Travel Report 24/3: Die Überfahrt

Mit einem Muskelkater, der meinen gesamten Körper beeinträchtigte, saß ich einige Tage nach meinem Aufenthalt in Granada zusammen mit zwei Österreichern, die ich am  Flughafen von Big Corn Island kennen gelernt hatte, an dem Pier dieser kleinen Insel und wartete auf das Boot, welches uns nach Little Corn Island bringen sollte. In Grenada hatte es unzählige Freizeitaktivitäten gegeben, wovon mir der Ausflug zu der Laguna de Apoyo, einem Kratersee am besten gefallen hatte. Dort konnte ich in einer idyllischen Umgebung in Mitten des Sees zum ersten Mal das Kajakfahren erproben und wähnte mich danach gewappnet für einen halbtägigen Ausflug. So kam auch mein Muskelkater zu Stande, ich war am Vortag mehrere Stunden durch das Archipel der Isletas gepaddelt, einer Landschaft aus kleinen Inseln, die von einem Vulkanausbruch hervor gebracht worden war und hatte mich dabei gehörig übernommen. Mit großem Einsatz musste ich am Ende des Ausflugs kämpfen, um überhaupt wieder an Land zu kommen, fünf Stunden war ohne ausreichend Übung einfach zu viel gewesen. Dabei schien das Kajakfahren wenig mit Kraft zu tun zu haben, sondern vielmehr mit Technik, über die ich leider nicht verfügte. Der schmächtige Tourguide war schließlich die ganze Zeit locker vor mir her gepaddelt und sah am Ende nicht sehr angestrengt aus. Aufgrund des Muskelkaters fiel mir auch das Einpacken meiner Kamera und der anderen elektronischen Gegenstände in die Plastiktüten nicht so leicht, es musste aber sein, denn es stand eine nasse Überfahrt bevor.

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Es beginnt

Little Corn Island lag zwölf Kilometer von Big Corn entfernt und aus verschiedenen Erzählungen, Büchern und eigener Erfahrung wusste ich, dass der Wellengang bei solch einer Distanz in der Karibik recht hoch sein konnte. Gegen halb zehn Uhr kam die Panga an, mit der wir übersetzen sollten und um zehn war sie dermaßen beladen, als man sich auf einem Schlepperboot afrikanischer Flüchtlinge nach Europa wähnen hätte können. Was dann folgte spottet jeder Erzählung, kaum hatten wir den Hafen verlassen, schon drehte der Kapitän die Geschwindigkeit auf volle Leistung hoch und wir schossen über die Wellen wobei das Boot im Sekundentakt auf dem Meer aufschlug und große Mengen an Wasser hereinspritzten. Dem einen oder anderen war es wohl schon mulmig zumute, als wir so entlang der Küste von Big Corn dahin rauschten, doch einigen jungen Damen an Bord schien die Fahrt noch helle Freude zu bereiten, wie man dem lauten Gelächter und den Jubelschreien entnehmen konnte. Als wir in die offene See einbogen und die Wellen mehrere Meter hoch wurden, verstummte das Gelächter und Betroffenheit trat an seine Stelle, bis einige Minuten Später Panik und Angst die Stimmung an Bord übernahmen. Die Wellen mussten inzwischen gut fünf Meter hoch gewesen sein und die Panga rauschte im Minutentakt auf sie hinauf und fiel dann mit lauten Schlägen wieder auf das Wasser hinab, so dass ich mich nur mit großer Mühe an einem der Querbalken halten konnte. Die Damen weinten inzwischen und eine davon zeigte dem Kapitän den Stinkefinger, der unbeirrt breitbeinig in seinem gelben Overall hinter dem Steuer stand und das Boot auf Höchstgeschwindigkeitskurs hielt, während sein Adjudant lauthals lachend auf dem Bug balancierte und sich dabei an einem Seil festhielt. Die drei Italiener in der ersten Reihe vor mir, wo die Turbulenzen am meisten zu spüren waren, knieten inzwischen in der Hocke neben einander und versenkten den Kopf in Richtung Boden sich mit verschränkten Armen schützend. In hohem Bogen spritzte das Erbrochene eines Passagiers zwei Reihen hinter mir auf die dahinter sitzenden Passagiere, worauf gleich danach eine ordentliche Wasserladung, die in das Boot herein gespült wurde, wieder für Sauberkeit sorgte. Als wir in der Nähe der Zielinsel endlich in ruhigere Wasser kamen, sah ich eine der jungen Damen bluten, die sich wohl einen Zahn oder die Nase aufgeschlagen hatte, alle waren froh als wir nach dem Höllentrip endlich Little Corn Island sehen konnten und die Fahrt sich dem Ende neigte. Zur Erholung von dem Schrecken setzte ich mich mit den Österreichern und einem Deutschen Reiseleiter, den wir vor der Abfahrt noch an Bord kennen gelernt hatten, in die nächst verfügbare Kneipe, wo wir noch etwas schwach um die Knie und leicht gebleicht uns ein Bier genehmigten, ehe unser Gepäck mit einer Schubkarre auf die andere Seite der Insel gebracht wurde und wir die kleinen angemieteten Strandhütten beziehen konnten.

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Der Rondon

Little Corn Island war mit seinen 500 Einwohnern etwa einen Kilometer lang und einen halben Kilometer breit. Auf der westlichen und der nördlichen Seite der Insel waren vier oder fünf Unterkünfte für Touristen angesiedelt, während sich auf der östlichen Seite der Pier und einige Cafés befanden. Trotz der geringen Anzahl an Einwohnern warnten verschiedene Stellen eindringlich vor Überfällen und Diebstählen, die hier angeblich regelmäßig zu beklagen waren und auch im Internet kursierten Geschichten von Macheten schwingenden Räubern, die mehrfach schon den Reisenden das Geld abgenommen hatten. Ich war sehr verwundert über diesen Sachverhalt, konnte man doch mit etwas Geschäftssinn auch auf andere Art und Weise zu Geld kommen. Mir fiel zum Beispiel gleich auf, dass niemand Kaffee ausschenkte, als die erste Panga um sechs Uhr morgens nach Big Corn abfuhr und ich war mir sicher,  dreißig bis vierzig Passagiere hätten gerne einen Kaffee getrunken. Unvorstellbar wäre es bei den fleißigen Asiaten gewesen, sich solch ein Geschäft entgehen zu lassen, doch auf die Idee hier mit einer Thermoskanne die Reisenden zu versorgen ist keiner auf der Insel gekommen. Meinen Berechnungen zu Folge wäre ein Verdienst von gut 500 Dollar im Monat möglich gewesen, was für hiesige Verhältnisse einen nicht unbeträchtlichen Betrag darstellte. Doch die Inselbewohner, die nicht vom Tourismus profitierten und  den gesamten Tag über kaum etwas zu tun hatten, schienen lieber in großer Armut in einem Örtchen namens Carib Town zu leben und sich Nachts mit der Machete auf die Lauer zu legen, um die Gäste zu überfallen. Neuerdings hatte man eine Touristen-Polizei bestückt mit Amtsträgern vom Festland installiert, die für Ruhe sorgen sollte. Die dominierende Person der Insel, die etwas Ordnung und Professionalität an diesen paradiesischen Flecken der Erde brachte, war ein Amerikaner namens Tranquillo-John, der mit seiner kleinen Tranquillo Bar, das beliebteste Café auf Little Corn betrieb und sehr bemüht um die Organisation der touristischen Abläufe war. Daneben gab es eine Handvoll von Strandcafés und Restaurants, die im Wesentlichen Lobster, Conch (Riesenmuschel), Fisch und Meeresfrüchte anboten. Das bekannteste Gericht der Insel war der Rundown, hier als Rondon bezeichnet, der seinen Namen der Müdigkeit zu verdanken hatte, die einen nach dem Verzehr überfallen sollte. Es handelte sich dabeo um einen Eintopf aus Langusten, Fisch und verschiedenen Gemüsearten. Auf Little Corn wurde nicht Spanisch, sondern Carib Englisch gesprochen und auch geschrieben, so dass die Laundry zur Londre und das Horse Rinding zum Hares Riding wurde. Am ersten Tag hatte ich die Insel bereits erkundet und hing die übrigen Tage meistens nur am Strand ab, um die Abende mit den Österreichern und Thore, dem deutschen Reiseleiter, sowie mit einigen Flaschen Rum zu verbringen. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich hier auch die ¨Argentinian Style Reisenden¨, die sich mit dem Verkauf eigens hergestellter Schmuckwaren, Ketten und Armbänder über Wasser hielten und sich ansonsten durchschnorrten, wie mich Thore aufklärte. Am letzten Abend auf der Insel saß ich alleine am Strand, der Reiseleiter und die beiden Österreicher waren an Fieber erkrankt und hatten Magenprobleme. Ich hoffte, dass es sich dabei nicht um das schlimme Chikungunya handelte, das sich seit einem Jahr in Lateinamerika rasend schnell verbreitete und neben Gliederschmerzen auch zu Hirnblutungen mit Todesfolge führen konnte.

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Little Corn

Während die beiden österreichischen Kollegen krankheitsbedingt auf der Insel bleiben mussten, war Thore am folgenden Tag glücklicherweise wieder gesund und konnte zusammen mit mir die Rückreise nach Big Corn antreten. Wir waren um viertel vor sechs die ersten Passagiere, die an der Pier auf die Panga warteten, das Meer war spiegelglatt und kaum ein Windhauch wehte. Es bestand die Hoffnung, dass sich die Überfahrt dieses Mal etwas weniger turbulent gestalten würde. Gegen halb sieben waren gut fünfzehn Passagiere vor Ort, von einer Panga aber weit und breit nichts zu sehen. Gut eine halbe Stunde später erschien ein klein gewachsener Kerl mit der Nachricht, dass heute kein Schiff übersetzten würde und die Hafenpolizei sämtliche Häfen Nicaraguas an der Karibikküste aufgrund einer aufziehenden Sturmfront geschlossen hätte. Die Nachricht traf uns wie ein Blitz, so dass wir das Ganze zunächst für einen üblen Scherz hielten. Wir glaubten vielmehr, aufgrund des geringen Passagieraufkommens hätte der Kapitän keine Lust auf die Überfahrt. Wir mussten aber dringend nach Big Corn, da von dort aus das Flugzeug gegen ein Uhr in Richtung Managua abflog und wir jeweils am folgenden Tag einen Weiterflug gebucht hatten, in meinem Falle nach El Salvador. Die Touristen-Polizei hatte sich inzwischen aus dem Staub gemacht, vermutlich um dem Ärger mit den Touristen aus dem Weg zu gehen, schließlich war das Meer ruhig wie seit Tagen nicht mehr und die rote Warnstufe aus unserer Sicht ein Witz. Als die ersten Passagiere den Pier verließen, machten auch wir uns auf, um bei dem Betreiber unseres Stammcafés, der Sun Shak Bar, Erkundigungen über die Sachlage und die aktuelle Situation einzuholen. Der dicke schwarze Koch der Bar erzählte uns dieselbe Geschichte, was unsere Beunruhigung noch erhöhte und als uns der italienische Besitzer der Desideri Bar, der uns aufgrund seiner europäischen Wurzeln besonders vertrauenswürdig vorkam, schließlich noch mitteilte, dass die Sperre für mehrere Tage ausgesprochen geworden sei, wurde uns langsam klar, hier entweder fest zu sitzen oder uns schleunigst nach einem Fischer umzusehen, der uns auf die Nachbarinsel bringen würde. Nach einigen Bemühungen gelang es uns, eine Gruppe von Männern ausfindig zu machen, die um ein Boot herum saßen. Wir trugen unser Anliegen vor und nach kurzer Beratung wurde uns Hilfe versprochen, sollten wir bereit sein, 200 Dollar für die Überfahrt zu bezahlen. Man müsste nur noch das Boot säubern und Treibstoff organisieren. Wir warteten und warteten und nach einer halben Stunde wurde uns versichert, es würde nur noch wenige Minuten dauern. Wir warteten weiter und bemerkten, wie wir plötzlich alleine am Strand saßen. Die Gruppe der Fischer hatte sich aufgelöst und war in alle Richtungen verschwunden. Ich stellte mich innerlich jetzt auf ein paar zusätzliche Tage auf der kleinen Insel ein und verfluchte dabei die Unzuverlässigkeit der Leute hier. Lächelnd erklärte mir der Betreiber eines Tauch- und Surf Shops neben dem Pier, dass die Fischer wohl kalte Füße bekommen hätten, müssten sie doch 1.000 Dollar Strafe zahlen, wenn sie Touristen bei einer roten Warnstufe  transportieren würden. Daneben sei die Hafenpolizei auf Big Corn momentan sehr Aufmerksam, erst vor einigen Tagen war wohl ein kleines Boot mit Touristen spurlos verschwunden und bis heute nicht mehr aufgetaucht. Ich saß mit Thore, der in Panama wohnte und am übernächsten Tag eine Reisegruppe durch Zentralamerika führen musste, an der Pier unter einem Baum und hatte schon fast aufgegeben, als unverhoffter Weiße ein kleines Boot am Strand anlegte und uns hereinbat. Die Zeit war schon sehr knapp geworden und inzwischen war es bereits elf Uhr. Nach einer ruhigen Überfahrt mit einem lebensfrohen und lustigen Fischer, wurden wir an einem Strand auf Big Corn an Land gelassen und atmeten erst einmal durch.

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Big Corn Airport

Der Flughafen von Big Corn war nur etwa so groß, wie ein kleines Einfamilienhaus. Uns knurrte der Magen, hatten wir doch den gesamten Tag bisher nichts gegessen. Die Sicherheitsbeamten vor dem Terminal hatten uns versichert, dass wir im Flughafen etwas zu Essen kaufen konnten. Jetzt, eine halbe Stunde vor Abflug war in dem kleinen Kiosk aber noch immer niemand anwesend. Thore fluchte, denn wann außer in diesem Moment sollte der Kiosk überhaupt offen haben, schließlich frequentierten den Flughafen nur zwei oder drei Flugzeuge am Tag. Ich wunderte mich ohnehin, über die wenigen Personen in dem kleinen Wartesaal. Neben uns zählte ich nur sechs weitere Passagiere und grübelte wie groß das Flugzeug wohl sein würde. Als der Kiosk endlich geöffnet war, bestellten fast alle der Fluggäste ein Käse Schinken Sandwich bei der jungen Dame und ich dazu noch einen Kaffee, der schon fertig gebrüht war. Zunächst aber wurden die Sandwiches gemacht und das mit einer unglaublich langsamen Geschwindigkeit, wobei jede Bewegung, jeder Handgriff dem Zeitlupenmodus meiner Kamera bei Filmaufnahmen gleichte. Als die Sandwiches endlich fertig waren und ich meinen Kaffee bekam, blieb freilich nicht mehr genug Zeit, diesen auch zu trinken, denn schon war die Maschine gelandet und wir wurden eilig nach draußen gerufen. Es wartete zu meiner großen Freude eine zwölf sitzige Cessna Caravan auf uns, von der aus man aufgrund ihrer geringen Flughöhe bestens Fotografien konnte. Ich erlebte einen traumhaften Flug über das Meer, den Urwald und schließlich die Vulkanlandschaft in der Mitte des Landes.

Reiseberichte:

Travel Report 24/1: Bei den Kuna Yala Indianern
Travel Report 24/2: Wild West Gefühle
Travel Report 24/3: Die Überfahrt
Travel Report 24/4: In El Salvador

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Travel Report 24/2: Wild West Gefühle

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Blick auf die Laguna

Ich stand im Gedränge der Reisenden an der Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica und freute mich, dass alles so schnell und problemlos abgelaufen war. Dabei hatte ich zunächst die größten Bedenken gehabt, als ich an Vormittag mit einem lokalen Bus von den Nebelwäldern in Monteverde/Costa Rica an die Panamericana hinunter fuhr, um dort den einzigen verfügbaren Überlandbus an diesem Tag abzufangen. Mein Ziel war es, rechtzeitig zur Silvesterparty in Granada/Nicaragua einzutreffen, um dort das neue Jahr zu feiern und nicht den Abend irgendwo in der Provinz verbringen zu müssen. Der zeitliche Abstand, an dem die beiden Busse an der  Kreuzung zwischen Monteverde und der Panamericana vorbei fahren sollten, betrug laut dem Agenten des Reisebüros, bei dem ich das Überlandticket gekauft hatte, zwanzig Minuten, wobei er mir versicherte, alles würde schon funktionieren. Ich traute ihm aber nicht über den Weg, hatte wenig Puffer und zuvor schon sehr schlechte Erfahrungen mit den lokalen Bussen in Costa Rica gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich es eigentlich für unmöglich gehalten, dass es ein Land auf der Erde geben könnte, in dem es mit dem Bus noch langsamer als in Indien voran ging, wo man im Durchschnitt etwa zwanzig bis dreißig Kilometer pro Stunde zurücklegen konnte. Auf der Fahrt nach Monteverde wurde ich eines besseren belehrt, hier war der Bus am Ende nur noch circa zehn Kilometer pro Stunde schnell, so dass die gesamte Fahrt ab Quepos über acht Stunden für nur 190 Kilometer gedauert hatte. Schuld an dem Schneckentempo waren nicht die schlechten Straßen, sondern die Passagiere, die fortwährend ein- und ausgestiegen sind. Nördlich eines Bergdorfs namens Juantes schien dabei ein besonders faules Volk zu leben, das statt zu Fuß zu gehen lieber Stunden lange auf den Bus wartete, um dann meistens kaum mehr als 500 Meter weiter wieder auszusteigen. Deswegen quoll den meisten dort auch das Fett aus den Hüften, als wären sie in einer Großkantine für das Abräumen der Überreste zuständig gewesen. Außerdem schien jedermann zu jederzeit an jedem Ort über das Privileg zu verfügen, den Bus zum Stehen bringen zu dürfen und sei es nur ein Haus weiter, als der Nachbar, der gerade ausgestiegen war.

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Granada

Gemäß dem Fahrplan hätte an diesem Vormittag der lokale Bus um acht Uhr und der Überlandbus um zwanzig nach acht an besagter Kreuzung ankommen sollen. Ich hatte großes Glück gehabt, der lokale Bus war sogar schneller und ich war schon um zehn vor acht an der Panamericana gestanden. Wie bitter diese paar Minuten auch notwendig waren, wurde nur fünf Minuten später offenbar, als der Überlandbus gut eine halbe Stunde früher als vorausgesagt angerauscht kam und mich mitgenommen hatte. Ich vermute, dass die meisten Kunden des Agenten ihren Bus verpassen würden und sich dann auf eigene Kosten mühsam Stück für Stück mit lokalen Bussen durchschlagen mussten. Von Costa Rica gibt es nicht viel zu erzählen, ich war froh in Nicaragua angekommen zu sein, ein typisches Staub und Knochen Land, bei dem das aus Kolumbien und Guatemala bereits wohlbekannte Wildwest-Gefühl, welches ich schon so lange vermisst hatte, zurück gekehrt war. Nach einigen lustlosen Handgriffen der Grenzbeamten in meinen Koffer und dem obligatorischen Einreisestempel, hatte ich die Grenze schnell passieren können. Das Armutsgefälle war sofort und in einem erheblichen Ausmaß zu spüren, hier wurden die Zigaretten wieder einzeln verkauft und unzählige Händler überfielen mich mit jeder Menge an Klein- und Kleinstwaren, darunter Cashew Nüsse, Kaugummis, Chiqulettes, Bonbons oder andere Nutzlosigkeiten. Die Cowboyhüte der Männer und die bunte Kleidung der Frauen, sowie die von Vulkanen und Viehherden dominierten Landschaft, rundeten das Bild ab. Mir war sofort klar, dass es hier Spaß machen wird. Selbstverständlich musste ich jetzt etwas vorsichtiger sein, schließlich war Nicaragua eines der ärmsten Länder der Welt, das mit einer hohen Kriminalitätsrate und mit jugendlichen Mara-Banden gestraft war. Doch das gehörte ebenso wie die bunten Häuser und die unzähligen Spielhallen zum Wildwest-Gefühl dazu und machte die Sache so spannend.

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Laguna de Apoyo

Von der Grenze aus nach Granada, was meine erste Station Nicaragua sein sollte, war es nur ein Katzensprung und gut eine Stunde nach dem Grenzübertritt war ich schon in meiner Unterkunft angekommen. Im Oasis Backpackers, wie sich die Institution nannte, hatte ich ein Einzelzimmer direkt im Innenhof neben dem Swimmingpool des alten Kolonialbaus gebucht. Unzählige Reisende, meist in den Schlafsälen des Hostels untergebracht, waren anwesend und bereiteten sich auf die Silvesternacht vor. Nur einer nicht, ein Australier aus Sydney, der sich hier den Fuß gebrochen hatte und unter großen Schmerzen hier noch einige Tage wartend auf seine Heimreise ausharren musste. Gegen sieben Uhr am Abend gab es Tumult an der Rezeption, als eine junge Dame in großer Aufregung hereingestürmt kam und davon berichtete, auf der Straße mit einem Messer bedroht worden zu sein. Die Umgebung war demnach nicht ganz ungefährlich und ich ließ größte Vorsicht walten, als ich zu der Calle Calzada lief, wo die Einwohner der Stadt den Neujahrsabend feierten und ich in einem Restaurant auf dem Gehweg, eines der besten Steaks bisher auf der Reise essen konnte. Von dem Restaurant aus konnte ich die Feierlichkeiten bestens beobachten, tanzend zogen die Leute hinter einer Blaskapelle durch die Straßen und freuten sich auf das neue Jahr, inmitten ein junger Tourist, der sturzbetrunken in einem grünen Froschkostüm für Erheiterung sorgte. Der Lärmpegel meiner Umgebung steigerte sich mit fortschreitender Zeit zunehmend, gegen elf Uhr hätte man sich schon in einem Fußballstation wähnen können, bis sich die Atmosphäre um Mitternacht in einem Sturm der Freude entlud und unter lautem Böllerregen das neue Jahr begrüßt wurde, worauf sich die gesamte Straße in eine einzige Tanzfläche verwandelte.

Reiseberichte:

Travel Report 24/1: Bei den Kuna Yala Indianern
Travel Report 24/2: Wild West Gefühle
Travel Report 24/3: Die Überfahrt
Travel Report 24/4: In El Salvador

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Travel Report 24/1: Bei den Kuna Yala Indianern

2014: Panama City/San Blas Inseln: Der Bass der lauten Elektromusik ging durch Mark und Bein und ließ die Wände meines Zimmers im Sekundentakt erbeben. Es war bereits halb zwei Uhr nachts, ich hatte noch immer kein Auge zugetan, denn unter meinem Zimmer befand sich die Diskothek des Hotels, in dem ich untergebracht war. Auch die Ohrenstöpsel nutzten in hier wenig und ich machte mir ernsthafte Sorgen am kommenden Morgen, zu verschlafen, wurde ich doch bereits um fünf Uhr von einem Geländewagen abgeholt, der mich ins Gebiet der Kuna Yala Indianer zu den San Blas Inseln bringen sollte. Dabei war ich mehr als müde, am Nachmittag hatte ich James Huntley auf dem Balkon meiner Unterkunft in Panama City kennen gelernt. Der Kanadier hatte auf mich zunächst einen recht schüchternem Eindruck gemacht. Spätestens jedoch als ich ihm und Kirsten, seiner jungen Begleiterin, geholfen hatte, die unglaublich schweren Rucksäcke der beiden von ihrem Hostel in ein Hotel zu tragen, wusste ich, dass dem nicht so war. Wir hatten davor in einer Bar einige Biere und ein paar Tequilas zusammen getrunken und waren schon ordentlich in Schwung gekommen, als Huntley die Entscheidung traf, von dem vermufften Schlafsaal des Hostels in ein Hotel mit einem Einzelzimmer zu wechseln. Während wir die Umzugsaktion durchführten, hatte  Cooper John aus Alabama, den wir zuvor an der Bar kennen lernten, die Stellung an unserem Tisch halten müssen. ¨Guns and God¨ sind bekanntlich die beiden Leidenschaften eines typischen Südstaatlers, so dass wir ihm hatten vertrauen können. Die Latinokellnerinnen der Bar hingegen waren noch mehr verwirrt, als wir den Ort verlassen wollten. Aufgrund des regen Durchgangverkehrs verschiedener Freunde und Bekannter aus unseren Hotels hatten sie ohnehin schon den Überblick über die Geschehnisse an unserem Tisch verloren verloren gehabt. Das neue Hotel von Huntley war nur ein paar Meter von meinem Hotel entfernt gewesen, gleich um die Ecke, doch die Nachbarschaften in dem Stadtteil Casco Viejo konnten sich schlagartig verschlechtern und die neue Unterkunft, die eher einem Gefängnis als einem Hotel glich, lag in keiner guten Umgebung. Mir war beinahe ein Stein vom Herzen gefallen, als wir nach der Umzugsaktion wieder an unserem Tisch in der Bar Platz genommen hatten, alles noch da war und wir weiter trinken konnten. Kaum hatten wir uns gesetzt, begann James auf einmal, laut über das neue Hotel zu lästern und geriet dabei so außer sich, dass die ganze Umgebung auf uns aufmerksam wurde und die Passanten auf der Straße vor der Bar stehen blieben und sich zu uns umdrehten. Vermutlich hatte er zwischendurch irgendwo Kokain konsumiert, was es in dieser Stadt an jeder Ecke zu kaufen gab. Am Nachbartisch hatten sich inzwischen drei bildhübsche junge Damen aus Caracas in weißen Kleidern und mit goldenem Kopfschmuck eingefunden, als wären wir im alten Ägypten und nicht in Panama gewesen. Der Kanadier hatte nun zusammen mit Cooper  immer schneller angefangen zu trinken und in immer kürzeren Abständen Tequilas bestellt, bis beide schließlich völlig durchgedreht sind und an unserem Tisch ein solches Geschrei veranstalteten, dass selbst die laute Musik aus den Boxen der Bar noch übertönt wurde. Die Venezolanerinnen hatten sich inzwischen zu uns gesellt und es gelang, sich in mehreren Sprachen zu unterhalten. Ich wäre gerne noch länger geblieben, verließ aufgrund meines früh morgendlichen Termins jedoch so gegen Mitternacht die Partygesellschaft und hatte dabei eigentlich gehofft, nach einigen Dosen Bier und mehreren Tequilas gut schlafen zu können.

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Panama Viejo

Entsprechend erstaunt über meine Fitness war ich daher, als um kurz vor fünf Uhr der Wecker klingelte. Nachdem der Bass um zwei Uhr abgestellt wurde, hatte ich doch noch für eine Weile geschlafen. Die freigesetzte Energie aufgrund der anstehenden Fahrt zu den Inseln dominierte mein körperliches Befinden an diesem Morgen und linderte die Nachwehen von der Party und der ungemütlichen Nacht. Ich machte mich schnell fertig und stürmte mit meinem Rollkoffer die Treppen zum Eingang meiner Unterkunft hinauf, wo mich zu meinem Schrecken ein Polizist mit der Hand am Halfter empfing, der so aussah, als wäre er bereit loszuschießen. Ich hatte vergessen, dass das Hotel aufgrund der hohen Kriminalität, die uns in diesem Stadtteil umgab, bewacht wurde und den Sicherheitsbeamten wohl aus seinem Halbschlaf gerissen. Nachdem der Vorfall geklärt war, saß ich noch ein paar Minuten mit einer Gruppe von anderen Gästen des Hotels, die ebenfalls auf dem Sprung waren, auf der Straße und unterhielt mich über die nächsten Reiseziele, ehe der Geländewagen angerauscht kam und es in Richtung Karibik los gehen konnte. Nach gut vier Stunden durch ungängiges Gelände und einer Überfahrt mit einem Holzboot, das ich durchnässt wie ein begossener Pudel verließ, war ich endlich auf der Insel El Porvenir angekommen, die meine Ausgangsstation für die weiteren Aktivitäten vor Ort bilden sollte.

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Kunas

Ich hatte ein Paradies vorgefunden vergleichbar mit wenigem, was ich auf bisherigen Reisen gesehen habe. El Porvenir war mit einer Größe von etwa 200 mal 300 Metern und seinen gut zehn Einwohnern die größte Insel der Umgebung. Hier waren neben dem kleinen Hotel, in dem ich wohnte, vor allem viele gut gelaunte Gäste und einige Schiffbrüchige anwesend. Meine erste Bekanntschaft machte ich mit einem Käpt´n aus South Dakota, dessen Katamaran vor der Insel ankerte. Er hatte einige Tage frei, da sich seine Kundschaft in Panama City aufhielt, die er dazu nutze auf El Porvenir Dosenbier zu trinken. Wir saßen auf den Plastikstühlen des Hotels und unterhielten uns über das Seegeln. Während wir dabei hinaus aus auf das Meer blickten, schwamm plötzlich ein in kleines Boot heran, das der Käpt´n sofort als ein den Landgänger einer Yacht identifizierte und zu unserer Überraschung stiegen zwei junge Frauen aus, wovon eine recht ansehnlich war. Danach wurde jede Menge Gepäck an den Strand geworfen, worauf hin das Boot wieder abfuhr und auf dem Meer verschwand. So spät hätten wir hier niemanden mehr erwartet, es war schon kurz vor der Dämmerung und alle regulären Transportmittel fuhren seit Stunden nicht mehr. ¨Man hat uns von Bord geschmissen¨, teilte uns Fizz mit, als wir nach einer halben Stunde zu den Damen gegangen waren, nachdem diese zu unserer Verwunderung nicht wie die anderen Gäste sonst üblicherweise an der Rezeption eingecheckten.

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San Blas 1

Es muss sich um einen Brasilianer handeln, der da so grimmig dreinschaut und in seinen Computer hinein tippt, dachte ich, als ich an diesem wunderschönen Morgen mit einer Tasse Kaffee und zwei Rühreiern auf der hölzernen Terrasse des Hotels saß und frühstückte. Heute schaute er noch etwas grimmiger drein als sonst, denn die beiden gestrandeten jungen Frauen, Nina und Fizz, hatten am Abend zuvor ihr Gepäck bei ihm im Zimmer deponiert. Erst hatte er hierzu eingewilligt, als er aber sah, in welchem Ausmaß sich seine Unterkunft dadurch verkleinerte, war ihm das alles nicht mehr recht, doch für einen Rückzieher war es zu spät gewesen. Neben zwei Rucksäcken handelte es sich um mehrere Taschen, dazu eine große Anzahl an Plastiktüten, Surfboards, Wasserkanister und schließlich war da noch eine besonders schwere Tasche mit Nahrungsmitteln. Letztere war mit allerlei Unbrauchbarem gefüllt, etwa mit Balsamico Essig, Knoblauch, Knäckebrot, Milch, Äpfeln, Honig und so weiter, so dass ich lauthals lachen musste, als ich den Inhalt zum ersten Mal sah. Die beiden gestrandeten waren noch nicht auf der Insel zurück, als ich mich nach dem Frühstück auf einen Bootstrip zu den umliegenden Inseln auf machte. Sie hatten am Vorabend das Glück gehabt, auf dem Boot des Käpt´ns übernachten zu dürfen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass ihre finanziellen Mittel äußerst bescheiden waren. Eigentlich waren sie unentgeltlich eine Woche lang auf einem Katamaran als Koch- und Putzhilfen unterwegs gewesen, doch als der Eigentümer des Bootes kurzfristig Kundschaft bekam, hatten sie von Bord müssen. Als ich zurück war und wir am Abend alle zusammen saßen, rätselten wir, wie es nun weiter gehen sollte. Der Kunde unseres Käpt´ns war zurück, somit eine weitere Nacht auf dem Boot nicht möglich und das Hotelpersonal hatte die Übernachtung in meinem Zimmer abgelehnt. Zuvor hatten die Beiden zwar beteuert, am Strand schlafen zu können, doch nach dem es eine halbe Stunde lang heftig regnete schien diese Option vom Tisch zu sein. Schließlich half das panamaische Militär, das El Porvenir einige Stunden zuvor bis an die Zähne bewaffnet betreten hatte, um von hier aus einen Schlag gegen kolumbianische Drogenschmuggler zu starten, die entlang der Inseln ihr Unwesen trieben. Es wurde eine Palmblatt-Hütte auf der anderen Seite der Insel gut 200 Meter vom Hotel entfernt angeboten, die zumindest Schutz gegen den Regen bieten konnte.

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San Blas 2

Aufgelöst erzählte mir Fizz, als ich am nächsten Morgen in einer Hängematte des Hotels am Strand hin und her baumelte, dass die Soldaten am Abend zuvor auf ihr Schiff zurückgekehrten wären und ein Kuna Yala Indianer, sie von der Hütte vertrieben hätte. Aus lauter Angst wären sie an den nördlichen Teil der Insel gerannt, um hier gezwungener Maßen eine sehr kalte und unangenehme Nacht zu verbringen. Ich musste lachen, die Insel war etwa 200 mal 300 Meter groß, hätte der Indianer wirklich Böses im Schilde geführt, wären die beiden nie entkommen. Der gerade angebrochene Tag sollte unbeschwert verlaufen, ich war zusammen mit den beiden Damen und einigen anderen Personen auf einer gerade zehn Mal zwanzig Meter großen Trauminsel zum Schwimmen und Schnorcheln. Als wir am Abend zurück kehrten saß eine große Gruppe von Skippern, die vor der Insel Anker gelegt hatten und bereits stark angetrunken waren, an den Tischen des Hotels und unterhielten sich lauthals. Mit Witz und mit Charme vermochten es die beiden schließlich, einen der Yachtbesitzer dazu zu überreden, sie an Bord zu nehmen. Auch die Soldaten waren wieder da, so dass die beiden Glücklichen nun eine 3-Liter Rumflasche, die sie aus einem ihrer Taschen heraus zogen, spendierten und nach einigen Stunden lallend und sturzbetrunken zusammen mit ihrem Gepäck auf die Yacht gebracht wurden. Ich selbst machte mich am kommenden Morgen zurück nach Panama City auf, wo ich erneut zufällig auf Huntley traf, der eigentlich schon über alle Berge sein sollte, aber bedauerlicherweise sein Schiff nach Cartagena in Kolumbien verpasst hatte. Wir zogen bis gegen drei Uhr morgens von Bar zu Bar und ich war ziemlich am Boden, als ich am kommenden Tag im Bus saß, der mich rechtzeitig zum Heiligen Abend nach Costa Rica bringen sollte.

Reiseberichte:

Travel Report 24/1: Bei den Kuna Yala Indianern
Travel Report 24/2: Wild West Gefühle
Travel Report 24/3: Die Überfahrt
Travel Report 24/4: In El Salvador

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Travel Report 23/3: Industrieruinen und Klöster

2014, Yerevan: Mein Ärger über die unsägliche Fahrweise des Minibusfahrers von Tiflis nach Yerewan in Armenien wich schnell der Faszination des ehemalige Kupferbergwerk in Alaverdi, das nun nach gut drei Stunden Fahrt zu unserer Rechten lag und an dem wir nach einer wilden Raserei über die Berge zuvor jetzt langsam vorbeifuhren. Ein riesiger, halb zerfallener Komplex, der einen morbiden Charme längst vergangener kommunistischer Planwirtschaft ausstrahlte. Armenien war mit Sicherheit der ärmste Staat der drei postsowjetischen Republiken im Kaukasus und hatte auch touristisch nicht sehr viel mehr als ein paar Klöster zu bieten. Ich kam trotzdem hierher, um ein paar Tage in Yerewan zu verbringen und von dort aus einige Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen. Die Pläne, in das besetzte Berg Karabach zu fahren, hatte ich aus zeitlichen Gründen inzwischen verworfen, was ich nach meiner Ankunft in Yerewan aber sehr bedauerte als ich erfuhr, wie einfach man in dieses Gebiet von der armenischen Hauptstadt aus kommen konnte. Der ganze Kaukasus war ja seit Jahrhunderten ein ethnischer Flickenteppich, der durch willkürliche Grenzziehungen, zaristischer Okkupation, stalinistischer Um- und poststalinistischer Rücksiedlungsprogramme die Kulturen und Religionen verwürfelt und dadurch ein erhebliches ethnisches Konfliktpotenzial heraufbeschworen hatte. Armenien war gleich von mehreren Seiten betroffen, einerseits war das bereits erwähnte Berg Karabach noch immer umkämpft, andererseits gehörte eigentlich auch Naxcivan auf der westlichen Seite, das man Aserbaidschan zugesprochen hatte, ursprünglich zu Armenien. Am schlimmsten aber war wohl, dass die Türkei den Berg Ararat gestohlen hatte.

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Alaverdi Kupfermine (Quelle: Wikipedia)

Als ich in Yerewan ankam, war ich erstaunt, wie attraktiv die Innenstadt war. Ich setzte mich gleich nach der Ankunft in ein Café, das sehr westlich anmutete und ruhte mich bei einer Cola von der sechs stündigen Fahrt aus, die es von Tiflis aus hierher gedauert hatte. Als ich die vorbei ziehenden Menschen beobachtete, fiel mir auf, dass ich wahrscheinlich geglaubt hätte, in einem europäischen Land zu sein, hätte ich nicht gewusst, dass der Iran nur etwa 300 Kilometer südlich lag. Die Orientierung in der Stadt war einfach, die Ringstraßen gingen um die Oper herum und waren mit horizontalen und vertikalen Diagonalen verbunden. Es dauerte nicht lange, bis ich nach der Pause meine Unterkunft fand, ein einfaches Hostel im fünften Stock eines sehr prunkvollen Gebäudes von wo aus man Ausblick auf den Berg Ararat haben sollte. Dort wurde mir allerdings mitgeteilt, der Strom in meinem Zimmer wäre ausgefallen und man würde mir alternativ in einer anderen Unterkunft eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten, einem zweiten Hostel, das dem gleichen Besitzer gehören und nur einige hundert Meter entfernt liegen würde. Obwohl man mir ein Taxi anbot, ärgerte ich mich über den Vorgang, vermutlich war man einfach überbucht, schließlich hatte ich so etwas bereits in St. Lucia und der Mongolei erlebt. Ich konnte mich über die alternative Unterkunft zwar nicht beschweren, das Zimmer war auf drei Sterne Niveau, ein Garten war direkt an dem Hostel angeschlossen und alles war sehr sauber, doch der Ärger wollte nicht weichen. Des Abends, als ich auf einem Internet-Portal von ähnlichen Geschichten anderer Gäste des Hostels las, sah ich mich bestätigt und gezwungen, meinerseits einen kritischen Artikel über den Vorgang zu verfassen und im Internet publik zu machen.

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Kloster Mönche

Der folgende Tag gestaltete sich eher langweilig, ich besuchte das Kloster Echmiadzin wo viele andächtig voranschreitende schwarze Gestalten in tiefer Religiosität ihr tägliches Dasein fristeten. Hierbei sollte es sich um den Vatikan der Apostolischen Kirche handeln, doch von dem römischen Prunk war weit und breit nichts zu sehen. Auf dem Rückweg kam ich bei der Zvardnots Kathedrale vorbei, ebenfalls ein eher armseliger Ort, der zwar schon knappe 1.400 Jahre alt war, doch keinerlei aufregendes bot. Schlussendlich besuchte ich noch den alten Garni Tempel, ein Relikt römischer Zeit, das aus einem Kreis von Steinbögen mit gut zwanzig Metern Durchmesser bestand durch die ich mehrfach hin und her lief, die aber ebenfalls kaum mein Interesse wecken konnte. Am Abend war ich froh, wieder zurück in Yerewan zu sein und im Paulaner Weißbiergarten, der aussah wie eine Münchner Kopie, mir ein wohlbekanntes heimisches Getränk zu genehmigen. Etwas aufregender gestaltete sich der spätere Verlauf des Abends, an dem ich die unendlich vielen Stufen zum „50th Anniversary of Soviet Armenia Monument“ hinauf lief, wo die jährlichen Erinnerungsfeiern an den Genozit aus dem Jahre 1915 zelebriert wurden und ich die Umrisse des Ararats in der Ferne bestaunen konnte. Aus meinem Vorhaben, ein grandioses Bild des berühmten Berges zu machen wurde an diesem Abend und auch an den anderen Tagen meines Aufenthalts zu meiner Endtäuschung nichts, obwohl ich es mehrfach versuchte, das Wetter war einfach zu diesig.

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Lake Sevan

Die organisierten Reisegruppe, mit der ich am zweiten Tag meines Aufenthalts in Armenien zum Svaneti See fuhr, damit ich die dort befindlichen Klöster besichtigen konnte, war eine bunt zusammen gewürfelte Truppe aus Libanesen, Türken, Japanern, Russen und Armeniern. Die junge Reiseführerin erläuterte uns die Sehenswürdigkeiten auf der Fahrt und redete dabei in einem Stakkatoenglisch, das nicht einmal der Brite und seine Frau neben mir im Bus verstanden hat. Als wir in der Nähe des Sees in ein Restaurant gebracht wurden, gab es gleich den ersten Krach, weil das Wasser abgestellt war und ein türkischer Tourist unserer Reisegruppe sich nach der Toilette nicht die Hände waschen konnte. Aufgebracht brüllte er das gesamte Restaurant zusammen, bis zwei Kellner mit einer Flasche herbei eilten und Wasser über seine Hände schütteten, dabei auch das Hemd erwischten und damit ein noch größeres Geschrei herauf beschworen. Als endlich die Mahlzeiten kamen, saß die gesamte Reisegruppe peinlich berührt da und man aß ohne ein Wort zu reden. Mit betretenen Minen fuhren wir danach in dem Minivan weiter und wir kamen bald bei den Klöstern an. Den nächsten Kracht gab es auf der Rückfahrt. Ein Ehepaar unserer Gruppe war der Meinung, dass nicht alle zugesagten Sehenswürdigkeiten besichtigt worden waren und es kam beinahe zu einem Handgemenge mit der Reiseleiterin. Ich war froh, als ich danach wieder in Yerewan war und schwor davon ab, noch einmal mit einer Reisegruppe durch die Lande zu ziehen. Am kommenden Tag besuchte ich einige Sehenswürdigkeiten in der direkten Umgebung der armenischen Hauptstadt. Richtig interessant war nichts davon, so dass ich mich nach nur drei Tagen entschloss, wieder zurück nach Georgien zu reisen, um noch einige Tage in Batumi am Schwarzen Meer zu verbringen, ehe die Iran und Kaukausus Reise mit einem mehrstündigen Zwischenstopp in Lettland und einem Abstecher nach Riga beendet wurde.

Reiseberichte:

Travel Report 23/1: Die Grenze vom Iran nach Aserbaidschan
Travel Report 23/2: Im wilden Kaukasus
Travel Report 23/3: Industrieruinen und Klöster

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Travel Report 23/2: Im wilden Kaukasus

2014, Kaukasus: Es war erst sieben Uhr morgens, doch ich war schon seit gut einer Stunde auf meinem 32 Kilometer langen Fußmarsch von Omalo nach Dartlo unterwegs. Ich dachte an den bisherigen Reiseverlauf zurück und war froh, in diese abgelegene Kaukasusregion gekommen zu sein, ein Unterfangen, an dem ich aufgrund des hohen organisatorischen Aufwands vor der Reise mehr als einmal gezweifelt hatte. Der Iran, in dem die Reise knapp drei Wochen zuvor begonnen hatte, war mit einer Fülle von historischen und kulturellen Attraktionen gesegnet, landschaftlich sehenswert und die Menschen dort voller Gastfreundschaft. Von dort war ich nach Aserbaidschan weitergereist und hatte einige Tage in Baku verbracht, ein kleines Land, das für mich schwer einzuschätzen war. In der Hauptstadt Baku sah es teilweise aus wie in Paris und alles war dem Anschein nach sehr fortschrittlich und modern. Obwohl auch hier der Islam die hauptsächliche Religion darstellte und die Bevölkerung türkischer Abstammung war, gab es keine verschleierten Gestalten auf der Straße, ja nicht einmal Kopftücher waren zu sehen, hingegen windige und durchsichtige Blusen leichtgekleideter junger Damen mit knappen Röcken und engen Hosen. Dabei hätte man vermuten können, die weibliche Bevölkerung würde ähnliche Gewohnheiten, wie es im Osten der Türkei der Fall war, an den Tag legen, wo die Frauen bei 42 Grad im Schatten mit Mänteln und Kopftüchern bedeckt durch die sengende Hitze wandelten. Nein, in Aserbaidschan waren die hübschen jungen Damen sehr leicht und luftig gekleidet. Auf dem Land war das Gefälle zur Hauptstadt hingegen deutlich zu spüren, hier schien alles viel ärmlicher zu sein und außerdem hatte ich gehört, dass Korruption, ähnlich wie in den übrigen postsowjetischen Staaten ein großes Problem darstellen würde. Vielleicht hatte ein Reisender, den ich im Zug von Baku nach Tiflis kennen lernte mit seiner Aussage recht, wenn er meinte, die gesamte Wirtschaftskraft würde sich hier nur auf die Hauptstadt konzentrieren. Vielleicht war es aber auch der sowjetische Einfluss aus früheren Zeiten, der hier noch seine Auswirkungen zeigte. Zudem verstand ich nicht, weswegen es so schwer gewesen war, ein Visum für das Land zu bekommen, machte es doch selbst auf den Trikots eines bekannten spanischen Fussballclubs mit dem Slogan ¨Visit Aserbajan¨ Werbung

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Mit dem Jeep

Ich war noch nicht lange in Georgien, bevor ich in den Kaukasus kam. Unmittelbar nach dem Eintreffen meines Zuges aus Aserbaidschan nach einer 24 stündigen Überfahrt, fuhr ich vom Bahnhof in Tiflis mit dem Taxi in das gut 100 Kilometer entfernte Telavi, ein Städtchen am den Fuß der mächtigen Gebirgskette, die Asien von Europa trennt. Dort hatte ich eine Nacht verbracht und war am kommenden Morgen in aller Frühe nach Alvani aufgebrochen, einem Flecken an dem sich die Kreuzung mit der Sammelstelle für Jeeps befand, welche die Passagiere hinauf in den Kaukasus brachten. Solche Sammelstellen kannte ich bereits aus Usbekistan und Tadschikistan sehr gut und hatte daher meine Bedenken gehabt, denn nicht selten musste man mehrere Stunden warten, ehe ein Fahrzeug mit einer ausreichenden Anzahl an Passagieren gefüllt war und man losfahren konnte. Doch ich hatte großes Glück, ein junger sympathischer Kerl nahm mich sofort mit, als ich an der Kreuzung aus dem Taxi sprang. Ich glaube, er musste dringend etwas transportieren oder jemanden abholen und wartete nur auf einen Passagier, der ihm das Benzingeld zahlen würde. Fünf bis sieben Stunden sollte laut den Informationen aus dem Internet und den Reiseführern die Fahrt nach Omalo im Kaukasusgebirge dauern, doch mein Fahrer schaffte es in nur drei, so dass ich noch am Vormittag ankam und meine Unterkunft aufsuchen konnte. Es handelte sich um eine sehr einfache, aber typische Bauernhütte historischen Charakters, mit einem Alter von über 100 Jahren und man musste beim Betreten des Gebäudes aufgrund der geringen Höhe der Türe von etwa eineinhalb Metern aufpassen, sich nicht den Kopf anzuschlagen. Mari Laviglava, die junge Besitzerin der Hütte erklärte mir, es handele sich hierbei nicht um eine Fehlkonstruktion, vielmehr hatte man damals, als die Zeiten hier oben noch rauer waren, ungebetene Gäste so gezwungen, sich beim Eintritt zu bücken und konnte ihnen dabei gleich ein Messer in den Rücken rammen. Jedes Dorf in der Umgebung verfügte zudem über eigene Wehrtürme, die den Dorfbewohnern im Falle eines Überfalls zum Schutz gedient hatten. Es schien so, als hätte man vor vielen Jahren trotz aller Abgeschiedenheit in den Dörfern des Kaukasus ein recht unbequemes Leben geführt, schließlich war Dagestan und Tschetschenien nur einen Steinwurf entfernt und es waren hier oben in den luftigen Höhen des Kaukasus sehr viele unterschiedliche Ethnien und Religionen mit entsprechendem Konfliktpotenzial angesiedelt.

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Dartlo

Die Sonne stieg langsam empor, als ich nach einigen Windungen des Waldwegs auf der höchsten Stelle des Kamms zwischen den beiden Dörfern Omalo, in dem ich wohnte und Dartlo, das ich heute besuchen wollte, ankam. Ich erblickte vor mir die Felswand, an deren Fuß Dartlo lag und die auf eine Höhe von 4.000 Meter anstieg, dahinter war Tschetschenien und rechts Dagestan, alles in einer Luftlinie von weniger als zwei oder drei Kilometern. Der Abstieg von hier war einfach und es dauerte kaum mehr eine Stunde, ehe ich in dem abgelegenen Dorf des georgischen Kaukasusgebirges ankam. Die Häuser und Wehrtürme waren wie hier überall sonst auch, aus Schindeln erbaut und versprühten trotz des hellen Sonnenscheins einen Hauch abgelegener Einsamkeit. Es gab in Dartlo zwei oder drei Gästehäuser, die wohl auch über ein Restaurant verfügten, wie üblich gab es aber nichts von dem zu Essen, was auf dem Menu stand, so dass ich mich nach einigen Stunde, in denen ich die Gegend erkundigt hatte, mit leerem Magen wieder auf den Rückweg nach Omalo machte. Beklagen konnte ich mich wegen des Essens hier oben insgesamt nicht, denn Mari kochte jeden Abend ausgezeichnet für mich und außerdem hatte ich in Dartlo eine Flasche Bier auftreiben können, hier wie so oft in Georgien mit einem Volumen von 2,5 Litern, die mir den weiten Heimweg versüßen sollte.

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Im Kaukasus

Es war ein schwerer Abschied, als ich einige Tage später Omalo wieder in Richtung Zivilisation zurück nach Tiflis verlassen musste. Ich hatte mich mit der Einsamkeit der abgeschiedenen Bergregion angefreundet, in der es nur eine Handvoll Dörfer mit ein paar Einwohnern gab, ich schätze so zwischen zehn und zwanzig Menschen pro Dorf. Mit mir reiste Vakthang Beriaschwilli, den ich zwei Tage zuvor kennen gelernt hatte und mit dem ich zusammen am Tag zuvor einen Fußmarsch an die Grenze Dagestans unternommen hatte. Er war mit Mari befreundet und musste ebenfalls zurück nach Tiflis, wo er als eine Art Informatiker oder Webseitenentwickler arbeitete. Am Abend zuvor hatte es noch einige Aufregung gegeben, da ein italienisches Pärchen unter dem Vorwand ¨Traveller¨ zu sein, sich unentgeltlichen Zutritt zu unserer Hütte verschaffen wollte. Unbeeindruckt von den Bemühungen Maris, die beiden abzuwimmeln, forderten Sie eine Unterkunft und bestanden darauf, diese als ¨Traveller¨ für umsonst zu bekommen. Es hatte uns einige Anstrengungen gekostet, sie weg von der Hütte in einem Stall am Waldrand unterzubringen. In über 90 Ländern, die ich zu diesem Zeitpunkt besucht hatte, war mir bis dahin noch nie eine Gruppe von Menschen aufgefallen, die als ¨Traveller¨ das Privileg eingefordert hatten, für umsonst irgendwo übernachten zu dürfen.

Reiseberichte:

Travel Report 23/1: Die Grenze vom Iran nach Aserbaidschan
Travel Report 23/2: Im wilden Kaukasus
Travel Report 23/3: Industrieruinen und Klöster

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Travel Report 23/1: Die Grenze vom Iran nach Aserbaidschan

2014, Teheran: Ich hatte lange im Internet nach Möglichkeiten gesucht, wie man von Teheran aus mit dem Bus in den Nordirak fahren könnte, aber außer den üblichen Warnhinweisen keine brauchbaren Informationen gefunden. Als ich im Tehraner Bus Terminal mein Ticket nach Baku löste, war die Frage schnell beantwortet, denn trotz der kürzlich zuvor ausgebrochenen Kampfhandlungen zwischen den Kurden und dem Islamischen Staat, verkehrten weiterhin zahllose Busse zwischen den beiden Ländern und es wurde noch immer reger Handel zwischen den Ländern getrieben. Da jetzt allerdings Arbil, die Stadt, die ich vor dem Krieg aufgrund ihrer einzigartigen Zitadelle zu besuchen geplant hatte, belagert wurde, konnte ich das Unterfangen nicht in Angriff nehmen. Die meisten Passagiere, die in den Nordirak fuhren, steuerten inzwischen überwiegend das etwas weiter östlich von Arbil gelegene Sulemanyae an. Ein gepflegter junger Iraner, der mit seinen langen Haaren, gezupften Augenbrauen und schwarz geschminkten Augenlidern wartend vor einem der Busse in Richtung Irak stand, erklärte mir, er würde von dort aus nach Malaysia in den Urlaub fliegen. Alles ging hier also den gewohnten Gang der Dinge, auch wenn die deutschen Medien auf manipulative Art und Weise diesen Teil der Welt so darstellten, als würde man sich bei einem Aufenthalt hier um Kopf und Kragen bringen. Mein Bus fuhr erst am folgenden Abend nach Baku los, ich musste vom Terminal also noch einmal zu meinem Hotel in das Stadtzentrum zurück und entschloss ich mich, hierzu die bestens funktionierenden Metro zu benutzen, die mich schon an den Tagen zuvor kreuz und quer durch Teheran geführt hatte. Als ich an der Station ankam, stand der Zug schon abfahrbereit da, was mich ungeachtet des ablehnend winkenden Mannes an der Türe zu einem Sprung in Waggon hinein verleitete, wo ich direkt im Frauen Abteil landete. Die schwarz gekleideten Damen nahmen keine Notiz von mir und ich wechselte bei der ersten Gelegenheit in die gemischte Abteilung. Alles halb so wild, dachte ich, selbst wenn man die Regeln verletzt.

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Tehran

Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits seit knapp zwei Wochen im Iran unterwegs und hatte mir vom Süden her kommend, neben Shiraz und den Ruinen von Persepolis auch bereits Yazd, Isfahan und Qom angesehen, ehe ich in der Teheran angekommen war. Dabei kam es des Öfteren vor, dass ich sehr herzlich auf der Straße angesprochen und willkommen geheißen wurde. Auch hatte ich einen Fahrradfahrer kennen gelernt, der im Zuge seiner Durchreise durch den Iran nicht ein einziges Mal in einem Hotel übernachten musste, da er in voller Gastfreundschaft stets privat zur Übernachtung eingeladen geworden war. Die Leute gaben sich redlich Mühe, mir zu verstehen zu geben, dass sie keine Terroristen seien und auch keinen Krieg mit dem Westen wollten. Somit hatte sich hier vor Ort schnell ein völlig anderes Bild abgezeichnet, als es die Schmier- und Lügenpresse und der öffentlich rechtliche Manipulationsapparat in Deutschland jahrelang an die Wand gemalt hatten. Die Gesellschaft im Iran schien meiner Beobachtung nach allerdings in zwei Lager gespalten zu sein. Einmal gab es da die konservativen Traditionalisten, die das Heft in der Hand hielten und auf der anderen Seite die jungen Liberalen. So kam es nicht selten vor, dass mir in Teheran eine Frau über den Weg gelaufen ist, die das Kopftuch soweit hinein in die Haare verwebt hatten, dass es als solches gar nicht mehr wahrnehmbar war. Zumindest bei den jungen Liberalen schien die Kopftuchpflicht keine freiwillige Angelegenheit zu sein, wie es uns die Vorzeigemuslimas in den deutschen Talkshows weismachen wollten. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass die fortschrittlichen Teile der Gesellschaft hier im Iran sehr unter der staatlichen Doktrin zu leiden hatten. Im Gegensatz zu der westlichen Propaganda, in der fortwährend die Rede von Menschen war, die im Iran aufgrund von Fotoaufnahmen inhaftiert worden wären, hatte die gesamte Zeit über unbehelligt tun und lassen können, was ich wollte. Fotografieren war überhaupt kein Problem und als ich einige Tage zuvor durch die noblen Wohnviertel der Nordstadt lief, um den Berg hinter Teheran zu besteigen, hätte ich angesichts der westlich anmutenden Wohngegenden nicht geahnt, in einem Land zu sein, dem so viel Schlechtes zugeschrieben wurde.

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Hafes Tomp

Mein Bus sollte erst um zehn Uhr Abends abfahren, doch ich saß bereits um sechs Uhr an der Busstation, um auch sicherzugehen, dass alles wie geplant funktionieren würde. Die Angewohnheit, auf den Reisen alles kontrollieren zu wollen und die Reiseroute wie ein Uhrwerk ab zu fahren, war in den früheren Jahren, als alles viel chaotischer verlaufen war, bei mir nicht sehr ausgeprägt gewesen, wie dies inzwischen der Fall war. Vor dem Verkaufsstand des Busunternehmens nach Aserbaidschan bemerkte ich einen blonden jungen Mann mit blauen Augen und vermutete einen anderen Ausländer, mit dem selben Reiseziel. Als zweites fiel mir ein älterer Herr mit einem für iranische Verhältnisse untypisch nach hinten gekämmten Haarstil auf. Ich behielt die beiden zusammen mit dem Verkaufsstand des Busunternehmens im Blick, während die Stunden vergingen. Falls sie Ausländer wären, könnte ich sie zur Not um Hilfe bitten, so meine Überlegung, schließlich war es aufgrund meiner fehlenden Kenntnisse der persischen Sprache schlichtweg nicht möglich mit dem offiziellen Personal im Terminal zu kommunizieren. Mit etwas Verspätung fuhr der Bus vor und die beiden Männer stiegen neben einer Gruppe von dicken Azeri Frauen, meiner Person und noch einer Handvoll anderer Reisender in den Bus ein. Ziemlich schnell nach der Abfahrt war ich schon eingeschlafen und wachte erst wieder auf, als der Bus mitten im Niemandsland angehalten hatte und draußen einige schwarze Autos zu sehen waren. Es war sechs Uhr morgens, zu meiner Verwunderung stiegen alle Passagiere aus und fuhren nach und nach mit den Fahrzeugen fort. Während ich zunächst ratlos vor dem Bus stand und der Fahrer mit zuckenden Schultern auf mich einredete, kam der blondhaarige Passagier auf mich zu, den ich am Tag zuvor beobachtet hatte und stellte sich mir mit seinem Namen ¨Hadi¨ vor. In sehr gutem Englisch erklärte er mir, dass wir in Astara angekommen waren und nun mit dem Taxi an die Grenze fahren mussten, während der Bus einen anderen Streckenverlauf nehmen würde.

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Qom

Hadi lud mich auf einen Kaffee ein, da die Grenze noch nicht geöffnet war. Ich hatte mich geirrt, mein neuer Weggefährte, der so gänzlich uniranisch aussah, stammte doch von hier und zwar aus der Provinz West-Aserbaidschan im Nordwesten des Landes. Es wird geprügelt werden, teilte er mir mit, als sich der Wartesaal an der Grenze zunehmend mit Menschen füllte und je weiter wir uns der Öffnungszeit um acht Uhr näherten, desto unruhiger wurde die Stimmung. Einige der Wartenden versuchten sich Sitzplätze in aussichtsreicher Lage vor den wackeligen Glastüren des Inspektionsraums zu verschaffen, wodurch die ersten Rangeleien entstanden. Die Unruhe steigerte sich stetig und als man um fünf nach acht zunehmend Bewegung hinter der milchigen Glasabsperrung sehen konnte, gab es ein größeres, von Wortgefechten begleitetes Gedränge. Gut fünf Minuten später wurde eine der Glastüren einen Spalt geöffnet und ein Beamter des iranischen Grenzschutzes gab die Anweisung, alle Pässe einzusammeln und an ihn zu überreichen. Inzwischen waren gut 200 Menschen in dem Wartesaal versammelt, so dass ein chaotischer Ablauf der Prozedur unvermeidbar war. Ich übergab meinen Pass einem der engagierten Einsammler, die sich freiwillig aus den Reihen der Wartenden hervorgetan hatten und sah mit Wehmut, wie er im Gewühl der anderen Pässe versank, ehe dem Grenzbeamten zwei gut einen Meter hohe Stapel übergeben wurden. Nach etwa zwanzig Minuten reichte eine Hand päckchenweise die Reisepässe wieder durch den Türspalt heraus, wovon sie unter lautem Gebrüll der jeweiligen Namen von den selben Männern zurück in die Menge gegeben wurden, die sie zuvor eingesammelt hatten. Mit großer Aufregung beobachtete ich die Szene, meinen Namen würde hier ja keiner aussprechen können, ehe mich Hadi antippte ich sah, wie die Hand einen letzten Pass aus dem Türspalt reichte und es meiner war. In Erwartung darüber, dass nun die Grenze bald ihre Pforten öffnen würde, drängte die Masse immer stärker an die Türe und die ersten Handgemenge um die beste Ausgangsposition entstanden in den vordersten Reihen, wobei die Wortgefechte inzwischen an Lautstärke gewonnen hatten. Als sich die Türen öffneten entstand regelrechter Tumult, darunter eine alte, halb verschleierte Frau, die neben einigen schreienden Kindern mit der Handtasche auf ihr Gegenüber einschlug. Daneben drängten sich mehrere Männer bis sie Hals über Kopf von anderen Reisenden nieder gerissen wurden, die eine Abkürzung über die quer stehenden Sitzbänke genommen hatten. Im Hintergrund drückten die Polizisten, wohl aus Angst um das Heil der Glastüren, von innen dagegen, doch es war schon abzusehen, dass sie nicht mehr lange würden bestehen können. Während lautes kreischen von mehreren zusammengedrückten Frauen ein einer Ecke des Wartesaals zu vernehmen war, machten sich zwei jüngere Männer an einer Seitentür zu schaffen und als die Polizisten dem Druck schließlich nicht mehr Stand halten konnten, sprangen die Türen auf und die ersten Reihen stolperten übereinander in den Inspektionsraum hinein, so dass es ein Wunder war, dass keiner zertrampelt wurde. Nickend schaute mich Hadi an, während uns ein Polizist, wohl aufgrund meiner Nationalität, über einen Seiteneingang hinein ließ, man traute mir wahrscheinlich nicht zu, hier in der Menge als Fremder bestehen zu können.

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Yazd

Glaubte man den Berichten im Internet, so sollte der Grenzübertritt zwischen drei und sieben Stunden dauern, es begann jetzt also die Zeit des großen Wartens. Ich war besorgt, den Bus nicht zu verpassen, den ich seit Stunden nicht mehr gesehen hatte und stand nervös in der Schlange vor dem Grenzbeamten. Als ich endlich meinen Pass überreichen konnte, waren alle anderen Passagiere meines Busses bereits durch den Zoll  gegangen. Mit wütenden Blicken musterten mich die Personen in der Schlange hinter mir, als ich in den Genuss einer Sonderbehandlung kam und der Grenzbeamte mit meinem Pass in einen Seitenraum ging, um zu telefonieren. Ich hatte zuvor meine Reiseroute im Detail aufschreiben müssen und war mir ziemlich sicher, dass er jetzt alle Hotels durchtelefonierte, um herauszufinden, ob ich mich dort ordentlich benommen hatte. Nach gut einer halben Stunde war ich endlich durch und lief an die Grenzbrücke, wo zu meiner Erleichterung die übrigen Passagiere des Busses ebenfalls noch warteten, wobei die Frauen jetzt alle unverschleiert waren. Eine Stunde später erschien der Bus und wir konnten in den aserbaidschanischen Grenzbereich weiterfahren, wo wir eine weitere Stunde in der brütenden Hitze warteten, ehe wir nach langem hin und her unsere Einreisestempel bekamen. Was bei der Einreiseprozedur vor sich ging, kann ich nicht sagen, jedenfalls wurde ich mehrfach in die Grenzstation gerufen, um dort barsch empfangen und gleich wieder des Raumes verwiesen zu werden. Dem älteren Mann mit den untypisch zurück gekämmten Haaren, den ich schon am Tag zuvor beobachtet hatte, ging es ähnlich, er hatte mehrere tausend Dollar an der Grenze deklariert und wurde nun sehr kritisch von den Grenzbeamten in Augenschein genommen. Das ging ja relativ schnell, dachte ich mir und war froh, als der Bus los fuhr, um keine fünf Minuten später auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt zu werden. Wir fuhren nicht weiter, sondern auf einen Parkplatz vor einem Duty-Free Shop, wir konnten die Grenze also noch nicht überschritten haben. Ich erkundigte mich, was vor sich ging und erfuhr, dass die Grenze von elf Uhr bis zwei Uhr Mittagspause machen würde und wir so lange hier warten müssten.

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Baku

Hadi hatte als nicht praktizierender Moslem gleich einige Flaschen Bier in dem Duty Free Shop besorgt und teilte diese mit mir im Schatten eines Baumes. Während wir das steuerfreie Bier konsumierten, lagen etliche ausgezogene Schlappen in der Nähe, die zu den betenden Männern gehörten, die neben uns auf ihren ausgerollten Teppichen sich in Richtung Mekka bückten. Wozu der ganze Stress in der Hitze, dachte ich mir, schließlich würde der Irrglauben ja ohnehin niemand ins Paradies bringen. Ich erfuhr nun mehr von Hadis Geschichte und seinen Beweggründen, nach Aserbaidschan zu kommen. Sein Vater war beim iranischen Geheimdienst tätig gewesen, betrieb aber bereits seit vielen Jahren eine Farm, wodurch es gelungen war, über 100.000 US Dollar zusammen zu sparen, mit denen der Iraner nun in den USA Kunstgeschichte studieren wollte. Er war auf dem Weg nach Baku zur amerikanischen Botschaft, um dort diesbezüglich für ein Visum vorzusprechen, die Zusage der Universität hatte er schon in der Tasche. Nach drei quälenden Stunden in der Hitze von über 40 Grad im Schatten konnten wir endlich wieder zurück an den Grenzposten fahren, wo in einem weiteren gut sechs stündigen Prozess das gesamte Gepäck ausgeladen und geröntgt wurde. Die Prozedur ging sehr langsam von Statten. Nicht nur, dass die Grenzbeamten alle Zeit der Welt hatten, die Busfahrer vor uns in der Schlange transportierten zudem jede Menge privater Güter, es gab also viel ein- und auszuladen und zu röntgen. Ich ärgerte mich sehr über diese Unannehmlichkeit, insbesondere über den Grenzbeamten, der eigentlich den Röntgenbildschirm überwachen sollte, es aber vorzog, am Telefon Text-Nachrichten zu schreiben. Zu guter Letzt wurde der Bus noch in einer riesigen Röntgenhalle komplett durchleuchtet und schließlich das gesamte Gepäck wieder eingeladen, so dass wir uns nach zwölf Stunden an der Grenze endlich in Richtung Baku aufmachen konnten, wo wir am späten Abend ankamen.

Reiseberichte:

Travel Report 23/1: Die Grenze vom Iran nach Aserbaidschan
Travel Report 23/2: Im wilden Kaukasus
Travel Report 23/3: Industrieruinen und Klöster

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Travel Report 6/2: In Gewahrsam

1995, Caracas: Als ich wieder zurück in der Stadt war, wurde ich ähnlich wie in den Tagen zuvor zum wiederholten Male von Passanten angepöbelt. Langsam begann ich zu verstehen, dass den Menschen hier mein Äußeres mit langen Haaren, Ohrringen und kurzen Hosen nicht passte und sie mich für einen Schwulen hielten. Jetzt verstand ich auch das Interesse der Soldaten in Ciudad Guyana, man hielt mich für einen Maricón und das war nicht sehr angenehm. Die Leute blieben stehen und gafften mich an oder pfiffen mir hinterher und immer wieder der Zuruf „Maricón“, „Maricón“. Irgendwie fühlte ich mich in Venezuela nicht sehr wohl, hier liebte man Basketball anstelle von Fußball, hatte man einen Central Park mit zwei Hochhäusern namens World Trade Center und war Schwarzkatholisch. Als ich mich in dem eben benannten Park auf die Wiese setzen wollte, sah ich einen blonden Wuschelkopf und dachte mir gleich, das muss doch der Amerikaner sein, den ich auf dem Schiff am Amazonas kennen gelernt hatte (Travel Report 5/3). In der Tat, er war es. Freudig über diesen glücklichen Zufall und auch darüber, dass er kolumbianischen Aquardiente bei sich  hatte, setzten wir uns gemütlich hin und tranken einen kräftigen Schluck aus der Plastikflasche, da wurden wir auch schon rüde aufgefordert, aufzustehen. Zwei Polizisten hatten sich unbemerkt an uns herangeschlichen und fauchten uns nun an, Alkohol in der Öffentlichkeit sei nicht erlaubt. Wir wurden mit auf die Polizeistation in der Nähe des Busbahnhofs, einer der übelsten Gegend in der ganzen Innenstadt genommen und in ein Hinterzimmer gesperrt in dem seitlich auch einigen Zellen eingeschlagen waren. Nach etwa zwei Stunden, durfte zuerst der Amerikaner hinaus zu den Polizisten und er verschwand für immer aus meinem Blickfeld. Als ich nach gut einer weiteren Stunde schließlich selbst in das Vorderzimmer der Polizeistation geladen wurde, grinste mich einer der Polizisten, der in einem Sessel saß und wohl der Chef hier war, breit an. Er gab mir im Namen der uniformierten Bande auf Spanisch zu verstehen, dass ich Schnaps für alle Anwesenden kaufen sollte. Zuerst verstand ich ihn nicht und als mir endlich das Ansinnen des schwarz gekleideten Schurken klar wurde, gab ich mit mehreren energischen „no entiente“ vor, der Spanischen Sprache nicht mächtig zu sein und beteuerte zudem, nicht über Geld zu verfügen, was nicht einmal gelogen war. Die gesamte Prozedur dauerte etwa eine halbe Stunde, ehe man mich endlich laufen ließ.

Am kommenden Tag wurde ich erneut bei der Botschaft und bei der Fluggesellschaft vorstellig. Weiterhin war kein Geld da und auch die Unklarheit darüber, ob ich in Kürze ab Caracas heimfliegen konnte. Die Sorgenfalten gruben sich immer tiefer in meine Stirn, es stand die Osterwoche im Jahre 1995 bevor und an Ostern, das wusste ich, war für mehrere Tage keine Hilfe zu erwarten. Wenn das Geld doch noch eintreffen sollte, ich hingegen den Flug nicht umbuchen könnte, so malte ich mir aus, würde ich in den Parque Tairona nach Kolumbien reisen und mich dort einige Wochen in einer Hängematte aufhalten, wie ich das schon im Jahr zuvor getan hatte (Travel Report 2/6). Mir würden, so meine Rechnung, etwa sechs Dollar am Tag ausreichen, anschließend könnte ich regulär von Bogota zurück nach Deutschland reisen, doch war es noch einige Wochen hin, ehe der Rückflug gebucht war. Der Gedanke fesselte mich, erinnerte ich mich doch an die hübsche Deutsche zurück, die mir dort begegnet war und mir mit ihren 24 Jahren schon so alt vorgekommen ist. Ob sie wohl noch dort wäre, fuhr es mir in den Kopf. Unsinn! dachte ich mir im nächsten Moment und konzentrierte mich wieder auf meine aktuelle missliche Situation. Zurück in der Stadt, Botschaft und die Fluggesellschaft waren in einem Geschäftsviertel etwas außerhalb, ging ich zunächst in ein günstigeres Hotel, welches nur acht statt der fünfzehn Dollar kostete, die ich bisher bezahlt hatte. Nachdem diese Sparaktion durchgeführt war, fuhr ich mit dem Bus von Caracas hinunter zum Hafen, der in der Nähe des Flughafens lag. Auf einem Hügel sitzend beobachtete ich das Geschehen dort von weitem und sah ein Schiff mit Deutscher Flagge, bemerkte aber auch die Wachen, die am Eingang des Hafens patrouillierten. Ich nahm mir ein Herz und näherte mich dem Eingang, kam dort zu einem äußerst günstigen Moment an, die Wachen waren nicht zu sehen und schlich mich auf das Gelände. Auf der anderen Seite des Piers erreichte ich das Schiff, es war ein kleinerer Frachter, dessen Deck leicht einsehbar war. Ich warf der einzigen Person an Bord die Frage zu, ob er ein Deutscher sei. „Ja“ wurde mir geantwortet, worauf ich ihm freudig meine Geschichte erzählte. Ob ich denn mitfahren könnte, fragte ich, falls ich dazu bereit wäre für umsonst zu arbeiten. Meine Frage wurde bejaht, doch hatte die Sache einen Hacken. Ehe man nach Deutschland zurückkehren würde, so der Matrose, müsste man noch in Fort Lauderdale in Florida vorbeifahren. Schlussendlich sollte die Reise drei Monate dauern, was für mich aber kein Problem darstellte, schließlich war ich zeitlich völlig ungebunden. Es hatte sich ein Hintertürchen für die Heimreise aufgetan, ein abenteuerliches dazu, dachte ich. Auch hatte ich etwas Zeit gewonnen, das Schiff sollte erst in einigen Tagen ablegen.

Am nächsten Tag erwachte ich morgens in dem engen Zimmer meines neuen Hotels. Trotz aller Sparanstrengungen gefiel es mir überhaupt nicht in dieser Unterkunft. Als ich die Gemeinschaftsduschen betrat, sah ich eine riesige Kakerlake auf dem Duschkopf, was mir das unappetitliche Ambiente noch einmal deutlich vor Augen führte und mir den Rest gab. Ich packte meine Sachen zusammen und machte mich wieder in mein ursprüngliches Hotel auf, welches einige Straßenblöcke entfernt war. Nachdem ich dort eingecheckt war, wollte ich einige hundert Meter die Straße weiter unten einen „Perro Caliente“ essen gehen. Ich musste immer lachen, wenn ich an die wörtliche Übersetzung aus dem Englischen dachte, doch als ich die plötzlich mitten auf der Straße die uniformierten Ganoven auf mich zukommen sah, verzog sich mein Humor auf einen Schlag. Unhöflich wurde ich aufgefordert, meine Papiere zu zeigen, die ich nicht bei mir hatte. Ich deutete auf das Hotel, welches noch in Sichtweite war und bat die Polizisten mitzukommen, doch alles half nichts, ich musste erneut zur Polizeistation. Dieses Mal verfuhren die Schwarzuniformierten nicht sehr zimperlich mit mir, die gesamte Nacht verbrachte ich in dem Vorzimmer, da ich erneut das Bestechungsvorhaben in Form einer Schnapsflasche strikt ablehnte. Zunächst war ich noch der einzige Anwesende, doch mit zunehmendem Zeitverlauf befüllte sich meine Umgebung immer mehr mit betrunkenen und zahnlosen Gestalten. Auch die Zellen hinter dem Vorraum waren am Ende der Nacht von einem überwiegend tätowierten und recht grimmig dreinschauendem Volk befüllt. Erst am kommenden Morgen durfte ich wieder hinaus, es war der letzte Tag vor dem großen Osterfest.

Schnell duschte ich in meinem Hotel nach der wenig erholsamen Nacht und fuhr dann in aller Eile zur Botschaft. Endlich war das Glück auf meiner Seite, das Geld aus Deutschland war eingetroffen und auch im benachbarten Büro der Britisch Airways erreichten mich gute Nachrichten. Es war möglich schon in einigen Tagen ab Caracas zurück nach Deutschland zu reisen, im Nu hatten sich alle meine Probleme in Luft aufgelöst. Fröhlich machte ich mich zurück in die Innenstadt und feierte in einem Lokal in der Nähe meines Hotels. Ich wollte nun nichts mehr anbrennen lassen und noch ein paar ruhige Tage in Venezuela verbringen. Zurück in meinem Hotel traute ich meinen Augen kaum. Fünf schwer bewaffnete Polizisten, einer davon mit einem Maschinengewehr im Anschlag, bereiteten mir einen heftigen Empfang. Als ich in der Nacht zuvor verhört geworden war, hatte ich mitgeteilt wo ich wohnte und wo mein Reisepass zu finden war. Man eskortierte mich auf mein Zimmer und alles wurde auseinander genommen, wobei auch ein Drogenhund zum Einsatz kam. Als die Tortur endlich vorbei war und die Polizisten unverrichteter Dinge abgezogen, stand ich vorwurfsvoll und mit erhobener Stimme an der Rezeption und verfluchte Venezuela für alles was ich hier hatte erleben müssen. Kleinlaut spendierte mir das Personal auf Kosten des Hauses einen Drink an der Hotelbar. Wenige Tage später war der Spuk endlich vorbei. Ich hatte mich bereits früh morgens an den Flughafen aufgemacht um hier die letzten Stunden einer langen Reise, die sich über mehrere Monate Jahr erstreckt hatte, zu erholen und um mich vor weiteren Übergriffen seitens der Polizei wie auch von den Beleidigungen der Bevölkerung in Schutz zu bringen. Inzwischen war ich mit einem Gewicht von nur noch 57 Kilogramm ziemlich stark abgemagert und war froh, im Flugzeug in Richtung London endlich wieder einmal etwas richtiges zu Essen zu bekommen.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem

1995, Zentral-Brasilien: Erneut stand eine dreitägige Busreise an, da ich meinen ursprünglichen Plan, über Recife und Bahia de Salvador nach Belem zu reisen, verworfen hatte. Ich wollte schnellst möglich nach Caracas weiter fahren, um mir dort bei der österreichischen Botschaft das Geld abzuholen, das ein Bekannter aus Deutschland bei dem Generalkonsulat in München einbezahlen sollte. Von der österreichischen Botschaft in Rio aus war es telefonisch möglich gewesen, ihn zu erreichen. Ich hatte extra für diesen Fall meine Bankkarte in Deutschland gelassen, eine Vorsichtsmaßnahme aufgrund der Ereignisse in Kolumbien im Jahr zuvor (Travel Report 2/4), als ich mir Geld von der Botschaft in Bogota leihen musste. Kreditkarten waren zu dieser Zeit in den meisten Teilen Südamerikas absolut unüblich, so dass ich auch keine mit mir führte.  Mit der Kommunikation nach Europa gab es vielfach die größten Schwierigkeiten, meistens konnte keine direkte Verbindung aufgebaut werden, sondern es meldeten sich dazwischen irgendwelche „Verbindungsdamen“, die ihre spanischen oder portugiesischen Worte mit der Geschwindigkeit einer halbautomatischen Waffe herunter ratterten, jeder Versuch meinerseits an ihnen vorbeizukommen, erwies sich als vollständig zwecklos. Gelang es doch einmal eine Leitung aufzubauen, ohne dass sich die Damen sich dazwischenschalteten, musste schnell geredet werden, denn ein zwei minütiges Telefonat war genauso teuer, wie das Reisebudget eines gesamten Tages.

Die Busfahrt war ziemlich langweilig und unbequem, es befanden sich kaum mehr als zehn Passagiere an Bord, alles Männer, die irgendetwas in Belem zu tun hatten. Freilich dauerte es nicht lange, bis Cachaca der Marke „51“ ausgepackt wurde und bereits in Belo Horizonte torkelten die ersten stockbetrunken im Bus herum. Ich nahm auch hin und wieder einen Schluck aus den Flaschen, die im Kreise herumgereicht wurden, war aber darauf bedacht, erst Abends damit anzufangen und nicht zu viel zu konsumieren, damit ich hier nicht bestohlen und ausgeraubt werden würde. Am zweiten Tag fuhren wir an der unnützen und überflüssigen Stadt Brasilia vorbei und bogen in eine Straße ein, die auf einer Distanz von etwa 2.000 Kilometern geradewegs nach Belem führen sollte. Die Landschaft war prinzipiell immer identisch, Weidegrund soweit das Auge reichte. Morgens am letzten Tag der Fahrt wachte ich mit Kopfschmerzen auf, ich hatte am Abend zuvor wohl doch etwas zu viel von dem Schnaps abbekommen, ja, es war nicht immer einfach die optimale Dosis zu finden. So gegen sechs Uhr muss es gewesen sein, es regnete in Strömen und die Bushaltestelle, an der wir uns befanden, gab ein jämmerliches Bild ab, wodurch sich meine Kopfschmerzen noch intensivierten. Unter einer halb aufgeweichten Bambushütte saßen ein paar verlumpte Kinder und daneben befand sich eine zwei mal zwei Meter große Bar an der einige Trunkenbolde gerade den „51“ unverdünnt aus kleinen Bechern kippten, während sich in den Regalen hinter dem Barkeeper mindestens 50 leere „51“ Flaschen reihten. Nicht nur barbusige Tänzerinnen im Karneval, sondern auch das ist Brasilien, dachte ich – die pure Trostlosigkeit.

In Belem angekommen, tauschte ich meine letzten beiden Reisechecks über insgesamt 200 US-Dollar in Brasilianische Real ein. Der Vorgang gestaltete sich als äußerst schwierig, der Kassier meinte, meine Kontroll-Unterschrift würde nicht mit den ursprünglich auf den Checks hinterlegten Unterschriften übereinstimmen und wollte mir das Geld nicht ausbezahlen. Ich flehte ihn an, denn durch die soeben durchgeführte zweite Unterschrift waren die Checks auch bei einer anderen Bank nutzlos geworden und hier an der Amazonasmündung, drei Tage von Rio und zwei Wochen von Caracas entfernt konnte mir mit Sicherheit keiner unter die Arme greifen. Erst als ich dem Kassierer die Tätowierung auf dem Oberarm mit meinem Namen zeigte, gab er nach und händigte mir schließlich das Geld aus. Die Schifffahrt von Belem nach Manaus dauerte volle sieben Tage und kostete umgerechnet siebzig US Dollar. Die Verpflegung war im Preis inbegriffen und wurde durch einen Schiffskoch sichergestellt, der zwei Mal am Tag Hühnchen mit Reis servierte. Ich musste mir zuvor noch eine Hängematte kaufen, da nur mit ihr überhaupt die Erlaubnis erteilt wurde, das Schiff zu betreten. Nach Abzug meiner Unterkunft in Belem, einiger Verpflegungsgegenstände, darunter die besonders wichtigen Kartoffelchips und die Zigaretten, blieben mir noch gut achtzig Dollar, um von Manaus aus bis nach Caracas zu kommen. Das sollte reichen, dachte ich. Alternativ zum Bus hätte ich schließlich auch per Anhalter ab Manaus fahren können, ein Gutes hatte die Strecke nämlich, es gab mit Boa Vista und Ciudad Guyana bis weit nach Venezuela hinein nur etwa alle 800 Kilometer eine relevante Ortschaft und man musste somit nur zwei Mal mitgenommen werden, um bis kurz vor die Tore der Venezuelanischen Hauptstadt zu gelangen.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 4/3: Zu den Christen

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In Rio Galllegos

1995, Padagonien/Ascunsion: Einige Tage später stand ich in Rio Gallegos, einem weiteren herunter gekommenen und verstaubten Ort, den man nicht unbedingt zu Gesicht bekommen muss. Ich wollte mich von hier aus so schnell wie möglich durch Argentinien schlagen und auf keinen Fall mehr als meinen restlichen Bargeldbestand von ungefähr fünfzig US-Dollar aufbrauchen, um erst wieder in Paraguay Reisechecks eintauschen zu müssen und so die Währungsverluste beim Geldwechsel möglichst klein zu halten. In einer Pizzeria, es war eher eine Garage, aß ich noch eine Kleinigkeit, ehe ich die Busfahrt nach Buenos Aires antrat, die drei Tage und drei Nächte dauerte. Es war jeden Tag das gleiche Bild als ich aus dem Bus blickte, morgens wie abends nichts als gelbe Grasbüschel weit und breit. Jeden Tag zwei Bananen und eine Flasche Wasser, so hielt ich bis Buenos Aires durch, wo ich mir als kulinarischen Genuss die einzige Mahlzeit in Argentinien, eine Milanesa im Brot, leistete. Viel Zeit konnte ich in der Stadt nicht verbringen, der Anschlussbus nach Paraguay startete noch am Tag meiner Ankunft, nur etwa vier Stunden später. Nach einem weiteren Tag auf der Straße erreichte ich endlich Asunción, der Gewaltakt war vorbei und es herrschten wieder tropische Klimabedingungen.

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Zwischenstopp Buenos Aires

Verklebt und verschwitzt, wie ich nach mehr als einer halben Woche ohne Dusche und Körperpflege die Straße vom Busbahnhof in Richtung der Innenstadt von Ascunsion lief, bekam ich plötzlich die größten Bedenken, dass eine Bank mir in meinem Zustand den Umtausch meiner Reisechecks verwehren könnte. Vielmehr, so dachte ich, würde ich als Vagabund wahrgenommen werden, mit dem man besser nichts zu tun haben wollte. Zwei Stunden später sah meine Situation schon deutlich entspannter aus. Man hatte mir die Checks problemlos eingetauscht und ich hatte mir ein riesiges Zimmer mit Blick auf den Präsidentenpalast gebucht, war frisch geduscht und saß genüsslich rauchend auf meinem Balkon. Das Land machte einen deutlich ärmeren Eindruck auf mich, als Argentinien oder Chile, doch die Menschen hier schienen sehr nett zu sein. Ein Passant hatte mir auf meinem Weg in die Innenstadt sogar Geld für den Bus geliehen. Hatten die Menschen in Argentinien und Chile vielfach europäische Wurzeln, so war ich hier jetzt wieder unter Mestizen, die von den Guaraní Indianern abstammten und sich mit den Spaniern vermischt hatte, als diese 1537 Besitz von dem Land ergriffen.

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Der Rio Paraquay

Nach einigen Tagen in der Hauptstadt Paraguays fuhr ich zu einer Farm, deren Besitzer mit Bekannten von mir aus Deutschland befreundet war. Es war eine ungemütliche Fahrt über unbefestigte Straßen und als ich an der Endstation angekommen war, setzte ich mich zunächst in eine Kneipe, da ich nicht genau wusste, wo ich die Farm finden konnte. Ich staunte nicht schlecht, als ich bemerkte, wie die Leute sich hier in tiefstem bayrisch unterhielten. Ich war in einer deutschen ¨Kolonie¨ angekommen, die aus Nachfahren ehemaliger Auswanderer aus dem 19, Jahrhundert zusammen gewürfelt war. Ein Bollwerk der Integrationsunwilligkeit schlug mir entgegen, denn die meisten dieser Menschen konnten nicht einmal Spanisch sprechen, geschweigenden sich mit der hiesigen Kultur anfreunden. Die Farm zu finden war nun ein Kinderspiel, alle kannten sich hier und jeder wusste über den anderen Bescheid. Auf der Farm wurde ich herzlich empfangen und bekam ein Zimmer in einer Hütte gegenüber von dem Hauptgebäude zugewiesen. Das Anwesen war ein einziges Schmuckstück, es bestand aus mehreren sauberen, weißgetünchten Kolonialgebäuden. Etliche Bedienstete sorgten aufopferungsvoll für das Wohl der Anwesenden und sprangen nimmermüde in großer Dienstbarkeit zwischen Hof, Küche und Waschsalon herum. Das Essen war ausgezeichnet und alles war sehr fromm, es hätte ein Paradies sein können, wären da nicht die Frösche und Kröten gewesen, von denen ich mich auf das äußerste ekelte und die mir das Leben zur Hölle machten. Mit den kleinen Springfröschen, die Nachts über die Toilette ins Zimmer kamen und die man immer hörte, wenn sie vom Boden an die Decke hüpften, konnte ich mich nach einer gewissen Zeit noch anfreunden, aber die vielen großen Kröten auf dem Weg vom Hauptgebäude zu meiner Hütte machten mir das Leben äußerst beschwerlich. Sie waren überall und wenn die Toilette erneut nicht ablief, gab es Krötenstau in der Kanalisation. Diesen zu beseitigen gelang nur den unerschrockensten Helfern auf der Farm. Zog man eine Kröte aus dem Abfluss heraus kamen zunächst etliche hinterher, ehe das blockierte Urinal sich in einem Schwall auf der Wiese ergoss.

Reiseberichte:

Travel Report 3/1: In den Krieg
Travel Report 3/2: Kontrolle in Trujillo
Travel Report 3/3: Am Titicaca See
Travel Report 4/1: Durch die Klimazonen
Travel Report 4/2: Am Ende der Welt
Travel Report 4/3: Zu den Christen
Travel Report 5/1: Mode und Prostitution
Travel Report 5/2: Betrunken im Bus nach Belem
Travel Report 5/3: Am Amazonas
Travel Report 6/1: Durch den Urwald
Travel Report 6/2: In Gewahrsam

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Travel Report 07/5: Entkräftet

1997, Goa: Die Zeit war gekommen, nach Goa zurückzufahren. Meine Hantel, die noch immer wie ein Mühlstein in meinem Rucksack lag, hatte ich in den letzten gut sechs Wochen, seit ich hier in Indien war, noch nicht benutzt und machte mir nun ernsthafte Gedanken darüber, sie los zu werden. Auch auf der Rückfahrt in die ehemalige portugiesische Enklave am indischen Ozean störte sie erneut merklich, als ich den Rucksack auf das Dach des Minibusses heben wollte, was aufgrund des Gewichts erst nach dem dritten Anlauf gelang. Noch aber sollte sie nicht entsorgt werden, das, so überlegte ich mir, könnte ich in Goa tun. Nach mehr als zwölf Stunden in einem sehr beengten Bus, der wohl für deutlich kleinere Passagiere konzipiert worden war, erreichte ich erneut Panjim, von wo aus es zu dem vertrauten Calangute nur noch einen Katzensprung war. Eine Gruppe von Indern mit einer Boa Schlange passten mich am Busbahnhof ab und freuten sich diebisch, als ich gegen ein kleines Trinkgeld das Tier um den Hals legte und ein Foto von mich machen ließ. In Calangute wohnte ich in der selben Unterkunft wie bereits zwei Wochen zuvor, doch nun umgaben mich neue Nachbarn. Einerseits war ein Endländer gleich um die Ecke eingezogen, andererseits wohnte ein Deutsches Pärchen im benachbarten Zimmer, das hier zu meinem Missfallen gut von Arbeitslosengeld lebte und dies auch für viele Monate tun konnte, da man in der Heimatstadt Dortmund nicht regelmäßig beim Arbeitsamt erscheinen musste.

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Goa am Strand

Am ersten Morgen nach meiner Rückkehr an den Traumstrand, wurde ich von einem Pfeifenmeister geweckt. Er wollte sich ein kleines Trinkgeld verdienen, welches ich ihm bereitwillig zusteckte, um das blecherne Geräusch seines überdimensionierten Instruments aus meinen Ohren zu bekommen. Ich machte mich auf zum Strand, wo über einen Kilometer verteilt gut hundert barbusige Frauen lagen, kaum eine davon war ansehnlich, so dass ich mich ziemlich ekelte. Neben mir hatte ein Hundepärchen Sex, was ebenfalls recht unansehnlich war und ich mich der Strandbar zuwandte. Nach ein oder zwei Bieren bummelte ich den Strand entlang, sprang ins Wasser, lief hoch und runter und wusste nicht so recht, was ich mit dem Tag anfangen sollte. Zurück an der Strandbar hatte ich erstmals Kontakt mit dem Engländer aus meiner Nachbarschaft, der gerade eine Flasche Rum öffnete und diese mit Cola mischte. Er hatte mich am Abend zuvor bereits auf der Terrasse meiner Unterkunft gesehen und hieß mich herzlich dazu willkommen, mit ihm ein paar Drinks zu nehmen. Wir saßen von etwa zwölf Uhr mittags bis gegen vier Uhr am Nachmittag in der Bar, ehe wir uns gut angeheitert auf einem Motorradroller in Richtung Norden aufmachten. Die erste Station war erneut eine Bar, etwa drei Kilometer entfernt, in der wir weitere zwei Stunden verbrachten. Danach ging es mit dem Roller weiter. Mir war nicht gut bei dem Gedanken, dass kürzlich hier ein anderer Tourist buchstäblich unter die Räder gekommen war und sich bei einer Kollision mit einem Auto auf dem Roller beide Beine gebrochen hatte, schließlich vergaß ich vor der Abreise eine Krankenversicherung abzuschließen. Die berüchtigten Sandbänke zwischen Calangute und Vagator konnten wir ohne weitere Probleme passieren. Dies war allerdings auf dem Roller nur mit einer sehr geringen Geschwindigkeit möglich, so dass ich mir gut vorstellen konnte, wie schwierig es sein musste, Nachts hier von der Polizei zu flüchten, welche wie bereits erwähnt, die Angewohnheit hatte, solche Leute wie uns die Bambusstöcke in die Speichen zu rammen und ein Lösegeld für die Weiterfahrt zu erpressen (Travel 07/3).

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Schlangenbeschwörer

Gut fünf Stunden später wanderte ich durch die düster beleuchteten Trampelpfade zwischen den Lichtungen hin und her, in denen sich die Techno Party abspielte, auf der ich mich inzwischen befand und wunderte mich über die grellen Reflektionen des Mondes und die sanfte Atmosphäre, die mich umgab. Überall um mich herum waren wunderschöne Frauen aus Israel und die DJs war extra aus Tel Aviv eingeflogen worden, um hier am indischen Ozean zwischen den Palmen einer abgelegenen Meeresbucht mit heißen Rhythmen die Partygesellschaft zum Kochen zu bringen. Nach unserer Ankunft am frühen Abend mit dem Motorroller hatten wir noch eine dritte Bar direkt am Strand besucht, um die Pre-Party zu der Techno Party zu feiern. Hier lernten wir bereits etliche Menschen aus Israel kennen, die uns erzählten, dass sie nach ihrem Militärdienst ein halbes Jahr Freizeit bekommen haben und diese jetzt dazu nutzen würden, in Goa zu feiern. Deswegen stand auch der Panzer der Drogenpolizei aus Bombay in Calangute, dachte ich mir. Wie mir berichtet wurde, hatte die Israelische Regierung Druck auf Indien ausgeübt, da viele Soldaten beim Feiern in dieser Hippiehochburg ihre Kampf- und Einsatzfähigkeit verloren, sollten sie nicht gleich im Irrenhaus einige Kilometer weiter nördlich oder im Gefängnis einige Kilometer weiter südlich gelandet sein (Travel 07/3). Nach einigen Bieren an der Bar waren wir zusammen mit den Israelis an diesen kunterbunten Party-Ort gekommen, an dem die größte der bisher von mir besuchten Feierlichkeiten zu Gange war. Die Nacht war wie ein Märchen, die Musik umgab uns in abwechselnd langsamen und schnellen Basstönen und erzeugte durch die perfekte Mischung aus Elektro und Trance eine einzigartige Gefühlslage bis in den frühen Morgen hinein, ehe ich mit meinem Nachbarn nach Calangute zurückfuhr, um dort an der Strandbar die Party ausklingen zu lassen.

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Full Moon Party

Nach gut zwei Wochen, in denen sich der Engländer als eine perfekte Bekanntschaft heraus gestellt hatte, die genau meine Idealvorstellung von einem anzustrebenden Lebensstil verkörperte, war ich entkräftet. Fast jeden Abend gab es in der Umgebung ein Event, das bis in die frühen Morgenstunden dauerte. Die letzten drei Tage kam ich gänzlich ohne Schlaf aus und befand mich permanent zwischen Beach Bar, Elektro-Party und Sandstrand. Die Nahrungsmittelzufuhr war unregelmäßig und wurde am Ende ganz eingestellt, was sich bald äußerst negativ auf mein Wohlbefinden durchschlug. Am Tag als ich mich von allen verabschieden musste, um nach Bombay zu fahren, von wo aus mein Flugzeug zurück nach Deutschland gehen sollte, war ich zu schwach, um meinen Rucksack mit der Hantel allein zum Bus zu tragen und musste einen Träger engagieren, der mich zusammen mit dem Gepäck auf einem Fahrrad zur Bushaltestelle brachte. Erst im Verlauf der Busfahrt besserte sich mein schlimmer Zustand, der eine ganze Zeit lang noch von Schweißausbrüchen und Übelkeit bekleidet war. Die letzten beiden Tage in Bombay verliefen ruhig und es ging mit meiner körperlichen Verfassung stetig bergauf. Kurz vor dem Abflug hielt ich einen funkelnden Edelstein in der Hand, den ich bei einem Händler noch schnell gekauft hatte. Das gute Stück sollte aber zu meinem Leidwesen nie seinen Empfänger finden.

Reiseberichte:

Travel Report 7/1: Nach Süden statt nach Norden
Travel Report 7/2: Zwischen Teppich- und Peitschenhändlern
Travel Report 7/3: Zwischen Panzern und Party
Travel Report 7/4: Zwischen Tempeln und Palästen
Travel Report 7/5: Entkräftet

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