.

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Schluchtenwelt

Am kommenden Morgen war ich bereits um fünf Uhr wach, verabschiedete mich von Nikolai und während ich aus dem Zug stieg, um den Bahnsteig von Samarkand zu betreten, winkten mir die beiden jungen Damen noch hinterher. Als sich der Zug wieder langsam in Bewegung setzte, eilte ich im Morgengrauen vom Bahnhof zu dem weltbekannten Registanplatz, um mir diese wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt kurz anzusehen und dann schnell weiter nach Tajikistan zu reisen. Noch immer waren meine Gedanken bei Nodira, die so typisch wie die meisten Frauen in Usbekistan ausgesehen hatte. Man konnte in ihren Gesichtern einen leichten russischen und einen leichten fernöstlichen Schimmer erkennen, wusste aber nicht so recht, in welche Himmelsrichtung man sie zuordnen sollte. Die kunterbunten Suzuni-Kleider waren so dünn und knapp geschnitten, dass man kaum erahnen konnte, sich in einem islamisch geprägten Land zu befinden und ähnlich wie in Japan lächelten die Frauen unentwegt. Als ich nach einer halben Stunde am Registanplatz ankam, war ich der erste Tourist, der das historische Wahrzeichen aus dem 15. Jahrhundert in diesen frühen Morgenstunden besuchen durfte und wollte gleich das weiche Licht dazu nutzen, die im Angesicht der ersten Sonnenstrahlen glitzernden, blau gekachelten Medressen zu fotografieren. Kaum hatte ich den Fotoapparat ausgepackt, stand schon ein junger Polizist an meiner Seite und bot mir an, mir gegen ein kleines Trinkgeld ein geheimes Tor zu öffnen, das zu einer Treppe hinauf auf einen der Türme führen sollte. Er rief mir noch hinterher, bloß vorsichtig zu sein und schnell begriff ich auch den Grund hierfür. Das gesamte innere des alten Bauwerks war zusammengefallen und es war erforderlich über Schuttmassen und Holzleitern zu steigen, schließlich noch ein Gerüst hinaufzuklettern, ehe man im Gewölbe ankam, wo ich mit einem herrlichen Blick auf die rötlich warm beleuchtete Stadt belohnt wurde. Als ich diesen Moment für einige Minuten genossen hatte und wieder zurück auf dem Platz angekommen war, sah ich bereits die ersten Besucher einströmen, es war die Zeit gekommen, weiter an die Grenze zu fahren.

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Bei den 7 Seen

Als mein Bargeld, etwa 1.000 US-Dollar in kleinen Scheinen, auf dem Tisch des tajikischen Grenzbeamten lag, damit dieser es offiziell registrieren konnte und ich dadurch befugt war, das Geld bei der Ausreise wieder mit mir zu nehmen, war mir nicht gut zu Mute. Immerhin handelte es sich fast um ein Jahresgehalt des Polizisten und derselbe war sich sicherlich bewusst, wie wehrlos ich gegenüber jeder Art der Erpressung gewesen wäre. Zudem lag die Grenze irgendwo im Niemandsland und ich musste mit einem der Fahrer, die vor dem Grenzposten warteten, weiter nach Panjakent fahren, wo ich die ersten Nächte in Tajikistan verbringen wollte. Wie leicht hätte der Grenzbeamte mit dem Fahrer gemeinsame Sache machen und mich ausnehmen können. Auch war es mir peinlich, im Verhältnis so viel Geld gegenüber den Menschen hier bei mir zu führen und dabei war es ja nur der Notgroschen, falls es Probleme mit den Kreditkarten geben sollte. Nur einmal zuvor war ich in eine ähnliche, zugegebener Maßen noch ärgere Situation gekommen, als ich auf einer Bank in Kuba das fünfzig Fache des Monatsverdienstes von dem Bankangestellten abgehoben hatte. Die gesamte Prozedur an der Grenze dauerte erstaunlicherweise nur etwa eine Stunde und nach nunmehr knapp zwei Wochen Flach- und Wüstenland konnte ich die mächtigen Ausläufer des tajikischen Hochgebirges bestaunen, die ihren Meister in dem knapp 7.500 Meter hohen Pik Ismoil Somoni fanden, der auch schon mal Pik Stalin und Pik Kommunismus geheißen hatte.

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Unterwegs

Es gab natürlich keine Probleme mit dem Fahrer, der mich von der Grenze nach Panjakent brachte, die Menschen waren zwar arm, aber ehrlich und ich kam mir schlecht vor, wie ich sie durch meine Paranoia vorverurteilte. Kaum in Panjakent angekommen, galt es sich als erstes der lästigen Pflicht der OVIR Registrierung zu entledigen, ein altes Relikt aus sowjetischer Zeit, nachdem jeder Reisende dazu verpflichtet war, sich innerhalb von drei Tagen nach der Grenzüberschreitung bei der Polizei zu melden. Ich hatte Glück, mein Hotel lag direkt gegenüber der Bezirksverwaltung, der Besitzer war der englischen Sprache mächtig und kannte die Beamten. Trotzdem dauerte die Prozedur beinahe zwei Stunden, in denen ich, über eine Hintertür hereingelassen, in einem kleinen Büro warten musste. Alle halbe Stunde hatte ich dort gut fünf Dollar für irgendeine Dienstleistung zu bezahlen und jedes Mal wurde dabei ein roter Stempel auf ein Dokument gehauen, das in kyrillischer Schrift verfasst und für mich nicht lesbar war. Meiner Ansicht nach diente der gesamte Prozess für die Beamten nur dazu, sich den Wodka für das Wochenende zu finanzieren und so war ich froh, als ich endlich das Verwaltungsgebäude wieder durch den Hinterausgang verlassen konnte und im Besitz eines Stempels in meinem Pass und einer offiziellen Einreiseurkunde mit diversen roten Stempeln war.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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Travel Report 14/1: In Alma Ata

02010, Almaty/Kasachstan: Ich hatte mir immer wieder vorgenommen, mich nicht mehr am Flughafen von angeblichen Taxifahrern täuschen zu lassen, hier in Almaty war es schließlich wieder einmal so weit. Der nette ältere Herr in der Ankunftshalle hatte einen zuverlässigen Eindruck auf mich gemacht und sein Angebot, mich für 2.000 Tenge vom Flughafen in die Stadt zu fahren, was umgerechnet etwa zehn US-Dollar entsprach, klang für mich verlockend. Als ich mit ihm vor den Flughafen lief und ein junger Kerl in einem alten Ford mit schwarz getönten Scheiben angerauscht kam, war ich wenig erfreut, kannte ich solche Situationen doch schon zur Genüge. Ich hätte natürlich noch genügend Zeit gehabt, mich aus der Situation herauszuwinden, wäre ich einfach nicht in den Wagen eingestiegen und hätte statt dessen den anschließenden Zorn des Alten auf mich genommen. Dennoch stieg ich ein, der Preis war ja fix ausgehandelt, aber ein offizielles Taxi war das mit Sicherheit nicht. Mit großem Erstaunen nahm ich auf dem Rücksitz des Fahrzeugs dann die Preistabelle entgegen, die mir der Alte mit einem breiten Lächeln vom Beifahrersitz nach Hinten entgegen streckte. Die 2.000 Tenge sollten nicht die gesamte Fahrt, sondern nur einen Kilometer abdecken. Aussteigen aus dem Wagen konnte ich jetzt nicht  mehr, mein Koffer war im Kofferraum verstaut und wir fuhren in hohem Tempo in unbekannten Seitenstraßen entlang. Sie waren ja auch zu zweit, so dass ich den Betrug über mir ergehen lassen musste. Dabei hatte mich mein befreundeter Entwicklungshelfer, Dr. Diebold, den ich hier besuchen wollte, ausdrücklich vor solchen Situationen gewarnt. Ich traute mir nach der Fahrt niemandem offen zu legen, wie viel ich Geld ich für die Taxifahrt zu bezahlen hatte, muss aber zu meiner Ehre sagen, dass ich am Ende noch einiges herunter handeln konnte. Als Diebold mir die Türe öffnete waren die beiden Gott sei Dank schon wieder verschwunden und er bekam nichts von der peinlichen Situation mit.

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Sovijet Stil

Kasachstan war der erste Aufenthaltsort der Zentral-Asien Reise, die durch mehrere Länder führen sollte, hier wollte ich mir einige Tage lang Almaty ansehen und dann weiter nach Usbekistan reisen, schließlich bestand das übrige Land lediglich aus einer eintönigen Steppenlandschaft inmitten welcher die künstliche Hauptstadt Astana vor einigen Jahren aus dem Boden gestampft worden war. Daneben gab es eigentlich nichts erfreuliches mehr, etwa die riesigen Öl- und Gasfelder, die Raketenabschussstation Baikanur und den ausgetrockneten Aralsee. Zeitlebens war ich ein Kritiker der europäisch geprägten Entwicklungshilfe gewesen, weil sich die hier bereit gestellten Mittel immer im Sumpf der Korruption verflüchtigt hatten oder den falschen, ja teilweise den gefährlichen Händen zugeflossen ist. Ich schätzte anstatt dessen das chinesische Verfahren, mit eigenen Arbeitern die Infrastruktur unterentwickelter Länder aufzubauen. Als Gast der GTZ, dem Ableger des Entwicklungshilfeministeriums, bei der Diebold arbeitete, wurde ich diesbezüglich noch einmal bestätigt, als ich von mehreren kostspieligen Projekten erfuhr, die aufgrund mangelnder Zuverlässigkeit lokaler Autoritäten im Sande verlaufen waren. Ich besuchte die kasachische Dependance der Gesellschaft mehrere Male. Stock besoffen kam eines Tages der kasachische Präsident des lokalen Ablegers in Alamty nach einer durchzechten Mittagspause, die mehr als vier Stunden gedauert hatte, zurück zum Bürogebäude der GTZ, als ich zufällig zugegen war, worauf ich wehmütig an den deutschen Steuerzahler dachte , der das alles finanzierte.

Eigentlich gibt es nicht viel von Almaty zu erzählen, außer dass es eine recht weitläufige Stadt war, wie die Städte in dieser Gegend eben sind. Viel Geschichte gab es nicht, zunächst als russisches Fort im 19. Jahrhundert gegründet, entwickelte sich die Stadt zum einzig nennenswerten Ort weit und breit. Man hatte einen sehr westlichen Einschlag, was etwa an der knappen Kleidung der Frauen oder an den Waren in den Boutiquen und Läden festzumachen war. Neben den gängigen Dutyfree Flughafenartikeln, wie etwa den Markenhandtaschen und Sonnenbrillen, den Parfüm- und Schnapswaren gab es überall westliche Modeketten in der Stadt. Doch verbunden mit der Sowjetarchitektur wurde dadurch eine sehr eigentümliche Atmosphäre geschaffen, die ich den Post-Sowjet-Kapitalismus zu nennen pflegte. Hervorzuheben waren allerdings die schönen Berge hinter Almaty, vereinzelt sah es dort mit den nachgebauten österreichischen Holzhäuschen so aus, als hätte man sich in den Alpen verlaufen und wenn man sich weit genug hinauf traute, konnte man in ein paar Tagen nach Kirgisien hinüber laufen. Allerdings sahen die Berge schon sehr wuchtig aus, immerhin führte das Altai Gebirge, wie es sich nannte, auf eine Höhe von 4.500 Metern, es war somit eine ganze Portion Übung erforderlich, wollte man auf eigene Faust in das Nachbarland gelangen.

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Blick auf Almaty

Ähnlich wie in den anderen zentralasiatischen Staaten, Kirgisien teilweise ausgenommen, wurde Kasachstan von dem ehemaligen obersten Sowjet des Staates als immerwährender und nicht abwählbarer Präsident regiert, der als Überbleibsel des zusammen gebrochenen Riesenreiches unangefochten im Sattel saß. Das Schlug sich auch im Nationalmuseum nieder, welches sich in der Mitte von Almaty befand. Es bestand aus vier großen Räumen. Der unterste davon handelte von der prähistorischen Zeit, von den Dinosauriern und von den ganzen Fossilien, die man verstreut im Land gefunden hatte. Der zweite Raum befasste sich mit der frühen Besiedlung, der Post-Neolithischen Zeit und dem Nomadenleben. Der dritte Raum zeigte dann die Geschichte des Landes so ungefähr vom Beginn des 18. Jahrhundert bis zum Ende der Sowjet-Zeit und der oberste Raum war schließlich dem Präsidenten vorbehalten, der hier auf unzähligen Bildern die Hände anderer wichtiger und mit vielen Orden behangener Leuten schüttelte. Vom Dinosaurier zum Präsidenten ging hier sozusagen die Geschichte des Landes, lustiger Weise war das Nationalmuseum von Usbekistan und Tadschikistan nach eben demselben Schema aufgebaut, wie ich im Verlauf der Reise noch erfahren sollte. Nach vier Tagen in Almaty flog ich weiter nach Tashkent in Usbekistan. Noch war der genaue Reiseverlauf nicht endgültig definiert, eine richtige „Stans“ Tour würde selbstverständlich auch nach Turkmenistan führen müssen, was einen ziemlichen organisatorischen Aufwand mit sich gezogen hätte, denn dort durfte man nur mit einem Aufpasser herumreisen, der etwa 150 Dollar am Tag kostete. Ich wollte das alles erst in Bukhara entscheiden, von wo aus man über Turkmenabad und Mary nach Ashgabat fahren konnte. Ich hatte auch überlegt, über das Kaspische Meer nach Baku oder über Mashad nach Teheran weiter zu reisen, doch den Gedanken mangels verfügbarer Reisezeit verworfen, es sollte endgültig nur eine “Stans“ Tour werden, mit oder ohne China und Turkmenistan, war noch nicht klar.

Reiseberichte:

Travel Report 14/1: In Alma Ata
Travel Report 14/2: Wodka in Khiva
Travel Report 14/3: Am Aralsee
Travel Report 14/4: Über Samarkand nach Pandjakent
Travel Report 14/5: In den Schluchten Tadschikistans
Travel Report 14/6: Eine Nacht in Murgab
Travel Report 14/7: Hinunter zu den Uiguren

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Travel Report 24/4: In El Salvador

Der Rückflug von den Corn Islands (Travel Report 24/3) in einer kleinen Cessna war phänomenal gewesen. Zunächst überquerten wir die Karibik, anschließend den Urwald Nicaraguas und zuletzt die Vulkane in der Umgebung von Managua. Für mich galt es jetzt, vorsichtiger zu werden, denn ich war nun in einem Gebiet Latein Amerikas angekommen, das nicht gerade für seine Sicherheit bekannt ist. Von verschiedenen Reisenden, die ich im beschaulichen Granada (Travel Report 24/2) traf, hatte ich gehört, dass es sich bei der Hauptstadt Nicaraguas um eine verlumpte, verarmte und hässliche Stadt handelte, die ich erst gar nicht sehen wollte. Ich hatte daher ein fünf Sterne Hotel in unmittelbarer Nähe des Flughafens gebucht, in dem ich mir den Abend nach der Ankunft von den Corn Islands und dem Abflug nach El Salvador mit ein paar Cocktails am Swimming Pool vertrieb. Ich hatte lange gehadert, ob ich von Managua mit dem Bus nach San Salvador fahren sollte, was eigentlich geboten war, da ein Überflug aus meiner Sicht stets die schlechteste Alternative aller Fortbewegungsmöglichkeiten darstellte. Aufgrund des organisatorischen Aufwands, der knappen Zeit und der vielen Sicherheitswarnungen für Honduras und El Salvador hatte ich jedoch davon abgesehen. Dabei war ich bereits zehn Jahre zuvor in Honduras gewesen und es hatte mir dort sehr gefallen (Travel Report 11/2). In der Luxusherberge unmittelbar am Flughafen von Managua lud ich an diesem Abend bezüglich der unsicheren Lage der beiden Länder noch ein Bild mit gefangenen Pandilleros in das Internet. Die Geschichte und Gegebenheiten der Mara Banden faszinierten mich ziemlich, auch wenn ich diesen nicht begegnen wollte, war es doch eine Geschichte von Perspektivlosigkeit, Kriminalität und Gewalt. Im Wesentlichen gab es zwei konkurrierende Banden, die Mara Salvatrucha und die 18th Street Gang.  Beide Gangs entstanden in den 60er bis 80er Jahren in Los Angeles, als viele Lateinamerikaner aus den Bürgerkriegen in die Vereinigten Staaten flohen und sich dort zunächst als Verteidigungsverbünde und anschließend als kriminelle Organisationen formierten. Als die USA diese Personengruppe wieder zurück in die Heimatländer schickte, lebte das Bandenwesen in Zentralamerika weiter. Bereits einige Jahre zuvor, als ich in Guatemala war, bekam ich die Kriminalität in der bitter armen Stadt Guatemala City zu spüren, wenn ich damals auch selbst nicht direkt eine unmittelbare Bedrohung erleben musste (Travel Report 11/1).

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Anflug El Salvador

Während sich das Flugzeug auf dem Landeanflug nach San Salvador befand und ich unter mir etliche große Villen direkt am Strand vorbeiziehen sah, ließ ich mir noch einmal alle Geschichten von El Salvador durch den Kopf gehen, die ich auf meiner bisherigen Reise zu Ohren bekam. Ich hatte aus allen Informationskanälen bisher nur schlechtes von dem Land gehört. James Huntley, der Kanadier (Travel Report 24/1), lag aufgrund einer Verwechslung dort vor mehreren Polizisten auf dem Boden und blickte in die feuerbereiten Lunten Maschinengewehre von den Sicherheitsbeamten. Ein Freund von Nina (Travel Report 24/1) musste den Überfall  einer Mara Bande auf sein Hotel erleben, bei dem die Gäste mit verschränkten Armen auf dem Bauch lagen und ausgeraubt wurden. Als ein Tourist vom Flughafen aus nach San Salvador fuhr und aufgrund eines Plattens einen Reifenwechsel vornehmen musste, sei er innerhalb von zehn Minuten drei Mal überfallen worden, schrieb das britische Foreign Ministry und die USA hatte gerade eine Reisewarnung für das Land ausgesprochen. Das Auswärtige Amt war sich bei seinen Warnhinweisen nicht sicher, ob das Busfahren oder das Taxifahren gefährlicher wäre, was mich ziemlich verunsicherte, auch wenn ich sonst den Deutschen aufgrund ihrer Übertreibungen was die Sicherheitslage in solchen Ländern anbetraf, wenig Glauben schenkte. Daneben hatten viele Personen die Augenbrauen hochgezogen, als ich erzählte nach El Salvador reisen zu wollen, selbst ein Taxifahrer in Nicaragua riet mir ab, das Land zu besuchen. Beeinflusst mit so vielen negativen Warnhinweisen und Informationen buchte ich vorsichtshalber ein Zimmer im Hilton Princess Royal in der noblen Zona Rosa.

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San Salvador 1

Drei Tage später, als ich mich wieder am Flughafen von San Salvador befand und auf meine Abreise nach Atlanta wartete, hatte ich feststellen müssen, dass ich ganz entgegen meinen Erwartungen in El Salvador ein Land vor vorgefunden hatte, indem es zumindest im Umkreis der Hauptstadt San Salvador so aussah, als wäre ich in einem der südwestlichen US-Bundessaaten, zum Beispiel in Arizona gewesen. Ich hatte es nicht geschafft, einen der Vulkane in dem Land zu besteigen oder einen Strand zu besuchen, da ich mich ausschließlich in der Hauptstadt aufhielt, was mich in diesem Moment, als ich in der Abflughalle saß, besonders ärgerte. Viel hatte ich von den touristischen Möglichkeiten in El Salvador gelesen, doch nichts unternommen, obwohl ich inzwischen zu der Einschätzung gelangt war, dass die ganzen Warnungen und bösen Geschichten alles nur Übertreibungen waren. Ja, es gab hier viele  Sicherheitskräfte, die die Läden und Restaurants bewachten, aber sie hatten mir nicht den Eindruck vermittelt, als würden sie jeden Moment mit einem Überfall rechnen und in den verhältnismäßig modernen Supermärkten lag die Ware in den Regalen, als wären Raub und Diebstahl unbekannt. Inzwischen schien mir da das benachbarte Guatemala, in dem ich einige Jahre zuvor war, eine Nummer krimineller gewesen zu sein. Dort wurde den Kunden beim Einkauf die Ware durch eine kleine Lucke ansonsten vergitterter Fenster hindurch gereicht. In Guatemala hatten die privaten Sicherheitsleute auch Maschinengewehre und nicht nur Pump Guns, wie hier in El Salvador. Schnell wurde mir klar, dass meine teuren Sicherheitsvorkehrungen angesichts der aktuellen Lage in diesem Land ein Witz waren und ich sicherlich ohne größere Problem hier auch hätte mit lokalen Transportmitteln anstelle der privaten Taxis eines Sicherheitsdienstes des Hotels reisen können. Eins war klar, ich hatte etwas verpasst, nämlich die Besichtigung eines wunderschönen Landes an der pazifischen Küste in Zentralamerika. So verkam mein Aufenthalt in El Salvador zu einer reinen Farce, die sich in einem Fünf Sterne Hotel zwischen Bar, Restaurant und Swimmingpool abgespielt hatte. Es war das 95. Land, das ich besuchte und in dem ich mir wie ein unerfahrener Anfänger vorkam, der von den übertriebenen und vor allen Dingen undifferenzierten Warnhinweisen der Botschaften und der Reisenden aufs Kreuz gelegt geworden war.

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San Salvador 2

Einen Tag später saß ich im Zentrum Atlantas in einem herunter gekommenen Zimmer eines Motels, in dem ich auf die Rückreise nach Europa wartete. Hier war mir für die Zukunft klar geworden, entweder ein Land mit allen seinen Tücken und Gefahren zu besuchen oder es gleich ganz bleiben zu lassen. Das Wetter hier in den Südstaaten war an diesem Januarabend ziemlich kalt und trübe, Minuten zuvor war ich in einem Supermarkt gewesen und hatte mich mit Essen und Bier eingedeckt. Überall in der Gegen lungerten dunkle Gestalten mit Kapuzenpullover herum, die mir deutlich mehr Unbehagen bescherten, als es die Gegebenheiten in dem sonnigen El Salvador zugetragen hatten. Ich war am kommenden Tag schließlich recht glücklich, die Stadt zu verlassen, hatte ich hier doch einen langweiligen Aufenthalt von achtzehn Stunden durchleben müssen. Die Great Smoky Mountains lagen gut 200 Kilometer nördlich von Atlanta, ich besuchte sie nicht, obwohl ich mir vor der Reise fest vorgenommen hatte, dort mit einem Mietwagen hin zu fahren. Die Vorstellung auf Reisen, immer weiter zu müssen, um jeden Winkel der Erde zu besuchen und nichts zu verpassen, entpuppte sich hier einmal mehr als eine Illusion, die mangels ihrer Realisierbarkeit zum Scheitern verurteilt war.

Reiseberichte:

Travel Report 24/1: Bei den Kuna Yala Indianern
Travel Report 24/2: Wild West Gefühle
Travel Report 24/3: Die Überfahrt
Travel Report 24/4: In El Salvador

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